Mehr Kohle: Zertrümmerte Knochen und Hoffnungen
Energie und Klima – kompakt: Nach dem Polizeieinsatz gegen Klimaschützer im Rheinland stellen sich ernsthafte Fragen nach dem Zustand dieser Gesellschaft. Ein Kommentar.
Sind wir eigentlich noch zu retten? Haben wir noch unsere fünf Sinne beisammen? Da halten wir uns für das Land der Ideen und kratzen gleichzeitig Braunkohle aus der Erde, als gäbe es kein Morgen, als hätten wir noch nie von Treibhauseffekt und Klimawandel gehört. Ausgerechnet Braunkohle, den problematischsten aller fossilen Brennstoffe.
Wir sind sogar Weltmeister in ihrem Verbrauch und setzen den Abbau und ihre Verbrennung – wie das Wochenende gezeigt hat – trotz eindringlicher Warnungen aus der Wissenschaft mit aller Gewalt gegen jene durch, die aus Sorge um die Zukunft protestieren.
Da werden Knochenbrüche und selbst Tote in Kauf genommen, wie seinerzeit bei der illegalen Räumung des Hambacher Forsts im September 2018, nur um noch mehr Braunkohle abzubaggern. Bewohner des Lützerather Protestcamps berichten unter anderem, dass von Polizisten blind mit einer Kettensäge durch den Boden eines Baumhauses gesägt worden sei, in dem sich Menschen befanden.
Und das alles für eine Technologie von vorgestern, die den Planeten zerstört, die ihn für künftige Generationen zur Hölle machen wird. Seit rund 200 Jahren wissen wir durch die Arbeiten des französischen Mathematikers Jean-Baptiste Joseph Fourier, dass da irgendwas in der Atmosphäre ist, das sehr viel Wärmenergie in den untersten Luftschichten hält, wesentlich mehr, als bei einer transparenten Atmosphäre zu erwarten wäre.
Seit etwas mehr als 150 Jahren wissen wir durch die Laborexperimente des irischen Naturforschers John Tyndall, dass dies unter anderem Kohlendioxid ist, dessen Konzentration in der Atmosphäre der Mensch gerade begonnen hatte, durch Entwaldung und vor allem die Verbrennung von Kohle zu erhöhen. Und wir wissen auch seit sehr langem, was dabei herauskommen kann. Vor rund 120 Jahren hat der spätere schwedische Nobelpreisträger Svante Arrhenius berechnet, dass sich die untersten Luftschichten um fünf bis sechs Grad Celsius erwärmen, wenn die CO₂-Konzentration in der Atmosphäre verdoppelt wird.
Leider hatte Arrhenius, dessen Ansichten Jahrzehnte lang ziemlich umstritten waren, mit einem tatsächlich unrecht: Er ging davon aus, dass es drei Jahrtausende dauern würde, bis genug Kohle und Erdöl verbrannt ist, um die CO₂-Konzentration zu verdoppeln. Doch etwas mehr als den halben Weg haben wir im Jahre 2023 bereits zurückgelegt, und Arrhenius Ergebnisse werden inzwischen längst auch von modernen, wesentlich komplexeren Klimamodellen bestätigt.
Uns ist einfach nicht zu helfen
Die globale Temperatur ist bereits um etwa 1,2 Grad Celsius gestiegen, wobei dies noch nicht die vollständige Reaktion des Klimasystems ist. Das globale Klima reagiert träge, und es wird noch mehrere Jahrzehnte dauern, bis sich ein neues Gleichgewicht eingestellt hat, sobald die CO₂-Konzentration erst einmal stabilisiert ist.
Doch davon, von der Stabilisierung, sind wir weit entfernt. Wir denken nicht daran, mit dem fossilen Wahnsinn endlich aufzuhören. Oder genauer: RWE denkt nicht dran, und das System RWE ist derart mit der Politik verfilzt, dass die nordrhein-westfälischen Landesregierungen in Düsseldorf – ob mit oder ohne Grünen-Koalitionspartner – immer bereit sind, Tausende Polizisten in Marsch zu setzen, um das Zerstörungswerk des Konzerns zu ermöglichen.
Zurück bleiben die Trümmer eines mehrere hundert Jahre alten Bauernhauses, ein vollkommen zerschredderter Protestturm, um dessen Erhalt und Einlagerung Museen gebeten hatten, zerstörte Solaranlagen und Hunderte junger Demonstranten, die von der vollkommen zügellosen Polizeigewalt traumatisiert wurden.
Zurück bleibt auch die Gewissheit, dass dieses Land, egal ob von einer Ampelkoalition oder einer rot-schwarzen oder auch einer rot-grünen regiert, weiter gedenkt, auf Kosten anderer zu leben. Das Land mit den vierthöchsten historischen CO₂-Emissionen will auch weiter Braunkohle, US-amerikanisches Frackinggas, kolumbianische Blutkohle und jede Menge Erdölprodukte verbrennen, egal wie viel CO₂ sich dadurch in der Atmosphäre ansammelt.
Vielleicht nach und nach ein bisschen weniger, aber auf jeden Fall in einem Umfang, der uns, wenn alle dem hiesigen Beispiel folgen, eher in eine um drei oder gar vier Grad wärmere Welt führen, als dass die Erwärmung auf 1,5 Grad Celsius über dem vorindustriellem Niveau begrenzt würde.
Letzteres ist zwar verbindlich mit der Pariser Klimaübereinkunft verabredet und vom Bundestag ratifiziert. Doch nun stellen sich Politiker, auch mancher Journalist und mache Journalistin hin, und erzählen den Menschen, deren Knochen und Hoffnungen gerade in Lützerath zertrümmert wurden, sie sollen doch bitte kompromissbereiter sein und nicht so viel protestieren.
Uns ist eben einfach nicht mehr zu helfen.
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