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Mehr schwere Sturmfluten

Hurricane Ike, 2008. Bild: NOAA/gemeinfrei

Die Energie- und Klimawochenschau: Von erfolgreichen Bürgerwindprojekten, einem Pleitier in der Solarindustrie, zähen Klimagesprächen und Solarstrom der Kohlekraftwerke unterbietet

Die Bundesnetzagentur hat eine Bilanz [1] der ersten Ausschreibungsrunde für Windenergie an Land vorgelegt. Demnach erhielten von den eingereichten 256 Geboten mit einem Gesamtumfang von 2.137 Megawatt (MW) 70 einen Zuschlag, die eine Leistung von zusammen 807 MW errichten wollen. Im Durchschnitt werden die Betreiber 5,71 Cent pro Kilowattstunde bekommen, womit ihr Strom deutlich billiger als der aus einem neuen Kohlekraftwerk sein wird.

96 Prozent des Zuschlagsvolumens, also des bewilligten Leistungszubaus, entfiel auf Bürgerenergiegesellschaften. Damit haben sich die Befürchtungen nicht bewahrheitet, diese würden durch die Ausschreibungsverfahren ins Hintertreffen geraten. Diese 65 Betreiber haben nun 54 Monate Zeit, ihre Pläne umzusetzen. Die restlichen müssen ihre Anlagen bereits nach 30 Monaten errichtet haben. Andernfalls drohen empfindliche Strafgelder.

Fast alle Bürgerenergiegesellschaften haben allerdings von der nur ihnen offen stehenden Möglichkeit Gebrauch gemacht, Gebote vor dem Vorliegen einer Genehmigung nach dem Bundesimmissionsschutzgesetzes einzureichen. Der reale Zubau könnte also am Ende geringer als die bezuschlagten 807 MW ausfallen, wenn das eine oder andere Projekt diese Genehmigung nicht bekommen sollte. Der Bundesverband Windenergie BWE sieht [2] in den überraschend guten Abschneiden der Bürgerprojekte die Gewähr für eine hohe Akzeptanz an den Standorten. Außerdem fordert er, dass etwaige wegen fehlender Genehmigung ausfallende Projekte ausgeschrieben werden müssen.

Neue Unsicherheit droht

Um die Auswirkung des neuen Verfahrens auf die räumliche Verteilung innerhalb Deutschlands, die Akteursvielfalt sowie auf Umfang und zeitliche Verteilung des Ausbaus der Windenergie zu beurteilen, müssten die nächsten Ausschreiberunden abgewartet werden. Unsicherheiten sieht BWE-Präsident Hermann Albers voraus, wenn ab dem nächsten Jahr Ausschreibungen auch technologieunabhängig und grenzüberschreitend erfolgen, wenn also Wind- und Solarenergie direkt miteinander konkurrieren müssen.

Die nächste Ausschreibung läuft im Sommer und für die dritte Runde müssen im November die Gebote abgegeben werden. Beim Herstellerverband VDMA Power Systems ist man besorgt, die große Zahl der Projekt, die einen Zuschlag ohne Genehmigung erhalten haben, zu Unsicherheiten im künftigen Marktumfang führen könnte. Entsprechend müsse die Regelung eventuell nachgebessert werden.

Wie dem auch sei, die Unterschiede in der Vergütung sind eher minimal. In Ausnahmefällen können 2018 noch ohne Beteiligung am Ausschreibungsverfahren Windkraftanlagen an Land errichtet werden. Nach dem alten System [3] erhalten die Betreiber für den Strom aus diesen Anlagen in den ersten fünf Jahren 8,16 und danach weitere 15 Jahre 4,45 Cent pro Kilowattstunde.

Im Durchschnitt sind das über 20 Jahre in etwa 5,4 Cent pro Kilowattstunde. Windstrom ist also schon jetzt ziemlich günstig und die Ausschreibungen scheinen vor allem dazu zu dienen, den Ausbau zu deckeln. Für eine bessere räumliche Verteilung hat de erste Runde übrigens auch nicht gesorgt.

Auf Sachsen, Thüringen und Baden-Württemberg entfiel kein einziger Zuschlag und auf Bayern lediglich zwei mit dem mageren Volumen von zusammen 21,4 MW. Das Gros der Zuschläge entfiel hingegen auf Brandenburg, Schleswig-Holstein und Niedersachsen, also durchweg auf Bundesländer, die bereits sehr viel Windkraft-Leistung installiert haben.

Solardeckel kritisiert

Für Solaranlagen gibt es bereits seit rund zwei Jahren eine Ausschreibungen. Seit dem 1. Januar 2017 ist sie dort Pflicht [4] für alle Anlagen über 0,75 MW Leistung. Der Bundesverband Solarwirtschaft (BSW-Solar) zieht [5] für die ersten Runden eine positive Bilanz der Realisierungsquoten.

96 Prozent der bezuschlagten Projekte seien umgesetzt worden. Außerdem sei der Solarstrom aus diesen Projekten mit 6,6 Cent je Kilowattstunde inzwischen günstiger als Strom aus neu errichteten Kohle- oder Gaskraftwerken. "Es gibt keinen Grund mehr, die Photovoltaik weiter zu deckeln", meint daher BSW-Solar-Geschäftsführer Carsten Körnig.

Das jährliche Auktionsvolumen sollte zeitnah in einem ersten Schritt verdreifacht werden. Diese Maßnahme ist erforderlich, um die Klimaschutzziele doch noch zu erreichen und den wachsenden Ökostrombedarf - nicht zuletzt für die Elektromobilität - effizient und verbrauchsnah zu decken. Eine weitere Kostensenkung von Solarstrom ist möglich, wenn gleichzeitig die Größen- und Standortbeschränkungen für neue Solarparks gelockert werden.

Carsten Körnig, BSW-Solar-Geschäftsführer

Auch Körnig wendet sich dagegen, künftig Solar- und Windenergie in gemeinsamen Ausschreibungen gegeneinander konkurrieren zu lassen. Entsprechende Pilotausschreibungen soll es auf Vorschlag der EU-Kommission ab 2018 geben. Die Energiewende brauche beide Technologien als Säulen. Sein Verband sei sich mit dem BWE einig, dass es im Rahmen einer gemeinsamen Ausschreibung - mit verträglichem Komplexitätsgrad - keine fairen Wettbewerbsbedingungen geben werde.

Solarworld am Ende

6,6 Cent pro Kilowattstunde Solarstrom ist schon ziemlich günstig und ein Riesenfortschritt gegenüber den Preisen von über 40 Cent pro Kilowattstunde, die für Strom aus vor zehn oder mehr Jahren errichteten Altanlagen gezahlt wird.

Aber es wird künftig noch günstiger gehen, denn die Modulpreise sind weiter auf Talfahrt. Im März lagen die Großhandelspreise [6] um 16 bis 20 Prozent unter denen des Januars 2016, und bisher ist der Preisverfall noch nicht am Ende.

Einer der da nicht mehr mithalten kann ist der einstige Star der deutschen Solarindustrie, die Solarworld AG: Obwohl der Weltmarkt für Solaranlagen um beachtliche 50 Prozent auf 75 Gigawatt gewachsen ist [7] musste das Unternehmen die Segel streichen und Konkurs anmelden. Die Belegschaftsvertreter an den Standorten Bonn (NRW), Freiberg (Sachsen) und Arnstadt (Thüringen) hofften nun auf die rasche Einsetzung eines Insolvenzverwalters, der den Betrieb vorerst weiter führt und mit ihm möglichst viele Arbeitsplätze rettet, schreibt [8] der Bonner Generalanzeiger.

Firmen Gründer Frank Asbeck tat nach dem Schritt das, worauf er sich in den letzten zehn Jahren spezialisiert hat: auf China schimpfen [9]. Vielleicht hätte er sich auch einfach rechtzeitig um Produktivitäts- und Qualitätssteigerung kümmern sollen. BSW-Chef Körnig merkt jedenfalls laut Generalanzeiger an, dass es eine ganze Reihe von deutschen Unternehmen in allen Bereichen der Solarindustrie gebe, die sich behauptet und ihre Nischen gefunden hätten.

Trutz, Blanke Hans

Wir haben ja bereits letzte Woche an dieser Stelle berichtet [10], dass das Bundesamt für Seeschifffahrt und Hydrologie in Hamburg die Bundesregierung vor einem stärkeren Anstieg des globalen Meeresspiegels von bis zu 1,7 Meter bis zum Ende des Jahrhunderts gewarnt hat. Mit dem Anstieg des Meeres nimmt auch die Gefahr schwerer Sturmfluten zu und zwar ziemlich rasch.

Ein Forscherteam von verschiedenen US-amerikanischen Instituten hat letzte Woche eine Studie [11] veröffentlicht, wonach sich die Zahl der schweren Sturmfluten schon bis zur Mitte des Jahrhunderts verdoppeln könnte. Am Schwersten werden die Tropen betroffen sein, schreiben die Autoren im Abstract ihrer Veröffentlichung im Fachblatt Nature.

Ein Anstieg des Meeresspiegels von zehn bis 20 Zentimeter werde dort bis zur Mitte Jahrhunderts die Häufigkeit extremer Wasserstände mehr als verdoppeln. Tropische Küstenstädte der Entwicklungsländer und die Bewohnbarkeit niedrig gelegener pazifischer Inselnationen seien gefährdet.

Das hört sich schon einigermaßen brenzlig an. Schließlich sind es bis 2050 nur noch 33 Jahre. Für Planung und Bau umfassender Küstenschutzmaßnahmen ist das sicherlich keine lange Zeit. Von der Dringlichkeit, die aus solchen Erkenntnissen folgt, war und ist allerdings bei den derzeit stattfindenden Klimagesprächen auf Seiten der Industriestaaten nichts zu spüren.

Verstecken und Verzögern

Die US-Delegationen üben sich einmal mehr im Verzögern, und die Bundesregierung versteckt sich mit ihrer Untätigkeit hinter Appellen an Washington [12], doch bitte den Klimaschutz ernster zu nehmen. Meena Raman vom Third World Network [13] aus Malaysia berichtete [14] nach der letzte Woche in Bonn zu Ende gegangenen Vorbereitungsrunde für die diesjährige UN-Klimakonferenz, dass sich die US-Regierung bisher geweigert habe, die bereits zugesagte drei Milliarden US-Dollar (2,69 Milliarden Euro) an den Anpassungsfonds zu zahlen.

Aus diesem soll Entwicklungsländern geholfen werden, sich an jenen Teil des Klimawandels anzupassen, der nicht mehr zu vermeiden ist. Die US-Delegation habe sich in Bonn nicht nur den Diskussionen über Finanzen verweigert sondern auch strikt abgelehnt, eine Bilanz der bisher eingegangenen Gelder zu besprechen.

Dabei sind die bisherigen Zusagen auf diesem Gebiet sowieso völlig unzureichend. Bisher ist Anpassungsfonds mit nicht einmal 100 Millionen US-Dollar ausgestattet. Schon jetzt wären aber 100 Milliarden US-Dollar jährlich notwendig, um die durch den Klimawandel entstehenden Schäden in Entwicklungsländer zu beheben, Anpassungsmaßnahmen zu finanzieren und die ärmsten Länder bei der umweltfreundlichen Entwicklung ihrer Wirtschaft zu helfen. Das hatte bereits vor acht Jahren die internationale Hilfsorganisation Oxfam berechnet, wie seinerzeit berichtet [15].

Doch zwischenzeitlich häufen sich im manchen Weltregionen extreme Wettereignisse. Ein Beispiel dafür waren die zerstörerischen Niederschläge [16], die im März und April 700.000 Menschen in Nordperu obdachlos machten und Schäden in Höhe von umgerechnet mindestens drei Milliarden Euro [17] anrichteten.

100 Milliarden US-Dollar jährlich wird also vermutlich nicht mehr ausreichen. "Wir sind sehr besorgt, wie weit die Gespräche noch immer davon entfernt sind, den Finanzbedarf der Entwicklungsländer ernst zu nehmen", meinte [18] daher zum Schluss der Bonner Runde der äthiopische Diplomat Gebru Jember Endalew, der für die sogenannten LDC-Länder [19] sprach.

Dabei handelt es sich um eine Gruppe von 48 besonders armen Ländern, die im UN-Zusammenhang oft gemeinsam auftritt. Zu ihr gehören viele afrikanische Staaten wie Äthiopien, Mali, Tschad und Madagaskar aber auch einige asiatischen Länder wie etwa Afghanistan, Nepal oder Laos. Es würden nicht Milliarden sondern Billionen Dollars benötigt, so Endalew. Auch sonst war er mit den Gesprächen eher unzufrieden: "Wir bewegen uns nicht schnell genug."

Die diesjährige UN-Klimakonferenz wird gegen Ende des Jahres zwar ebenfalls in Bonn stattfinden, wird aber von der Republik der Fidschi-Inseln ausgerichtet. Deren Premierminister Frank Bainimarama warb [20] im Abschlussplenum für "ein großes Bündnis um den Klimaschutz noch vor 2020 zu beschleunigen".

Zu seinen Prioritäten in den laufenden Verhandlungen gehöre, die besonders gefährdeten Staaten zu stärken und den Zugang zu erneuerbaren Energieträgern sowie zum Anpassungsfonds zu verbessern. Innovation und Investitionen müssten mobilisiert werden, um auf schnellstem Wege Ökonomien aufzubauen, die ohne die Emission von Treibhausgasen auskommen. Das Ziel sei es, die globale Erwärmung auf 1,5 Grad Celsius zu begrenzen.

Solarstrom immer billiger

Und zu guter Letzt die gute Nachricht der Woche: Solaranlagen bekommen zwar nur für 20 Jahre eine Einspeisevergütung garantiert, aber sie halten offenbar deutlich länger und können noch lange, wenn sie längst abgeschrieben sind, günstigen Strom liefern. Das zeigen Erfahrungen aus der Schweiz. Dort feierte kürzlich [21] die erste in Europa ans öffentliche Netz angeschlossene Solaranlage 35jähriges Jubiläum.

Man könne von einem jährlichen Leistungsverlust von 0,5 Prozent rechnen, schreibt der Schweizer Solarverband aus verschiedenen Langzeitbeobachtungen schlussfolgernd. Die Unterhalts- und Instandsetzungskosten würden sich langfristig auf zwei bis vier Rappen (1,8 bis 3,6 Cent) pro Kilowattstunde belaufen. Auch die einst sehr teuren Altanlagen können also langfristig, wenn die Zeiten garantierter Vergütung auslaufen zur Verbilligung des Stroms beitragen.

Wie weit die Preise für Neuanlagen inzwischen gesunken sind, zeigt sich unter anderem derzeit in Indien. Von dort berichtet [22] die britische Zeitung Guardian, dass bei einer Ausschreibung im sonnenreichen Bundesstaat Rajastan zwei Solarparks den Zuschlag bekommen haben, die ihren Strom für 2,62 indische Rupien (3,6 Cent) pro Kilowattstunde verkaufen werden. Strom aus Kohlekraftwerken werde durchschnittlich für 3,2 Rupien pro Kilowattstunde verkauft, und in den jüngsten Ausschreibungen für Windkraftprojekte habe es im Februar den Zuschlag bei 3,56 Rupien pro Kilowattstunde gegeben.


URL dieses Artikels:
https://www.heise.de/-3723745

Links in diesem Artikel:
[1] https://www.bundesnetzagentur.de/SharedDocs/Pressemitteilungen/DE/2017/19052017_Onshore.html;jsessionid=374F8AE575738BBBD604AE1479F50663
[2] https://www.wind-energie.de/presse/pressemitteilungen/2017/ueberraschender-start-fuer-ausschreibung-bei-windenergie-land
[3] http://www.swe-windenergie.de/unternehmen/vergutungssatze-windkraftanlagen.html
[4] https://www.bundesnetzagentur.de/DE/Sachgebiete/ElektrizitaetundGas/Unternehmen_Institutionen/ErneuerbareEnergien/Ausschreibungen/Solaranlagen/Ausschr_Solaranlagen_node.html
[5] https://www.pv-magazine.de/2017/05/16/bsw-photovoltaik-ausbaudeckel-abschaffen/
[6] http://www.solarserver.de/service-tools/photovoltaik-preisindex.html
[7] http://www.swissolar.ch/services/medien/news/detail/n-n/photovoltaik-international-50-marktwachstum-im-2016/
[8] http://www.general-anzeiger-bonn.de/news/wirtschaft/region/%E2%80%9EDamit-hat-hier-keiner-gerechnet%E2%80%9C-article3553513.html
[9] https://www.pv-magazine.de/2017/05/22/solarworld-chef-chinesische-ueberproduktion-und-dumping-haben-uns-das-wasser-abgegraben/
[10] https://www.heise.de/tp/features/Nordrhein-Westfalen-waehlt-Kohle-3715026.html
[11] https://www.nature.com/articles/s41598-017-01362-7
[12] http://www.finanzen.net/nachricht/aktien/hendricks-warnt-usa-vor-isolation-bei-austritt-aus-pariser-klimaabkommen-5490098
[13] http://www.twn.my/
[14] http://campaign.r20.constantcontact.com/render?m=1102862873361&ca=3b6fd22f-483a-4036-9616-53039c193397
[15] https://www.heise.de/tp/features/Streit-ueber-den-Klimaschutz-3383488.html
[16] https://www.heise.de/tp/news/Kehrt-El-Nino-zurueck-3662302.html
[17] http://www.reuters.com/article/us-peru-floods-economy-idUSKBN1792T0
[18] http://www.ghananewsagency.org/science/unfccc-members-asked-to-tackle-climate-change-117132
[19] https://www.un.org/development/desa/dpad/least-developed-country-category.html
[20] http://newsroom.unfccc.int/unfccc-newsroom/political-priorities-outlined-for-cop23-by-in-coming-fijian-presidency/
[21] http://www.swissolar.ch/services/medien/news/detail/n-n/photovoltaikanlagen-funktionieren-30-jahre-und-laenger-einwandfrei/
[22] https://www.theguardian.com/environment/2017/may/10/indian-solar-power-prices-hit-record-low-undercutting-fossil-fuels