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Müllhalde Ozean

Mageninhalt eines toten Albatross-Jungen (Midway Atoll National Wildlife Refuge). Bild: Chris Jordan (U.S. Fish and Wildlife Service Headquarters). Lizenz: CC-BY-SA-2.0

Auch wenn er fortgespült wird, ist er nicht weg: Kunststoffabfall, der sich massenhaft auf dem Erdball verteilt, wird zur ernsten Gefahr für Mensch und Tier

Plastik ist aus unserem Alltag nicht mehr wegzudenken. Es findet sich in Kleidung, Kosmetika, in Lebensmitteln, Mineralwasser und im Bier. Nach Schätzungen des Bundesumweltamtes (UBA) landen bis zu 30 Millionen Tonnen Kunststoffabfälle jährlich in den Ozeanen, allein in Europa sind es bis 5,7 Millionen Tonnen. Der wachsende Müll schädigt zunehmend die Gesundheit der Ökosysteme.

Ob leere Plastikflaschen, alte Fischernetze oder Tüten - zu den tausenden Tonnen Plastik, die täglich vom Festland ins Meer gespült werden, kommen Verpackungen, Besteck und ähnliches, das die Touristen an den Stränden zurücklassen. Auch von Schiffen wird Plastikmüll über Bord geworfen. Glaubt man einer Studie des UBA von 2014, werden jährlich rund 300 Millionen Tonnen Kunststoffe hergestellt. Sechs bis zehn Prozent davon landen nach Gebrauch in den Weltmeeren [1].

Plastikmüll am Roten Meer bei Port Safaga. Bild: Vberger. Public Domain

Der Einsatz von Kosmetika spielt bei der Verschmutzung eine bedeutende Rolle. So schätzt das UBA allein in Deutschland die Verwendung von Polyethylen in Kosmetik auf etwa 500 Tonnen Mikroplastik jährlich. Als Pulver oder als Granulat reinigt und glättet es die Hautschicht. Zudem kommt es als Schleif-, Binde- und Füllmittel sowie als Filmbildner vor. Mit dem bloßen Auge kaum erkennbar, finden sich die Partikel in Reinigungscremes und Zahnpasta - vor allem in Form von Polyethylen. Auch in Shampoo- und Badeprodukten verteilen sich die Plastikkügelchen in der Flüssigkeit. Mit dem Abwasser gelangen sie in lokale Kläranlagen und von da aus weitgehend ungefiltert ins Meer.

Mikroplastik in Honig und Bier

Auch in vielen Lebensmitteln sind Nanopartikel enthalten [2]. Sie finden sich als Rieselhilfen in Speisesalz, im Ketchup und als fruchtige Farbgebung für Limonade. In verpackten Käsescheiben verhindern sie, dass diese aneinanderkleben. Gerd Liebezeit, Chemiker an der Carl-von-Ossietzky-Universität Oldenburg, fand in 19 untersuchten Honigen Fasern und Plastikfragmente, darüber hinaus Plastikkügelchen in vier Proben.

Ihm zufolge sind Plastikteilchen sowohl im Regen als auch in der Luft nachweisbar. Er und sein Team gehen davon aus, dass Mikroplastik überall in der Atmosphäre zu finden sind. Bei einer Analyse der am meisten verkauften deutschen Mineralwasser und Biere soll in nahezu allen Proben Mikroplastik gefunden worden sein. Sie stammen vermutlich von Kleidung aus Fleece-Material, das durch Waschen in die Umwelt gelangt ist.

Mikroplastik im Autolack schützt vor Ausbleichen in der Sonne, mit Sonnencremes gelangen dieselben Partikel in die Haut - und gefährden die menschliche Gesundheit: So fanden Wolfgang Kreyling [3] und sein Team am Forschungszentrum für Umwelt und Gesundheit heraus, dass Nanopartikel über Lunge und Haut ins Blut gelangen und von dort über den gesamten Körper verteilt werden. Sie fanden die Partikel nicht nur in Leber, Niere und Milz, sondern auch im Herzen und sogar im Gehirn.

Der Körper sei kaum imstande, die widerstandsfähigen Mikroteilchen aufzulösen. Sie lagern sich in den Organen ein, welche dann erkranken. Durch Störung der Herzrhythmusfunktion würden zum Beispiel Herzinfarkte bzw. thrombolische Effekte provoziert. Die Umweltmedizinerin Barbara Dohmen zieht Parallelen [4] zu Asbest: Wie hier würden auch bei Plastik die winzigen Mikropartikel von den Fresszellen des Immunsystems nicht vollständig aufgegriffen.

Bei einem Versuch am Institut für Ökologie der Technischen Universität Berlin reicherten sich Mikroplastik-Fasern im Gewebe von Muscheln an. Bei sehr hohen Konzentrationen könne dies sogar zum Tod der Tiere führen, so der Ökotoxikologe Stephan Pflugmacher Lima. Auch er ist davon überzeugt, dass Mikroplastik für den Menschen gefährlich ist [5].

Kreiselnde Kunststoffinseln

Einer Studie [6] des World Economic Forums vom Januar 2016 zu Folge gelangen jährlich acht Millionen Tonnen Plastik in die Ozeane. Das würde bedeuten, dass ein Müllwagen pro Minute ins Meer entleert würde. Diese Zahl könnte sich bis 2030 verdoppeln.

Nach Berechnungen der Forscher schwimmen heute bereits rund 150 Millionen Tonnen Plastik in den Meeren, ein Fünftel des Gewichts aller Fische. Selbst bei sofortiger Müllvermeidung würde der Müll in den Meeren nicht abnehmen. Schuld daran ist der unaufhaltsam wachsende Plastik-Verbrauch. Nur rund 30 Prozent werden in Sammelsystemen aufgefangen, der Rest gelangt in den Wasserkreislauf. Hält dieser Trend unvermindert an, würde der Plastikmüll im Meer bis 2050 mehr wiegen [7] als alle Fische zusammen, schätzen die Wissenschaftler.

Eine von der UNEP [8] in Auftrag gegebene Studie [9] beziffert den Schaden auf 13 Milliarden US-Dollar im Jahr. Werden die direkten Schäden in den Ozeanen, der Einfluss auf menschliche Gesundheit und Nahrungskette sowie die abgebauten Stoffe auf die Ökosysteme hinzugerechnet, käme man auf einen jährlichen Schaden von 40 Milliarden US-Dollar - eine Summe, welche die Gewinne der Plastikindustrie bei Weitem übertrifft.

Auf seinem Weg durch das Meer folgt das Plastik bestimmten Strömungen, erklärt der Ozeanograph Nikolai Maxilenko in einem Interview [10] gegenüber Arte. 15.000 Bojen, verteilt in den Weltmeeren, senden Signale über Satelliten. Sie alle ergeben ähnliche Strömungsmuster, denn das Treibgut sammelt sich - beeinflusst durch Erdrotation, Schwerkraft und Windbewegungen - in denselben Breitengraden in so genannten Müllstrudeln. Hier drehen sie über Jahrzehnte hinweg ihre Runden, wobei sie in immer kleinere Teile zerfallen.

Die fünf größten Plastikmüll-Strudel. Bild: NOAA

Fünf riesige Plastikinseln soll es insgesamt geben. Während die Existenz der Inseln im Südatlantik und im Indischen Ozean nur vermutet wird, sind die Müllberge im Nord- und Südpazifik sowie im Nordatlantik wissenschaftlich belegt. Der bisher am besten erforschte Plastikstrudel [11] ist der Great Pacific Garbage Patch. Er erstreckt sich entlang der Nordpazifischen Küste von China bis nach Kanada und Kalifornien.

Hier wirbelt der Müll in komplexen Strömungen bis zu 30 Meter tief umeinander - auf einer geschätzten Fläche von 700.000 bis 15.000.000 Quadratkilometer (zum Vergleich: die Fläche Europas umfasst 10.180.000 Quadratkilometer). Zudem weist sie mit rund einer Millionen Partikel pro Quadratkilometer die höchste Dichte an Mikroplastik auf. Auch auf den Meeresböden häufen sich Müllberge an. So hat sich der Müll auf dem Meeresboden der Arktis innerhalb der letzten zehn Jahre verdoppelt.

Plastik und Gift im Bauch von Meerestieren

Bis sich Plastikteile vollständig zersetzt haben, können bis zu 500 Jahre vergehen. Das zerkleinerte Granulat wird von den Tieren für Plankton gehalten und gelangt somit in die Nahrungskette. Wird an der Wasseroberfläche schwimmendes Mikroplastik von Kleinstlebewesen verschluckt, landen diese im Bauch von Fischen und Würmern.

Die Fische werden wiederum von Meeressäugern, Seevögeln und nicht zuletzt vom Menschen verzehrt. Doch auch im Plankton selbst reichern sich feinste Plastikteilchen an. Dem WWF zu Folge finden sich an manchen Stellen im Meerwasser heute sechs Mal mehr Plastik als Plankton. Ein weiteres Problem sind die im Plastik enthaltenen Gifte: So werden während des Zerfallsprozesses Weichmacher und Polyamide freigesetzt. In den Meerestieren reichern sich die schwer abbaubaren Giftstoffe im Fettgewebe an.

Dem WWF-Meeresschutzexperten Stephan Lutter zu Folge [12] wirken die Umweltgifte wie Hormone, sie können Krebs erregen und die Fruchtbarkeit schädigen. Weil bei seiner Herstellung Chemikalien hinzugefügt würden, sei die Konzentration von Schadstoffen in Mikroplastik Hunderte Mal höher als im Meerwasser.

Das Plastik wirke beim Schwimmen durchs Meer wie ein Magnet, an dessen glatter Oberfläche sich nach und nach mehr Umweltgifte ansammeln. Fische, Garnelen und Krebse nehmen die Gifte auf und lagern sie in ihren Körpern an. Am Ende der Nahrungskette landen die vergifteten Fische auf unseren Tellern.

Vor allem Seevögel verwechseln die Plastikteile, die durch Wellenschlag und UV-Strahlung nur langsam zerfallen, mit Nahrung. Weil sie es weder verdauen noch ausscheiden können, verhungern sie mit vollem Magen, ersticken oder verletzen sich innerlich. Auf diese Weise gingen bereits tausende Vögel qualvoll zugrunde. Allein 0,6 Gramm nimmt ein Eissturmvogel in verschmutzten Gebiet an der Nordsee auf. Drei Viertel davon werden an anderer Stelle wieder ausgeschieden. Hunderte von Tonnen Plastik würden auf diese Weise durch die Vögel umverteilt und zu Mikroplastik verarbeitet, schätzen [13] Forscher vom IMARES-Institut.

In einer Studie [14] von 2015 fanden Wissenschaftler des Alfred-Wegener-Instituts bei fünf Prozent aller von ihnen untersuchten Speisefische in der Nord- und Ostsee Kunststoff im Verdauungstrakt [15]. Auffällig war, dass Makrelen offenbar häufiger Plastik verschlucken als andere in Bodennähe lebende Fischarten.

Die einzelnen Meerestierarten reagieren offenbar sehr unterschiedlich: Während Kleinstlebewesen wie Meeresasseln Plastikteilchen unverdaut wieder ausscheiden, führte bei Fütterungsversuchen [16] bei Miesmuscheln Mikroplastik zu Entzündungen im Gewebe. Toxikologen wie Angela Köhler vom Alfred-Wegener-Institut sprechen sich daher für ein Verbot [17] für die Verwendung von Nano- und Mikroplastik aus.

Bakterien, die Plastik fressen

Das Müllproblem in den Meeren ist inzwischen nicht mehr zu ignorieren. Mehr und mehr wird daran geforscht und an Lösungsansätzen gearbeitet. So entwickelte der junge Niederländer Boyan Slat die Idee, mit Hilfe eines Systems aus Kunststoffbarrieren den Müll in den Meeren einzusammeln [18]. Kritiker bezweifeln [19] allerdings, dass das Pilotprojekt erfolgreich sein wird.

Zu viele Unwägbarkeiten seien im Spiel: Die Verankerung der Barrieren könnte aus dem Boden reißen, Meeresorganismen die Barrieren verkrusten und diese unbrauchbar machen. Mikroteilchen, die bei kräftigen Stürmen in die Tiefe gedrückt werden, würden nicht mit eingefangen. Meerestiere als Beifang könnten Schaden nehmen. Bei all dem würde der Einfluss von Stürmen und Meeresströmungen unterschätzt.

Auch Nicholas Mallos von der Organisation Ocean Conservancy glaubt [20], solange noch immer Millionen Tonnen von Müll aus Flüssen, Deponien und von Schiffen in die Ozeane gelangen, könne ein Reinigungssystem allein das Problem nicht lösen. Dies sei nur sinnvoll, wenn gleichzeitig verhindert werde, dass weiterer Müll angeschwemmt wird. Er setzt daher auf eine Kombination aus verschiedenen Maßnahmen.

Andere Forscher wollen die Hilfe von Bakterien in Anspruch nehmen, um das Plastik zu reduzieren: So entdeckten japanische Wissenschaftler einen Mikroorganismus, der in der Lage ist, Plastik in seine unschädlichen Ausgangsstoffe zu zerlegen [21]. Der Haken: Der Verdauungsvorgang [22] des Bakteriums dauert zu lange, um wirtschaftlich interessant zu sein. Davon abgesehen werden Bakterien, die ein bißchen Plastik fressen, unser globales Müllproblem kaum lösen können.

Handlungsoptionen

Das Meer ist kein unendlich großer Abfallspeicher, sondern ein Ökosystem, für das unsere Zivilisation die Verantwortung zu übernehmen hat. So wird der Mensch, will er nicht am Ende am eigenen Plastik zugrunde gehen, schleunigst handeln müssen. Die Politik stellt die Weichen: So beschloss die EU vor zwei Jahren, den Verbrauch von Einweg-Plastiktüten bis Ende 2019 zu halbieren [23]. Inzwischen bekommt man im Supermarkt Plastiktüten meist nur noch gegen Geld, wobei ein Preis von 20 Cent pro Tüte [24] diskutiert wird.

Während sich die Sache mit den Plastiktüten als vergleichsweise überschaubar darstellt, ist es bei Mikroplastik komplizierter. Im Januar 2015 beantragten [25] die Grünen vergeblich ein Mikroplastik-Verbot in Kosmetika. Die Bundesregierung erwiderte, sie setze auf den freiwilligen Ausstieg [26] der Industrie, mit der sie zu diesem Zweck im "Dialog" stünde. Unterdessen kündigten Konzerne wie DM-Drogeriemarkt, Rossmann und Unilever an, auf Mikroplastik in Kosmetikprodukten verzichten zu wollen [27].

Aber auch wir Verbraucher können handeln, indem wir zum Beispiel aufzuhören, zwanghaft Plastik zu konsumieren. Doch wie erkennt man Produkte, die Mikroplastik enthalten? Eine Hilfe bieten die Einkaufsratgeber von Greenpeace [28] und dem BUND [29]. Sie listen die wichtigsten Produkte mit Mikroplastik auf. Auf dem Weg zu einer plastikfreien Welt wäre darüber hinaus über die Einführung eines Produktsiegels "Frei von (Mikro)-Plastik" nachzudenken.


URL dieses Artikels:
https://www.heise.de/-3224695

Links in diesem Artikel:
[1] http://www.umweltbundesamt.de/presse/presseinformationen/mikroplastik-im-meer-wie-viel-woher
[2] http://www.ndr.de/ratgeber/verbraucher/Plastikteilchen-in-Lebensmitteln-gefunden,mikroplastik101.html
[3] http://www.helmholtz-muenchen.de/epi2/the-institute/staff/staff/ma/2103/index.html
[4] http://www.wissen.de/video/warum-fliesst-ketchup-nanotechnologie-lebensmitteln
[5] http://www.ndr.de/ratgeber/verbraucher/Mikroplastik-in-Mineralwasser-und-Bier,mikroplastik134.html
[6] http://www3.weforum.org/docs/WEF_The_New_Plastics_Economy.pdf
[7] http://www.zeit.de/wissen/umwelt/2016-01/plastik-umweltverschmutzung-meer-studie-weltwirtschaftsforum
[8] http://www.unep.org/
[9] http://www.unep.org/pdf/ValuingPlastic/
[10] https://www.youtube.com/watch?v=6L482Xh9_Dc&feature=youtu.be
[11] https://reset.org/knowledge/plastic-ocean-plastikinseln-im-meer
[12] http://www.wwf.de/themen-projekte/meere-kuesten/unsere-ozeane-versinken-im-plastikmuell/
[13] http://www.plasticgarbageproject.org/de/plastikmuell/probleme/auswirkungen-tierwelt/
[14] http://www.sciencedirect.com/science/article/pii/S0025326X15301922=
[15] http://www.awi.de/nc/ueber-uns/service/presse/pressemeldung/mikroplastikpartikel-in-speisefischen-und-pflanzenfressern.html
[16] https://idw-online.de/de/news618790
[17] https://www.youtube.com/watch?v=hgzUWUMN5-c
[18] http://www.theoceancleanup.com/
[19] http://www.sueddeutsche.de/wissen/umweltschutz-ozeanforscher-warnen-vor-ozeansaeuberungs-projekt-1.2095367
[20] http://www.onegreenplanet.org/animalsandnature/myths-and-truths-about-plastic-pollution-in-our-ocean/
[21] http://science.sciencemag.org/content/351/6278/1162.1
[22] http://taz.de/Plastikfressendes-Bakterium-entdeckt/!5285954/
[23] http://www.tagesschau.de/wirtschaft/plastiktueten-101.html
[24] http://www.derwesten.de/wp/wirtschaft/plastiktueten-kosten-ab-2016-mehr-id11212497.html
[25] http://dipbt.bundestag.de/dip21/btd/18/037/1803734.pdf
[26] http://www.taz.de/!5260443
[27] http://www.bund.net/themen_und_projekte/meeresschutz/muellkampagne/mikroplastik/erfolg
[28] http://www.greenpeace.org/austria/Global/austria/dokumente/ratgeber/Konsum_Mikroplastik_Ratgeber_Juli2014_Auflage2.pdf
[29] http://www.bund.net/fileadmin/bundnet/pdfs/meere/131119_bund_meeresschutz_mikroplastik_produktliste.pdf