Militärexperten warnen: Massive Ausweitung russischer Drohnenkapazitäten

Grafik einer Drohne, die der Shahed-Kampfdrohne ähnelt. Bild: Anelo /Shutterstock.com
Russland hat seine Drohnenangriffe auf die Ukraine drastisch verstärkt. Im Februar wurden täglich bis zu 176 Shahed-Drohnen eingesetzt – ein neuer Höchstwert. Was Experten besonders beunruhigt.
Die Intensität der russischen Drohnenangriffe auf die Ukraine hat im Februar 2025 drastisch zugenommen. Während zu Monatsbeginn täglich zwischen 55 und 123 Shahed-artige Drohnen eingesetzt wurden, stieg die Zahl in der zweiten Monatshälfte auf beständig über 140 Einheiten – mit einem Spitzenwert von 267 Stück in der Nacht auf den heutigen Sonntag.
Insgesamt startete Russland bereits 2.686 Drohnen der Shahed-Familie, das bedeutet einen Durchschnitt von 122 Drohnen pro Tag. Die Zahlen stammen vom Telegram-Kanal der ukrainischen Luftwaffe – und weisen auf einen neuen Rekordmonat hin.
Die Eskalation hat schwere Folgen: Laut Odessa-Journal führten Shahed-Angriffe in Odessa zu Stromausfällen für rund 49.000 Menschen. Ein Angriff auf ein Kraftwerk in Mykolaiv ließ 46.000 ohne Heizung, berichtet Rob Lee vom US-Thinktank Foreign Policy Research Institute (FPRI).
Neue Generation von Kamikaze-Drohnen
Diese massive Zunahme der Angriffe erfolgt parallel zu offiziellen Berichten des ukrainischen Militärgeheimdienstes (HUR) über eine neue Generation von Kamikaze-Drohnen.
In einer neuen Mitteilung auf seiner Facebook-Seite berichtet der HUR, dass Russland die Produktion der Geran-3 aufnimmt, einer düsengetriebenen Variante der Shahed, die angeblich Geschwindigkeiten von bis zu 550-600 km/h und eine Reichweite von 2.500 Kilometern erreichen soll.
Die Eurasian Times berichtet von einer engen Zusammenarbeit zwischen Russland und Iran bei der Entwicklung dieser neuen Drohnentechnologie.
Demnach haben russische Delegationen bereits 2023 den Iran besucht, um die düsengetriebene Shahed-238-Technologie zu studieren und möglicherweise zu replizieren. Zudem soll der Iran erste Chargen der Drohne geliefert haben – die Eurasia Times schreibt von 89 neuen Shahed-238-Drohnen, die Iran im Austausch gegen Gold an Russland übergeben haben soll, ohne allerdings Quellen zu nennen.
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Mindestens eine Geran-3 soll Russland bereits bei einem Angriff auf die Ukraine eingesetzt haben. Ukrainische Streitkräfte behaupteten, die Drohne abgeschossen zu haben, wobei das Wrack westliche Komponenten enthalten haben soll, darunter einen tschechischen PBS TJ150 Turbojet-Motor und Elektronik aus den USA und der Schweiz.
Bei einem späteren Abfangvorgang soll ein ukrainisches Luftabwehrradar die Drohne mit über 515 km/h erfasst haben – fast dreimal so schnell wie die propellergetriebene Shahed-136.
Verschiedene Varianten der Geran-Drohne
Nach Informationen von Bulgarian Military existieren verschiedene Varianten der Geran-3: eine Basisvariante mit GPS/GLONASS-Navigation für feste Ziele, eine fortschrittlichere Version verfügt über ein elektro-optisches/Infrarot-Kamerasystem für die Bekämpfung beweglicher Ziele und Version soll mit Radarerfassung zur Bekämpfung feindlicher Luftabwehr ausgestattet sein.
Parallel dazu meldet der HUR signifikante Weiterentwicklungen bei der bereits eingesetzten Geran-2 (Shahed-136). Seit Anfang 2025 wurden zahlreiche substantielle Änderungen dokumentiert, darunter ein neuer Sprengkopf mit einem Gewicht von 90 kg.
Dadurch soll die neue Drohne, die sich bereits im Einsatz befinden soll, statt der ursprünglichen 1.350 Kilometer nur noch etwa 650 Kilometer zurücklegen, wie die Kyiv Independent berichtet.
Verfeinerte Navigationssysteme
Besonders bemerkenswert sind die technischen Verfeinerungen der Navigationssysteme. Der HUR dokumentierte, dass neben den bisher verwendeten 8-Kanal "Kometa M8"-Antennen nun auch neue 12-Kanal CRP "Kometa"-Antennen zum Einsatz kommen. Diese bieten verbesserte Störfestigkeit und höhere Navigationsgenauigkeit.
Dem HUR zufolge ersetzt Russland zunehmend westliche Komponenten durch chinesische Alternativen. So wurde beispielsweise in den neuesten Versionen der 8-Kanal-CRP-Antenne der ursprünglich aus den USA stammende programmierbare Logikchip XILINX Kintex-7 durch einen Mikrochip von Beijing Microelectronics Technology aus China ersetzt.
Weiterentwicklung der Kommunikationssysteme
Bemerkenswert ist die Weiterentwicklung des Kommunikationssystems. Laut HUR-Bericht nutzen russische Drohnenoperateure Einweg-Telegram-Bots in Verbindung mit Raspberry Pi-Minicomputern, Webcams und 3G/LTE-Modems zur Bildübertragung.
Diese kreative Lösung ermöglicht es den Drohnen, sich in ukrainische Mobilfunknetze einzuwählen und Bilder oder Videos vom Ziel in Echtzeit über den Messanger Telegram an die Operatoren zu übermitteln – eine einfache, aber effektive Methode, die zugleich schwer nachzuverfolgen ist.
Verbesserungen durch KI
Zudem vermuten ukrainische Militärquellen nach einem Bericht des britischen Guardian, dass Russland versucht, künstliche Intelligenz in die Drohnensysteme zu integrieren.
Die KI soll die Fähigkeiten der Drohnen erheblich verbessern – besonders relevant erscheint die Möglichkeit koordinierter Schwarmtaktiken, um die Luftabwehr zu überwältigen.
Neue Fertigungskapazitäten
Die Ausweitung der russischen Drohnenproduktion stellt eine zentrale Komponente der aktuellen russischen Gesamtstrategie im Ukrainekrieg dar. In der Sonderwirtschaftszone Alabuga in Tatarstan wird laut des in Washington ansässigen Institute for Science and International Security (ISIS) massiv in neue Fertigungskapazitäten investiert.
Auf dem X-Kanal von Ayden sind die neuen Hallen gut zu sehen.
Nach Auswertung der aktuellen Daten von Google Maps sind dort derzeit Produktionsanlagen auf einer Gesamtfläche von rund 200.000 Quadratmetern mindestens im Rohbau fertiggestellt. Auf 80.000 Quadratmeter läuft die Produktion bereits seit Längerem.
Unter den beschleunigten Bedingungen der Kriegswirtschaft könnte auf der Gesamtfläche schätzungsweise ab Mitte 2025 die Produktion hochlaufen. Die eingangs erwähnte Intensitätssteigerung der Shahed-Angriffe kann bereits auf eine erfolgreiche Produktionsausweitung hinweisen.
Damit würde alleine die Shahed-Endfertigung die gleiche Hallenkapazität aufweisen wie die Messe München.
Neben dem Hauptproduktionsstandort in Alabuga erwähnt der HUR auch den elektromechanischen Betrieb "Kupol" in Izhevsk als weiteren Produktionsstandort, was auf eine Strategie der verteilten Fertigung hindeutet, möglicherweise um die Verletzlichkeit gegenüber ukrainischen Langstreckenangriffen zu reduzieren.
Vereinfachungen der Produktion
Parallel arbeiten russische Ingenieure laut Bulgarian Military an der Vereinfachung des ursprünglichen iranischen Designs, um die Kosten zu senken. Dies umfasst Änderungen am Flugzeugrahmen, der Elektronik und sogar den Einsatz einer günstigeren Version des MD-550-Motors aus China.
Ein weiterer Faktor für die Senkung der Produktionskosten ist die zunehmende Verwendung chinesischer Komponenten anstelle westlicher Teile. Der HUR berichtet, dass Russland systematisch US- und EU-Komponenten durch chinesische Alternativen ersetzt, was trotz internationaler Sanktionen eine stabile Versorgungskette ermöglicht.
Diese Substitution, kombiniert mit den Skaleneffekten der Massenproduktion, dürfte zu einer signifikanten Senkung der Stückkosten führen und damit die wirtschaftliche Effizienz der Drohnenangriffe erhöhen.
Beunruhigendes Zukunftsszenario
Im Gegensatz zur Ukraine, die auf ein breites Spektrum verschiedener Drohnentypen mit unterschiedlichen Antriebskonzepten setzt, konzentriert sich Russland auf die systematische Weiterentwicklung eines Basismodells in verschiedene Spezialisierungsrichtungen.
Diese Plattformstrategie bringt entscheidende Vorteile mit sich. Der HUR-Bericht dokumentiert, wie die Geran-2 einerseits mit einem schwereren 90kg-Sprengkopf für Nahbereichsziele optimiert wurde, während andererseits mit der Geran-3 eine Hochgeschwindigkeitsversion für strategische Langstreckeneinsätze entwickelt wurde.
Die Integration von KI-Systemen und innovativen Kommunikationslösungen wie den Einweg-Telegram-Bots zeigt, dass diese Grundplattform kontinuierlich modernisiert wird.
Die wirtschaftlichen Implikationen dieses Ansatzes sind beträchtlich. Die Konzentration auf ein Hauptsystem erlaubt eine effizientere Massenproduktion mit entsprechenden Skaleneffekten.
Logistik und Wartung werden durch die gemeinsame Basis vereinfacht. Verbesserungen können schneller in die Produktion integriert werden, da nur ein Grundsystem modifiziert werden muss.
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Im Kontrast dazu steht die ukrainische Strategie mit rund zwei Dutzend verschiedenen Langstreckendrohnentypen. Diese Diversität bietet zwar taktische Flexibilität, erschwert jedoch die Massenproduktion und führt zu komplexerer Logistik und Wartung. Jedes System benötigt eigene Produktionslinien, Ersatzteile und Schulungen.
Der russische Ansatz erscheint als industrielle Antwort auf den Drohnenkrieg – Standardisierung, Skalierung und stetige Evolution eines Grundsystems anstelle der Entwicklung immer neuer Spezialdrohnen.
Diese Methode erinnert an historische Industriestrategien wie die Massenproduktion des T-34 Panzers im Zweiten Weltkrieg, bei dem ein solides Grunddesign in großen Stückzahlen produziert und schrittweise verbessert wurde.
Die zukünftige Entwicklung des Drohnenkriegs dürfte zunehmend von dieser Fähigkeit zur industriellen Massenproduktion bestimmt werden. Die Kombination aus steigenden Stückzahlen und der fortschreitenden technischen Evolution stellt die ukrainische Luftabwehr vor wachsende Herausforderungen.
Die russische Produktionsstrategie verschärft die Kostenasymmetrie, da der erhöhte Shahed-Einsatz wohl größere Schäden verursacht. Die Geran-3 erreicht bis zu 600 km/h und erfordert statt günstiger Flugabwehrkanonen teure Raketen zur Abwehr.
Angesichts der massiven Produktionsausweitung und der strategischen Bedeutung, die Russland den Drohnenangriffen beimisst, zeichnet sich ein beunruhigendes Zukunftsszenario ab. Mit dem vermuteten vollständigen Anlaufen der neuen Produktionsanlagen in Alabuga ab Mitte 2025 könnte sich die Intensität der Angriffe nochmals drastisch erhöhen.
Basierend auf den bereits jetzt sichtbaren Steigerungsraten und den ausgeweiteten Produktionskapazitäten erscheint es durchaus plausibel, dass im Laufe des Jahres 2025 regelmäßig über 250 Shahed-Drohnen pro Tag gegen ukrainische Ziele eingesetzt werden könnten.
Diese Entwicklung würde die ukrainische Luftabwehr vor beispiellose Herausforderungen stellen und könnte das strategische Gleichgewicht im Konflikt nachhaltig verändern.