Mit Täuschung zum Triumph: Die Wahlergebnisse 2025 im Check

Christoph Butterwegge
Maske mit Megafon, kleine Seifenblasen

Merz wird wohl Kanzler. Zwei trügerische Erzählungen hatten seinen Wahlkampf dominiert. Warum den Konservativen ein Pyrrhussieg droht. Ein kritischer Rück- und Ausblick. (Teil 3 und Schluss)

Wenn der überraschend hohe Erfolg Donald Trumps bei der US-Präsidentschaftswahl am 5. November 2024 ein Sieg der Lüge über die Verlogenheit war, wie ein Kommentator treffend bemerkt hat, dann war der Erfolg des CDU/CSU-Kanzlerkandidaten Friedrich Merz bei der Bundestagswahl am 23. Februar 2025 ein Sieg der Verlogenheit über die Wahrheit.

Vor allem zwei trügerische Erzählungen haben den Wahlkampf geprägt: Das erste Narrativ betraf die vermeintliche Gefährdung der Einheimischen durch die massenhafte Immigration, das andere Narrativ die vermeintliche Gefährdung der Wirtschaft durch die massenhafte Insolvenz mittelständischer Unternehmen.

Zu fragen ist, ob Menschen in einem Klima der Angst vor existenzieller Bedrohung durch Erwerbslosigkeit und Armut rationale Wahlentscheidungen treffen können. Denn kein vernünftiges Argument zählt noch, wenn das Ressentiment vorherrscht.

Dass die AfD-Kanzlerkandidatin sowohl im privaten wie auch im öffentlich-rechtlichen Fernsehen gleich mehrfach zusammen mit den aussichtsreichen Spitzenkandidaten der anderen Parteien, also mit dem sozialdemokratischen Bundeskanzler, dessen christdemokratischem Herausforderer und dem grünen Wirtschaftsminister, auftreten konnte, war ein Meilenstein auf dem Weg zur Normalisierung des Rechtspopulismus und -extremismus in Deutschland.

Erschreckend ist das im Wahlkampf zutage getretene Ausmaß des individuellen wie des institutionellen Rassismus. Ersterer zeigte sich, als nicht bloß Redakteure der Boulevardmedien von den Straftätern einer bestimmten ethnischen Herkunft auf die Charaktereigenschaften der Gesamtgruppe schlossen und mehr oder weniger deutlich verlangten, diese mittels restriktiverer Gesetzesverschärfungen dafür büßen zu lassen.

Letzterer manifestiert sich im staatlichen Handeln, wenn Menschen aufgrund ihrer ethnischen Herkunft von politisch Verantwortlichen, Sicherheitsbehörden und/oder Justiz diskriminiert werden. Nicht zuletzt durch die Aufteilung der Zuwanderer in "nützliche" Arbeitsmigranten und "unnütze", entweder als Belastung oder als Bedrohung empfundene Flüchtlinge, wie sie auch politisch Verantwortliche im Wahlkampf vornahmen – selbst die AfD befürwortet schließlich eine "Willkommenskultur für Qualifizierte" (Alice Weidel) –, wurde der Rassismus befördert.

Auch der neoliberale Zeitgeist bestimmte die jüngsten Wahlkampfdebatten. In den Wahlsendungen mit Publikumsbeteiligung waren (kleine oder mittlere) Unternehmer, Manager und Unternehmensberater denn auch deutlich überrepräsentiert, Menschen, die fürchten müssen, ihre Miete nicht mehr bezahlen zu können, hingegen ebenso deutlich unterrepräsentiert.

Durch eine Fokussierung ihrer Politiker auf das Wohl und Wehe des Wirtschaftsstandorts Deutschlands machten die etablierten Parteien den Standortnationalismus salonfähig. Selbst bei der SPD als ehemaliger Arbeiterpartei trat im Wahlslogan "Mehr für dich. Besser für Deutschland" das individuelle Besitzdenken an die Stelle der kollektiven Solidarität und verband sich mit dem Bekenntnis zum eigenen Nationalstaat.

Friedrich Merz hat sich spätestens während seiner Tätigkeit für BlackRock der Logik des Gaspedals verschrieben und forderte die Wähler/innen im RTL-Quadrell auf, mit ihm endlich "die Bremsen zu lösen", meinte damit aber nicht etwa die "Schuldenbremse" im Grundgesetz. Robert Habeck bedauerte in derselben Fernsehsendung, als bündnisgrüner Wirtschaftsminister "zu wenig für die Wettbewerbsfähigkeit getan" zu haben.

Und auch Alice Weidel fiel zum Stichwort "Deindustrialisierung" nur ein, dass die deutschen Unternehmen nicht wettbewerbsfähig seien. Olaf Scholz wiederum herrschte Weidel an: "Mit Ihnen käme die Armut ins Land."

Als ob es die nicht dank einer neoliberalen Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik der Bundesregierungen unterschiedlicher Zusammensetzung längst massenhaft gäbe: Lebensmitteltafeln, Sozialkaufhäuser und Pfandleihhäuser haben Hochkonjunktur. Dass sich daran unter einem Bundeskanzler Friedrich Merz künftig etwas ändert, ist kaum anzunehmen.

Christoph Butterwegge
Christoph Butterwegge. Bild: Wolfgang Schmidt

Weshalb viele Besserverdienende die bürgerlichen Parteien wählen, bedarf keiner tiefschürfenden Erklärung, weil diese ihre Interessen (z.B. nach geringer Besteuerung von Einkommen und Vermögen, Förderung des Finanzmarktes und der Kapitalanlage sowie Privatisierung öffentlichen Eigentums und Deregulierung) vertreten.

Warum aber viele Geringverdiener/innen das Gleiche tun, wird nur verständlich, wenn man ihre größeren Informationsdefizite, ihren Frust und ihre Hoffnungslosigkeit berücksichtigt. Haben von ihnen früher gewählte Politiker gelogen und deren Parteien durch ihre Regierungspraxis an Glaubwürdigkeit verloren, gehen sozial Benachteiligte oft gar nicht mehr zur Wahl oder stimmen trotz anfänglicher Bedenken für eine liberale, konservative oder rechtspopulistische Partei.

Die maßlose Enttäuschung über das drei Jahre dauernde "Ampel-Gehampel", das "Parteiengezänk" und das politische Schattenboxen der Wahlkämpfer, die sich weder mit den sozialen Problemen und den Existenzsorgen vieler Menschen beschäftigten noch substanzielle Alternativen anzubieten hatten, taten in diesem Fall ein Übriges.

Außerdem erweckten der Wahlkampf und die zahlreichen TV-Talkshows den falschen Eindruck, als ginge es um die Präsentation der besten Ideen. Dass hinter diesen unterschiedliche, wenn nicht gegensätzliche Interessen steckten, blieb häufig unerkannt. Wenn die politische Grundbildung schon zu Schulzeiten versagt hat oder selbst an Gymnasien heute gar nicht mehr vermittelt wird, kann man sich auch kein fundiertes Urteil bilden, das nötig wäre, um die parlamentarische Demokratie wieder mit Leben zu füllen.

Prof. Dr. Christoph Butterwegge hat von 1998 bis 2016 Politikwissenschaft an der Universität zu Köln gelehrt und zuletzt die Bücher "Deutschland im Krisenmodus" sowie "Umverteilung des Reichtums" veröffentlicht. Für das Jahr 2026 wurde von der Linkspartei als Kandidat für die Wahl des Bundespräsidenten nominiert und und hat diese Nominierung angenommen.

Auf dem Weg in eine andere Republik?

Während die verharmlosend "Klimawandel" genannte Erderwärmung im Wahlkampf unterbelichtet blieb, macht sich immer stärker ein sozialer Klimawandel bemerkbar: Politiker der etablierten Parteien suggerierten, dass es den Armen, vor allem Menschen im Bürgergeldbezug und auf der Flucht, zu gut gehe, weshalb ihnen die Leistungen gekürzt werden müssten; gleichzeitig unterstellten sie, dass es den Reichen immer schlechter gehe, weshalb die Unternehmer stärker mit Subventionen oder Steuervergünstigungen unterstützt werden müssten.

Zwischen den etablierten Parteien war kaum mehr strittig, ob dies geschehen soll, sondern nur noch, wie es am besten zu bewerkstelligen ist.

Obwohl die Union und Friedrich Merz möglicherweise einen Pyrrhussieg errungen haben, weil ihnen mit Christian Lindner und der FDP ein Wunschpartner für die Regierungsbildung abhandengekommen ist, kann es nach Bildung der neuen Bundesregierung zu einer sozialpolitischen Zeitenwende in dem Sinne kommen, dass durch die Kürzung von Transferleistungen sowie die Verschärfung von Anspruchsvoraussetzungen und Sanktionen noch mehr Druck nach unten gemacht wird.

Zu erwarten ist künftig eine noch größere Härte gegenüber angeblich Leistungsschwachen, es sei denn, dass sich die SPD unter ihrer neuen Führung in Parlament und in der Regierung wieder stärker an ihren programmatischen Grundsätzen orientiert. Denn das Gegenteil wäre nötig: Durch mehr Druck nach oben müssten die Finanzstärksten gezwungen werden, mehr Verantwortung für den Erhalt und die Entwicklung eines sozialen, demokratischen und nachhaltigen Gemeinwesens übernehmen.

Die eigentlichen Gewinner der Bundestagswahl sind AfD und Linke, die über ihre Stammwählerschaft hinaus vor allem viele junge Menschen mobilisieren konnten, die ein Gefühl der Zukunftsungewissheit, wenn nicht der Perspektivlosigkeit umtreibt. Dagegen erschienen ihnen die Volksparteien der alten Bundesrepublik mehr denn je als Sachwalterinnen des gesellschaftlichen Status quo.

Das gab es seit der ersten Bundestagswahl im August 1949 noch nie: Die in der CDU/CSU-Fraktion organisierten Liberal- und Nationalkonservativen haben zusammen mit den in der AfD-Fraktion versammelten Rechtspopulisten, Rechtsextremisten und Neofaschisten im Parlament eine Mehrheit, die sie nur (noch) nicht zur Geltung bringen und in Regierungsmacht ummünzen können, weil es dafür (vorerst) weder bei ihnen selbst noch in der Gesellschaft die erforderliche Akzeptanz gibt.

Falls sich der Konservatismus unter dem geistigen Einfluss der Neuen Rechten allerdings weiter radikalisiert und die nächste, von den beiden größten Parteien der "demokratischen Mitte" gebildete Koalition ähnlich krachend scheitert wie die Ampel, könnte aus der rechnerischen eine Gestaltungsmehrheit werden und das Land anschließend nicht mehr wiederzuerkennen sein.

Damit die Union unter rechten Scharfmachern wie dem früheren Gesundheitsminister Jens Spahn, dem CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann und dem Ersten Parlamentarischen Geschäftsführer der Unionsfraktion Thorsten Frey nicht den österreichischen Weg einschlägt und der AfD immer weiter entgegenkommt, bis sie zu einer Koalition mit dieser Partei bereit ist, muss eine außerparlamentarische Opposition progressiver (junger) Menschen durch ihre Aktionen einen unüberwindlichen Damm gegen Nationalismus und Rassismus errichten.

Prof. Dr. Christoph Butterwegge hat von 1998 bis 2016 Politikwissenschaft an der Universität zu Köln gelehrt und zuletzt die Bücher "Deutschland im Krisenmodus" sowie "Umverteilung des Reichtums" veröffentlicht. Für das Jahr 2026 wurde von der Linkspartei als Kandidat für die Wahl des Bundespräsidenten nominiert und und hat diese Nominierung angenommen.