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Mit den neuen Allianzen wird der Syrien-Konflikt explosiv

YPG-Selbstdarstellung

Erstmals haben syrische Flugzeuge kurdische Ziele in Hasakah angegriffen und wurden von US-Flugzeugen abgedrängt, während Israel syrische Ziele bombardiert hat

Im Syrien-Konflikt sind mit der Annäherung von Ankara und Moskau bislang festgefahrene Strukturen ins Schwanken geraten. Ankara machte einen Schwenk und scheint nun mit der Assad-Regierung kooperieren sowie Assad als Übergangspräsident respektiere zu wollen. Bislang ein Tabuthema.

Mit der neuen Allianz von Ankara, Moskau, Teheran und Damaskus (Teheran-Ankara-Damaskus: Unheilige Allianz [1]) hat sich offenbar auch China entschieden, die bislang geübte Zurückhaltung aufzugeben und die Assad-Regierung unterstützen zu wollen. Das chinesische Militär will [2] das syrische ausbilden und humanitäre Hilfe leisten. Angeblich geht es darum, eine politische Lösung [3] zu fördern. Man darf vermuten, dass sich das energiehungrige China auch geostrategisch im Nahen Osten etablieren will.

YPG-Kämpfer in Hasakah.

Damit gerät die brüchige Anti-IS-Allianz der USA noch mehr in Bredouille, denn neben Russland liegen die USA auch mit China in einem dauerhaften Konflikt. Während China seine Kontrolle vor der Küste sichern will und damit den territorialen Konflikt mit den von den USA unterstützten Nachbarstaaten schürt, suchen die USA China ebenso zu isolieren wie Russland. China versteht mittlerweile ebenso wie Russland als Weltmacht und scheint nun gewillt zu sein, sich auch im Nahen Osten wie Russland Geltung zu verschaffen.

Streit zwischen Teheran und Moskau?

Derweil scheint es zwischen Russland und dem Iran zu einem Streit gekommen zu sein. Am 16. August hatte das russische Militär erstmals einen iranischen Luftwaffenstützpunkt vorübergehend benutzt, um von dort aus mit Langstreckenbombern Angriff auf syrische Ziele zu fliegen. Neben dem Iran hat auch Irak den Luftraum für russische Militärflüge geöffnet. Das war ein deutliches Zeichen, dass Russland seinen regionalen Einfluss über Syrien ausdehnen kann, womöglich auch mit Blick auf die Türkei, wo der Luftwaffenstützpunkt Incirlik womöglich für die von den USA geführte Allianz und vor allem für die dort stationierten US-Atombomben mit der Annäherung von Ankara an Moskau, aber auch mit dem gescheiterten Putsch und den Terroranschlägen, zu denen sich der IS nicht bekannt hat, unsicherer wird.

Gestern teilte das iranische Außenministerium vermutlich verärgert mit, dass Russland den Stützpunkt Hamadan nicht mehr nutzt und die Russen gegangen sein. Teheran hat es nicht gepasst, dass Moskau so seine Stärke ausspielen will und die Nutzung medial in Szene setzte. Die Regionalmacht fühlte sich durch die Großmachtgeste wahrscheinlich düpiert. General Deghan war gestern gefragt worden, warum Russland die Nutzung des Stützpunkts bekannt [4] gegeben hat, der Iran aber nicht: "Die Russen sind daran interessiert", antwortete [5] der verschnupfte General, "zu zeigen, dass sie eine Großmacht sind, um ihren Einfluss auf die politische Zukunft Syriens zu garantieren. Natürlich war es eine Demonstration und keine Gentleman-Geste." Russland wollte mehr Flugzeuge in die Region bringen und die Geschwindigkeit und Genauigkeit der Angriffe steigern, so Deghan. Daher mussten sie Flugzeuge näher am Einsatzgebiet auftanken: "Aber wir heben ihnen ganz gewiss keinen Militärstützpunkt gegeben."

Zudem liegen Russland und Iran im Clinch [6], weil Russland noch nicht die vollständigen Luftabwehrsysteme S-300 geliefert hat, die Iran vor allem zur Abwehr möglicher israelischer Angriffe bestellt hatte. Russische Staatsmedien [7] spielen die Angelegenheit herunter und erklären, der Abzug der russischen Flugzeuge sei einseitig auf eine Entscheidung von Moskau zurückzuführen. Die russischen Flugzeuge hätten bei ihrem zweitägigen Einsatz alle Aufgaben erfüllt, sagte [8] der Sprecher des russischen Verteidigungsministeriums, Igor Konaschenkow. Teheran will nach den Berichten angeblich weiterhin russischem Militär Einrichtungen benutzen lassen.

Die Leidtragenden der neuen Allianzen könnten die Kurden sein. Schon letzte Woche flog die syrische Luftwaffe erstmals Angriffe auf kurdische Kämpfer in der geteilten Stadt Hasakah, wo die YPG nach Kämpfen mit der syrischen Armee und den mit ihr verbundenen Milizen mehrere Stadtviertel einnehmen [9] konnte. Russland verhandelte am Sonntag einen Waffenstillstand [10] zwischen den Kurden und der syrischen Armee, die aber am Montag der YPG eine Verletzung des Waffenstillstands vorwarf [11]. Die YPG wiederum beschuldigte die syrische Armee, die Kämpfe am letzten Mittwoch begonnen zu haben. Nach der YPG hätten sich die meisten Soldaten der syrischen Armee ergeben, die iranischen Hisbollah-Milizen würden jedoch weiter kämpfen.

YPG-Kämpfer in Hasakah.

Washington sieht sich von Assad herausgefordert und verteidigt die kurdischen Alliierten

Die US-Regierung, die derzeit in tiefen Schwierigkeiten mit der türkischen Regierung steht und Vizepräsident Biden zum diplomatischen Einsatz am Mittwoch nach Ankara schickt, scheint nun nicht mehr nur zuschauen zu wollen. Das Pentagon hat sich seit letztem Jahr auf die syrischen Kurden als Bodentruppen gestützt, um den IS zu bekämpfen, und ist dabei immer wieder in Konflikt mit der Türkei geraten. Die türkische Regierung sieht sich bekanntlich stärker von den Kurden und einem möglichen Kurdenstaat in Syrien als von islamistischen Terroristen gefährdet.

Die letzten Erfolge der kurdisch geführten SDF in Manbij wurden in Ankara äußerst kritisch verfolgt. Washington wurde aufgefordert, dafür zu sorgen, dass die Kurden nicht weiter in den Westen vordringen und damit den Korridor nach Aleppo mit der kurdisch kontrollierten Enklave Afrin schließen, sondern sich auch aus Manbij wie vereinbart zurückziehen sollen.

Update: Die Türkei strebt mit der Hilfe von FSA und islamistischen Milizen die Eroberung von Dscharablus an, um zu verhindern, dass die Kurden sie zuerst einnehmen können. Plötzlich will man den IS an der Grenze loswerden, der lange Zeit dort geduldet wird. Der Meinungsumschwung wird durch den Terroranschlag begründet. Dass die Kurden aber vor allem die Gegner der türkischen Regierung sind, macht deutlich, dass die türkische Armee gestern nicht nur Ziele in Dscharablus beschossen [12] hat, sondern auch kurdische bzw. SDF-Stellungen bei Manbij.

Die Grenze müsse von allen Terroristen gesäubert werden, so der türkische Außenminister Çavuşoğlu. Dass dazu wieder terroristische Milizen wie Ahrar al-Scham und Dschabhat Fatah asch-Scham, also die al-Qaida-Organisation al-Nusra, unterstützt werden, erwähnte der Außenminister lieber nicht.

Durch die Allianz mit Russland, Iran und der Türkei gestärkt scheint die syrische Regierung erstmals außerhalb von Aleppo gewillt zu sein, auch direkt gegen die YPG vorzugehen und hat Kampfflugzeuge zu deren Bombardierung in Hasakah gestartet. Washington sah sich am Freitag genötigt, erstmals Kampfflugzeuge des Typs F 22-Raptor gegen syrische Su-24-Flugzeuge aufsteigen zu lassen, die bereits Ziele in Hasakah bombardiert hatten. Ziel war nicht nur, die verbündeten syrischen Milizen zu schützen, sondern vor allem die Soldaten von amerikanischen Spezialeinheiten, die in Syrien die YPG unterstützen. Die Warnung war klar. Syrien würde gut beraten sein, solche Angriffe sein zu lassen, sagte ein Pentagon-Sprecher: "Wir haben das Recht zur Selbstverteidigung." Das freilich ist völkerrechtlich umstritten, schließlich hat die syrische Regierung nicht um amerikanische Kampfflugzeuge und Soldaten gebeten. Die USA berufen sich darauf, dass die syrische Regierung viele Gebiete in Syrien nicht mehr kontrolliert, sondern nur noch eine Fraktion im Bürgerkrieg ist.

Das Zentrum von Hasakah wird noch von der syrischen Armee kontrolliert.

Die amerikanischen Kampfflugzeuge hätten die syrischen Flugzeuge am Freitag abgedrängt. Allerdings sollen erneut syrische Kampfflugzeuge am Samstag über Hasakah geflogen sein. Das Pentagon hat sich an das russische Verteidigungsministerium gewandt. Die Folge dürfte gewesen sein, dass Moskau versucht, mit einem Waffenstillstand zwischen der syrischen Armee und den bislang auch von Russland unterstützten Syrern durchzusetzen. Der Vorfall aber zeigt, dass die Lage in Syrien höchst gefährlich ist und jederzeit explodieren kann.

Israel-Türkei: Noch keine engen Freunde

Wie labil die Situation ist, zeigt aber auch, dass Israel, angeblich auch auf Versöhnungskurs mit Ankara, nicht nur Ziele im Gaza-Streifen bombardiert [13] hat, nachdem von dort wieder einmal Raketen abgeschossen wurden. Die Türkei verurteilte die Angriffe und erklärte, die Versöhnung mit Israel würde nicht bedeuten, dass man die Stellung zu den Palästinensern geändert hätte. Israel reagierte [14] scharf, die Türkei sollte sich zweimal überlegen, die militärischen Aktionen von anderen zu kritisieren. Israel werde sich weiterhin gegen Angriffe verteidigen.

Auch syrische Stellungen wurden gestern von der israelischen Armee wieder beschossen [15], nachdem eine Granate aus Syrien auf ein Minenfeld auf den von Israel besetzten Golanhöhen eingeschlagen ist. Israels offizielle Politik ist, die syrische Armee für alle Angriffe verantwortlich zu machen. Früher kämpften auf der syrischen Seite vor den Golanhöhen syrische Soldaten gegen al-Nusra-Kämpfer, jetzt würden hier Hisbollah-Kämpfer und iranische al-Quds-Milizen versuchen, eine neue Front zu eröffnen.


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https://www.heise.de/-3303748

Links in diesem Artikel:
[1] https://www.heise.de/tp/features/Teheran-Ankara-Damaskus-Unheilige-Allianz-3301563.html
[2] http://www.scmp.com/news/china/diplomacy-defence/article/2004676/chinese-military-provide-aid-and-training-assistance
[3] http://www.globaltimes.cn/content/1001150.shtml
[4] http://tass.com/defense/894677
[5] http://en.mehrnews.com/news/119130/Russia-announced-use-of-Hamedan-airbase-without-prior-notice
[6] http://www.presstv.ir/Detail/2016/08/20/480857/Iran-Russia-S300-Dehqan-US-Israel-Syria
[7] http://tass.com/defense/895323
[8] http://de.sputniknews.com/politik/20160822/312224866/russland-iran-basis.html
[9] http://anfenglish.com/kurdistan/violent-clashes-continue-in-heseke
[10] http://sana.sy/en/?p=86015
[11] http://www.presstv.ir/Detail/2016/08/22/481158/Kurdish-forces-Syria-Hasakah-truce
[12] http://www.dailysabah.com/war-on-terror/2016/08/22/turkey-strikes-daesh-positions-in-syrias-jarablous-pkks-syrian-wing-also-takes-hit
[13] http://www.timesofisrael.com/israel-strikes-50-targets-in-gaza-after-rocket-attack/
[14] http://www.timesofisrael.com/israel-turkey-needs-to-think-twice-before-leveling-criticism-at-us/
[15] http://www.timesofisrael.com/israel-strikes-syrian-army-after-mortar-hits-golan-heights/