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Militärische Konflikte auf dem Vormarsch: Die Welt aus dem Griff des Kriegsregimes befreien

Militärdominanz könnte zu globalen Kriegsregime führen. Davor warnte der Philosoph Antonio Negri. Aber wie kann die drohende Katastrophe abgewendet werden? Ein Essay.

Der Mitte Dezember verstorbene italienische Philosoph Antonio Negri warnte von einem globalen Kriegsregime, das die Welt mehr und mehr erfasse. Imperiale Staaten und Mächte suchten derzeit im Zuge des schwindenden Einflusses der USA den eigenen Herrschaftsbereich auszudehnen. Die Globalisierung militarisiere sich [1].

Ein Krieg bedeutet – in Anlehnung an den ungarischen Friedensforscher István Kende – eine gewalttätige Konfliktaustragung und ist ein gewaltsamer Massenkonflikt, wobei zumindest ein Staat Konfliktpartei ist, zentralisierte Organisationsstrukturen der Konfliktparteien vorhanden sind und Streitkräfte geplant und strategisch über einen längeren Zeitraum operieren.1 [2] Der Krieg ist die extremste Form unterschiedlicher Konfliktaustragungen und ist Ausdruck des Scheiterns diplomatischer Bemühungen.

Der Prozess einer Ausdehnung militärischer Konfliktlösungen ist allerdings schon lange im Gange und im Laufe des 21. Jahrhunderts hinsichtlich der quantitativen Ausprägung kaum verändert. So werden für 2022 in der internationalen Statistik 362 Konflikte (leicht, mittelschwer, schwer) weltweit gezählt.

Dies liegt etwas über der durchschnittlichen Anzahl von Konflikten in den letzten beiden Dekaden [3]. Hierbei lässt sich seit 2015 eine deutliche Steigerung der Anzahl von Bürgerkriegen feststellen, bei denen externe Staaten intervenieren [4].

In Westeuropa – und auch in Deutschland – ist das subjektive Gefühl einer gesteigerten Kriegshäufigkeit vor allem deswegen vorhanden, da die Kriege und Auswirkungen militärischer Konflikte im Inneren durch den Krieg in der Ukraine und auch im Nahen Osten näher rücken und damit auch ein Gefühl der individuellen Bedrohung entsteht.

Dies wird sicherlich durch die Tatsache verstärkt, dass es insbesondere in den letzten zwei Jahren immer mehr Todesopfer und Schwerverletzte im Zuge gewaltsam ausgetragener Massenkonflikte [5] gab.

Zusammenfassend lässt sich somit feststellen, dass es bereits seit längerer Zeit eine Tendenz zu einem hohen quantitativen Niveau militärisch ausgetragener Konflikte gibt, was die Einschätzungen Antonio Negris bestätigt, die sich auf eine militarisierte Globalisierung und zumindest eines drohenden globalen Kriegsregimes beziehen.

Kriege als Folge von Machtanhäufung und illegitimer Herrschaft

Im Krieg in der Ukraine sind bereits mehrere Hunderttausend Todesopfer zu beklagen. Der Angriff der Russischen Föderation auf die Ukraine seit dem Februar 2022 ist seit dem völkerrechtswidrigen Überfall der USA auf den Irak im Jahr 2003 der erste großangelegte Krieg, der von einer der nuklear bewaffneten Großmächte initiiert wurde.

Die Russische Föderation trägt aufgrund ihrer massiven Menschenrechts- und Völkerrechtsverletzungen im Ukraine-Krieg die Hauptverantwortung für diesen Krieg. Das russische Regime ist durch eine Repression nach innen und außen gekennzeichnet.

Da gibt es keinen Grund, die Russische Föderation zu schonen. Auch der historische Kontext der Nato-Osterweiterung und die vergebenen Verhandlungschancen bieten keine Legitimation für das tägliche Morden und die Inhaftierung Andersdenkender.

Andererseits ist auch das westliche Lager hinsichtlich der Eskalation militärisch ausgetragener Konflikte zu kritisieren: Die Verhinderung eines Verhandlungsergebnisses zwischen der ukrainischen und der russischen Regierung im Frühjahr 2022 oder auch die unverhältnismäßige Reaktion Israels auf den schrecklichen Terrorangriff der Hamas, die unter anderem zum Tod von Tausenden Kindern und Jugendlichen führte und weiterhin führt.

Die türkischen Überfälle und Vernichtungsanschläge auf die Kurdengebiete, der völkerrechtswidrige Angriff der USA im dritten Golfkrieg auf den Irak, der Krieg Saudi-Arabiens im Jemen – diese Liste ließe sich fortführen und zeigt: Überall, wo es unkontrollierte Machtanhäufung und eine Ansammlung technologisch hoch entwickelter Waffen gibt, spielen das Völkerrecht sowie die Menschenrechte keine Rolle mehr.

Solange hier auf der Ebene der Vereinten Nationen keine wirkungsvollen und legitimierten Interventionsmöglichkeiten vorhanden sind, werden Mörderpräsidenten und Mördergeneräle und die dahinterstehenden Gruppierungen weiterhin frei agieren können.

Nur eine transnationale und demokratisch legitimierte Gegenmacht kann das sich ausbreitende globale Kriegsregime und die Militarisierung von Konflikten eindämmen. Nur eine übergeordnete globale Instanz, die mit politischer, ökonomischer und weltpolizeilicher Macht ausgestattet ist – so die hier vertretene These – kann die sich feindlich gegenüberstehenden Kräfte in Formen friedlicher Kooperation überführen.

Die nukleare Eskalationsspirale

Die Welt befindet sich – seit der Kubakrise – wieder in einer Situation, in der über den Wegfall der Abrüstungs- und Kontrollverträge, der fortschreitenden "Modernisierung" von Atomwaffen sowie der Drohung, zumindest von russischer Seite, auch Nuklearwaffen im Zuge des Ukraine-Kriegs einzusetzen, vor einem dramatischen Wendepunkt und einer nuklearen Ereigniskette.

Die Frage ist allerdings, wann eine derart gefährliche Drohkulisse zur bitteren Realität wird. Wo ist der nukleare Kipppunkt und welchen Einfluss haben neuere technologische Entwicklungen dorthin?

Die Gefahr eines Nuklearkrieges wird durch die Existenz bereits entwickelter Hyperschallraketen mit der Fähigkeit, nukleare Sprengköpfe mit über sechsfacher Schallgeschwindigkeit auf ein Ziel zu lenken, noch drastisch erhöht.

Derartige Hyperschallraketen existieren bereits in der Russischen Föderation sowie in der Volksrepublik China. In den USA stehen sie kurz vor dem Abschluss ihrer Entwicklung und die Zeichen verdichten sich, dass sie zumindest mit konventionellen, aber extrem zerstörerischen Sprengköpfen in Westeuropa, etwa in Deutschland oder Polen, stationiert werden sollen [6].

Gegen Hyperschallraketen ist aufgrund ihrer Schnelligkeit und aufgrund der nur wenigen Minuten Reaktionszeit sowie der Lenkbarkeit der anfliegenden Raketen schwer oder gar nicht zu verteidigen.

Selbst wenn sie nur mit einem konventionellen Sprengkopf ausgestattet sind, können sie einen Staat in Bezug auf seine Regierung "enthaupten", wenn die Regierungsspitze oberirdisch tagt. Die Gefahr, dass ein derartiger "Enthauptungsschlag" dann eine nukleare Reaktion des angegriffenen Staates nach sich zieht, erscheint realistisch.

Daher wendet sich ein derzeit in der Verbreitung und Unterzeichnung begriffener Appell sehr deutlich gegen die Stationierung von Hyperschallraketen in allen Staaten und wendet sich auch gegen die drohende Stationierung in Deutschland [7].

In der Tat: Es hat bereits mehrfach technisches Versagen im Rahmen der nuklearen Waffentechnologie gegeben. Ein nuklear ausgetragener Weltkrieg wurde gerade noch im letzten Moment durch besonnenes Handeln Einzelner [8] verhindert. Je schneller und unberechenbarer die Raketen aber fliegen, desto geringer ist die Chance eines menschlichen Einlenkens in einer festgestellten Angriffssituation.

Kriegsgefahr in Europa: Das sind die offenen Fragen

Doch wie ernst sind beispielsweise Russlands Drohungen zu nehmen, nukleare Waffen – möglicherweise sogar nukleare Hyperschallwaffen – im Krieg in der Ukraine einzusetzen?

Wenn die Eskalationsspirale weiter voranschreitet und die Drohungen ernst zu nehmen sind, dann bestünde eine Antwort darin, so wie es die Politikwissenschaftler-Kollegen Herfried Münkler [9] und Carlo Masala/ Frank Sauer fordern [10], Europa weiter aufzurüsten und die nuklearen Optionen auszubauen.

Das würde der Realismustheorie der internationalen Beziehungen folgen. Friede durch Abschreckung. Aber wollen wir das? Was ist, wenn sich die Technologie der Abschreckung in gefährlichen Händen befindet oder sich gar durch Softwarefehler und insbesondere manipulierte KI verselbstständigt [11]? Sind Menschen nicht in der Lage, ohne das Eingehen solcher Risiken Frieden zu halten?

Lösungswege über die Vereinten Nationen

Eine alternative Möglichkeit zu einer ungebremsten Aufrüstungsspirale liegt in der Demokratisierung und gleichzeitigen Stärkung der Vereinten Nationen.

Die Erfahrung mit dem Ausbruch gewalttätiger Konflikte bis hin zu regelrechten Kriegen zeigt, dass im Zuge des Wegfalls oder der Schwächung vorhandener Herrschaftsstrukturen, also in der Situation eines entstehenden Machtvakuums, in der Regel militante und nicht legitime Kräfte versuchen die Macht an sich zu reißen.

Auch wenn ein Machtungleichgewicht entsteht, vergrößert sich die Gefahr, geostrategischer und ökonomischer Begehrlichkeiten seitens des deutlich mächtigeren Staates.

Daher ist es – konsequent zu Ende gedacht – künftig notwendig, dass eine übergeordnete, demokratisch streng kontrollierte Macht, im Auftrag der Weltgemeinschaft die weltpolizeiliche Sicherung übernimmt, will die Welt nicht in einer Vielzahl sich steigernder Kriege und einer zunehmenden militarisierten Globalisierung mit fatalem Ausgang versinken.

Dies gilt ebenfalls für den Krieg des Menschen gegen die Natur und dem Versuch, die verheerende ökologische Antwort in Form der Klimakrise einzudämmen.

Der Weg kann nur über eine einschneidende Strukturveränderung der UN stattfinden, die von professionellen NGOs, überregionalen und lokalen zivilgesellschaftlichen Bewegungen im Zusammenspiel mit hieran interessierten Parlamenten und Regierungen Schritt für Schritt zu erfolgen hat.

Sicherlich ist der Weg dorthin beschwerlich und voller Hindernisse. Massive politische, militärische und ökonomische Interessen stehen dagegen [12].

Vorschläge hierzu gibt es innerhalb und außerhalb der UN zahlreich.2 [13]

Sie betreffen vor allem die Reform des UN-Sicherheitsrats, der internationalen Gerichtsbarkeit unter dem Dach der UN und die Finanzierung der UN. Weitere Vorschläge sind ebenfalls durchaus ausgearbeitet, siehe u.a. die Aktivitäten von "Democracy Without Borders" zur globalen Demokratie [14] über ein UN-Parlament (UNPA-Kampagne), die geforderte Einführung einer Weltbürgerschaft und Initiativen globaler direkter Demokratie oder die differenzierten Vorschläge der Friedensinitiative von "Sicherheit neu denken" u.a. in Bezug auf Weltinnenpolitik und weltpolizeiliche Maßnahmen [15].

Auch die Relevanz und Bedeutungssteigerung des Zusammenspiels von zivilgesellschaftlichen Initiativen und NGOs und vorhandenen UN-Institutionen, wie dem Wirtschafts- und Sozialrat (Ecosoc), stellen Möglichkeiten zur Demokratisierung der UN dar.3 [16]

Möglicherweise weist die sich immer noch in der Entwicklung befindliche EU den Weg in eine solche Zukunft. Derartige, Kriege zwischen den beteiligten Staaten verhindernde, Zusammenschlüsse müssten sich weltweit in fünf bis sechs Weltregionen entwickeln, die wiederum in ihrem Zusammenwirken die Kraft für eine Reform der UN aufbringen.

Eine Chronologie zukünftiger UN-Reformen

Die chronologische Skizzierung einer entsprechenden Reform hin zu einem fairen multipolaren System unter dem Dach der UN könnte wie folgt aussehen:

Der erste Schritt würde in der Einrichtung eines Zweikammer-Systems - also der UN-Generalversammlung mit den Delegierten der nationalen Regierungen und einem global in freien und allgemeinen Wahlen gewählten Parlament – bestehen. Das sich gegenseitig kontrollierende Gesetzesinitiativen hervorbringende und wählende Zweikammersystem wäre die Grundlage einer zukünftig zu demokratisierenden UN.

Ein nächster Schritt bestünde im Aussetzen des Veto-Rechts eines angreifenden Ständigen Mitglieds des UN-Sicherheitsrats, wie im Falle der Russischen Föderation, wenn ein Beschluss diese Konfliktsituation betreffend zu fassen ist.

Ein weiterer Schritt würde – nach einiger Zeit – im grundsätzlichen Wegfall des Veto-Rechts privilegierter Sicherheitsratsmitglieder und in der gleichberechtigten Wahl aller Sicherheitsratsmitglieder durch die beiden UN-Kammern erfolgen. Die Unterscheidung zwischen ständigen und wechselnden Sicherheitsratsmitgliedern würde hiermit abgeschafft.

Im Zuge dieser verschiedenen Schritte gilt es dann auch, eine streng kontrollierte und umfassend legitimierte Weltpolizei in Zusammenarbeit mit örtlichen Behörden, NGOs und Initiativen zu bilden, die auf Beschluss des UN-Sicherheitsrates eingreift, wenn die Menschenrechte und das Völkerrecht massiv beeinträchtigt werden.

Parallel hierzu sind Kontroll- und Abrüstungsverträge wieder in Kraft zu setzen und in einem nächsten Schritt noch konsequenter zu fassen. Zunächst sind hierbei die Nationalstaaten von ihren gefährlichsten Waffensystemen zu trennen, die es in kontrollierten Prozessen zu zerstören gilt – vor allem natürlich zunächst die nuklearen Waffenarsenale betreffend. Der sich in der fortschreitenden Unterzeichnungs- und Ratifizierungsphase befindliche UN-Atomwaffenverbotsvertrag wäre dann hierfür der erste notwendige Schritt gewesen.

Wenn ein Empowerment der UN-Generalversammlung im Zusammenspiel mit einem in freien Wahlen zu bestimmenden UN-Parlament stattgefunden hat, könnte von einem derartigen Zweikammersystem ausgehend, das sich gegenseitig kontrolliert und die wesentlichen Entscheidungsprozesse auf den Weg bringt, auch eine Art demokratisch zu wählende und rechtsstaatlich kontrollierte Weltregierung um das UN-Generalsekretariat herum aufgebaut werden.

Der UN-Generalsekretär und die Regierungsvertreter in den einzelnen Ressorts – auf Vorschlag des Generalsekretärs – wären dann von dem UN-Parlament zu wählen und von der UN-Generalversammlung zu bestätigen.

Widerstände gegen eine multipolare Welt unter dem Dach der UN

Die Widerstände gegen eine derartige Reform der UN und einer nachfolgenden Weltinnenpolitik werden erheblich sein.

Zu nennen sind natürlich vor allem die Staaten, die von der existierenden politischen und weltwirtschaftlichen Ordnung profitieren und sich durch konsequente Reformen der UN nicht ihre Einflussmöglichkeiten beschneiden wollen. Es ist etwa unwahrscheinlich zu erwarten, dass die ständigen Mitglieder des UN-Sicherheitsrats freiwillig auf ihr Veto-Recht verzichten werden. Hier wird wohl erst das Zusammenwirken katastrophaler globaler Entwicklungen mit zivilgesellschaftlichem und institutionellem Druck zu einer Verhaltensänderung führen.

Zu nennen sind hier sicherlich ebenfalls die Strukturen weltkapitalistischer Produktions- und Aneignungsweise, deren Akteure von Kriegen profitieren. Nutznießer sind hier Shareholder der Rüstungsindustrie sowie multinationale Konzerne und internationales Finanzkapital, die Kriegserfolge, z.B. hinsichtlich der Ausbeutung regionaler Ressourcen, auszunutzen wissen.

Auch orthodoxe Gruppierungen und Kräfte in allen bedeutenden Religionen, die eine Vermischung von Staat und institutionalisierter Religion anstreben, um gesellschaftliche Herrschaft mit innerer Macht über Menschen zu verbinden, werden fanatische Gegner einer demokratisch organisierten Multipolarität sein.

Zu nennen sind aber auch Bewusstseinsentwicklungen, die im Kontext einer "Imperialen Lebensweise" (Brand/Wissen 2017)4 [17] entstanden sind.

Insbesondere die Mentalität vieler Menschen in den vermögenden Ländern, dass sowohl der Globale Süden als auch die natürliche Umwelt ein Feld unbegrenzter Nutzenmaximierung im generationsegoistischen Sinne seien, trägt dazu bei, dass notwendige sozialökologische Reformen, aber auch friedensstiftende Maßnahmen und überregionaler Interessenausgleich auf einer fairen Verhandlungsebene einen zu geringen Widerhall in der westlichen Bevölkerung finden.

Hinzu kommt in diesem Zusammenhang das Erstarken populistisch agierender rechtsextremer Parteien, die mit zunehmendem Erfolg die durch Flucht und Migration entstehenden Ängste und Vorurteile einheimischer Bevölkerungen ausnutzen. Rechtsextreme Politiker sind nationalchauvinistisch ausgerichtet und sind entschiedene Gegner einer multilateralen Kooperation im hier skizzierten Sinne.

Eine in ferner Zukunft liegende Utopie?

Natürlich werden daher viele einwenden, dass das friedliche Zusammenwirken unter einem gemeinsamen Dach nur eine Utopie sei, die in ferner Zukunft liege. Natürlich wird ein solcher Prozess – trotz hohem und unmittelbarem Problemdruck – noch Generationen brauchen, um sich durchzusetzen. Dennoch: Zeigt sich die neue Qualität nicht bereits im Alten?

Lebenswerte friedenspolitische Ansätze hierzu und reformfreudige Milieus gibt es bereits in jeder Menge: Zivilgesellschaftliche Bewegungen, institutionelle Reformtendenzen, solidarische Formen des Lebens und Arbeitens, mediale Gegenöffentlichkeiten, gewerkschaftliche Gegenwehr und Ansätze innerparteilicher Demokratie, Transformationen regionaler und überregionaler Zusammenarbeit und auch in den Vereinten Nationen vertretene Reformbewegungen. Auch die vorhandenen und noch zu steigernden Einflussmöglichkeiten zivilgesellschaftlicher Kräfte in den Vereinten Nationen sind hier zu nennen.

Dies bedeutet nicht, dass die Friedenskräfte mit Sicherheit die Oberhand gewinnen werden. Die Auseinandersetzung ist im Gange und die imperialen Kräfte werden zunehmend aggressiver. Gleichzeitig werden die reaktionären und nationalchauvinistischen Kräfte innerhalb der Gesellschaften gestärkt und stellen auch in den Gesellschaften mit einem demokratischen Selbstanspruch mehr und mehr die Machtfrage.

Vieles wird davon abhängen, inwieweit die Mehrheit der Gesellschaften erkennt, was verloren gehen kann und was es im Sinne von Freiheit, Gerechtigkeit und Demokratie zu erreichen gilt. Nur wenn die z.T. immer noch schweigende Mehrheit in den Gesellschaften erkennt, worum es in diesen Jahrzehnten wirklich geht, wird die Welt wieder friedfertiger werden können, wird die Klimakrise entschärft werden, wird die globale Ungerechtigkeit und Armut großer Teile der Weltbevölkerung beseitigt, wird sich die Demokratie – in durchaus unterschiedlichen Formen – durchsetzen können.

Dieser Prozess findet allerdings in der Auseinandersetzung mit Machtverhältnissen und Herrschaftsstrukturen statt und ist nicht bequem und auch nicht überall ungefährlich. Die Gefahr für ein derartiges Engagement nimmt mit dem Repressionsgrad eines politischen Systems im Inneren zu.

Politisch-historische Bildung und die mediale Verantwortung werden hierbei weiterhin einen hohen Stellenwert haben – zwei Bereiche, die aber auch immer von Herrschaftsstrukturen und systemischen Vereinnahmungstendenzen bedroht sind.

Die Voraussetzung friedensfördernder Veränderungen

Die Friedensbewegung muss sich international vernetzen – auch in die Vereinten Nationen hinein – und muss Antworten auf den militärisch gestützten Machtmissbrauch geben, die zu einem politischen Einfluss auf das Handeln der Verantwortlichen führen.

Allerdings: Eine Friedensbewegung in einer auf sich bezogenen Blase hilft auch nicht weiter, sondern wäre ein Teil des Problems. Erst eine unabhängige und kritische internationale Friedensbewegung wird zu einem ernsthaften Gegner der Profiteure von Kriegen – dem internationalen Finanzkapital sowie den Machthabern, die sich durch innere und äußere Repression maßlos bereichern.

Erst eine Friedensbewegung, die gelernt hat, sich mit sowohl anderen zivilgesellschaftlich aktiven Gruppen als auch den Parteien, Regierungen, Parlamenten oder supranationalen Institutionen zu verständigen, ist in der Lage, einen wirksamen Einfluss im hier gemeinten Sinne auszuüben.

Nur eine Friedensbewegung, die unabhängig von Parteien, Staaten und dogmatischer ideologischer Ausrichtung ist und die ihre kritische Analyse überall dort ansetzt, wo ökonomische, militärische und politische Macht missbraucht wird, verdient ihren Namen als Friedensbewegung.

Eine derart unabhängige und kritische Haltung ist die Voraussetzung dafür, dass die Friedensbewegung aus einem bisher noch recht begrenzten gesellschaftlichen Milieu heraustreten und breitere Kreise erreichen und sich international vernetzen kann – so wie es etwa die zivilgesellschaftliche Gegenbewegung zum Vietnam-Krieg wirkungsvoll geleistet hatte.

Reform der UN: Es gibt keine Alternative

Hinsichtlich notwendiger Reformen der UN und der Wichtigkeit einer multilateralen Verständigung ist dem langjährigen UN-Diplomaten Hans von Sponeck (2023) zuzustimmen5 [18]:

Der Übergang von einer Lose-Lose- zu einer Win-Win-Situation bei den Vereinten Nationen braucht Zeit, viel Zeit, unendliche Geduld, Beharrlichkeit und eine starke Führung auf Regierungs- und Nichtregierungsebene.

Für die Menschheit und für eine reformierte UNO steht viel auf dem Spiel, wenn eine Kultur des Egoismus, der Gier und Korruption, des Wettbewerbs und der Straflosigkeit vorherrscht, statt eines humanen und ökologisch sensiblen Realismus in den internationalen Beziehungen, der von einer Atmosphäre des Vertrauens, der Empathie, der Konvergenz, des Kompromisses und der Verantwortlichkeit bestimmt wird. Die Wahl? Es gibt keine Wahl!.

Klar ist: Wenn es keine übergeordnete und demokratisch legitimierte, rechtsstaatliche Instanz gibt, welche die Macht hat, imperiale Kräfte zu entwaffnen und friedensbringende Kräfte politisch zu stärken, dann wird das globale Kriegsregime weiterhin zunehmen, die Welt in einer Vielzahl – dann auch irgendwann nuklear ausgetragener – Kriege versinken.

Auch werden die notwendigen Ressourcen nicht in gemeinsamer internationaler Anstrengung freigestellt werden können, um die bedrohliche Klimaentwicklung noch eindämmen zu können. Große Teile der Weltbevölkerung werden auf der Flucht sein, rechtsextreme Kräfte werden gestärkt werden.

Viele werden sagen, dass die Entwicklung einer fairen multipolaren Welt unter dem Dach der UN möglicherweise Generationen brauchen wird, wenn es denn überhaupt gelingen kann. Es ist hingegen zu fragen:

Hat denn die Menschheit überhaupt eine Alternative, wenn sie zu einem globalen Frieden, zu einer ökologisch verträglichen Situation und zu einer Veränderung ungerechter Lebensverhältnisse finden will – also wenn die Menschheit als Gattungsart auf diesem Planeten noch eine Chance haben will?

Prof. Dr. Klaus Moegling, i.R., Politikwissenschaftler und Soziologe (Universität Kassel), war u.a. Mitinitiator des "Appells für den Frieden", er ist Autor des Buches "Neuordnung. Eine friedliche und nachhaltig entwickelte Welt ist (noch) möglich." – frei lesbar in der vierten Auflage veröffentlicht [19].


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[1] https://www.freitag.de/autoren/der-freitag/antonio-negri-kaempfen-wir-global-gegen-das-kriegsregime
[2] https://www.heise.de/tp/features/Militaerische-Konflikte-auf-dem-Vormarsch-Die-Welt-aus-dem-Griff-des-Kriegsregimes-befreien-9589364.html?view=fussnoten#f_1
[3] https://de.statista.com/themen/5861/kriege-und-internationale-konfliktsituationen/#topicOverview
[4] https://de.statista.com/statistik/daten/studie/168188/umfrage/anzahl-internationale-konflikte/
[5] https://www.tagesschau.de/wissen/krieg-frieden-leibniz-institut-konfliktforschung-ukraine-100.html
[6] https://www.thedrive.com/the-war-zone/43051/army-revives-cold-war-nuclear-missile-unit-to-deploy-new-long-range-weapons-in-europe
[7] https://www.change.org/p/gegen-die-atomare-bedrohung
[8] https://www1.wdr.de/stichtag/stichtag-stanislaw-petrow-verhindert-atomkrieg-100.html
[9] https://www.spiegel.de/politik/deutschland/militaerische-abschreckung-herfried-muenkler-raet-europa-zur-atomaren-aufruestung-a-49e8f606-1ca4-4b48-82dd-099d611f33d6
[10] https://www.merkur.de/politik/ukraine-friede-krieg-ende-russland-atomwaffen-sanktionen-militar-putin-podcast-masala-92235281.html
[11] https://www.fwes.info/Atomwaffen-schuetzen-oder-bedrohen-2023-2.pdf
[12] https://www.klaus-moegling.de/aktuelle-auflage-neuordnung/
[13] https://www.heise.de/tp/features/Militaerische-Konflikte-auf-dem-Vormarsch-Die-Welt-aus-dem-Griff-des-Kriegsregimes-befreien-9589364.html?view=fussnoten#f_2
[14] https://www.democracywithoutborders.org/promoting-global-governance/
[15] https://www.sicherheitneudenken.de/media/download/variant/353462/snd-impulspapier-nr.-4-sicherheits-strategien-neu-denken-20.11.2023.pdf
[16] https://www.heise.de/tp/features/Militaerische-Konflikte-auf-dem-Vormarsch-Die-Welt-aus-dem-Griff-des-Kriegsregimes-befreien-9589364.html?view=fussnoten#f_3
[17] https://www.heise.de/tp/features/Militaerische-Konflikte-auf-dem-Vormarsch-Die-Welt-aus-dem-Griff-des-Kriegsregimes-befreien-9589364.html?view=fussnoten#f_4
[18] https://www.heise.de/tp/features/Militaerische-Konflikte-auf-dem-Vormarsch-Die-Welt-aus-dem-Griff-des-Kriegsregimes-befreien-9589364.html?view=fussnoten#f_5
[19] https://www.klaus-moegling.de/aktuelle-auflage-neuordnung/