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Mindestlohn erhöht, Altersarmut aber nicht gebannt

Der Mindestlohn steigt zwar an, doch für viele dürfte die Rente doch nicht reichen. Bild: Frantisek Krejci auf Pixabay

Bundestag beschließt höheren Mindestlohn. Ab Oktober steigt er auf zwölf Euro. Nicht genug, denn nach Angaben der Bundesregierung schützt er immer noch nicht vor Altersarmut

Nun ist es beschlossen: Der Mindestlohn in Deutschland steigt ab Oktober auf zwölf Euro. Alle im Bundestag vertretenden Parteien stimmten am Freitag zu, nur die Christdemokraten sowie die Alternative für Deutschland (AfD) enthielten sich.

Für Millionen Menschen in der Bundesrepublik könnte das bedeuten, dass sie ab Herbst mehr Geld im Portemonnaie haben werden. Im Gesetzentwurf ging die Bundesregierung davon aus, dass etwa 6,2 Millionen Lohnabhängige damit einen höheren Stundenlohn bekommen werden. Vor allem Frauen und Ostdeutsche sollen überproportional profitieren.

Der Armutsforscher Christoph Butterwegge bezeichnete den Beschluss gegenüber dem Sender BR2 [1] als Meilenstein. Er gab aber gleichzeitig zu bedenken, dass der Beschluss mit fünf Jahren Verspätung komme: Schon nach der verlorenen Bundestagswahl 2017 habe Olaf Scholz (SPD) diese Forderung aufgestellt. Deshalb müsste der Mindestlohn eigentlich noch weiter steigen, denn durch die Inflation seien die zwölf Euro heute weniger wert als noch vor fünf Jahren.

Darauf wies am Freitag auch noch einmal die Vorsitzende der Linken, Janine Wissler, hin. "Die Erhöhung des Mindestlohns hingt der Entwicklung hinterher", erklärte sie. Schon im vergangenen Jahr habe gegolten, "dass erst ein Stundenlohn von rund 13 Euro bei einem langen Arbeitsleben in Vollzeit für eine Rente oberhalb der Armutsgrenze reichte". Und bei der aktuellen Inflation steige der Wert von Monat zu Monat.

Mindestlohn schützt nicht vor Altersarmut

Das Gespenst der Altersarmut ist mit dem jetzigen Beschluss nicht gebannt – das ist der Bundesregierung sehr wohl bekannt. Um nach 45 Arbeitsjahren oberhalb der Grundsicherung zu landen, wäre ein Stundenlohn von 12,97 Euro nötig, heißt es in einer Antwort auf eine Anfrage der AfD, die die Deutsche Presse-Agentur (dpa) kürzlich berichtete. Das gilt aber nur, wenn man mit 38,5 Stunden je Woche in Vollzeit gearbeitet hat.

Nicht berücksichtigt wurde in dieser Rechnung der Grundrentenzuschlag. Würde er berücksichtigt, dann müsste man in 45 Arbeitsjahren ein Arbeitsentgelt von mindestens 7,72 Euro je Stunde erhalten. Den Zuschlag kann man erhalten, wenn man mindestens 33 Jahre lang gearbeitet und dabei unterdurchschnittlich verdient hat.

Doch nur eine relativ geringe Zahl an Rentnern wird auf den Grundrentenzuschlag bauen können. Die Bundesregierung [2] schätzt ihre Zahl der Empfänger auf rund 1,3 Millionen. Sie werden voraussichtlich neben ihrer gesetzlichen Rente im Schnitt weitere 75 Euro im Monat ausgezahlt bekommen.

Die Gewerkschaften begrüßten den höheren Mindestlohn. Er sei ein wichtiger Schritt, "um später im Rentenalter Armut zu mindern", erklärte Stefan Körzell, der Mitglied im Vorstand des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB) ist. Vor allem den Beschäftigten im Gastgewerbe, im Handel und im Gesundheits- und Sozialwesen komme er zugute.

Kritik an neuer Minijob-Regelung

Weniger zufrieden zeigten sich die Gewerkschafter mit der Ausweitung der Minijobs, die in einem Paket mit dem höheren Mindestlohn beschlossen wurde. Die Grenze für Minijobs steigt nun von 450 Euro auf 520 Euro im Monat an.

Aus Sicht der FDP ist das für mehr als sechs Millionen Minijobber positiv. Doch die Gewerkschafter sehen das anders und verweisen auf die Erfahrungen aus der Corona-Pandemie und auf die drohenden Armutsrenten. DGB-Vorstandsmitglied Anja Piel sagte:

In der Pandemie wurden Hunderttausenden Menschen in Deutschland innerhalb kürzester Zeit ihre Minijobs gekündigt – ohne Anspruch auf Kurzarbeiter- oder Arbeitslosengeld. Haben sich Beschäftigte mit Minijob gegen die optionale Rentenversicherungspflicht entschieden, drohen auch bei der Rente Nachteile: Gerade für diejenigen, die in ihrer Erwerbsbiographie nahezu ausschließlich im Minijob arbeiten, ist das ein sicheres Ticket in die Altersarmut – überwiegend trifft das Frauen. In einer Umfrage des DGB fordern deshalb zurecht zwei Drittel der Befragten Sozialversicherungsschutz ab dem ersten Euro. Mit der Erhöhung der Einkommensgrenze ignoriert die Koalition Armutsrisiken.

Anja Piel

Ähnlich argumentiert auch die Linke. Deren Bundestagsabgeordnete Susanne Ferschl betonte am Donnerstag, dass Minijobs keine eigenständige Existenzgrundlage sichern würden und man mit ihnen keine Ansprüche in den sozialen Sicherungssystem erwerbe. Sie würden "überdurchschnittlich häufig von Frauen ausgeübt, die auf diese Weise abhängig bleiben – vom Amt oder dem Partner".

Ferschl verwies auch die Annahme in das Reich der Mythen, dass die große Mehrheit der Minijobber Schüler, Studenten oder Rentner sein könnten. Rund zwei Drittel der Minijobber seien "im sogenannten Haupterwerbsalter von 25 und 65 Jahren". Und fast die Hälfte von ihnen sei ausschließlich im Minijob beschäftigt.

Das zeige, dass Minijobs für viele Menschen kein Nebenverdienst seien, sondern Bestandteil regulärer Einkommenssicherung. Auch wenn sie an den Mindestlohn gekoppelt seien, könne man mit ihnen nicht den Lebensunterhalt sichern.

Damit Arbeit den Lebensunterhalt sichere und soziale Sicherheit im Bedarfsfall garantiere, dürfe es keine erzwungene Teilzeit geben und sie müsse ab der ersten Stunde voll sozialversicherungspflichtig sein. "Durch die geplante Ausweitung hingegen droht die weitere Verdrängung sozialversicherungspflichtiger Beschäftigung", so Ferschl.


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https://www.heise.de/-7131891

Links in diesem Artikel:
[1] https://www.br.de/radio/bayern2/sendungen/radiowelt/interview-christoph-butterwegge-armutsforscher-entlastungen-100.html
[2] https://www.deutsche-rentenversicherung.de/DRV/DE/Rente/Grundrente/grundrente.html