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Mexiko stehen aufrührerische Zeiten bevor

Präsident Peña Nieto zu Gasolinazo. Bild: Screenshot aus YouTube-Video

Die Abschottung und der Protektionismus der neuen Trump-USA werden die prekäre Lage in dem großen mittelamerikanischen Land und den Widerstand weiter zuspitzen

Seit Jahresbeginn kommt es in Mexiko zu großen Demonstrationen [1], die auch im ganzen Land nicht abreißen [2]. Dabei werden zum Teil auch Barrikaden gebaut, Tankstellen blockiert, Läden geplündert. Bei Auseinandersetzungen mit Sicherheitskräften [3] gab es bisher mindestens sechs Tote. Vordergründig wird gegen den "Gasolinazo" protestiert. Denn die konservative Regierung unter Peña Nieto hat die Spritpreise liberalisiert, was zu einer Erhöhung um bis zu 20,1% zum Jahreswechsel führte und die Lage wird sich mit der Übernahme der Amtsgeschäfte durch Donald Trump in den USA weiter zuspitzen.

Mit dem Gasolinazo wird wieder einmal besonders die einfache Bevölkerung getroffen. Zudem führt die Erhöhung von Treibstoffpreisen zu Preisschüben, die sich letztlich praktisch auf alle Güter und deutlich auf die Inflation auswirken werden. Tatsächlich sind die Preiserhöhungen nur die berühmten Tropfen, die ein bis zum Rand mit Unmut und Empörung gefülltes Fass zum Überlaufen bringen. Man hat es mit einem aufbrechenden Proteststurm gegen eine abgewirtschaftete Regierung und eine gierige Elite zu tun. Angesichts des Währungsverfalls, trüber Wirtschaftsprognosen und der angekündigten Trump-Politik, Mexiko mit Zöllen zu belegen, die Verlagerung von Produktion ins Nachbarland zu verhindern und die USA gegen Zuwanderung abzuriegeln, braut sich in dem großen Land mit seinen 125 Millionen Bewohnern ein perfekter Sturm zusammen.

Der dünne Lack der konservativen Regierung unter Staatspräsident Enrique Peña Nieto ist längst ab. Spätestens am 100. Revolutionsjubiläum hatte dies eine Massendemonstration [4] gezeigt. Sie machte mit Bezug auf die Revolution 1914 klar, die Peña Nietos "Partei der Institutionellen Revolution" (PRI [5]) nur noch im Namen führt, dass man in Mexiko nichts mehr von einer Regierung hält, auf die auch "international mit viel Hoffnung" gesetzt wurde, weil sie als "konsensorientierte Reformregierung" gesehen wurde, schreibt die Konrad-Adenauer-Stiftung (KAS). Dabei ist sie auf eine neue Rhetorik [6] hereingefallen, mit der die alten Rezepte anders verkauft werden sollten.

Tatsächlich steht die PRI für Jahrzehnte der Korruption, Vettern- und Misswirtschaft. Das hat sich auch unter Peña Nieto zu keinem Zeitpunkt geändert, der mit engen Beziehungen zu Drogenhändlern [7] für Schlagzeilen sorgte. Bekannt ist, dass man in seiner PRI auch nicht vor Mord und Totschlag zurückschreckt, wie das blutige Vorgehen gegen streikende Lehrer in Oaxaca [8] zeigte. Bisweilen greift man auch zu offenen Massakern wie 1968 [9], als Studenten für eine ungestörte Olympiade niedergemetzelt wurden. Mit Blick auf die Verstrickungen staatlicher Stellen in das Verschwinden von 43 Studenten im Herbst 2014 - bis heute nicht aufgeklärt - stellt auch die konservative KAS fest, dass sich "der Krisenmodus der Regierung und des Landes signifikant beschleunigt hat" [10].

Zeichen stehen auf Sturm

Der Bewegung der Angehörigen, Kommilitonen und Freunde, die das Verschwinden und die mutmaßliche Ermordung der verschwundenen Studenten nicht wie viele anderer solcher Verbrechen verängstigt hinnehmen wollte, ist zu verdanken, dass die unheilige Verquickung staatlicher Stellen in Tateinheit mit der Drogenmafia zum Teil ans Licht kamen. Durch ihre mutige Beharrlichkeit wurde ein Teil der dramatischen Missstände im Land national und international erneut auf die Tagesordnung gesetzt. Deshalb spricht auch die CDU-Stiftung von einer "Zäsur" und geht davon aus, dass in Mexiko die "Zeichen auf Sturm stehen".

Tatsächlich ist nach einem stürmischen Jahresbeginn in diesem Jahr wahrlich nicht mit einer Besserung zu rechnen. Man darf die massiven Proteste seit dem Jahreswechsel als erste Erschütterungen werten, die ein massives Beben im Land ankündigen. Dabei wären für viele Länder schon diese massiven Proteste gegen die Liberalisierung der Spritpreise im Rahmen eines Energiegesetzes solch ein Beben. Doch die Lage eskaliert mit dem Gasolinazo zum Jahreswechsel weiter.

Für viele weitere Aufhänger ist gesorgt. Die Pläne der Regierung sehen vor, die Spritpreise bis Ende 2018 in fünf Etappen freizugeben. Dabei ist schon jetzt klar, dass die Anhebung der Treibstoffpreise bereits Preisschübe bei Strom, im Transport und Nahverkehr nach sich gezogen hat. Weitere Schübe werden folgen und auch Nahrungsmittel werden sich dadurch zusätzlich verteuern. Ohnehin haben sich viele importierte Güter und Nahrungsmittel schon allein deshalb stark verteuert, weil der Peso gegenüber dem Dollar im vergangenen Jahr 20% an Wert verloren hat. Besonders stark ist der Absturz seit der Wahl von Donald Trump in den USA, als er an einem Tag bis zu 12% einbrach [11].

Für etwa 50 Millionen Menschen im Land, die schon jetzt oder unter der Armutsgrenze leben, geht es bei diesen Erhöhungen der Lebenshaltungskosten um die Frage der Existenz und ums nackte Überleben. Da Peña Nieto angesichts einer unter seiner Regierung ausgeuferten Verschuldung nun auf die absurde Austeritätspolitik setzt, sollen diese Erhöhungen auch nicht in anderer Form abgefedert werden. Spareinschnitte werden also die Bevölkerung weiter mobilisiert auf den Straßen halten.

Austeritätspolitik und Privatisierung der Ölindustrie auf dem Rücken der Bevölkerung

Angeblich sollen mit dem Gasolinazo nur Subventionen in Höhe von 50 Millionen US-Dollar gestrichen werden, welche die Vorgängerregierung eingeführt hatte. Dass sich damit kaum die Erhöhungen von 14 bis 20,1% begründen lassen, weiß auch der Staatspräsident. Deshalb griff er - ganz im Trump-Stil - in die Tasten und erklärte [12] per Twitter: "Der Benzinpreis hat sich erhöht, weil der Ölpreis im vergangenen Jahr weltweit um etwa 60% gestiegen ist."

Er behauptete [13] per Twitter auch, dass es das Land 200 Millionen Pesos - nach dem Absturz des Peso mit der Trump-Wahl nur noch gut neun Millionen Dollar - kosten würde, den künstlich verbilligten Preis zu halten. Dieses Geld fehle, um es in Schulen, Krankenhäuser und ähnliches zu stecken, meint er. Doch das nimmt einer Elite, die vor allem auf persönliche Bereicherung aus ist, in Mexiko ohnehin kaum jemand ab. Dort glaubt man eher, dass die zusätzlichen Einnahmen in die Taschen der Führungselite landen. Deshalb sah sich der Präsident gezwungen, eine Kürzung der Gehälter von führenden Beamten von 10% anzukündigen [14].

Ob diese Kürzung tatsächlich kommt und wie sie real ausfällt, muss noch abgewartet werden. Doch hungernden Familien ist es ohnehin angesichts steigender Preise egal, ob Gutverdiener 10% weniger einstreichen. Ohnehin verschweigt Peña Nieto geflissentlich, dass Mexiko ein großer Ölproduzent ist, der vom Anstieg der Ölpreise im letzten Jahr massiv profitiert hat. Das passt nicht in seine postfaktische Argumentation. Auch der siebtgrößte Öl-Produzent weltweit hat sich gerade zur weiteren Anhebung der Ölpreise im Rahmen der Opec-Initiative [15] zu einer Förderbegrenzung um 100.000 Barrel pro Tag durchgerungen.

Trotz der Begrenzung sorgen schon die bisherigen Preissteigerungen nicht nur für Mehreinnahmen in Millionenhöhe, sondern man muss sie eher im Bereich von Milliarden messen. Deshalb ist seine Argumentation schlicht eine Irreführung, mit der er die Spritpreiserhöhung zu begründen versucht, die vor allem die einfache Bevölkerung trifft. Das Ziel ist die allgemeine Öffnung der Ölindustrie für private Investoren.

Für den linken Mario Delgado, von der Bewegung zur Nationalen Erneuerung (Morena), handelt es sich um ein Geschenk an ausländische Unternehmen, damit die auf höhere Gewinne erzielen können. In einem Beitrag für die spanische Zeitung El País schreibt [16] er: "Der Vorschlag der Regierung ist eine Ironie: Damit die Mexikaner in den Genuss des freien Wettbewerbs kommen, müssen sie immer tiefer für Benzin in die Tasche greifen." Man spräche insgesamt über ein Geschäftsvolumen von 30 Milliarden Dollar jährlich, das bisher in der Hand der staatlichen Pemex war und nun in private Hände gebracht werden soll.

Dass der Preisanstieg dazu dient, die wirtschaftliche Stabilität des Landes zu garantieren, kann bezweifelt werden. Vielmehr gehen schon jetzt Experten davon aus, dass das ohnehin schwache Wachstum im Land weiter einbrechen und die Inflation zunehmen wird, die der Bevölkerung weiter Kaufkraft raubt. So rechnet [17] die Weltbank (WB) in ihrem Wirtschaftsausblick für 2017 schon damit, dass das schwächelnde Wachstum weiter um 0,5 Prozentpunkte auf 2% zurückgeht.

Hier sind die zunehmenden politischen Konflikte, die angekündigte Austeritätspolitik angesichts einer Staatsverschuldung, die seit 2012 unter Peña Nieto im Verhältnis zur Wirtschaftsleistung (BIP) um 12 Punkte auf 56% hochgeschnellt ist, und die Sorgen um den angekündigten Protektionismus unter dem neuen Präsidenten Trump noch gar nicht wirklich berücksichtigt. Die Weltbank warnte aber schon einmal vorsorglich, dass Trump auch ein mögliches zusätzliches Wachstum in den USA, das aus den versprochenen Steuersenkungen rühren soll, aufs Spiel setze, wenn er Handelskriege mit China oder Mexiko vom Zaun breche. Vor allem mit China, aber auch in Bezug auf Mexiko geht der neue US-Präsident vor seinem Amtsantritt zusehends auf Crash-Kurs [18].

Das zeigen nicht zuletzt seine Drohungen gegenüber Autofirmen, die einen Teil der Produktion ins Nachbarland verlagern wollen, das schließlich auch zum Nordamerikanischen Freihandelsabkommens (Nafta) gehört. Damit stellt er Nafta in Frage und damit die engen wirtschaftlichen Verflechtungen, die sich daraus auch mit Kanada ergeben. Lustig wäre das auch für Kanada nicht (obwohl der Umgang mit dem nordamerikanischen Partner noch nicht definiert ist), da dessen Exporte zu drei Vierteln zum großen Nachbar im Süden fließen.

Doch Trump ist zuzutrauen, dass er es sich sogar mit traditionellen Partnern wie Kanada verscherzt, schließlich hat er im Fall der Drohungen gegen Toyota auch schon die japanische Regierung auf die Palme gebracht. Per Twitter warnte [19] er Toyota in Bezug auf einen geplanten Bau eines Werks jenseits der Grenze zum Bau des Corolla: "Baut die Anlage in den USA oder zahlt eine hohe Grenzsteuer", twitterte er. Das Werk in Mexiko dürfe "auf keinen Fall!" gebaut werden, fügte er an.

Nicht nur Toyota reagierte verschnupft, sondern auch die japanische Regierung, bisher stets ein treuer Verbündeter der USA. "Japanische Autobauer leisten signifikante Beiträge bezüglich Arbeitsplätzen in den Vereinigten Staaten", erklärte [20] der Minister für Wirtschaft, Handel und Industrie, Hiroshige Seko. "Es ist wichtig, dass ihre Bemühungen und Ergebnisse breit akzeptiert werden", fügte er an. Toyota bemühe sich, ein gutes Unternehmen für die Bürger zu sein, meinte auch der Regierungssprecher Yoshihide Suga.

Doch Toyota ist bisher nicht eingeknickt und hält an der Investition in Mexiko fest. Trump feierte dagegen, dass Ford eine Investition im Umfang von 1,6 Milliarden Dollar zum Bau eines neuen Werkes in San Luis Potosí aufgegeben hat. Dafür werde der Autobauer in "Michigan erweitern", twitterte der Dampfplauderer stolz. Allerdings hält auch der große US-Konzern General Motors an seiner Entscheidung fest, das Modell Cruze in Mexiko bauen zu wollen und muss vermutlich mit Repressalien rechnen.


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Links in diesem Artikel:
[1] https://videos.jornada.com.mx/video/52503512/primera-gran-movilizacion-contra-el-gasolinazo-en-/
[2] https://videos.jornada.com.mx/video/48303518/llaman-a-organizacion-social-contra-gasolinazo/
[3] http://www.cadena3.com/contenido/2017/01/07/Mexico-seis-muertos-y-mas-de-900-detenidos-por-protestas-175696.asp
[4] https://www.heise.de/-3368953.html
[5] http://www.pri.org.mx
[6] https://www.heise.de/-3396809.html
[7] https://www.heise.de/-3395304.html
[8] https://www.heise.de/-3414480.html
[9] https://www.heise.de/-3423157.html
[10] http://www.kas.de/wf/de/33.47621/
[11] https://www.heise.de/-3462300.html
[12] https://twitter.com/EPN/status/817223330344353792
[13] https://twitter.com/EPN/status/817223825972723712
[14] http://www.caras.com.mx/news/17/01/5/Presidente-enrique-pena-nieto-recorte-salarios-funcionarios-gasolinazo-protestas/
[15] https://www.heise.de/-3569219.html
[16] http://internacional.elpais.com/internacional/2017/01/11/actualidad/1484148943_735582.html)
[17] http://www.worldbank.org/en/news/press-release/2017/01/10/global-growth-edges-up-to-2-7-percent-despite-weak-investment
[18] https://www.heise.de/-3581833.html
[19] https://twitter.com/realDonaldTrump/status/817071792711942145
[20] http://www.zeit.de/wirtschaft/2017-01/japan-toyota-donald-trump-vorwuerfe-hiroschige-seko