Mike Davis: Die Verleugnung der vier Reiter der Apokalypse

Öl-Bohrinsel. Bild: Philippa McKinlay / CC BY-NC-ND 2.0

Der US-Theoretiker und Sozialist Mike Davis ist vor kurzem gestorben. 2004 schrieb er einen brillianten, bis heute aktuellen Dialog. Ein lakonisches Dokument des totalen Politik-Versagens. Im Gedenken an einen Großen.

Vor einigen Wochen, am 25. Oktober, verstarb der renommierte US-amerikanische Buchautor, Stadttheoretiker, Historiker und politische Aktivist Mike Davis im Alter von 76 Jahren in Kalifornien.

Mike Davis († 25. Oktober 2022) war renommierter US-amerikanischer Buchautor, Stadttheoretiker, Historiker und politischer Aktivist.

Seine Bücher "Planet of the Slums" und "Ecology of Fear", wie viele seiner anderen rund zwanzig Publikationen, wurden weltweit rezipiert. Davis erhielt zahlreiche Preise. Er bezeichnete sich selbst als internationaler Sozialist und marxistischer Umweltschützer.

Davis hat für viele bekannte Zeitschriften wie The Nation, The New Left Review, Jacobin oder den britischen New Statesman geschrieben. Auch für TomDispatch, das US-Online-Magazin unter Leitung von Tom Engelhardt, verfasste er regelmäßig Artikel. TomDispatch ist Kooperationspartner von Telepolis. Im Gedenken an Davis erschien dort vor kurzem erneut ein TomDispatch-Beitrag von ihm, den er 2004 verfasste. Er gehört zu den "Best-of"-TomDispatch-Artikeln.

Tom Engelhardt bemerkt in seiner Einleitung zur Wiederveröffentlichung des Artikels:

Sehen Sie sich diesen Text aus dem Jahr 2004 an, in dem er die vier Reiter der Apokalypse auf unsere Welt loslässt und gleichzeitig eine Beschreibung des Klimawandels liefert, die im Grunde genommen letzte Woche hätte geschrieben worden sein können. Damals deutete er auch an, dass wir unter anderem mit einer möglichen Pandemie wie der katastrophalen "Spanischen Grippe" konfrontiert werden könnten, die 1918/1919 sehr viele Menschenleben forderte. Kommt Ihnen das irgendwie bekannt vor?

Das Rodeo vor dem Weißen Haus

Zu Beginn dieses Jahres galoppierten vier hagere Reiter in schwarzen Leichentüchern die Pennsylvania Avenue in Washington D.C. hinunter. Da sich niemand beschwerte oder es gar bemerkte, ließen sie ihre hungrigen Rösser auf dem Rasen des Weißen Hauses grasen. Seitdem sind sie dort und drohen, nie wieder zu gehen.

Hier das exklusive Interview mit ihnen für Tomdispatch:

"Erster Reiter, nennen Sie bitte Ihren Namen für unsere Leser."

"Mein Name ist Öl und mein Preis ist $50 pro Barrel und noch höher."

"Gut, und woher kommen Sie?"

"Hubbert's Peak." ("hubbert peak" bezeichnet den Höhepunkt einer Förderrate bei einem Rohstoff, Telepolis)

"Ist das in Colorado?"

Keine Antwort.

"Sind Sie geschäftlich oder zum Vergnügen in Washington?"

"Beides, eigentlich. Während ich die amerikanische Wirtschaft in den Ruin treibe, hoffe ich gleichzeitig, eine Handvoll riesiger Energiekonzerne glücklich zu machen."

"Nun, das ist eine beliebte Sache in dieser Stadt, also genießen Sie bitte Ihren Aufenthalt. Zweiter Reiter, wie ist dein Name?"

"Mein Name ist unkontrollierter Waffenhandel, Sohn von Wot und Zerstörer von Welten."

"Wot?"

"Der ‚War on Terror", kurz Wot. Nur die Starken und nuklear Bewaffneten werden überleben, so sagt Bush."

"Verstehe, Sie sind ein Handelsreisender. Haben Sie in letzter Zeit irgendwelche exotischen Orte besucht?"

"Hauptsächlich Teheran und Pjöngjang, mit einigen Übernachtungen in Karatschi, Delhi und Brasilia. Aber für das nächste Jahr habe ich ein vollgepacktes Reiseprogramm."

"Viel Spaß mit Ihren Vielfliegerpunkten. Und nun zu Nummer drei, wenn ich Sie kurz unterbrechen dürfte?"

"Kein Problem. Mein Name ist globales Chaos. Ich habe gerade ein paar Urlaubsfotos sortiert. Schauen Sie mal."

"Danke. Hmm, sehr viel National Geographic."

"Ja, ich liebe die freie Natur. Das ist ein schmelzender Gletscher in Alaska. Hier ist eine Überschwemmung in Bangladesch. Oh, eines meiner Lieblingsmotive: die historische Dürre im amerikanischen Südwesten."

"Hä, was sind das für weiße Objekte?"

"Sie meinen die Knochen?"

"Knochen? Vielleicht sollte ich lieber weitergehen und Reiter Vier treffen."

"Ich bin der blasse Reiter und mein Name ist Plage."

"Ich wette, dein Vorname ist Beulenpest?"

"Nein, das ist mein Cousin. Ich bin die Vogelgrippe-Pandemie."

"Tut mir leid, aber habe ich schon von Ihnen gehört?"

"Die Weltgesundheitsorganisation sagt, ich sei eine noch nie dagewesene Bedrohung für die Menschheit. Die Welt ist völlig unvorbereitet auf meine Ankunft."

"Na, das ist ja ein toller Steckbrief."

"Ja, und mein Großvater hat 1918/19 hundert Millionen Menschen getötet."

"Kein Scherz? Nun, danke für das Gespräch. Ich frage mich, ob ich der ganzen Gruppe ein paar Fragen stellen kann. Erstens: Hat eure Truppe, eure Bande oder was auch immer, einen Agenten oder Pressesprecher?"

"Ja, der heilige Johannes."

"OK, und hat er Ihre PR-Kampagne in Washington organisiert? Hattet ihr im Wahljahr viel Medienpräsenz? Sie wissen schon, O'Reilly, die Washington Post, Meet the Press, die Lehrer News Hour?"

"Oh, nein", lachte Chaos, "niemand hat uns interviewt."

"Kommt schon, vier große Typen in Schwarz auf Pferden, hier vor dem Weißen Haus im Wahlkampf."

"Nein, ehrlich", mischte sich unkontrollierter Waffenhandel ein, "sie leugnen einfach unsere Anwesenheit."

"Und was ist mit der anderen Seite, der Oppositionspartei? Sicherlich haben die sich bei Ihnen gemeldet, um eine kraftvolle Story zu bekommen. Ich meine die Pferdeäpfel auf dem Rasen des Weißen Hauses, ganz zu schweigen von ... Hey, seid ihr überhaupt Staatsbürger? Habt ihr Pässe?"

"Ich kann Ihnen versichern", beharrte unkontrollierter Waffenhandel, "dass das alles keine Rolle spielt. Keiner möchte zugeben, dass wir hier sind."

"Aber warum?"

Plage meldete sich zu Wort. "Apokalypse-Leugnung. Eure ganze Gesellschaft leidet unter akuter Apokalypse-Leugnung."

"Das ist absurd, wir haben heutzutage vor allen möglichen Dingen Angst. Wir zittern schon bei dem Gedanken an Anthrax in der Post, Plutonium in der U-Bahn oder Fleischvergiftung in unseren Big Macs. Wir haben regelmäßig orangefarbene Alarmstufen."

Plage unterbrach. "Nein, das ist es ja gerade. Ihr habt so viel Angst vor den Schatten, die eure Herrscher an die Wand werfen, dass Ihr nicht sehen könnt, dass wir hier direkt vor eurer Tür stehen."

"Hmm, ich nehme also an, das mit euch ist echt?"

"Glaube es."

"Und wie sieht euer Geschäftsplan aus?"

Chaos räusperte sich. "Seit Generationen leben die wohlhabenderen 40 Prozent eurer Bevölkerung in einer außergewöhnlichen Blase von Privilegien."

"Zusätzlich zu der enormen Sicherheit von Reichtum und Status", übernahm unkontrollierter Waffenhandel, "ist eure wohlhabende Klasse vor den bitteren Winden der Geschichte geschützt."

"Wir sind die bitteren Winde", fügte Plage hinzu.

"Und wir werden eure Seifenblase zum Platzen bringen", versprach Öl.

Ein bleiches Pferd wieherte.

"Leider ist mein Aufnahmegerät voll. Ich fürchte, wir müssen das Interview damit beenden."

"Kein Problem", lächelte Öl. "Ihr könnt uns gerne wieder besuchen kommen. Wir gehen nirgendwo hin."

Der Artikel erscheint in Kooperation mit TomDispatch. Hier finden Sie das englische Original. Übersetzung: David Goeßmann.

Mike Davis (1946 bis 25. Oktober 2022) war renommierter US-amerikanischer Buchautor, Stadttheoretiker, Historiker und politischer Aktivist. Seine Bücher "Planet of the Slums" und "Ecology of Fear", wie viele seiner anderen rund zwanzig Publikationen, wurden weltweit rezipiert. Davis erhielt zahlreiche Preise. Er bezeichnete sich selbst als internationaler Sozialist und marxistischer Umweltschützer.