Militärstrategien: Wie die atomare Bedrohung zugenommen hat

Seite 2: Ukraine: Risiko durch Atomkraft und Krieg

Dies findet in einem Staat statt, der circa 60 Prozent seines Stroms in Atomkraftwerken produziert und in dem der US-amerikanische Konzern Westinghouse Electric an einer weiteren Nuklearisierung beteiligt ist. Die parallel dazu verlaufende Militarisierung steigert die Gefahr einer nuklearen Katastrophe auch unterhalb Schwelle zum Atomkrieg.

Neben der Bewaffnung der Armee der Ukraine haben Nato-Staaten, allen voran Großbritannien und die USA, eigene Aktivitäten entfaltet, die Sorgen vor einem Atomkrieg berechtigt erscheinen lassen. Der britische Stopwar-Blog berichtete schon vor Kriegsbeginn:

Trotz wiederholter Warnungen des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj, dem zufolge die USA Spannungen an der Ostgrenze der Ukraine befördern, hat die US-Luftwaffe vier B-52-Bomber mit nuklearen Ressourcen (capabilities) nach Großbritannien entsandt. Ein Beamter bestätigte, dass der Einsatz zumindest teilweise mit den jüngsten militärischen Aktivitäten Russlands zusammenhängt. (...) Das US-Militär spielte den Vorgang herunter und erklärte, es handele sich um eine "seit langem geplante Mission der Bomber Task Force".

stopwar.org.uk, 15.02.2022

Dieser Vorgang bettet sich in eine oft übersehene Entwicklung ein: Einen Monat vor Kriegsbeginn machte das US-Magazin Newsweek einige Details publik, die darauf hindeuten, dass ungeachtet aller Betonung von Menschenrechten und Verweisen auf eine – wie es seitens der Nato heißt – wertebasierte Militärpolitik Pläne bestehen, die einen nuklearen Schlagabtausch zumindest billigend in Kauf nehmen:

Die nukleare Option folgt der Strategie der Abschreckung möglicher Angreifer, auch in Europa, wie es das großangelegte Manöver "Global Lightning" im vergangenen Jahr verdeutlichte, mit dem Szenario einer angenommenen russischen Invasion in den baltischen Staaten, die schließlich zum Einsatz von Atomwaffen führte.

Newsweek, "As Russia-Ukraine Tensions Rise, U.S. 'Stress Tests' New Nuclear War Plan", 29.01.2022

Die Eskalation der Atomkriegsgefahr ist entsprechend schon seit längerem Teil der Nato-Strategie: 2014 fand im nordrhein-westfälischen Kleve eine Strategiekonferenz der Nato-Strategieschmiede JAPCC statt, die von einem großen Krieg in Europa ausgeht, der nahe der russischen Westgrenze entbrennt, etwa im Baltikum, der Ukraine oder in Georgien:

Die zwei Jahrzehnte lang geltende Annahme, dass es in Europa keinen größeren Krieg geben wird, ist anzuzweifeln (is in some doubt).

Air & Space Power in Nato, Seite 141

Die Konferenz forderte vor diesem Hintergrund einen angemessenen Mix aus nuklearen und nicht-nuklearen Fähigkeiten (appropriate mix of nuclear and conventional capabilities).

Air & Space Power in Nato, Seite 70