Medienmacht und Wahlen: Keine Lügenpresse, aber...

Journalisten-Karikatur

Nichr nur in Deutschland muss die Presse um ihre Glaubwürdigkeit kämpfen. Symbolbild: Alexas_Fotos / Pixabay Licence.

Deutschland streitet über AfD-Präsenz in Talkshows, das Nachbarland um die Unabhängigkeit der Medien. Wie Österreichs Parteien um Sichtbarkeit kämpfen.

Wer sitzt wie oft in Talkshows und wie wirkt sich dies auf Wahlchancen aus? Gibt es eine Lügen- oder doch nur eine Lückenpresse, weil streng genommen jede Auswahl, worüber berichtet wird, eine Art Manipulation ist?

In Deutschland dreht sich die Diskussion immer wieder um die Medienpräsenz der AfD, die es mittlerweile auch dort, wo sie nicht selbst vertreten oder nicht gern gelitten ist, schafft, die Themen zu setzen. Das Nachbarland Österreich hat derweil einen ganz eigenen Anlass, seine Medienlandschaft kritisch zu hinterfragen.

Ein bisschen peinlich war das schon für die Jugendstaatssekretärin Claudia Plakolm (ÖVP), dass eine Informationsbroschüre des Bundesnetzwerks Österreichische Jugendinfos meint, es gäbe keine unabhängigen Medien in Österreich.

Wer das Geld hat, hat die Medienmacht

In dem Schwerpunktheft zur politischen Bildung mit dem Titel "Demokratie" ist zu lesen: "Wichtig zu wissen: Hinter Zeitungen und Drucksachen stehen immer finanzielle Mittel, also Geld. Und der, der Geld gibt, will seine Meinung verbreiten. Es gibt in Österreich keine unabhängigen Medien."

Das wollte die konservative Staatssekretärin dann doch nicht in dieser Form schwarz auf weiß lesen und versprach, es umformulieren zu lassen. Dabei haben die Autoren der Jugendbildungsbroschüre nicht ganz unrecht.

In Österreich wird das Prädikat "unabhängig" von Medien wie eine Monstranz durchs Dorf getragen. Es soll meinen, eine Tageszeitung, wie etwa die Kronenzeitung, ist keine Parteizeitung und deshalb unabhängig von einem Parteiprogramm.

Lügenpresse-Vorwurf: Wie ideologisch sind die Medien?

Hier spielt der beliebte "Ideologievorwurf" mit hinein. Es sind immer die anderen, die eine Ideologie verbreiten wollen, man selbst halte sich rein an die "Vernunft", den "Anstand" oder den – in Österreich sehr beliebt – "Hausverstand". Das stimmt natürlich nicht.

Die unsichtbare Ideologie ist die der Markthörigkeit und die lässt sich leicht illustrieren. Wichtig ist zunächst festzuhalten, Österreich leidet unter keiner "Lügenpresse", die mutwillig Informationen vorenthält. Alle österreichischen Zeitungen berichten beispielsweise über die Folgen der Klimaerhitzung und deren negativen Auswirkungen in Österreich.

Auch machen sie deutlich, dass Verbrennungsmotoren dabei eine wesentliche Rolle spielen. Rund 28,26 Prozent der Treibhausgase gingen 2022 in Österreich auf den Bereich Mobilität zurück. Österreichs Straßenverkehr hat zweithöchsten Pro-Kopf-CO2-Ausstoß der EU. Der daraus leicht zu folgernde Schluss einer Mobilitätswende, weg vom motorisierten Individualverkehr, wird aber zuverlässig nicht gezogen.

Beilagen und Werbung für Autos und Konsumgüter

Ganz im Gegenteil. Die Zeitungen haben "Mobilitätsbeilagen" in denen lang und breit Walter Röhrl erzählt, wie sich der "Audi Sowieso" fährt. Kurzkritik: "Sehr gut". Die Zeitungen brauchen die positive Imageproduktion für Konsumgüter, weil sie dafür unmittelbar durch Advertorials bezahlt werden oder indirekt Medienpartnerschaften für Events ergattern. Wer will, kann bei dem unterhaltsamen Suchspiel mitmachen und einmal die RedBull-Logos zählen, die sich beim Durchblättern einer österreichischen Zeitung finden lassen.

Zeitungen können deshalb nicht grundsätzlich Verbrennungsmotoren ablehnen, auch wenn es dafür wissenschaftliche Gründe gibt, von denen die Autoren der Redaktion überzeugt sind. Somit lässt sich sehr wohl sagen, die Zeitungen seien nicht unabhängig, denn sie müssen immer auch die Interessen ihre Werbekunden mit im Blick haben.

Land zu klein für eigenen Medienmarkt?

Leider ist es noch viel schlimmer. Eine Besonderheit in Österreich liegt darin, dass das Land zu klein für einen eigenen Medienmarkt ist. Jede Art des Publizierens ist förderungsabhängig. Sei es – im Falle des Fernsehens – durch die Rundfunkabgabe an den ORF oder durch Verbreitungsförderungen an die Printmedien.

Das hat zu der eigentümlichen Situation geführt, dass die Boulevardmedien in Österreich von Steuergeldern am Leben gehalten werden. Der Österreichische Rundfunk bietet ein Programm, das deutschen Privatsendern ähnelt ("Dancing Stars", "Millionenshow" etc.), das sich aber offenkundig nicht selbst am Markt finanzieren kann.

Weil aber die Werbekunden bei allen klassischen Medien zurückgehen und lieber unmittelbar über soziale Medien werben, wuchs sich in Österreich ein System der "Inserate-Korruption" aus, das alle zur Wahl stehenden Parteien beklagen. Der Vorwurf hier: Ministerien und auch die üppig durch die hohe Parteienförderung alimentierten Parteien schalten Werbeanzeigen in Zeitungen, um sich deren Berichterstattung gefügig zu machen.

Wahre Medienberichte ohne Konsequenzen

Leider haben die Skandale der letzten Jahre belegt, dass dies in einem geradezu bizarren Maß der Fall ist. Sebastian Kurz (ÖVP) ließ sich beispielsweise Umfragen zurechtschneidern und diese in seinem Sinne per Leitartikeln kommentieren. Vieles hiervon ist noch Gegenstand gerichtlicher Untersuchung und somit gilt – selbstverständlich – die Unschuldsvermutung.

Einige der Sachverhalte sind aber durch die unwidersprochenen Chatprotokolle der Beteiligten der Öffentlichkeit zugänglich und bieten ein eindeutiges Bild. Die Konsequenzen sind höchst überschaubar.

Selbst wenn jemand über einen Skandal stürzt, so wie der ehemalige Chefredakteur der Tageszeitung Die Presse Rainer Nowak, dann landet man offenkundig weich in Austria. Nowak bot dem Kreis um Sebastian Kurz gefällige Berichterstattung an und verlangte im Gegengeschäft Karrierehilfe. Zitat aus dem Chat mit dem damaligen Vorstand der Beteiligungsagentur ÖBAG, Thomas Schmid: "Ehrensache. Jetzt musst du mir bitte beim ORF helfen."

Die Karriere beim ORF wurde für Novak nichts, auch flog er nach Bekanntwerden der Chatprotokolle bei der Presse raus. Heute aber sitzt er in der Kronenzeitung als Ressortchef.

Es scheint manchmal so, als gäbe es in Österreich nur eine Handvoll Menschen, die eine Schreibmaschine bedienen können. Diese Machtnetzwerke haben zu einer großen Skepsis gegenüber Medien und Politik geführt. Die Drehtür zwischen Politik und Medien verstärkt diesen Effekt. Bekannte Gesichter aus dem Fernsehen werden gern von Parteien in die Wahllisten genommen, umgekehrt wird nach dem Ausscheiden aus der Politik die eigene Prominenz für eine Medienkarriere genutzt.

Die Programme der Parteien: Gleichklang in Medienfragen

In den Wahlprogrammen zur Nationalratswahl findet sich überraschend viel Einigkeit beim Thema Medien. Im Grunde gehen alle davon aus, dass die Berichterstattung in Österreich ausgewogener sein könnte und auch dass die bestehenden Strukturen in Gefahr sind. Das Land könnte seine Medien verlieren, weil in Zeiten von Streaming und sozialen Medien die Karten neu gemischt werden.

ÖVP und SPÖ würden deshalb gern jungen Lesern über Gratis-Abos österreichische Tageszeitungen und Magazine näherbringen. Die Volkspartei will Digitalabos ab der siebten Schulstufe, die Sozialdemokraten wollen Printabos mit bis zu 150 Euro staatlich finanzieren lassen, für Menschen zwischen 16 und 30 Jahren. Bei beiden Parteien ist unverkennbar der Hintergedanke, auf diesem Wege die bestehenden Medien in Österreich zu unterstützen.

Alarm: Fake News verbreiten immer die Anderen

Alle zur Wahl stehenden Parteien sehen eine Gefahr in Fake-News und Meinungsmanipulation, wobei bei der FPÖ nicht ganz klar ist, ob sie die nicht am liebsten selbst machen würde. Die Freiheitlichen sehen in Österreich "Gleichschaltung" und "Indoktrination". Bei der FPÖ und auch bei der neugebildeten Liste Madeleine Petrovic, einer ehemaligen Spitzenpolitikerin der Grünen, geht es insbesondere um Covid 19. Im Zuge der Pandemie seien andere Sichtweisen unterdrückt worden.

Das Medien-Programm der FPÖ ist weitgehend geprägt von der üblichen rechten Paranoia. Alle seien gegen die FPÖ und ihren "Volkskanzler" Kickl. Dass diese allseitige (und höchst löchrige) "Brandmauer" gegen die Freiheitlichen auch etwas mit dem hetzerischen und menschenverachtenden Parteiprogramm zu tun haben könnte, kommt den Blauen nicht in den Sinn. Die FPÖ verfügt ohnehin über ein üppiges Medienbiotop aus FPÖ-TV und dem Printmagazin Zur Zeit, das sich dem Kampf gegen die "Faschismuskeule" verschrieben hat.

Die Grünen sind die einzige Partei, die in ihrem Programm konkreter auf die Probleme des medialen Wandels eingehen. Wenn Österreich nicht ein bloßes Anhängsel des internationalen oder genauer des deutschen Medienmarktes werden will, dann müssen die großen Produzenten zu Zugeständnissen bewegt werden.

Wenn etwa Netflix den österreichischen Fernsehmarkt beliefert, dann müssten die Amerikaner auch dazu gezwungen werden, zumindest ein wenig in Österreich zu produzieren. Mal sehen, ob dies gelingt und die Addams Family ("Wednesday") demnächst Urlaub im Salzkammergut machen wird. Gruselig ist es da auch.

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