Mit oder ohne Tradition: gemeinsam überleben

Zum Verhältnis der Generationen und Fortschritt ohne grenzenloses Wachstum

Der Generationen-Begriff wird in unterschiedlichen Disziplinen verwandt. In der Demografie zählt das Geburtsjahr und der durchschnittliche Abstand zwischen Eltern und ihren Kindern. Vier Generationen ergab das einmal pro Jahrhundert. Doch das generative Verhalten hat sich verändert. In der Soziologie sind es die prägenden Jahre, die in Verbindung mit Gleichaltrigkeit ein typisches Merkmal schaffen. Auch hier ändern sich die Erfahrungsgrundlagen und die Wirkkraft der jeweiligen Klammer.

Die Nachkriegsgeneration, die Babyboomer, die Digital Natives – die Referenzen variieren, zugleich aber auch die Dauer und die Koexistenz konkurrierender Lagen. Die Buchstaben unseres Alphabets reichen auf Dauer nicht aus, um diesen Wechsel noch zu beschreiben. Generation Y stand nicht nur für Millennials mit kritischen Fragen, sondern für erste Erfahrungen mit Internettechnologien im Alltag.

Charakteristisch war stets, dass eine Generationsfolge angenommen wurde. Über das "Ableben" des Vorgängers erfuhr man in der Regel wenig. Im Wechsel spiegelte sich in gewisser Weise auch der Fortschritt: eine neue Generation, ein anderer Name. Es kann aber auch prägende Jahre geben, die weite Teile der Gesellschaft erfassen und damit aus diesem Wechsel herausfallen.

Nicht nur trennendes Element

Im Zweifel an der Fortschrittsidee lässt sich diese Konstellation beobachten. Die Antwort auf Zweifel an der Gestaltbarkeit der Zukunft hebt einerseits den Generationenkonflikt hervor, in dem vermehrt auch die Generationengerechtigkeit zum Thema wird, andererseits steckt in der übergreifenden Herausforderung und der Mehr-Ebenen-Verantwortung nicht nur ein trennendes, sondern auch ein verbindendes Element. Das soll im vorliegenden Essay beschrieben werden.

Menschen kommen und Menschen gehen. Zu den natürlichen Konstanten einer Gesellschaft gehört dieser Wandel. Aber in einem wegweisenden Beitrag zum Generationsverständnis ("Das Problem der Generationen") wurde vor fast 100 Jahren, im Jahr 1928, von Karl Mannheim eine rhetorische Frage formuliert:

[…] wie würde menschlich gesellschaftliches Leben aussehen, wenn eine Generation ewig leben und keine weitere Generationsfolge stattfinden würde?

Zunächst müsste man also in folgende Situation eintauchen: Eine Gesellschaft X stellt ihre Reproduktion ein und kann die Alterung stoppen. Das Gedankenspiel lässt uns zudem über Fragen nachdenken wie: "Gibt es dann noch Neuerungen?", "Was bedeutet dann Geschichte und Tradition?"

Die Wirklichkeit ist eine andere: Wir wachsen in eine Gesellschaft hinein, betrachten unser Umfeld zunächst als fraglos gegeben. Wir erleben ein ständiges Wechselspiel von technologischen und sozialen Innovationen, wir erleben den Wandel einer Gesellschaft an uns selbst und an den Vergleichen, die wir mit älteren und jüngeren Mitgliedern vornehmen.

Ebenso leben wir in Illusionen und geben uns gelegentlich Wunschträumen hin. Wir stellen fest, dass der Gestaltungs- und Veränderungsdrang ungleich verteilt ist und registrieren somit in der Summe eine Einheit mit vielen Differenzierungen.

Mit dem Begriff "Generation" beschrieb Karl Mannheim sowohl "neue Jahrgänge" als auch "neuartige Zugänge" zu der gegebenen Kultur. Er sprach auch gerne von einer "verwandten Lagerung", die die Entwicklung eines gemeinsamen Bewusstseins befördert.

Zugleich beginnt die Welt unmittelbarer Reichweite, also alles, was zunächst an die erste Stelle rückt, sich durch den Fortschritt zu verändern. Aber im folgenden Satz steckt vieles von dem, was sich als gesellschaftlicher Wandel beschreiben lässt: "Von einer verwandten Lagerung einer zur gleichen Zeit einsetzenden Generation kann also nur insofern gesprochen werden, als und insofern es sich um eine potenzielle Partizipation an gemeinsam verbindenden Ereignissen und Erlebnis gehalten handelt."

Mit dem Wachstum des Erlebbaren steigt auch das Potenzial des Tradierbaren. Dadurch steigert sich die Dynamik der Gesellschaft und zugleich Vorstellungen einer unterschiedlich gedachten Zukunft. Beim Blick in die Vergangenheit werden solche Veränderungen besonders dann als markant empfunden, wenn die über lange Zeit hinweg gültigen Wertvorstellungen oder Traditionen auf anhaltenden Widerstand stoßen. Der Renaissance ging es beispielsweise um ein Werben für die Erforschung der Welt, ohne die göttliche Schöpfung infrage zu stellen.

Empfohlener redaktioneller Inhalt

Mit Ihrer Zustimmmung wird hier eine externe Buchempfehlung (Amazon Affiliates) geladen.

Ich bin damit einverstanden, dass mir externe Inhalte angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen (Amazon Affiliates) übermittelt werden. Mehr dazu in unserer Datenschutzerklärung.