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Mindestens 25 Euro pro Tonne

Gletscher machen die Folgen des Klimawandels auch heute bereits deutlich sichtbar, wie dieses Beispiel zeigt: Im Bild eine Aufnahme des Hintereisferners und der Weißkugel in Tirol, die im Rahmen eines Bildfluges des Instituts für Atmosphären- und Kryosphärenwissenschaften der Uni Innsbruck Ende August 2015 entstand. Die beiden oberen Seitengletscher (im Bild von rechts) waren vor wenigen Jahren noch in Verbindung mit dem Hintereisferner. Die Schneerücklagen reichen nicht mehr aus, um den Gletscher im Gleichgewicht zu halten. Bild: Institut für Atmosphären- und Kryosphärenwissenschaften, Universität Innsbruck

Die Energie- und Klimawochenschau: Von CO2-Preisen, Stromnetzen, Waldwirtschaft und technologieoffenen Ausschreibungen

An Vorschlägen, was die neue Bundesregierung bei der Energiewende besser machen könnte, mangelt es ja nicht, allein ob diese auch nur ansatzweise Gehör finden, lässt sich angesichts des ambitionslosen Koalitionsvertrags bezweifeln. Der WWF setzt immer noch darauf, das deutsche Emissionsreduktionsziel von 40 Prozent bis zum Jahr 2020 zu erreichen. Die Instrumente: ein Mindestpreis für den CO2-Ausstoß von 25 Euro pro Tonne und die Stilllegung alter Braunkohlekraftwerke mit einer Kapazität von 7 Gigawatt. Der CO2-Mindestpreis müsste mehrere Länder übergreifend eingeführt werden.

"Wir brauchen ein zusätzliches Instrument nicht allein auf nationaler, sondern auf europäischer Ebene, weil das bisherige Werkzeug dort nicht wirkt: Der Emissionshandel wird kurz- und mittelfristig keinen Effekt haben. Über ihn bleibt der CO2-Preis bis Mitte der 2020er zu niedrig, um einen Anreiz zur CO2-Minderung zu bieten", sagt [1] Michael Schäfer, Leiter des Fachbereichs Klimaschutz und Energiepolitik beim WWF Deutschland.

Der CO2-Preis müsste sofort eingeführt, die 7 Gigawatt Kohlekraftwerke im Jahr 2020 stillgelegt werden. Auf diese Weise fehlten dann nur noch 13 Millionen Tonnen CO2, die an anderer Stelle eingespart werden müssten. Der CO2-Preis sollte in Zukunft kontinuierlich ansteigen. Ein vorgegebener Anstiegspfad würde auch die Investitionssicherheit garantieren.

Als wichtige Partner bei der Einführung eines CO2-Mindestpreises sieht der WWF Frankreich und die Niederlande. Die Niederlande haben bereits beschlossen, ihren CO2-Preis bis 2030 auf 43 Euro steigen zu lassen. Und auch im neuen Elyseé-Vertrag zwischen Frankreich und Deutschland vom Januar fordern die Parlamentarier ihre Regierungen auf, sich für die Bepreisung von Kohlendioxid einzusetzen. Im Koalitionsvertrag findet sich dies allerdings nicht wieder. Hier wird ein globales Preissystem für den Kohlendioxidausstoß gefordert, mindestens solle es aber die G20 umfassen. Nachbarschaftliche Initiativen sind damit wohl eher ausgeschlossen.

Für gemeinsame deutsch-französische Initiativen bei der Energiewende wirbt auch die Agora Energiewende, die zusammen mit dem Institutes for Sustainable Development and International Relations (IDDRI) eine Studie [2] zu den Energiepolitiken der beiden Länder verfasst hat. Die Energiesysteme der beiden Länder seien eng verzahnt, so dass energiewirtschaftliche Entscheidungen auch immer über die Grenze hinweg wirken würden.

"Frankreich solle aus wirtschaftlichen Gründen bis 2030 die Leistung seiner Kernkraftwerke von derzeit 63 auf 50 Gigawatt reduzieren, Deutschland aus Klimaschutzgründen seine Kohleverstromung halbieren. Parallel dazu sollten beide Länder die Erzeugung von Strom aus Erneuerbaren Energien wie geplant erhöhen (…). Zudem sollten die Stromleitungen zwischen den Ländern Europas verstärkt werden, davon würden insbesondere die Stromverbraucher profitieren", heißt es. Bei einem CO2-Preis von 30 bis 50 Euro pro Tonne könnten sich Windkraft und Photovoltaik am Markt finanzieren.

Netzausbau unumgänglich

Um Stromleitungen geht es in der folgenden Studie. Eine dezentrale Energiewende wird ja immer wieder als Argument gegen neue Stromtrassen ins Feld geführt. Eine neue Meta-Studie des Öko-Instituts kommt nun leider zu dem Ergebnis, dass auch eine dezentralere Versorgung mit erneuerbaren Energien nicht ohne Netzausbau auskommt.

Die Autoren kritisieren, dass bisherige Dezentralitätskonzepte meist zu vage bleiben. Betrachtet werden müsse ein Zusammenspiel mehrerer Ebenen: das Vorhandensein verbrauchsnaher Erzeugungsanlagen ebenso wie verbrauchsnaher Flexibilitätsoptionen - also Stromspeicher oder Kapazitätsreserven. Würde Strom zwar regional erzeugt und verbraucht, aber notfalls durch Offshore-Strom oder skandinavische Wasserkraft ergänzt, wäre wenig gewonnen. Selbst wenn regionale Flexibilitätsoptionen vorhanden sind, hieße das in einem freien Strommarkt noch nicht, dass diese auch genutzt würden, solange die Preisbildung auf zentralen Märkten stattfindet.

"Ein geringerer Stromnetzbedarf kann richtungssicher nur angenommen werden, wenn verbrauchsnahe Erzeugungs- und verbrauchsnahe Flexibilitätsoptionen in Eigenverbrauchslösungen zusammengefasst werden oder (klein-) räumlich zugeschnittene zellulare Steuerungsansätze zum Tragen kommen", heißt es in der Studie [3].

Für solche zellularen Steuerungsansätze gebe es bislang kein überzeugendes Konzept. Zu rechnen sei aber mit höheren Erzeugungskosten. Auch der Flächenbedarf für Erneuerbare könnte steigen. Um den Netzausbaubedarf um 20 bis 50 Prozent zu verringern, müsste insbesondere die Photovoltaik im Süden und die Windkraft im Süden und Westen Deutschlands um ein Vielfaches dessen ausgebaut werden, was im jetzigen Netzentwicklungsplan angenommen wird.

Klimaschützender Wald

Zu einer Streitfrage könnte sich in Zukunft auch die Gewinnung erneuerbarer Wärme aus Holz entwickeln. Die Agentur für Erneuerbare Energien (AEE) sieht beim Brennstoff Holz ungenutzte Potenziale, nicht nur für Einzel- und Zentralheizungen von Wohnungen und Häusern, sondern auch in Kommunen und Industrie. Auch in Heizkraftwerken mit Kraft-Wärme-Kopplung könnten verstärkt Holzpellets zum Einsatz kommen. "Obgleich die energetische Nutzung von Holz an Bedeutung gewonnen hat, haben sich Fläche und Alter des Waldes in Deutschland weiter erhöht", heißt es in einer Pressemitteilung der AEE [4].

Bild [5]: Öko Institut/CC BY-SA-2.0 [6]

Wenngleich die AEE keinen Widerspruch zwischen Holznutzung und Klima- und Naturschutz sieht, kommt eine von Greenpeace beim Öko-Institut beauftragte Studie [7] zu dem Schluss, dass die Wälder deutlich mehr Kohlendioxid speichern könnten, würden sie weniger intensiv bewirtschaftet.

In ihrer "Waldvision" würden Fichtenforste bis zum Anfang des 22. Jahrhunderts zu naturnahen Laubmischwäldern umgewandelt. Diese seien widerstandsfähiger gegenüber Stürmen und böten mehr Lebensraum für Tiere. Würden die Wälder in Deutschland derart umgestaltet, könnten sie pro Jahr 48 Millionen Tonnen CO2 aufnehmen, statt wie heute 17,2 Millionen Tonnen. Demgegenüber stünden die Forderungen der Holzindustrie nach einer intensiveren Bewirtschaftung, die die CO2-Speicherfähigkeit auf 1,4 Millionen Tonnen pro Jahr senken würde.

In der "Waldvision" von Greenpeace würde zwar deutlich mehr Holzmasse vorhanden sein, nutzbar wäre jedoch ein Viertel weniger als heute. Der Holzeinschlag würde eher manuell erfolgen, da weniger Bäume pro Einschlag geerntet werden dürften.

Gletscherschmelze in diesem Jahrhundert nicht mehr aufzuhalten

Schlecht sieht es weltweit für die Gletscher aus. Denn egal, ob es der Menschheit gelingt den globalen Temperaturanstieg auf 2 oder auf 1,5 Grad Celsius zu begrenzen, ein Drittel der heutigen Gletschermasse wird voraussichtlich bis zum Ende des Jahrhunderts abschmelzen. Dies haben Wissenschaftler der Universitäten Innsbruck und Bremen berechnet.

"Gletscher reagieren langsam auf klimatische Veränderungen. Wenn wir beispielsweise den aktuellen Umfang des Gletschereis-Bestandes erhalten wollen würden, müssten wir ein Temperaturniveau aus vorindustriellen Zeiten erreichen, was natürlich nicht möglich ist. (…) Das bedeutet aber auch, dass unser heutiges Verhalten Auswirkungen auf die langfristige Entwicklung der Gletscher hat - das sollten wir uns bewusstmachen", erklärt [8] der Gletscherforscher Georg Kaser.

Jedes Kilogramm Kohlendioxid, das wir heute ausstoßen, führe zu einem Verlust von 15 Kilogramm Gletschermasse, oder, anschaulich ausgedrückt: "Umgerechnet auf ein 2016 in Deutschland neu zugelassenes Durchschnittsauto bedeutet das: Alle fünfhundert Meter Autofahrt geht ein Kilo Gletschereis verloren", so der Forscher Ben Marzeion. )

Wachsende Beschäftigung in der Windbranche

Trotz aller Angriffe auf den Ausbau der Erneuerbaren in Deutschland: Nach einer neuen Veröffentlichung des Bundeswirtschaftsministeriums waren 2016 338.600 Menschen im Erneuerbare-Energien-Sektor beschäftigt. Das waren 10.000 mehr als 2015. 160.200 Beschäftigte entfielen auf die Windbranche. Das sind übrigens fast achtmal so viele Beschäftigte wie in der Braunkohleindustrie, deren Interessen in der Politik weit häufiger vertreten werden.

Interessant für die weitere Entwicklung der Erneuerbare-Energien-Branche wird das Pilotverfahren für technologieneutrale Ausschreibungen der Bundesnetzagentur. Bis zum 3. April läuft die Gebotsfrist für 200 Megawatt für Windenergie an Land und Photovoltaik mit einem Maximalpreis von 8,84 Cent pro Kilowattstunde. Welcher Anteil auf welche Technik entfällt, wird von den Geboten abhängen. Die Branchenverbände sehen das marktwirtschaftliche Instrument damit überfrachtet.

"Gegenwärtig liegen Wind- und Solarstrom zwar preislich etwa auf Augenhöhe. Auf Dauer lässt sich aufgrund der unterschiedlichen Kostenstruktur ein gesunder Technologiemix mit einer gemeinsamen Ausschreibung nicht sicherstellen. Egal, wer als Sieger der jüngsten Auktion vom Platz geht, dieses Experiment lehnen wir ab", sagt [9] Carsten Körnig, Hauptgeschäftsführer des Bundesverbandes Solarwirtschaft.

Rückendeckung erhalten dieser sowie der Bundesverband Windenergie vom Deutschen Wetterdienst (DWD). "Durch den kombinierten Einsatz von Windkraft an Land und auf See, Photovoltaik und einen europäischen Stromverbund können die Risiken durch Windflauten und sonnenscheinarme Phasen deutlich reduziert werden", erklärte Paul Becker, Vizepräsident des DWD, bei der jährlichen Klima-Pressekonferenz.

Der DWD hatte ausgewertet [10], wie oft die erneuerbaren Energieträger in ausgewählten Gebieten über 48 Stunden weniger als 10 Prozent ihrer Nennleistung erbrachten. War dies bei der Windkraft an Land 23 Mal der Fall, waren es in Kombination mit Offshore-Windkraft und Photovoltaik nur noch zwei Mal.


URL dieses Artikels:
https://www.heise.de/-3999752

Links in diesem Artikel:
[1] http://www.wwf.de/2018/maerz/ein-neues-instrument-fuer-den-kohleausstieg/)
[2] https://www.agora-energiewende.de/de/presse/agoranews/news-detail/news/nur-gemeinsam-koennen-frankreich-und-deutschland-ihre-jeweiligen-energiewenden-zum-erfolg-fuehren-1/News/detail/
[3] http://www.oeko.de/presse/archiv-pressemeldungen/2018/auch-eine-dezentrale-energiewende-braucht-netzausbau/
[4] https://unendlich-viel-energie.de/presse/pressemitteilungen/erneuerbare-energie-aus-dem-wald-gewinnen
[5] https://www.flickr.com/photos/oekoinstitut/38683884900/in/album-72157692137577751/
[6] https://creativecommons.org/licenses/by-sa/2.0/
[7] https://www.oeko.de/presse/archiv-pressemeldungen/2018/neue-studie-fuer-greenpeace-waelder-bergen-ungenutztes-potential-fuer-den-klima-und-naturschutz/
[8] https://idw-online.de/de/news691096
[9] https://www.wind-energie.de/presse/pressemitteilungen/2018/bundesverband-solarwirtschaft-und-bundesverband-windenergie
[10] https://www.dwd.de/DE/presse/pressemitteilungen/DE/2018/20180306_pressemitteilung_klima_pk_news.html