Mexiko: Im Würgegriff des Drogen-Terrors

Seite 2: Neue Stufe der Eskalation

Nach dem gescheiterten Versuch der Festnahme und den bürgerkriegsähnlichen Zuständen in mehreren Staaten kam das Land jedoch nicht zur Ruhe. Zwei Tage später war der Schauplatz Ciudad Juárez, eine der gefährlichsten Grenzstädte zu den USA.

Am 11. August wurde nach Behördenangaben um 13:27 Uhr im "Staatlichen Zentrum für soziale Wiedereingliederung Nummer 3" – einer Haftanstalt – eine Auseinandersetzung zwischen den kriminellen Banden Los Chapos und Los Mexicles gemeldet. 20 Verletzte, vier davon mit Schusswaffen und insgesamt zwei Tote waren das Ergebnis.

Doch es blieb nicht dabei: Die Knast-Gewalt fand ihren Weg auf die Straßen und kostete Zivilisten das Leben. Allerdings – und das ist das Novum – nicht als "Kollateralschaden", sondern gezielt.

Wie die Zeitung Milenio unter Berufung auf direkte Quellen berichtet, ordnete Ernesto Alfredo Piñón de la Cruz alias "El Neto" an, Gewalt in der Stadt zu stiften, auch gegen die Zivilbevölkerung. Kleine Läden wurden in Brand gesteckt, Schüsse fielen, neun unschuldige Menschen verloren ihr Leben.

Der Hintergrund: El Neto ist bereits seit 2009 im Gefängnis, seine Strafe summiert sich auf 224 Jahre wegen Entführungen und Morden. Um nicht in ein anderes Gefängnis versetzt zu werden, benutzte er den Terror als Strategie, gab die Anweisung, die Stadt ordentlich "aufzuheizen".

Eine Besonderheit seiner kriminellen Bande ist das Durchtrennen der Köpfe der Gegner, die daraufhin in Kühlboxen mit den Insignien "FEM – Fuerzas Especiales Mexicles" versehen werden, um den Feinden Angst einzujagen.

Mitarbeiter einer lokalen Radiostation, die zufällig auf der Straße waren, Menschen in einer Pizzeria – exekutiert, weil sie zur falschen Zeit am falschen Ort waren; es ist die pure Willkür.

Das ist die Realität eines Terrorismus, den jeden treffen kann – wirklich jeden. Im Oktober vergangenen Jahres starben eine deutsche Urlauberin und eine indische Influencerin im vermeintlichen sicheren Badeparadies Tulum in einer Bar. Bewaffnete zweier rivalisierender Gruppen bekriegten sich.

"Propaganda", kein Terrorismus

Die Regierung antwortete zunächst mit der Entsendung tausender Soldaten und Polizisten. Die jüngste Welle der Gewalt lässt sich wohl am besten mit der klammheimlichen Abkehr der ursprünglichen Strategie des Präsidenten erklären.

Sein Grundsatz "Abrazos, no balazos" – "Umarmungen, keine Kugeln" – implizierte einen sanften, nicht-militärischen Ansatz. Dieser sollte über Sozialprogramme und die strukturelle Beseitigung der Armut und Perspektivlosigkeit Menschen erst gar nicht in die Hände der Kriminellen treiben. Aus dem Innenministerium hieß es nur, die Vorfälle der letzten Zeit seien "Propaganda" der Narco-Kriminellen, es handle sich dabei nicht um Terrorismus.

Dennoch häuften sich in den letzten Monaten überall im Land die Meldungen über Festnahmen von Kartell-Mitgliedern, Operationen zur Festnahme mehrten sich. Die so provozierten aggressiven Reaktionen bieten einen geeigneten Vorwand für Staatschef López Obrador, die offenkundige Militarisierung des Landes weiter voranzutreiben.

López Obrador will derzeit die Nationalgarde unter die Aufsicht des Verteidigungsministeriums Sedena stellen. Diese Guarda Nacional ist eine von Präsident López Obrador geschaffene Hybrid-Einheit aus Militär und Polizei, dessen offizieller Auftrag die Bekämpfung der Organisierten Kriminalität ist. Michelle Bachelet, Hohe Kommissarin der Vereinten Nationen für Menschenrechte (UNHCHR), forderte die mexikanische Regierung kürzlich auf, den "zivilen Charakter" der Nationalgarde beizubehalten.