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NSU-Ausschuss: Verschleierungsversuche live

Der NSU-Untersuchungsausschuss im Bundestag stellt Fragen zum Tod von Böhnhardt und Mundlos

Warum die Aufklärung im NSU-Komplex nur mühsam voran kommt, das konnte bei der letzten Sitzung des Parlamentarischen Untersuchungsausschusses (PUA) in Berlin am 14. April live studiert werden. Das Gremium wird ganz offensichtlich erneut zum Schauplatz des Ringens um die Aufklärung der Hintergründe der rechten Terrorgruppe - wie schon der Vorgängerausschuss in den Jahren 2012/2013.

Nach dem "Tatort Zwickau" mit den ungeklärten Fragen zum Hausbrand nehmen sich die Abgeordneten in Berlin nun den "Tatort Eisenach-Stregda" mit dem rätselhaften Tod von Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos vor. Mit diesen beiden Ereignissen an jenem 4. November 2011 wurde der "Nationalsozialistische Untergrund" (NSU) bekannt, der inzwischen zehn parlamentarische Ausschüsse beschäftigte und weiterhin beschäftigt.

Der elfte wird voraussichtlich Ende April im Landtag Brandenburg eingerichtet. Hinzu kommt der Prozess in München gegen Beate Zschäpe, Ralf Wohlleben und drei weitere Angeklagte, der mittlerweile seit drei Jahren läuft.

Zeugenvermeidung mit der Begründung, man wolle "solchen Leuten keine Bühne bieten"

Vor der öffentlichen Sitzung nahm sich der Bundestagsausschuss in nicht-öffentlicher Sitzung der Personalie des V-Mannes Ralf Marschner an. Er ließ sich von Vertretern des Generalbundesanwalts (GBA), des Bundeskriminalamtes (BKA) und des Bundesamtes für Verfassungsschutz (BfV) über den Stand der Ermittlungen informieren. Marschner soll, als er noch V-Mann war und in Zwickau lebte, Uwe Mundlos in seiner Baufirma beschäftigt haben. In den Jahren 2000 bis 2002, als bereits vier NSU-Morde verübt wurden. Das wurde Anfang April durch eine ARD-Fernsehdokumentation unter Berufung auf einen Zeugen bekannt (vgl. NSU: Hat Mundlos bei V-Mann des Verfassungsschutzes gearbeitet? [1]).

Die Bundesanwaltschaft widerspricht dem. Mundlos habe nicht für Marschner gearbeitet. Wie wahrhaftig und umfassend die Abgeordneten tatsächlich informiert wurden, schien auch ihnen nicht ganz klar zu sein. Armin Schuster (CDU) sagte hinterher wörtlich: "Es herrscht eine ziemliche Verwirrung im Moment." Fraglich ist vor allem, was das BKA bisher ermittelt hat, welche Erkenntnisse gesichert sind und was jetzt neu ermittelt wird.

Der Ausschuss forderte bis Ende Mai alle Akten der Sicherheitsbehörden zu Marschner an, von BfV, GBA und BKA. Erst danach wird er sich, dann in öffentlicher Sitzung, mit der Sache befassen können. Sicher scheint, dass Marschners Ex-V-Mann-Führer gehört wird. Er war schon im ersten Untersuchungsausschuss befragt worden.

Ob Marschner, BfV-Deckname "Primus", selber als Zeuge geladen wird, hat der Ausschuss noch nicht entschieden. Die Obleute äußerten sich zurückhaltend. Man wolle solchen Leuten eigentlich keine Bühne bieten, so der Ausschussvorsitzende Clemens Binninger (CDU).

Eine fragwürdige und anachronistische Position. Nicht nur im Prozess in München, auch in den U-Ausschüssen in Baden-Württemberg, Hessen und Nordrhein-Westfalen wurden V-Leute als Zeugen vernommen. Den meisten war das eher unangenehm. Im Untersuchungsauftrag des Bundestagsausschusses ist explizit formuliert, die Arbeit der Sicherheitsbehörden mit V-Leuten aufzuklären.

Spurensicherung vor Menschenrettung?

Der Tod der zwei Uwes wird seit fast einem Jahr auch vom PUA in Thüringen untersucht (vgl. Tatort Eisenach-Stregda [2]). Mit dessen Ergebnissen arbeitet der Bundestagsausschuss. Zum Beispiel, dass die Polizei damals am 4. November 2011 Fotos beschlagnahmte, die ein Feuerwehrmann vom Inneren des Wohnmobils machte.

Eine solche Beschlagnahmung von Fotos samt Kamera war für die Feuerwehr in Eisenach ein bisher einmaliger Vorgang. Die Männer hatten außerdem den Eindruck geäußert, dass die Polizei gewusst oder geahnt zu haben schien, dass zwei Tote in dem Fahrzeug liegen. Unverhältnismäßig schnell war damals auch der zuständige Polizeichef aus Gotha, Michael Menzel, am Tatort erschienen.

In Berlin schilderte nun der leitende Kripo-Beamte von Eisenach, Michael Lotz, seine Sicht der Dinge. Sein Auftritt sorgte für Irritationen. Er wartete mit Versionen auf, die ganz offensichtlich konstruiert sind und die dazu taugen, andere Aussagen zu verwässern oder zu entwerten.

Zunächst redete Lotz 80 Minuten am Stück, ehe die Abgeordneten Fragen stellen konnten. Lotz kam am 4. November 2011 noch vor der Feuerwehr bei dem brennenden Wohnmobil im Eisenacher Ortsteil Stregda an. Alles sei verqualmt gewesen, Flammen schlugen aus dem Dach. Für ihn sei klar gewesen, wenn Personen in dem Fahrzeug sind, wovon er ausging, würden die nicht mehr leben, vor allem wegen der Rauchgasvergiftung. Deshalb sei es nur noch um die Spurensicherung gegangen. Er habe die Feuerwehr angehalten, vorsichtig zu löschen, und habe erklärt, möglicherweise gebe es Tote darin.

Möglicherweise Tote? Spurensicherung vor Menschenrettung? So verhalten sich Polizeibeamte normalerweise nicht - und Feuerwehrleute erst Recht nicht. Auch Irene Mihalic, Obfrau der Bündnisgrünen im Ausschuss und von Beruf Polizistin, kommt ein solches Verhalten seltsam vor: "Sie nahmen an, da lebt keiner mehr. Das weiß man doch nicht. Man kann zum Beispiel nicht wissen, wie viele Personen in dem Wohnmobil sind. Wurden denn keine Maßnahmen überlegt, um vielleicht doch jemand zu retten?" Lotz: "Mit Löschen und Öffnen haben wir ja genau diese Maßnahmen getroffen."

Die erste Person, die das Fahrzeug betrat, war ein Feuerwehrmann, der aus Dokumentationsgründen Aufnahmen vom Inneren machte, eine übliche Vorgehensweise. Danach schaute Lotz hinein. Hinten habe er eine Person mit einer schweren Schädelschussverletzung gesehen. Von der zweiten liegenden Person habe er relativ wenig gesehen, aber auch deren Kopf sei total zerstört gewesen. Für ihn sichere Todeszeichen. Denen kann man nicht mehr helfen, habe er deshalb zu den Rettungssanitätern gesagt, Erste-Hilfe-Maßnahmen seien zwecklos. Außerdem könnten die die Spurenlage verändern.

Der Kriminaloberkommissar, Beamter des gehobenen Dienstes, gibt damit nicht weniger zu Protokoll, als dass er den Tod der beiden Personen festgestellt habe. Etwas, was einem Arzt vorbehalten ist. Interessanterweise legitimiert er seine fragwürdigen Entscheidungen mit dem Argument der Spurensicherung. Doch gerade die war mehr als mangelhaft, was im Abtransport des gesamten "Tatortes Wohnmobil" gipfelte und was Lotz mit zu verantworten hatte.

Sie wollten nicht, "dass da Fotos in die Welt gehen"

Dann sei der Polizeiverantwortliche Michael Menzel erschienen, der das Kommando übernahm. Nun wurde die Geschichte, die Lotz den Abgeordneten und Zuhörern im Ausschusssaal präsentierte, zusehends befremdlicher. Zur Feuerwehr, die fotografierte, hätten er und Menzel gesagt: "Was soll das? Können Sie mal damit aufhören? Das ist ein Tatort mit Leichenfund. Der gehört der Staatsanwaltschaft!" Sie wollten nicht, so Lotz wörtlich, "dass da Fotos in die Welt gehen". Deshalb hätten sie die Kamera beschlagnahmt. Die Feuerwehr wollte aber nur den Speicherchip herausrücken, den er dann an sich nahm.

Mit dieser Aussage entlastete Lotz vor allem den Polizeiführer Menzel. Aber er diskreditierte zugleich die Feuerwehrleute und deren Aussagen vor dem PUA in Erfurt. Als ob die Feuerwehr Fotos von Tatorten aus voyeuristischen Gründen machen würde, etwa um sie ins Internet zu stellen.

Was mit den Fotos der Feuerwehr passierte und wer sie möglicherweise in seinem Besitz hat, ist bis heute nicht klar und wurde auch während der Ausschusssitzung in Berlin nicht klar. Dasselbe gilt für die Aufnahmen, die auch Lotz im Fahrzeug gemacht hat, als er es zusammen mit Menzel erneut betrat. Sie hätten sich einen Überblick verschaffen wollen, auch um zu klären wollen, ob für die Tötung der zwei Männer eine fremde Person in Betracht käme.

Das schlossen sie aber aus. Für sie sei klar gewesen, entweder habe jeder der Toten sich selber erschossen, oder einer den anderen und dann sich selbst. Die Bundesanwaltschaft geht davon aus, dass Uwe Mundlos Uwe Böhnhardt erschoss, das Wohnmobil in Brand steckte und dann auch sich mit einem Schuss in den Rachen tötete (NSU-Terroristen: Ungereimtheiten an der Selbstmord-Hypothese [3]).

KOK Lotz: "Eventuell wurde Böhnhardt ja versehentlich von Mundlos erschossen"

Michael Lotz wartete dann aber noch mit einer dritten Tötungsversion auf. Zunächst wollte der Ausschuss wissen, was die Situation im Wohnmobil für die zwei so aussichtslos gemacht habe, dass sie sich umbrachten? Lotz antwortete: "Vielleicht, weil sie sahen, dass die Polizei bereits mit Streifenwagen da war." Daraufhin intervenierte der Regierungsvertreter des Landes Thüringen, der Zeuge äußere Mutmaßungen, man solle doch anders fragen. Nun sagte Lotz: "Eventuell wurde Böhnhardt ja versehentlich von Mundlos erschossen." Eine Antwort, derart unseriös, dass sie schlagartig die Authentizität der gesamten Zeugenaussage in Zweifel zog. Es gab noch weitere Beispiele für das tendenziöse Aussageverhalten des KOK Lotz.

Da ist die Frage, ob es eine dritte Person am und im Wohnmobil gegeben haben könnte. Der Ausschuss wollte vor allem wissen, ob das ausermittelt ist. Lotz berichtete von einer Meldung über eine männliche Person, die an der Autobahnauffahrt versuchte, Fahrzeuge anzuhalten. Ein Streifenwagen seit dorthin gefahren. Die Person sei aber nicht mehr feststellbar gewesen. Für ihn sei sowieso klar, dass eine dritte Person "keine Rolle gespielt haben kann". Aus dem Wohnmobil sei keine herausgekommen.

Daraufhin wurde ihm ein Foto des Fahrzeuges von der Fahrerseite gezeigt und der Ausschussvorsitzende Clemens Binninger fragte: "Wer steht auf der anderen Seite des Wohnmobils?" Lotz: "Kann ich nicht sagen." Binninger: "Sehen Sie! Warum können Sie dann sagen, da kam keiner raus?" Und Lotz: "Die beiden Streifenbeamten, die kurz vor dem Brand ankamen, sagten, sie hätten keine dritte Person gesehen. Sie hätten unter dem Wohnmobil durchgeschaut und keine Füße gesehen."

Diese Aussage der beiden Streifenbeamten wäre neu. Hat Lotz sie erfunden? Beim Prozess in München wurden die Beamten ausgiebig danach gefragt, was sie gesehen haben, und es stellte sich heraus, dass sie so gut wie nichts gesehen haben konnten. Als sie sich damals dem Wohnmobil näherten, fielen drei Schüsse in kurzen Abständen. Die Polizisten gingen daraufhin hinter einem Pkw und einem gemauerten Müllcontainer auf der anderen Straßenseite in Deckung. Dort blieben sie noch, als die Löscharbeiten der Feuerwehr bereits begonnen hatten. Dass sie unter dem Wohnmobil durchgeschaut hätten, sagten sie nicht.

Für die Frage, ob eine dritte Person auf der Beifahrerseite aus dem Camper gekommen sein könnte, also untaugliche Zeugen. Der Ausschuss hat aber die Möglichkeit, sie selber zu befragen. Zumal Lotz sie mit einer weiteren fragwürdigen Aussage in Verbindung bringt. Der Streifenbeamte Uwe S. soll ihm gegenüber nämlich nicht von drei Schüssen berichtet haben, sondern nur von zweien. Auf Nachfrage habe er das bekräftigt. Im Prozess in München dagegen erklärten Uwe S. und sein Kollege Frank M., ebenfalls auf Nachfrage, es seien drei Schüsse in dem Camper gefallen.

Der Auftritt von Kriminaloberkommissar Michael Lotz wirft Fragen auf. Er äußerte sich nicht nur zum Tatgeschehen vom 4. November 2011, sondern auch zu Zeugenaussagen vor Untersuchungsausschüssen und zu Presseberichten. Verfolgte er eine bestimmte Absicht? War dieser Auftritt abgesprochen und vorbereitet? Ein letztes Beispiel stützt eine solche Annahme: In Berichten war davon die Rede, das Wohnmobil sei zum Abtransport auf eine Rampe mit 20-Grad-Neigung gezogen worden. Einmal war auch von 40-Grad-Neigung die Rede.

Lotz erklärte den Abgeordneten nun, dass er sich am 7. April 2016, also eine Woche vor seiner Zeugenaussage im Ausschuss, "genau diesen Wagen habe kommen lassen", um das zu überprüfen. Er habe nachgemessen: Die Neigung betrage genau acht Grad.

Was wird hier eigentlich ermittelt? Hier wird keiner ungeklärten Mordserie nachgegangen, sondern Presseberichten. Man erlebt einen Polizeiverantwortlichen, der sich nun selber in den NSU-Komplex verstrickt hat. Der Skandal bringt immer neue Handlungsebenen hervor, vor allem solche, die mit den Taten an sich nichts mehr zu tun haben.


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[1] https://www.heise.de/tp/features/NSU-Hat-Mundlos-bei-V-Mann-des-Verfassungsschutzes-gearbeitet-3379472.html
[2] https://www.heise.de/tp/features/Tatort-Eisenach-Stregda-3375158.html
[3] https://www.heise.de/tp/features/NSU-Terroristen-Ungereimtheiten-an-der-Selbstmord-Hypothese-3377155.html