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Mosul: Schiitische Milizen und Türkei auf Konfrontationskurs

Bild: Irakisches Verteidigungsministerium

Irakische Einheiten sind bereits in Mosul eingedrungen, aber die unterschiedlichen Interessen in der Anti-IS-Koalition vertiefen mit den Erfolgen die Unvereinbarkeiten

Es war von vorneherein klar, dass die Befreiung von Mosul von den Kämpfern des "Islamischen Staats" bis zu den Grenzen der Großstadt schnell vorankommen würde. Erwartet wurde, dass es dann wochen- oder monatelange Kämpfe geben könnte und die Stadt weitgehend durch die Bombardierung und die Sprengungen des IS in Schutt und Asche liegen könnte. Angeblich soll der IS bereits Mosul nicht mehr als Hauptstadt des Kalifats bezeichnen, verletzte IS-Kämpfer würden aus den Krankenhäusern in Mosul weggeschafft [1]. Möglicherweise bereitet sich der IS auf einen Rückzug vor.

Jetzt scheinen die Truppen überraschend schnell voranzukommen. So sollen irakische Truppen im Südwesten der Stadt in das Viertel Judaidat al-Mufti eingedrungen sein. Gemeldet wird, irakische Sonderheiten des Counter-Terrorism Service (CTS) hätten bereits im Osten die Stadtgrenze von Mosul überschritten und seien in den Stadtteil Gogjali vorgedrungen, wo sich auch ein Fernsehsender befindet. Berichtet wurde von schweren Kämpfen. Im Norden und Osten rücken die Peschmerga Richtung Mosul vor. Sie sollen allerdings ebenso wie die schiitischen Milizen nicht in die Stadt eindringen. Der Sprecher des irakischen Innenministeriums, der Brigadegeneral Brigadier General Saad Moen, sagte [2] gestern, es würden in den befreiten Dörfern um Mosul und in den Stadtteilen Polizeistationen und Zivilverteidigungszentren eingerichtet. Das Innenministerium sei für die befreiten Gebiete zuständig.

Betont wurde auch in US-Medien, dass die irakischen Sonderheiten Counter-Terrorism Service (CTS) von US-Truppen des ausgebildet wurden und auch während der Offensive begleitet werden. Schon am Montag das Pentagon berichtet [3], dass der Vormarsch erfolgreich sei und dass die von der US-geführten Koalition mit Luftangriffen unterstützten irakischen Soldaten und Peschmerga-Kämpfer das Momentum im Augenblick hätten, also im Vorteil und Vorrücken seien. Bei Luftangriffen [4] am Dienstag seien vier Einheiten von IS-Kämpfern bombardiert, neun Fahrzeuge, eine Fahrzeugbombe und eine Fahrzeugfabrik zerstört, 20 Fahrzeuge beschädigt und ein Tunnel getroffen worden. Ob dabei auch Zivilisten oder zivile Ziele getroffen wurden, wird wie üblich nicht berichtet.

Ähnlich wie das Pentagon die Leistung der Luftschläge detailliert, aber für Außenstehende nicht überprüfbar auflistet, um den Erfolg zu belegen, macht dies auch der IS mit Infografiken als eine Art von Geschäftsbericht der Todes- und Vernichtungsmaschinerie, zuletzt am Montag. In der zweiten Woche seien 437 irakische Soldaten und Peschmerga-Kämpfer getötet und 18 Selbstmordanschläge ausgeführt worden. Der IS unterscheidet ebenfalls zwischen der Zerstörung von angeblich 8 gepanzerten Fahrzeugen, einem Panzer, einer Drohne, 14 Fahrzeugen und 28 Hummer-Geländewagen sowie der Beschädigung von 5 Abrams-Panzern.

Die zynische Strategie der irakischen Regierung

Wie viele IS-Kämpfer und vor allem wie viele Menschen sich noch in der Stadt befinden, die vor dem Überfall des IS 2014 um die 1,5 Millionen Einwohner hatte, ist weiterhin Anlass für Spekulationen. Wenn Save the Children von 1,5 Millionen Einwohnern, darunter 600.000 Kindern spricht [5], ist das sicherlich übertrieben. Bislang sollen um die 40.000 Menschen aus Mosul geflohen [6] sein.

Der irakische Regierungschef al-Abadi will allerdings eine kaum mehr bewältigbare Flüchtlingsflut aus Mosul verhindern und fordert die Einwohner weiterhin auf, in ihren Häusern zu bleiben, den IS nicht einzulassen und zu verhindern, dass Sprengfallen gelegt werden. Das könnte man auch als Zynismus verstehen, da die Bewohner damit rechnen müssen, vom IS benutzt oder von den Angreifern durch Bombardierung oder Artilleriebeschuss ins Ziel genommen zu werden. Gerade wenn sich Kämpfe in den Straßen abspielen sollten, wären die Zivilisten von beiden Seiten bedroht. Allerdings müssten die Luftangriffe und der Artilleriebeschuss vorsichtiger als zuvor in Falludscha oder Ramadi erfolgen, wo erst einmal die Bevölkerung zum Verlassen der Stadt aufgefordert wurde. Das aber würde wiederum die Eroberung behindern und gefährlicher machen, aber auch die Schäden an Gebäuden und Infrastruktur könnten geringer sein. Schon jetzt fehlt dem Irak das Geld zum Wiederaufbau der befreiten, aber zerstörten Städte, zudem sind bereits in der Region alleine 3 Millionen Menschen vertrieben oder geflüchtet, die versorgt werden müssen.

Die UN-Flüchtlingskommission geht davon aus, dass der IS unter Zwang 25.000 Zivilisten an Orte in und um Mosul bringen will, um dort als menschliche Schutzschilde zu dienen, was ein Kriegsverbrechen sei. So sollen am Montag viele Lastwagen und Minibusse nach Hamam al-Alil im Süden von Mosul geschickt worden sein, um Zivilisten zu holen und zu verteilen. Zwar seien wegen der Kampfflugzeuge viele nicht nach Mosul gekommen, einige hätten es aber geschafft. Zudem seien bereits Zehntausende mit Gewalt verschleppt worden. OHCHR berichtet [7] auch von Massenexekutionen.

Befürchtet wird, dass sich noch bis zu einer Million Menschen dort aufhalten könnten, und dass es vor allem dann eine Massenflucht geben wird, wenn die schiitischen Milizen von al-Hashd al-Shaabi, die teilweise von Iran gesteuert werden, mit in die Stadt vordringen. Bekannt ist, dass sie aus Rache Menschen willkürlich verhaften, foltern, exekutieren und verschwinden lassen, die sie für IS-Sympathisanten betrachten. Die sunnitische Bevölkerung hat Angst vor den schiitischen Milizen und schließt sich auch deswegen mitunter dem IS an. Es kursiert ein Video [8], auf dem zu sehen sein soll, wie schiitische Milizen aus Mosul geflüchtete Kinder quälen und traktieren.

Schiitische Milizen drohen damit, auch in Syrien einzudringen

Die USA versuchen zu verhindern, dass die schiitischen Milizen, die für die irakische Armee allerdings wichtig sind, auch in die Städte vordringen. Die Türkei, die die schiitischen und kurdischen Milizen fernhalten will, hat ebenfalls gewarnt und mit dem Eingreifen in die Kämpfe gedroht. Seit letztem Jahr hat die Türkei ein Militärlager in Bashiqua, in der Nähe von Mosul, und bildet dort sunnitische Araber als Bodentruppen aus, die von Ankara gesteuert werden können. Gestern hat die türkische Armee an der irakischen Grenze Panzer und Artillerie in Stellung gebracht [9]. Das könnte sich auch gegen die PKK richten, ist aber wohl als Drohung gegen die schiitischen Milizen gedacht, die versuchen, Mosul im Westen einzuschließen und den Verbindungsweg zu Syrien über Tal Afar zu kappen. Man sei für alles bereit, sagte der Verteidigungsminister. Nach nicht bestätigten Informationen bestand die Absicht, den IS-Kämpfern zur Flucht einen Korridor im Westen offen zu halten.

IS-Kämpfer vor Mosul

Umstritten ist, ob sie dann im offenen Land bekämpft werden oder ob sie nach Syrien sollten, um dort im Sinne des Prinzips "Der Feind meines Feinds ist mein Freund" die sunnitische Seite gegen das Assad-Regime und seine Verbündeten zu stärken. Das wollen die nur teils in die irakische Armee integrierten schiitischen Milizen, die bei ihrem Vormarsch Richtung Tal Afar nicht von den USA unterstützt werden, wie Washington betont, offenbar auf jeden Fall verhindern. Eine Besetzung von Tal Afar wäre für Ankara, so betonte Präsident Erdogan, Anlass, militärisch im Irak einzugreifen, zudem will er um jeden Preis mit am Tisch sitzen, wenn es um die Zukunft des befreiten Mosul geht. Und er betonte, dass die Türkei auch intervenieren würde, wenn sich die PKK in Sindschar einnistet.

Der irakische Regierungschef Haider al-Abadi verkündete zwar, dass die IS-Kämpfer nicht fliehen könnten: "Wir werden von allen Seiten vorrücken", sagte er am Montag. Sie hätten keinen Ausweg: "Sie können sterben oder sie können sich ergeben." Noch allerdings ist der Ring im Westen nicht geschlossen und das Vorrücken der schiitischen Milizen könnte zu einem Konflikt mit der Türkei führen. Und er erklärte [10] gestern gegenüber der Türkei: "Wir sind nicht auf Krieg aus, aber wenn dies die Türkei will, sind wir bereit."

Am Montag hatte Hadi al-Amiri, der Chef der schiitischen Badr-Miliz, noch erklärt [11], dass man zunächst noch dem IS einen Weg zur Flucht freihalten wolle, um die Kämpfe in der Stadt zu erleichtern. Das scheint eine Ambivalenz bei den schiitischen Milizen anzudeuten. Tatsächlich würden auf Selbstmordkommandos getrimmte IS-Kämpfer, wenn sie eingeschlossen wären, eher bis zuletzt sich wehren und viele Angreifer in den Tod reißen.

Möglicherweise aber steckt dahinter eine andere Absicht. Hadi al-Ameri sprach [12] auch davon, die schiitischen Milizen (PMU oder Hashid al-Shaabi) auch nach Syrien zu bringen, um dort den IS zu eliminieren: "Wir haben den Auftrag, das Land zu befreien und die Grenzen dicht abzuschließen, und wir werden nach Syrien gehen, wenn es notwendig ist, weil wir glauben, dass dann, wenn der IS nicht in Syrien vernichtet wird, er eine wirkliche Bedrohung für den Irak darstellt." Damit würden allerdings auch die mit Assad verbündeten Kräfte gestärkt. Man kann davon ausgehen, dass die irakischen schiitischen Milizen ebenso wie die Hisbollah- und iranischen Milizen, die schon auf der Seite von Assad kämpfen, nicht nur gegen den IS, sondern auch gegen die übrigen sunnitischen "Rebellen" vorrücken werden, was den Konflikt zwischen den Regionalmächten Türkei und Saudi-Arabien mit den Golfstaaten und Damaskus, Russland und Iran noch stärker schüren würde.

Inzwischen ist der einzige russische Flugzeugträger "Admiral Kusnezow" mit anderen Kriegsschiffen nach der Durchfahrt durch den Ärmelkanal in das Mittelmeer eingefahren [13]. Die Nato-Staaten hatten dies mit Nervosität und Alarmrufen begleitet. Es sollen sich vor Syrien auch drei russische Kriegsschiffe befinden [14], die Marschflugkörper mit einer Reichweite von mindestens 1500 km abfeuern können.


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https://www.heise.de/-3454354

Links in diesem Artikel:
[1] http://www.iraqinews.com/iraq-war/isis-evacuates-casualties-mosul-hospitals/
[2] http://www.iraqinews.com/iraq-war/police-regiments-prepare-control-liberated-areas-mosul/
[3] http://www.defense.gov/News/Article/Article/991713/pentagon-hails-progress-momentum-in-mosul-fight
[4] http://www.defense.gov/News/Article/Article/992054/coalition-strikes-hit-isil-terrorists-in-syria-iraq
[5] https://www.savethechildren.net/article/critical-moment-iraqs-children
[6] http://rudaw.net/english/middleeast/iraq/01112016
[7] http://www.ohchr.org/EN/NewsEvents/Pages/DisplayNews.aspx?NewsID=20810&LangID=E
[8] https://www.youtube.com/watch?v=tF9w-JRHnQ8
[9] http://www.hurriyetdailynews.com/turkey-deploys-tanks-to-silopi-across-from-iraq.aspx?pageID=238&nID=105629&NewsCatID=352
[10] https://twitter.com/GhorbaniSadegh/status/793502058582306816
[11] https://www.washingtonpost.com/world/iraqi-special-forces-enter-mosul-2-years-after-islamic-state-seized-the-city/2016/11/01/b9349e56-9fa4-11e6-8864-6f892cad0865_story.html
[12] http://en.abna24.com/service/middle-east-west-asia/archive/2016/11/01/789169/story.html
[13] https://www.rt.com/news/364957-shoigu-warships-naval-%D1%81arrier/
[14] https://de.sputniknews.com/zeitungen/20161101313188434-russland-u-boote-syriens-kueste-entsendet/