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Migration und Messerangriffe. So debattieren die Leser von Telepolis

Migration wird hĂ€ufig als Problem wahrgenommen, auch im linksliberalen Milieu. Doch wie steht es um Gewalt und Migration? AuszĂŒge aus einer Forendiskussion.

Mit der Debatte ĂŒber Migration und die Folgen fĂŒr westliche Gesellschaften befasste sich unlĂ€ngst der Medienwissenschaftlicher und Telepolis-Autor Sebastian Köhler [1]. In einem Beitrag fĂŒr unsere Kolumne "Mediensplitter" [2] setzte er sich kritisch mit einem Essay des Sozialwissenschaftlers Klaus Bachmann auseinander [3].

Der hatte in der Berliner Zeitung konstatiert, dass sich "der Einfluss internationaler Migrationsströme auf den Abbau der Demokratie auswirke." Dies geschehe nicht, weil Migranten aus undemokratischen LÀndern kÀmen oder mit Demokratie nicht viel anfangen könnten, "sondern weil die LÀnder, in die sie einwandern, damit nicht zurande kommen".

Köhler diskutierte den Umstand, dass Bachmann "offenbar die Frage nach Fluchtursachen gar nicht bzw. nicht mehr stelle. Diese Sichtweise erscheine ĂŒberaus eurozentrisch und sei problematisch, weil die gesellschaftlichen und systemischen Ursachen von Flucht und Vertreibung gar keine Rolle mehr spielten.

Dazu merkte im Telepolis-Forum User "12haf" in einem außergewöhnlich detaillierten Beitrag [4] an, dass rassistische Hetze und Hetze gegen Minderheiten weltweit "in immer kĂŒrzer werdenden Zyklen als Ablenkung von den Problemen" diene, "die unser Wirtschaftssystem mit sich bringt". Wie oft das "Christliche Abendland" angeblich schon untergegangen sei, könne wahrscheinlich kein Wissenschaftler mehr bestimmen, fĂŒgte er mit einer Auflistung an:

Seit dem Aufkommen der AfD gebe es alle paar Monate neue "Angstwellen", so haf12, der auf eine Studie verweist: "Ausmaß und Entwicklung der MesserkriminalitĂ€t in Deutschland: empirische Erkenntnisse und kriminalpolitische Implikationen". Die hĂ€ufigsten Vornamen aller TĂ€ter bei Messerangriffen seien im Übrigen "Christian" in Berlin und "Michael" im Saarland. "Das rassistische Potential in Deutschland kann nach Jahrzehnten der pawlowschen Konditionierung mit dem leisesten LĂ€uten des Glöckchens abgerufen werden", kommentiert er.

DafĂŒr spreche auch, dass die Zustimmung fĂŒr die Aussage "Die Bundesrepublik ist durch die vielen AuslĂ€nder in einem gefĂ€hrlichen Maße ĂŒberfremdet", die im Westen der Republik 49,1 Prozent betrage und im Osten 66,9 Prozent.

"Zu was ein reiches Land wie Deutschland in der Lage ist, hat sich 1989-1990 und den 90er-Jahren gezeigt", fĂŒgt "12haf" an:

Es wurden 16,4 Millionen Menschen neu in die Rentenkasse aufgenommen. Die Arbeitslosigkeit im Osten betrug fast bis zu 20 Prozent. 1989/90 war mit jeweils rund 400.000 Registrierungen der Höhepunkt des Zuzugs von SpÀtaussiedlern/Russlanddeutschen.

Damals habe es in Gegenden mit hohem SpÀtaussiedler/Russlanddeutschen-Anteil wirklich einen Anstieg der KriminalitÀt gegeben, .dies sei entsprechend berichtet worden:

Welche Hetze gegen Russlanddeutsche damals lief, dĂŒrfte jedem nur allzu bekannt vorkommen und komme in einem Zitat des Hamburger Abendblattes vom 03.05.1999 trefflich zum Ausdruck, in dem ein Mitglied der Gewerkschaft der Polizei zitiert wird:

Wir haben es hier mit einer horrenden KriminalitĂ€tsbelastung zu tun. Zahlen gibt es nicht, weil russlanddeutsche Jugendliche in der polizeilichen Kriminalstatistik nicht gesondert gefĂŒhrt werden: Sie sind ja Deutsche.

Hamburger Abendblatt, 03.058.1999

Ironisch kommentiert "12haf", auch unter Verweis auf eine Studie der UniversitĂ€t TĂŒbingen [5]: "Wie wir alle wissen, ist Deutschland in diesen Jahren wegen Ossis, Russlanddeutschen und FlĂŒchtlingen untergegangen. Wie auch im Jahr 2016 als ĂŒber 700.000 AsylantrĂ€ge gestellt wurden."

Der Telepolis-Forenteilnehmer vermisst vor diesem Hintergrund eine Debatte ĂŒber den Umstand, dass MillionĂ€re und MilliardĂ€re wie Immobilienmogul Henning Conle und Baron August von Finck Parteien wie die AfD finanzierten, denn:

1991 lag der Einkommensanteil des obersten Zehntels noch bei 20,5 Prozent. WĂ€hrend das oberste Zehntel seinen Anteil am Gesamteinkommen bis 2016 deutlich vergrĂ¶ĂŸern konnte (plus 14,1 Prozent), ist insbesondere bei den vier einkommensschwĂ€chsten Dezilen der Einkommensanteil im Zweijahresvergleich 1991/2016 gesunken.

Schon damals sei von rechts "gegen Ossis, Russlanddeutsche und FlĂŒchtlinge gehetzt" wurden. Heute beschrĂ€nke man sich auf FlĂŒchtlinge, ansonsten habe sich nichts geĂ€ndert.

Gewalt und Migration: Die Namen der TĂ€ter

Dass die hĂ€ufigsten Vornamen aller TĂ€ter bei Messerangriffen in Berlin und im Saarland Christian und Michael sind, hinterfragte Forenteilnehmer "Luc Mareau", er schrieb [6]: "Wenn Mohammed, Mohammad, Muhammad usw. als separate Namen gefĂŒhrt werden, kein Wunder." Dazu "12haf":

Dies ist die Erkenntnis, die du aus dem Beitrag ziehst? Teuflisch, diese LĂŒgenpresse unterscheidet muslimische Vornamen nach ihrer Schreibweise. Etwas, das in Deutschland bisher mit Namen wie Matthias/Mattias/Matias/Mathias, Friedrich/Fritz, Klaus/Claus ... völlig undenkbar war. Es ist zum Verzweifeln mit dem Bildungsstand ...

In der Top Ten des Saarlands befindet sich kein einziger muslimischer Name [7] (auch Igor und Boris fehlen).

Das Ergebnis lautet: Michael (24 FĂ€lle), Daniel (22 FĂ€lle), Andreas (20 FĂ€lle), Sascha (15 FĂ€lle), Thomas (14 FĂ€lle), Christian (13 FĂ€lle), Kevin (13 FĂ€lle), Manuel (13 FĂ€lle), Patrick (13 FĂ€lle), David (12 FĂ€lle), Jens (12 FĂ€lle), Justin (11 FĂ€lle) und Sven (11 FĂ€lle).

Gewalt und Migration: GrĂ¶ĂŸe der Referenzgruppen

Forenteilnehmer "murdock01" hinterfragt diese Darstellung mit einem anderen Zitat aus dem Artikel des Nachrichtenmagazins Stern, den "12haf" angefĂŒhrt:

Im September 2018 hatte die Polizei im Saarland Zahlen zur Messer-KriminalitĂ€t prĂ€sentiert. Es zeigte sich, dass im Zeitraum von Januar 2016 bis zum April 2018 die mit Abstand meisten Delikte von deutschen StaatsbĂŒrgern begangen wurden, auch wenn Syrer und Afghanen ĂŒberreprĂ€sentiert waren.

"Woran liegt das denn nun, wenn, wie nach deiner Interpretation, die TĂ€ter vorwiegend aus der deutschen Bevölkerung kommen?", schreibt "murdock01". Seine rhetorische Frage: "Dass die mit Abstand meisten Delikte (in absoluten Zahlen) von deutschen StaatsbĂŒrgern begangen wurden, das hat natĂŒrlich nichts mit dem Umstand zu tun, dass nun mal die mit Abstand grĂ¶ĂŸte Anzahl der Menschen, die in Deutschland leben, diese besitzt?"

In seiner Replik verweist "12 haf" auf seinen Anfangskommentar [8]:

Die ErklĂ€rung fĂŒr diese Zahlen habe ich versucht anhand der KriminalitĂ€t der SpĂ€taussiedler/Russlanddeutschen in den 90er-Jahren zu illustrieren und habe dazu das Ergebnis einer Studie zitiert. Sehr wahrscheinlich war zur Wendezeit die KriminalitĂ€tsrate unter Ostdeutschen Jugendlichen ebenfalls ĂŒberreprĂ€sentiert.

Das heißt eben nicht, dass SpĂ€taussiedler oder Ostdeutsche grundsĂ€tzlich krimineller sind als Westdeutsche, sondern dass die soziale Lage den Haupteinfluss auf das kriminelle Verhalten hat.

Weniger Diskriminierung, bessere Integrationsangebote, bessere Schulen, mehr Betreuungsangebote, weniger sozial ausgrenzende Grundsicherung ...

Das wird seit 50 Jahren diskutiert und wÀre völlig problemlos finanzierbar, aber dann könnte man mit dem rassistischen Glöckchen nicht mehr von den wirklichen Problemen ablenken.

Gewalt und Migration: Namen und NationalitÀt

Forenteilnehmer Luc Mareau verweist auf das Design einer AfD-Anfrage aus dem Jahr 2019 und schreibt: "Du hast aber schon mitgekriegt – insbesondere nachdem ich extra darauf hingewiesen hatte –, dass nur nach Namen von deutschen TĂ€tern und nicht allgemein gefragt wurde?" Dazu "12 haf":

Klar, die Anfrage sollte wohl das rassistische Wahlprogramm der AfD rechtfertigen und die "smocking gun" liefern. Viele Kinder von Einwanderern, Asylberechtigten und Geduldeten erhalten seit 2000 automatisch die deutsche StaatsbĂŒrgerschaft – ein Horror fĂŒr jeden Rassisten.

Trotz Scheitern der Anfragen, heißt es im AfD Wahlprogramm immer noch: "Die EinbĂŒrgerung Krimineller ist zuverlĂ€ssig zu verhindern durch die Ablehnung des Erwerbs der deutschen Staatsangehörigkeit durch Geburt in Deutschland."

Die Hoffnung war wohl, dass bei einer der Anfragen ein Ali oder Mohammed auf den vorderen PlÀtzen auftaucht; was selbst in Berlin gescheitert ist.

Wenn man die Dinge, die man selbst erfunden hat, anfĂ€ngt zu glauben, geht der RealitĂ€tssinn verloren – die Probleme von Jugendlichen, egal ob Bio-Deutsch, Russlanddeutsch, SpĂ€taussiedler oder migrantischem Hintergrund, werden wie schon gesagt, hauptsĂ€chlich durch ihre soziale Lage bestimmt.

In einer detaillierten Analyse zur "medialen Filterblase" heißt es [9]:

"Damit werden auslĂ€ndische TatverdĂ€chtige 2019 in Zeitungsberichten 32-mal so hĂ€ufig erwĂ€hnt, wie es ihrem statistischen Anteil entspricht. (...) Unsere Medienanalyse zeigt: Wird ĂŒber Gewalttaten mit Messern berichtet, wird fast ausnahmslos die auslĂ€ndische Herkunft benannt. Greifen deutsche GewalttĂ€ter zum Messer, wird ihre Herkunft kaum erwĂ€hnt. (...) Der gewalttĂ€tige AuslĂ€nder ist eine zentrale Angstfigur im deutschen Journalismus. In jedem vierten Beitrag ging es 2019 um mutmaßliche GewalttĂ€ter (25,2 Prozent). Unter den ĂŒberregionalen BlĂ€ttern erreicht die Bild mit 41,4 Prozent den höchsten Anteil, die taz mit 13,6 Prozent den niedrigsten.


URL dieses Artikels:
https://www.heise.de/-9268171

Links in diesem Artikel:
[1] https://www.telepolis.de/autoren/?autor=Sebastian+Köhler
[2] https://www.telepolis.de/thema/Mediensplitter
[3] https://www.telepolis.de/features/Fluechtlingsfluten-und-Schlepperbanden-Menschenwuerde-bleibt-ein-Konjunktiv-9242981.html
[4] https://www.telepolis.de/forum/Telepolis/Kommentare/Fluechtlingsfluten-und-Schlepperbanden-Menschenwuerde-bleibt-ein-Konjunktiv/Beliebig-manipulierbare-Schafe-Ablenkung-vom-Wesentlichen/posting-42981939/show/?nid=YyRnXmzs
[5] https://bibliographie.uni-tuebingen.de/xmlui/bitstream/handle/10900/81376/19_kriminalitaet_aussiedlern.pdf?sequence=1
[6] https://www.telepolis.de/forum/Telepolis/Kommentare/Fluechtlingsfluten-und-Schlepperbanden-Menschenwuerde-bleibt-ein-Konjunktiv/Re-Beliebig-manipulierbare-Schafe/posting-42982035/show/
[7] https://www.stern.de/politik/deutschland/afd-im-saarland-fragt-nach-vornamen--messer-kriminelle-heissen-oft-michael-oder-daniel-8643714.html
[8] https://www.telepolis.de/forum/Telepolis/Kommentare/Fluechtlingsfluten-und-Schlepperbanden-Menschenwuerde-bleibt-ein-Konjunktiv/Re-Beliebig-manipulierbare-Schafe/posting-42982486/show/
[9] https://mediendienst-integration.de/fileadmin/Expertise_Hestermann_Herkunft_von_Tatverdaechtigen_in_den_Medien.pdf