Migration in die EU: Rein darf nur, wer nützlich ist
Eine Polemik zur "europäischen Idee" und deren aktuellen Folgen (Teil 3)
Was die 27 EU-Mitgliedsstaaten neben mehr Waffen und effizienterer Ausbeutung durch Digitalisierung noch benötigen: eine "gemeinsame Sprache zur Migration" (SZ1). Schöner hätte auch ein George Orwell das nicht ausdrücken können. Denn hinter diesen sanften Worten verbirgt sich die ziemlich harte Frage, wen die EU-Staaten unter welchen Voraussetzungen einreisen lassen, wie lange und unter welchen Umständen die Eingewanderten bleiben dürfen – und wem die Nationen dies von vornherein verwehren.
Dies alles ist zudem kein Thema für jeden einzelnen Staat, sondern wird in Abstimmung aller entschieden. Denn dummerweise kann wegen der EU-internen Freizügigkeit des Personenverkehrs ein Flüchtling irgendwo die Grenze überqueren und dann problemlos ganz woanders landen.
Das nagt am Kern staatlicher Souveränität – zu bestimmen, wer zum Volk gehört und wer nicht. Dafür werden schließlich Personalausweise vergeben, deren Inhaber Untertanen eines ganz bestimmten Staates sind.
Wer von außerhalb dazu stößt, wird sorgfältig darauf geprüft, ob er für das aufnehmende Land nützlich ist, sprich: im Idealfall Geld mitbringt oder einen ordentlichen Arbeitsplatz in Aussicht hat. Tausende geschäftstüchtige Japaner in Düsseldorf sind deshalb gern gesehen. Ebenso viele aus Somalia dagegen überhaupt nicht, weil ohne Geschäft und Arbeit.
Teil 1: "Für Europa"? Keine gute Idee
Teil 2: Digitalisierung: Europa darf nicht anderen folgen, sondern muss vorn sein
Ein feines Dilemma: Der so erfolgreiche Binnenmarkt ohne Zollschranken, mit freiem Warenverkehr und freier Wahl des Arbeitsplatzes innerhalb der Union, gerät in Konflikt mit Menschen, die aus Not eben an diesem Erfolgsmodell teilhaben wollen, aber zu großen Teilen nicht erwünscht sind.
Die klassische Lösung für davon betroffene Staaten: Grenzen und Schlupflöcher schließen. Von den Vorteilen des Binnenmarkts will die EU jedoch nicht lassen. Also geht es um die Außengrenzen, die "Festung Europa".
"Flüchtlingskrise" – eine Krise der Staaten, nicht der Flüchtlinge
Eine "gemeinsame Sprache" ergibt sich daraus aber nicht. Denn die verzweifelten Gestalten aus Afghanistan, Irak, einigen afrikanischen Ländern oder Syrien finden sich schließlich nicht wohl verteilt an den Grenzen aller 27 EU-Mitglieder ein.
Sie stranden vornehmlich im Süden, in Griechenland, Italien, Spanien. Noch dazu wollen die meisten gar nicht dort bleiben, sondern weiterziehen, viele von ihnen weiter nördlich, nach Österreich, Deutschland, Frankreich, Benelux oder Skandinavien. So haben aber weder die Ersteinreisestaaten gewettet noch die Länder der Verheißung.
Mit der "Flüchtlingskrise" 2015 waren denn auch nicht die Flüchtlinge gemeint, sondern die Staaten. Sie hatten nach eigenen Angaben furchtbar zu leiden unter dem Ansturm ungebetener "Gäste", sie befanden sich deshalb in einer Krise – und nicht die abertausenden Hungerleider, die vor Krieg und Elend geflohen waren. Krieg und Elend übrigens, die eben viele EU-Mitglieder mit hervorgerufen hatten, siehe Afghanistan, Irak, einige afrikanische Länder und Syrien.
Es folgte ein heftiger innereuropäischer Streit, der bis heute nicht beigelegt ist. Wie soll man die Flüchtlinge an den Grenzen aufhalten oder besser noch weit vor den Grenzen abhalten? Wer trägt die Kosten, wer nimmt wie viele der Flüchtlinge auf, die durchkommen?
Die Erstaufnahmeländer im europäischen Süden waren nicht bereit, allein für die Sicherung der EU-Grenzen gegen die Flüchtlinge zuständig zu sein, die dennoch durchkommenden Menschen zu versorgen und sie an der weiteren Flucht Richtung Westen zu hindern.
Die Staaten im Hinterland wie Ungarn, Österreich und natürlich Deutschland wollten ihrerseits kein "Durchwinken" der Flüchtlinge akzeptieren. Während aber zum Beispiel Budapest dichtmachte, schwang sich Berlin zum Manager der "Flüchtlingskrise" auf. Was wiederum den übrigen EU-Staaten nicht passte.
Die einstweilige Lösung bezieht ausgerechnet die Türkei mit ein. Bekanntlich zeigt die EU seit Jahren diesem Staat die kalte Schulter in puncto Beitrittsverhandlungen. Zugleich bricht die Türkei die "Flüchtlingswelle" aus dem Nahen Osten gegen milliardenschwere Zahlung der EU.
Und die "Balkan-Route" wird von den dortigen Ländern zusätzlich dicht gemacht. Da zeigt sich zum Beispiel Deutschland dankbar, dass die ansonsten heftig kritisierten Ungarn für die Flüchtlinge kein Durchkommen erlauben.
Die Grenzen dort und in Kroatien, Bulgarien, Rumänien etc. sollen möglichst dicht sein. Und wer dennoch durchkommt, wird zurückgedrängt, ehe ein Antrag auf Asyl gestellt werden kann.
Solche "Pushbacks" bezeichnet zwar Gillian Triggs, stellvertretende UN-Flüchtlingshochkommissarin, als "schlicht und einfach illegal" – und mit ihr zahlreiche Menschenrechtsorganisationen. Aber das schert die "Wertegemeinschaft" EU nicht. Der Wert "Souveränität des Staates über sein Gebiet und sein Volk" liegt eben ein wenig darüber.
Hinweis am Rande aus deutscher Sicht: Als es noch die DDR gab, konnten gar nicht genug Menschen von dort in die BRD flüchten. Deren Beliebtheit bei hiesiger Herrschaft lag beileibe nicht an Kaufkraft oder benötigten Qualifikationen.
Vielmehr unterstrichen diese Flüchtlinge den Anspruch der westlichen Deutschen auf das Volk von "drüben". Man machte damit der DDR die Souveränität über ihre Bürger streitig.
In der Geschichte wurde schon wegen weit geringerer Streitpunkte ein Krieg angefangen. Als einen feindlichen Akt fasste denn auch die DDR das Flüchtlingsangebot der BRD auf. Diese Grenze sollte gerade aus bundesdeutscher Sicht so durchlässig wie möglich sein. Daher war es natürlich ein beständiger Skandal, dass die DDR auf ihrer Grenze bestand.
Stacheldraht, Zäune, Soldaten: Polen macht die EU-Außengrenze dicht
Ein neues Einfallstor für lästige Flüchtlinge hat Belarus geöffnet. Es hat einfach aufgehört, für die EU den Grenzwächter zu spielen. So gelangen seit Monaten ungebremst und politisch gewollt verzweifelte Menschen direkt an die Grenze zu Polen und Litauen.
Dort werden sie nicht etwa aufgenommen und können einen Antrag auf Asyl stellen. Die meisten werden wieder auf die andere Seite der Grenze zurückgejagt – wo sie auch nicht erwünscht sind, weil sie ja die EU in Verlegenheit bringen sollen.
Polen hat mächtig aufgerüstet: 15.000 Soldaten verstärken den Grenzschutz und die Polizei. Ortsfremde, Journalisten, humanitäre Gruppen oder internationale Organisationen wie das UN-Flüchtlingshilfswerk haben Zutrittsverbot. Weite Teile der zuvor grünen Grenze wurden durch einen Stacheldrahtzaun verstärkt; im Eilverfahren soll jetzt noch ein fünfeinhalb Meter hoher, mauerartiger Zaun gebaut werden, ohne Anhörungen, Umweltprüfungen, Ausschreibungen. Dutzende sogenannte 'Rückweisungen' an die Grenze vermelden die polnischen Behörden täglich, eine juristisch umstrittene Praxis, für die eigens ein Gesetz verabschiedet wurde.
BR24, 28.11.2021
Wohlgemerkt, es geht nicht um Hunderttausende, die die polnische Grenze überrennen wollen. Die Rede ist von maximal 1.000 Menschen. Aber Zahlen führen hier in die Irre. Natürlich kann ein Staat wie Polen diese Leute aufnehmen, die anderen EU-Länder ohnehin. Weder würde dies finanzielle Probleme bereiten noch zu Aufständen der Einheimischen führen.
Das berühmte Bild vom "Boot", das "schon voll" sei, stimmt nur in einer Hinsicht: Für Menschen, die dem Staat nichts nützen, ist tatsächlich kein Platz. Umgekehrt konkurrieren die Nationen um kapitalkräftige Investoren und schlaue IT-Fachleute aus dem Ausland.
Denn diese mehren den Reichtum des Landes. (Mehr zum "Boot ist voll"-Bild siehe auf Telepolis Suitbert Cechura: Das "Geisterschiff" der Flüchtlingsdebatte, 4. Oktober 2020)
So sieht also eine weitere Errungenschaft dieses Europas aus, für das man sich begeistern soll: Mit Zähnen und Klauen werden die Außengrenzen gegen Menschen abgeriegelt und vorne verteidigt – in Auffanglagern an der weiteren Flucht gehindert oder, wenn das nicht klappt, auf dem Mittelmeer gestoppt, tot oder lebendig.
Menschen, deren letzte Hoffnung die Europäische Union ist. Ausgerechnet jener Staatenbund, der für ihre Misere maßgeblich verantwortlich zeichnet.