Mit ihrer Rolle im Ukrainekrieg könnte die EU ihre eigene politische Zukunft riskieren

Seite 2: Die Europäische Union reagiert kopflos auf den Ukrainekrieg

Dies hätte die Stunde der Europäischen Union sein sollen, indem sie gerade jetzt Verantwortung übernimmt, um einen friedlichen Weg aus dem Ukrainekrieg aufzuzeigen. Es waren doch ungelöste Konflikte in Europa, die die Menschheit bereits zweimal in Weltkriege versinken ließ.

Das sollte Europa nicht wiederholen. Denn trotz allem Gerede von einer Zeitenwende darf das nicht von den ungeheuerlichen Gefahren ablenken, die vom Ukrainekrieg erneut vom europäischen Boden für die Menschheit ausgehen.

Und doch ist heute die Sprache des Krieges das Einzige, was die Mehrheit der europäischen Regierungen und die etablierten Medien verbindet. Dennoch gibt es keine gemeinsame EU-Strategie zum Ukrainekrieg, keine gemeinsamen Vorstellungen darüber, was man wie erreichen könne.

So erklärte der polnische Ministerpräsident, dass Europa bereits im Vor-Krieg, ja vielleicht schon im Krieg sei, und Schwedens Ministerpräsident fordert schwedische Familien dazu auf, sich auf einen Krieg vorzubereiten.

Der EU-Kommissionspräsidentin fällt nichts anderes ein, als immer mehr Gelder, mehr Waffen und mehr Munition sowie eine Umstellung Europas auf eine Kriegswirtschaft zu fordern. Sogar ein Kanzler Scholz, dem wir immerhin verdanken, die Entsendung von Taurus-Marschflugkörper bisher verhindert zu haben, spricht nur davon, dass Russland den Krieg nicht gewinnen darf.

Wäre es nicht sinnvoller, wenn er und seine europäischen Kollegen darüber nachdenken, wie ein Frieden in Europa wieder hergestellt werden könnte?

Wie verbissen und unversöhnlich die EU-Haltung zu Russland weiterhin ist, wird insbesondere in Deutschland an den jeweiligen Entschließungsanträgen der Regierungs- und Oppositionsparteien im Bundestag zum 2. Jahrestages des Ukrainekrieges deutlich. Diese Anträge lesen sich eher wie deutsche Kriegserklärungen an Russland, in denen zum Teil höchst fragwürdige Argumente mit unrealistischen Maximalforderungen und gleichzeitigen Drohungen verbunden werden.

Für Kompromisse ist kein Platz gelassen. Jeder Versuch von Verhandlungen wird so von vornherein unmöglich gemacht. Nach zwei Jahren Krieg kommt das einer Realitätsverweigerung gleich. Es ist eine Politik des Festhaltens an einer Weiterführung des Krieges, wohlwissend, dass es keine realistische Hoffnung auf einen ukrainischen Siegfrieden geben wird.

Das dürfte auch erklären, warum sich einzelne EU-Mitgliedsländer in einer Art Hilflosigkeit in unverantwortlichen Aktionismus stürzen. Dazu gehören Frankreichs Vorschläge Nato-Truppen in die Ukraine entsenden zu wollen und Pläne in Moldau französische Einheiten zu stationieren, während in Deutschland politische Hardliner wieder einmal an Wunderwaffen glauben und darauf bestehen, Taurus-Marschflugkörper der Ukraine zur Verfügung zu stellen.

Solche Pläne scheinen undurchdacht und damit potenziell brandgefährlich zu sein. Sie beruhen auf einer Selbstüberschätzung. Denn die EU verfügt weder über die militärischen Möglichkeiten noch über die Unterstützung in der Bevölkerung, um sich in solch abenteuerliche Unternehmungen als Einzelstaaten oder als Gemeinschaft einzulassen. Am Kriegsverlauf würden sie sowieso nicht viel ändern, aber zu einem weiteren Töten und Zerstören in der Ukraine führen.

Hingegen laufen derartige Pläne Gefahr, zu einer Eskalation des Ukrainekrieges zu führen, die sich letztlich zu einem gesamteuropäischen oder sogar einem nuklearen Krieg entwickeln könnte.

Wenn ein französischer Präsident dazu meint, dass solche Überlegungen nur Feigheit wären und uns deutsche Grünen-Politiker erklären, dass es ein nukleares Risiko gar nicht gäbe und wir Moskau ruhig angreifen könnten, spielen sie mit unser aller Überleben. Und wofür? Nur weil wir uns nicht eingestehen wollen, dass nur noch Verhandlungen diesen Krieg beenden können.

Die EU könnte am Ukrainekrieg zerbrechen

Im besten Fall macht sich die EU mit ihrer Ukrainepolitik nur unglaubwürdig; im schlechtesten Fall könnte die EU an dieser Ukrainepolitik zerbrechen. Während die politischen Eliten der EU uns weiterhin weismachen wollen, dass dieser Krieg mit immer stärkeren Waffen oder gar mit einer direkten militärischen Intervention noch zu gewinnen sei, verlieren sie die Unterstützung einer wachsenden Mehrheit der europäischen Bevölkerung und damit an Bodenhaftung und Glaubwürdigkeit.

Durch die negativen wirtschaftlichen Auswirkungen dieses Krieges könnten sich immer mehr Menschen Europa-feindlichen Parteien zuwenden.

Auch wird die Zeit in einer anderen Hinsicht knapp für die EU. Denn schon in einigen Monaten könnte sich das politische Verhältnis zu den USA durch einen Präsidenten Trump dramatisch verändern. Es gibt erhebliche Unterschiede dazu unter den EU-Mitgliedsstaaten, und es ist zu befürchten, dass ein politischer Erdrutsch in den USA die EU-Mitgliedsstaaten eher spalten wird als sie näher zusammenzubringen.

Mit ihrer kompromisslosen pro-Krieg- und anti-Russland-Politik wird sich die EU auch weiter von den meisten nicht-Nato Staaten in der Welt isolieren. Dort wird es kein Verständnis dafür geben, weiterhin militärisch zu eskalieren und gleichzeitig Verhandlungen ohne Vorbedingungen mit Russland zu verweigern.

Mit dem jetzt eingeschlagenen Weg, ausschließlich auf eine militärische Lösung und Sanktionen zu hoffen, wird die EU scheitern. Die Europäische Union braucht also aus eigenem Interesse dringend einen Strategiewechsel und der muss auf eine gesamteuropäische Friedens- und Sicherheitsordnung hinauslaufen, die auch die Ukraine und Russland einschließt.

Die Wahlen zum Europäischen Parlament wären daher eine Gelegenheit für uns Europäer einen solchen Strategiewechsel herbeizuführen, indem wir am 9. Juni für Frieden wählen.

Michael von der Schulenburg war ehemaliger Assistant Secretary-General der Vereinten Nationen und hat über 34 Jahre in vielen Kriegsgebieten der Welt in leitender Funktion in UN-Friedensmissionen gearbeitet.

Hans-Joachim Funke ist emeritierter Professor der Politikwissenschaft am Otto-Suhr-Institut der Freien Universität Berlin und Autor von "Ukraine – Verhandeln ist der einzige Weg zum Frieden". (Berlin 2023)

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