Mit Lucy in die Zukunft der Eisenbahn

Züge ohne Lokführer in Bewegung setzen zu können, klingt in Zeiten des Nachwuchsmangels beim Personal ebenso verlockend wie fehlende Streiks

Lucy ist kein Kürzel für eine technische Lösung. Lucy hat ihren Namen aus ihrer Vorgeschichte des derzeit als Prototyp eingesetzten Fahrzeugs. Das stand ursprünglich in Diensten der Württembergischen Eisenbahn (WEG). Und die WEG gibt allen ihren Zügen Mädchennamen. Das Fahrzeug, um das es hier geht, verdankt seinen Namen Lucy van Pelt, einem Mitglied der Peanuts.

Als man beim französischen Thales-Konzern mitbekam, dass die WEG, inzwischen eine Tochter der französischen Transdev, ehemals Teil von Veolia, ausgediente Fahrzeuge zum Verkauf anbot, beschloss man sich dieses Angebot einmal genauer anzuschauen. Es zeigte sich, dass der Triebwagen sich nach einem entsprechenden Umbau gut als Testfahrzeug eignen könnte.

Die Idee stieß auch bei den Verantwortlichen der Bereiche Projekt und Entwicklung auf Interesse und seit Dezember 2014 steht Lucy als "Corporate Train" in Diensten der Thales Group. Zwei Jahre lang wurde neben der eigentlichen Projektarbeit der Zug umgerüstet. Im Dezember 2017 ging es dann für den umgerüsteten Triebwagen auf seine zweite Jungfernfahrt.

Wo wurde Lucy schon eingesetzt?

Auf einer eigens dafür vorgesehen 22 Kilometer langen Teststrecke bei Annaberg-Buchholz im Erzgebirge in der Nähe von Chemnitz diente Lucy als fahrendes Labor, in dem neue Technologien in Entwicklungszusammenarbeit mit Kunden getestet und bewertet werden konnten.

Mit der schon etwas angejahrten Lucy wollte man nicht zuletzt zeigen, dass auch die neuesten Innovationen in der Bahntechnik in vorhandenem rollendem Material einsetzen lässt und sich so die Lebenszyklen der heutigen Züge verlängern und deren Betrieb optimieren lassen.

Die dabei genutzten Sensoren zur Positionserfassung und Videoanalysen können im aktuellen Zugebetrieb dazu genutzt werden, die Fahrer zu unterstützen. Letztendlich sollen sie in Zukunft jedoch zu einer echten Bahnautonomie führen, von der sowohl Zugführer als auch Fahrgäste profitieren. In sogenannten Vollbahnen ist das bislang noch Zukunftsmusik, während ein autonomer Betrieb in U-Bahnen wie beispielsweise in Nürnberg oder in London bereits besteht: bei der schon über 30 Jahre alten Docklands Light Railway, die beispielsweise den London City Airport im ehemaligen Hafenbereich an den ÖPNV in London anbindet.

Geplant ist, dass mit dem Ausbau der Zugautonomie und ihrer Anwendung auf die Streckendienste im Güter- und Personenverkehr, sich dann eine künftige Generation von Zügen selbst und ohne menschliches Zutun in ihrer Umgebung orten und mit anderen Zügen interagieren kann. Koordiniert von einem angeschlossenen Verkehrsmanagementsystem sollen diese Züge alle Elemente ihrer Umgebung eigenständig ermitteln und sich darin autonom bewegen.

Anders als bei sogenannten autonomen PKW oder LKW sind die Fahrwege bei den Bahnsystemen durch die Schienen festgelegt. Züge brechen aus diesen vorgegebenen Bahnen in der Regel nicht aus, was die Steuerung des Betriebs deutlich berechenbarer macht.

Mit der Digitalisierung, die immer stärker in das tägliche Leben eingreift, beschleunigt sich auch der Umbau des Bahnbetriebs

Lucy wurde bereits bei einer ferngesteuerten Testfahrt in Schlettau auf der Neben-Bahnstrecke Annaberg-Buchholz-Schwarzenberg eingesetzt. Von Thales kamen dabei die Steuerungs- und Sicherheitssysteme für ein 5G-Projekt mit Vodafone bereitgestellt, einschließlich der Installation der Testumgebung und der Sensoren.

Dazu gehörte ein Remote Control System für den Zug in Zusammenarbeit mit dem Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) und dem Steuerungsspezialisten Railergy. Mit dem Einsatz von Lucy kamen verschiedene Technologien zum Einsatz, welche die Thales Group beispielsweise im Militärsektor entwickelt hat, wie Sensoren für die Hinderniserkennung oder eine sichere und präzise Satellitenortung die aus den Bereichen Raumfahrt und Avionik stammt.

Wo fährt Lucy heute?

Seit Ende 2020 fährt Lucy nun auf der Bahnstrecke zwischen Elmstein (Kreis Bad Dürkheim) und Lambrecht im Testbetrieb bis 2023. Diese Strecke wurde nach Angaben der Verantwortlichen ausgewählt, weil abgesehen von den Wochenend-Fahrten der Museumsbahn Kuckucksbähnel auf der Strecke kein Betrieb stattfindet, und somit das Risiko, dass ein Zug entgegenkommen kann, entfällt.

Das Elmsteiner Tal ist, vorsichtig ausgedrückt, etwas abgelegen und die technischen Voraussetzungen, was beispielsweise Internet- und Mobilfunk-Versorgung anbelangt, sind nicht gerade ideal. Aber gerade dies hat offensichtlich die Entwickler gereizt. Wenn die Tests in diesem Tal erfolgreich sein sollten, dann funktioniert das System auch unter besseren Rahmenbedingungen. Und dies trifft vor allem auf die Technologie zur Positionsbestimmung eines Zuges zu.

Bis wann ist mit einem Einsatz im gemischten Betrieb zu rechnen?

Auch wenn die Entwickler von der Leistungsfähigkeit ihrer Technik überzeugt sind, wird es wohl noch viele Jahrzehnte dauern, bis auch in der Fläche Züge vollkommen autonom fahren können. Das hängt nicht zuletzt mit der überkommenen Infrastruktur zusammen. So sind unbeschrankte Bahnübergänge ein gewaltiges Risiko und nur schwer vereinbar mit autonomen Schienenverkehr.

Das scheint auch ein Grund zu sein, warum sich das Elmsteiner Tal so gut für die Testfahrten eignet, weil es hier auf 13 Kilometer Strecke 13 Bahnübergänge gibt, was eine Herausforderung für eine Technik darstellt, die selbstständig Hindernisse erkennen und bewerten soll.

Ein automatisierter Personenverkehr setzt auch voraus, dass das rollende Material grundsätzlich gleich aufgebaut ist, der Zug immer an exakt der gleichen Stelle hält und so die Türen des Zuges immer genau den automatischen Türen an der Bahnsteigkante gegenüberliegen. Wie das schon seit Jahren erfolgreich funktioniert, sieht man bei den verschiedenen Bahnlinien im Raum Bangkok, wo das Bahnsystem völlig neu aufgebaut wurde.