NSU: Ein bestätigter Teilfreispruch und weiterhin offene Fragen
Der Mitangeklagte Eminger kann aufatmen, obwohl auch die Revision seiner Verteidigung vor dem Bundesgerichtshof scheiterte
Fast dreieinhalb Jahre nach Ende der Hauptverhandlung ist am Mittwoch das Urteil des Oberlandesgerichts München im NSU-Prozess rechtskräftig geworden. Der Bundesgerichtshof (BGH) in Karlsruhe hat die Revisionen der Bundesanwaltschaft und des Mitangeklagten André Eminger gleichermaßen verworfen.
Der sächsische Neonazi dürfte das aber mit Erleichterung aufgenommen haben, denn die Anklagebehörde hatte für den heute 42-Jährigen eine zwölfjährige Haftstrafe gefordert – unter anderem wegen Beihilfe zum versuchten Mord – während seine Verteidigung auf Freispruch plädiert Rechtsmittel gegen die zweieinhalbjährige Strafe eingelegt hatte, die Eminger schon größtenteils in Untersuchungshaft abgesessen hat.
Sowohl das OLG als auch der BGH sahen zwar strafwürdige Unterstützungsleistungen für eine terroristische Vereinigung, waren aber laut ihrer Urteilssprüche nicht überzeugt, dass Eminger von Mordplänen des "Nationalsozialistischen Untergrunds" (NSU) wusste, als er seinen untergetauchten "Kameraden" Beate Zschäpe, Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos in ihrem konspirativen Alltag half. Dies hatte er zeitweise parallel zum Aufbau einer Gruppe namens "Weiße Bruderschaft Erzgebirge" getan, die nicht oder nur halb konspirativ agiert hatte und an der auch sein Zwillingsbruder Maik Eminger beteiligt gewesen war.
Die Beweisaufnahme im NSU-Prozess hatte ergeben, dass Eminger in den Jahren 2000 und 2003 Wohnmobile angemietet hatte, die der NSU bei Raubüberfällen und einem Bombenanschlag in Köln benutzte. Außerdem hatte er Beate Zschäpe im Jahr 2007 den Ausweis seiner Frau zur Verfügung gestellt, damit die spätere Hauptangeklagte bei einer Zeugenvernehmung zu einem Wasserschaden bei der Polizei mit falschen Personalien vorstellen konnte. In den Jahren 2009, 2010 und 2011 hatte Eminger mehrere Bahncards organisiert, die auf ihn und seine Frau ausgestellt, aber mit Fotos von Böhnhardt und Zschäpe versehen waren.
Nach dem mutmaßlichen Suizid von Mundlos und Böhnhardt, der im November 2011 zur Aufdeckung des NSU führte, galt Zschäpe lange Zeit als einziges überlebendes Vollmitglied des NSU – die vier Mitangeklagten, einschließlich Eminger, galten als Helfer. Allerdings rückte die Bundesanwaltschaft im Lauf der fünfjährigen Hauptverhandlung von ihrer "Trio"-These ab und zog am Ende Eminger als "vierten Mann" in Betracht. Nebenklagevertreter waren von Anfang an von einem größeren Netzwerk ausgegangen.
Schweigende Brüder im V-Mann-Sumpf
Eminger hatte als einziger von fünf Angeklagten konsequent geschwiegen – aber nonverbal umso deutlichere Zeichen gesetzt. Häufig trug er mit Schlagringen oder bewaffneten Personen bedruckte Szenekleidung, einmal auch ein Shirt mit der Aufschrift "Brüder schweigen – bis in den Tod".
Sein Auftreten war das einen überzeugten und gewaltaffinen Neonazis, der wahrscheinlich bitter enttäuscht gewesen wäre, hätten ihn seine "Kameraden" tatsächlich nicht eingeweiht. Selbst wenn dies so gewesen sein sollte, mussten sich Prozessbeobachter fragen, warum er sich vor Gericht so sicher fühlte, dass ihm nach Provokation zumute war – und dann aus allen Wolken fiel, als die Bundesanwaltschaft am Ende zwölf Jahre Haft für ihn forderte.
Diese Frage stellte und stellt sich umso mehr, weil sich V-Leute des Verfassungsschutzes, die bis heute nicht alle namentlich bekannt sind, im nahen Umfeld des NSU getummelt hatten. Häufig waren dies überzeugte Neonazis, die ein ebenso taktisches Verhältnis zum Inlandsgeheimdienst hatten wie er zu ihnen.
Dies zeigte auch der Fall des Nazikaders Tino Brandt, der den Thüringer Heimatschutz angeführt hatte, als sich das später untergetauchte Trio dort in den 1990er-Jahren radikalisiert hatte. Der Spitzen-V-Mann war direkt aus der Szene heraus angeworben worden und beschrieb seine Zusammenarbeit mit dem Verfassungsschutz später als "Win-Win-Situation" und will sogar Geldstrafen seiner Kameraden aus seinen V-Mann-Honoraren beglichen haben. Wer diesen Prozess und entsprechende Zeugenaussagen erlebt hat, kann jedenfalls nicht selbstverständlich ausschließen, dass auch ehemalige V-Leute auf der Anklagebank saßen.
Der nun vom BGH bestätigte Teilfreispruch erspart Eminger jedenfalls mehrere Jahre Gefängnis. Sein Schweigen – auf wen oder was es sich auch bezieht – zahlt sich aus.
"Ohne rot zu werden"
"Schon das Urteil in München, zu dem die Neonazis im Gericht applaudierten, war für mich erschreckend und macht mich heute noch wütend", erklärte am Mittwoch Gamze Kubasik, deren Vater 2006 in Dortmund vom NSU ermordet worden war. "Wie deutsche Richter dieses Urteil nun bestätigen können, ohne rot zu werden, kann ich nicht fassen", so die Nebenklägerin in einer von ihrem Anwalt verschickten Mitteilung.
Der BGH überprüft bei Revisionen nur die Beweiswürdigung der Vorinstanz, ohne selbst Beweismittel auszuwerten. Im Urteil des Oberlandesgerichts fand er demnach keine Rechtsfehler. Darum sei die Entscheidung hinzunehmen, erklärte der Vorsitzende Richter Jürgen Schäfer in Karlsruhe.
Bundesweit konnten dem NSU neun Morde an Männern mit Migrationsgeschichte in den Jahren 2000 bis 2006 und der Mord an einer Polizistin zugeordnet werden. Hinzu kamen Dutzende Verletzte bei Sprengstoffanschlägen und Raubüberfällen. Ein Kollege der getöteten Polizisten erwachte erst Wochen nach dem versuchten Doppelmord im Jahr 2007 schwer verletzt aus dem Koma.
Wer in jedem einzelnen Fall geschossen hat, ist nicht geklärt. Laut dem Münchner Gerichtsurteil vom 11. Juli 2018 waren die ausführenden Täter der gesamten Mord- und Anschlagsserie des NSU Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt, die selbst nicht mehr angeklagt werden konnten. Zschäpe gilt als gleichberechtigte Planerin und ist zu lebenslanger Haft wegen Mittäterschaft bei zehn Morden, zwei Sprengstoffanschlägen und mehreren Raubüberfällen verurteilt. Die Anwesenheit an einem der Tatorte konnte ihr nicht nachgewiesen werden.
Manche Nebenklagevertreter schließen nicht aus, dass in einzelnen Fällen auch eine andere Person als Mundlos, Böhnhardt oder auch als Zschäpe geschossen haben könnte. Sie gingen schon zu Beginn des Verfahrens 2013 von einem größeren Netzwerk von Neonazis mit und ohne Geheimdienstbezug aus und sahen bis zum Ende der Hauptverhandlung eher noch mehr Indizien dafür.
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