zurück zum Artikel

Münchner Sicherheitskonferenz: Der Westen spricht mit sich selbst über Russland

Archiv-Bild von September 2015: "Anti-Terrorismus-Operation" der ukrainischen Armee in der Ost-Ukraine. Foto: Taras Gren/Ukrainisches Verteidigungsministerium. CC BY-SA 2.0

Währenddessen verschärft sich der Konflikt in der Ukraine: Evakuierung von Zivilisten, Schüsse in den "Volksrepubliken", gegenseitige Vorwürfe

Zur Münchner Sicherheitskonferenz verschärft sich der Konflikt in der Ukraine. Dort dürfte sich die westliche Phalanx gegen Moskau in Einheit hinter Vizepräsidentin Kamala Harris formieren, die russische Regierung hält sich dieses Mal fern und will nicht als Buhmann mitspielen. Der Westen spricht mit sich über Russland.

Passend dazu werden in Russland am heutigen Samstag neue Militärübungen der strategischen Streitkräfte [1] durchgeführt, mit den "Luft- und Raumfahrtstreitkräften des Südliches Militärbezirks, den Strategischen Raketenstreitkräfte und der Nord- und Schwarzmeerflotte". Es würden umfangreiche Militärübungen stattfinden, berichtet Ria Novosti. Das Verteidigungsministerium betont, nach Beendigung der Übungen würden die Einheiten wieder in ihre Stützpunkte zurückkehren.

Wechselseitige Provokationen

Nachdem auch zum von US-Geheimdiensten angekündigten Invasionsdatum nichts geschehen ist, die US-Regierung und die US-Medien aber weiterhin vor einem jederzeit möglichen oder anstehenden Kriegsbeginn warnen, haben die ukrainischen Soldaten und die separatistischen Milizen am Donnerstag mit wechselseitigen Provokationen begonnen und jeweils zivile Infrastruktur beschossen.

Angefangen hat je nach Perspektive wie üblich jeweils die andere Partei - ähnlich wie dies schon bei den Vorwürfen von Verletzungen des Waffenstillstands der Fall war. Auch geschossen wird jeweils von der anderen Seite, man selbst schieße nur in Selbstverteidigung zurück.

Das ukrainische Militär meldete am Freitagabend, es habe bislang 53 Verletzungen des Waffenstillstands durch die Separatisten gegeben. Mit einem schweren Maschinengewehr und mit Granaten sei der Kontrollpunkt Shchastya beschossen [2] worden, wo gerade ein humanitärer Konvoi des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz gewesen sei.

Von der "Volksrepublik Donezk" hieß es gestern, dass Wohngebiete im Süden und Norden beschossen [3] worden seien: "In weniger als einer halben Stunde wurden 63 Schuss in Richtung der Dörfer und Siedlungen Styla, Belaya Kamenka, Grigorovka sowie Zaitsevo (Süden) abgefeuert. Der Feind feuerte aus Kanonenartillerie und großkalibrigen Mörsern."

Aus der "Volksrepublik Lugansk" (LNR) hieß es, dass am frühen Freitagabend die Dörfer Zolote-5, die Dörfer Kalinovka und Zholobok mit Granaten und erstmals mit einer Panzerabwehrrakete beschossen [4] wurden.

Beide "Volksrepubliken" berichten, sie hätten mit der Evakuierung der Bevölkerung nach Russland [5] begonnen. Zuerst würden Kinder, Frauen und Alte nach Russland gebracht, wo Unterkünfte hergerichtet worden seien und die Menschen versorgt würden, sagte DNR-Chef Pushilin [6].

Putin ordnete [7] an, jedem Flüchtling 10.000 Rubel zu geben. Am Abend gab es in der DNR einen langen Stau vor dem Grenzübergang [8] nach Russland. Pushilin verbreitet auch die Behauptung [9], der ukrainische Präsident würde bald eine groß angelegte Offensive auf die "Volksrepubliken" befehlen.

Das Kommando der ukrainischen Joint Forces Operations (JFO), die früher Antiterroroperation (ATO) hieß, wies die Beschuldigungen zurück [10], dass ukrainische Truppen Wohnviertel beschießen würden. Das seien "Lügen und Provokationen" und Teil des "Informationskrieges" des "Feindes". Man halte sich strikt an das Minsker Abkommen.

Valeriy Zaluzhny, Kommandeur der Streitkräfte, erklärte [11], die Ukraine plane keine Offensive. Die Führer der "kriminellen Organisationen" der DNR und LNR würden die Bewohner der "Volksrepubliken" belügen und die Lage eskalieren. Berichte über eine ukrainische Sabotagegruppe [12], die Ammoniak-Lagertanks in Horlivka in die Luft sprengen wollten und abgewehrt worden sein sollen, seien nicht wahr.

Der Geheimdienst SBU schloss sich an: Russland und die Separatisten würden versuchen, den Konflikt eskalieren zu lassen: Man sei "in höchster Alarmbereitschaft, um weitere Provokationen, Terroranschläge, Sabotage und andere Versuche zu verhindern".

Der militärische Geheimdienst forderte die Bewohner von Donezk auf, die Häuser nicht zu verlassen [13] und keine öffentlichen Verkehrsmittel zu benutzen, da russische Spezialeinheiten soziale Infrastruktur verminen würden. Ziel sei es, die Situation in den "Volksrepubliken" zu destabilisieren und der Ukraine Terroranschläge vorzuwerfen.

Propaganda in Vorkriegszeiten - Höchste Skepsis angebracht

Propaganda und strategische Kommunikation kochen hoch wie in Vorkriegszeiten üblich. Höchste Skepsis in alle Richtungen ist angesagt, um sich im Informationsnebel, der von allen Seiten erzeugt wird, nicht zu verirren oder nur den Verlautbarungen einer Seite Glauben zu schenken.

In der Nähe des Regierungssitzes der DNR wurde das Fahrzeug des Milizenchefs Denis Sinenkov durch eine Autobombe zerstört [14]. Nun ist die Frage, wer für die Autobombe verantwortlich ist?

Eine schwierige Frage nach all den Vermutungen über geplante False-Flag-Aktionen und Provokationen, die laut Washington von Russland oder den Separatisten ausgehen, laut Moskau und den "Volksrepubliken" aber von der Ukraine, die 100.000 Soldaten in der Nähe der Kontaktlinie zusammengezogen habe und womöglich eine militärische Lösung des Donbass-Konflikts vorbereite.

US-Außenminister Blinken nutzte denn die Gelegenheit, am Freitagabend zusammen mit Annalena Baerbock die transatlantische Solidarität und Wertegemeinschaft sowie die von den USA dominierte "liberale internationale Ordnung" zu feiern [15] - angesichts des Feindes Russland, das nicht den Weg der Diplomatie gehen wolle:

Alles, was wir sehen - einschließlich dessen, was man in den letzten 24, 48 Stunden beschrieben hat - ist Teil eines Szenarios, das bereits im Gange ist, nämlich falsche Provokationen zu schaffen, dann auf diese Provokationen reagieren zu müssen und schließlich eine neue Aggression gegen die Ukraine zu begehen.

Antony Blinken

Anstatt zu deeskalieren, setzt Blinken ganz offensichtlich auf Eskalation.

Der Westen: "Vereint wie nie zuvor im Kalten Krieg"

Ein sichtlich erschöpfter, teilweise nuschelnder US-Präsident Biden erklärte am Abend, man habe in den letzten Tagen mehr und mehr Verletzungen des Waffenstillstands durch die Separatisten beobachtet [16]. Zudem werde mehr Desinformation verbreitet, wonach die Ukraine eine Großoffensive vorbereite.

Dafür gäbe es nicht nur keine Hinweise, das würde auch durch normale Logik widerlegt, weil die Ukraine dies nicht machen würde, wenn 150.000 russische Truppen an der Grenze stationiert seien. Es sei auch die Rede von einem Genozid oder von Angriffen ohne jeden Beweis (den die US-Regierung auch nicht liefert). Das sei ein Drehbuch, das die Russen schon früher benutzten. Man schaffe Vorwände, um angreifen zu können.

Man habe, so Biden, Erkenntnisse darüber, dass Russland die Ukraine in der "kommenden Woche" oder in den "kommenden Tagen "angreifen werde und Kiew einnehmen wolle. Biden sagte, er sei überzeugt, Putin habe die Entscheidung bereits getroffen, dennoch sei Diplomatie noch möglich. Die Hauptbotschaft sei: "Der Westen ist vereint und entschlossen."

Überhaupt sind alle vereint, die ganze freie Welt, während in den USA nichts vereint ist. Biden meinte, jetzt nach München zur Sicherheitskonferenz zu reisen, sei wahrscheinlich keine "weise Entscheidung". Wenn man den greisen Präsidenten sieht, der sich mit Mühe und nur sehr kurz den Journalisten stellt, gerät doch sehr in Zweifel, ob die Führung der angeblich so vereinten westlichen Welt wirklich in guten Händen liegt.

Auf der anderen Seite erklärte der stellvertretende Nationale Sicherheitsberater der USA, Duleep Singh, dass Russland ein Pariah werden [17] und isoliert von den globalen Finanzmärkten würde, wenn es die Ukraine angreife. Kapital würde außer Landes gehen, die Währung abstürzen und die Inflation steigen, die Wirtschaft würde schrumpfen, ebenso die wirtschaftliche Produktivität.

Der Westen würde stärker und vereinter werden als jemals zuvor nach dem Kalten Krieg. Aber Singh machte auch klar, dass man nicht verhindern wolle, dass Russland Energie exportiert (was auch den USA zugutekommt [18], der drittgrößte Öllieferant ist Russland). Auch das Abklemmen von Swift sei nicht vorhergesehen.

In Lugansk hat sich angeblich heute Nacht eine Explosion ereignet. In dem Vorort Vergunka soll die Hauptgasleitung in Brand stehen [19]. Eine zweite Explosion [20] soll sich im Dorf Metalist ereignet haben …

Der Artikel erscheint auch auf unserer Partnerseite krass & konkret [21].


URL dieses Artikels:
https://www.heise.de/-6500917

Links in diesem Artikel:
[1] https://ria.ru/20220218/ucheniya-1773520135.html
[2] https://www.unian.net/war/okkupanty-obstrelyali-kpvv-schaste-pod-ogon-popal-gumkonvoy-krasnogo-kresta-novosti-donbassa-11709301.html
[3] https://dan-news.info/defence/armija-ukrainy-nanosit-novye-udary-pod-ognem-sever-i-jug-respubliki/
[4] https://lug-info.com/news/kievskie-siloviki-obstrelyali-zolotoe-5-kalinovku-i-zhelobok
[5] https://ria.ru/20220218/evakuatsiya-1773598104.html
[6] https://dan-news.info/politics/vlasti-dnr-nachali-evakuaciju-mirnyh-zhitelej-respubliki-v-rf--pushilin/
[7] https://www.interfax.ru/russia/822978?utm_source=top
[8] https://t.me/stranaua/25254
[9] https://dan-news.info/politics/zelenskij-v-blizhajshee-vremja-otdast-prikaz-vsu-na-nastuplenie-v-donbasse-/
[10] https://www.ukrinform.net/rubric-defense/3406959-jfo-command-occupiers-statements-on-attacks-by-armed-forces-of-ukraine-are-outright-lies.html
[11] https://www.ukrinform.net/rubric-defense/3407084-ukraine-not-planning-military-offensive-in-donbas-army-chief.html
[12] https://dan-news.info/pravoporyadok/gruppa-ukrainskih-diversantov-pytalas-podorvat-emkosti-s-ammiakom-na/
[13] https://www.facebook.com/DefenceIntelligenceofUkraine/posts/254784603499634
[14] https://www.unian.net/war/v-centre-donecka-vzorvali-avto-nachalnika-narodnoy-milicii-boevikov-smi-foto-video-novosti-donbassa-11709754.html
[15] https://www.state.gov/secretary-antony-j-blinken-and-german-foreign-minister-annalena-baerbock-at-the-munich-security-conference/
[16] https://www.youtube.com/watch?v=0_TLnHSVdyU
[17] https://twitter.com/WhiteHouse/status/1494759494924054530
[18] https://www.spglobal.com/platts/en/market-insights/podcasts/crude/021122-us-oil-production-fane-hasbrook-spencer
[19] https://strana.news/news/377681-v-luhanske-prohremel-moshchnyj-vzryv-video-zareva-nad-horodom.html
[20] https://strana.news/news/377688-foto-i-video-v-luhanske-vzryv-na-hazovoj-stantsii-v-poselke-metallist.html
[21] https://krass-und-konkret.de/politik-wirtschaft/biden-putin-hat-entschieden-die-ukraine-in-den-naechsten-tagen-anzugreifen/