Messerattacken und IS-Terror: Wer früher warnt als der Verfassungsschutz

Symbolbild: oneinchpunch / Shutterstock.com

Debatte nach Attentat in Solingen: Gezielt gegen Dschihadisten vorgehen oder Aufnahmestopp für Syrer und Afghanen? Woher oft wichtige Hinweise kamen.

Nach dem für drei Menschen tödlichen Messerangriff am Freitag in Solingen, den der "Islamische Staat" (IS) für sich reklamiert hat, ging die Polizei zunächst von einem Einzeltäter aus. Die Bundesanwaltschaft bezeichnet den festgenommenen Issa Al H. jedoch inzwischen als "mutmaßliches Mitglied der ausländischen terroristischen Vereinigung" IS. Gegen den 26-Jährigen, dessen Vorname ausgerechnet eine Variante der islamischen Bezeichnung für Jesus (Isa) ist, erging am Sonntag Haftbefehl.

Da der Festgenommene aus Syrien stammt und seine Abschiebung schon im vergangenen Jahr geplant war, wird aktuell nicht nur über ein schärferes Waffenrecht und Messerverbotszonen, sondern auch über einen Aufnahmestopp für Asylsuchende aus Syrien und Afghanistan debattiert.

Verfassungsschutz: Frühwarnsystem in Sachen Islamismus?

Ein gezieltes Vorgehen gegen islamistische Strukturen und deren Propaganda wird vielfach als aussichtslos dargestellt, solange die "irreguläre Migration" nicht gestoppt werde – so äußern sich aktuell nicht nur AfD- sondern auch verstärkt Unionspolitiker.

Der Verfassungsschutz präsentiert sich derweil unverändert als "effektives Frühwarnsystem", wenn es um Organisationen und Ideologien geht, die zu Terror und Gewalt anstacheln können. Dementsprechend will der Inlandsgeheimdienst "bereits weit im Vorfeld der Gefahrenabwehr durch die Polizei" agieren.

Terror-Vorstufe: Wen Islamisten zuerst drangsalieren

Allerdings kamen in der Vergangenheit frühzeitige Warnungen vor islamistischem Terror gerade aus migrantischen Communities und Unterkünften für Asylsuchende. Dort fallen Islamisten nicht nur aufgrund der Sprachkenntnisse schnell auf, sondern auch, weil sie dazu neigen, zuerst säkularen Muslimen und "Abtrünnigen" ihre Vorstellung vom "wahren Islam" aufzudrängen, bevor sie sich stark genug auf Angriffe oder missionarisches Auftreten gegenüber Angehörigen der Mehrheitsgesellschaft fühlen.

Das Lkw-Attentat auf den Berliner Weihnachtsmarkt am Breitscheidplatz, bei dem im Dezember 2016 zwölf Menschen starben, hätte womöglich auch aufgrund früher Hinweise von Mitbewohnern des vermeintlichen Einzeltäters Anis Amri verhindert werden können.

Hinweise von Syrern auf späteren Attentäter ignoriert?

In einer Unterkunft für Asylsuchende in Emmerich war der Tunesier mehr als ein Jahr vor dem Anschlag als Dschihad-Agitator unter dem Namen "Mohammed" aufgefallen, hatte versucht, seine syrischen Mitbewohner im Sinne des "wahren Islam" zu maßregeln und selbst Videochats mit bewaffneten Personen geführt. Die Details wurden Anfang 2019 bekannt, als die Mitbewohner als Zeugen im Untersuchungsausschuss des Bundestags aussagten.

Der syrisch-kurdische Apotheker Lokman D. erklärte damals, der habe mit drei Mitbewohnern habe er das Sozialamt in Emmerich aufgesucht, um Amris Aktivitäten zu melden. Drei Tage später seien ihm dort Fotos vorgelegt worden – auf einem habe er "Mohammed" identifiziert. Er habe aber den Eindruck gehabt, dass das Sozialamt der Sache nicht mit der gebotenen Energie nachging und daher beschlossen, sich auch an die Ausländerbehörde und die Polizei in Kleve zu wenden.

Die Mitbewohner, die ihn noch zum Sozialamt begleitet hatten, hätten dieses Mal nicht mitkommen wollen, weil sie sich gefürchtet hätten. Die Polizei habe seine Anzeige aufgenommen und sich bedankt – allerdings habe bis zu dem Attentat in Berlin keine deutsche Behörde den Kontakt zu ihm aufgenommen, sagte Lokman D. später vor dem Ausschuss.

Dschihadist als Plaudertasche und V-Mann als Chauffeur

Da sich Amri in der Folgezeit noch häufiger auffällig benahm und mit seiner Gewaltbereitschaft eher prahlte als hinterm Berg hielt, wurde er zwar als islamistischer Gefährder eingestuft, aber nicht aus dem Verkehr gezogen. Mindestens einmal chauffierte ihn ein V-Mann des nordrhein-westfälischen Landeskriminalamts nach Berlin. Vor diesem Informanten soll Amri auch mit Überlegungen zu einem Anschlag geprahlt und über die Beschaffung von Schnellfeuergewehren gesprochen haben.

Die Personalie Amri wird trotz der Warnungen syrischer Mitbewohner gerne als Beleg dafür genannt, dass es mit 2015 geschlossenen Grenzen nicht zu diesem Anschlag gekommen wäre, weil dann auch Amri nicht hätte einreisen können.

So argumentierte auch der frühere Chef des Bundesamts für Verfassungsschutz, Hans-Georg Maaßen, als er als Zeuge vor dem Untersuchungsausschuss Fragen zu einem V-Mann seiner Ex-Behörde in Amris Umfeld beantworten sollte. Eigenes Fehlverhalten sah Maaßen dort nicht. Stattdessen rechnete er mit seiner damaligen Noch-Parteifreundin und Kanzlerin Angela Merkel (CDU) ab, deren Flüchtlingspolitik ihm zu liberal gewesen war.

Allerdings hatten islamistische Terrorgruppen bereits vor 2015 auch in Deutschland geborene oder aufgewachsene junge Männer und teils auch junge Frauen rekrutiert – und auch damals kamen Warnungen aus migrantischen Communities.

Wie besorgte türkische Väter vor Dschihadisten warnten

Im Dezember 2013 hatte eine Gruppe türkischstämmiger Väter in Berlin zu einer Pressekonferenz eingeladen, um deutsche Sicherheitsbehörden zu warnen und die eigenen Kinder vor geistigen Brandstiftern zu schützen: Dschihadisten machten sich in Großstadtkiezen an Jugendliche heran, um sie für den "heiligen Krieg" in Syrien zu gewinnen. Zum Teil seien es Rückkehrer, die damit prahlten, selbst "Ungläubige" getötet zu haben, erklärte damals der Psychologe Kazim Erdogan.

Die Rekruten würden immer jünger, warnte die Vätergruppe des Berliner Vereins "Aufbruch Neukölln". Einige Monate zuvor, im Frühjahr 2013, hatte sich die Terrormiliz "Islamischer Staat" im Irak und Syrien gegründet, um dort wenig später Gebiete zu erobern und ein "Kalifat" auszurufen. Dafür wurden Kämpfer aus aller Welt rekrutiert, nicht selten mit dem Anreiz, als Mann noch "wer zu sein" und Frauen unterdrücken zu dürfen.

Erst im September 2014, nachdem die IS-Massaker an der jesidischen Bevölkerung im Nordirak die Weltöffentlichkeit schockiert hatten, erließ der damalige Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) in Deutschland ein Betätigungsverbot für den IS.

Rekrutiert hat die Terrormiliz auch deutschstämmige Männer und Frauen – darunter Martin Lemke aus Sachsen-Anhalt, der im "Kalifat" mit drei Frauen verheiratet war, eine Jesidin als Sklavin gekauft hatte und später jede Beteiligung an Kämpfen, Folter und Hinrichtungen bestritt.