Nach Ende des Getreidedeals mit der Ukraine: Krieg im Schwarzen Meer

Roland Bathon

Ukrainische Gyurza-M-Kanonenboote im Schwarzen Meer. Bild: Міністерство оборони України, CC BY 4.0

Tauziehen zwischen dem Westen und Russland, statt Eskalation auf Hoher See. Dabei würde neues Abkommen auch Russland nützen. Warum es danach zurzeit nicht aussieht.

Nach der Aufkündigung des Getreidehandels durch Russland prognostizieren auch Beobachter in Moskau eine akute Verschärfung des Ukraine-Konflikts. Der Kolumnist der russischen Zeitung Kommersant, Dmitrij Drize, glaubt, "dass sich die Lage im Schwarzen Meer deutlich verschärfen wird". Die Entwicklung folgt einem Szenario, das auch er als "Blockade der Ukraine vom Meer aus" bezeichnet.

Diese Eskalation ist bereits in vollem Gange: Russland hat Getreidespeicher in Odessa bombardiert und übt im Schwarzen Meer aktiv den Abschuss von Handelsschiffen, die trotz der Blockade ukrainische Häfen anlaufen wollen.

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Im Gegenzug erklärte die Ukraine alle Schiffe, die russische Schwarzmeerhäfen ansteuern, zu offiziellen Feinden, die in Visier genommen werden dürften.

Russland stellt Bedingungen – der Westen will keine akzeptieren

Grund für die harte Haltung des Kremls sei, dass wichtige russische Bedingungen für eine Fortsetzung des Deals nicht erfüllt worden seien. Vor allem von der Forderung, die für den russischen Agrarhandel elementare Russische Agrarbank wieder an das Swift-System anzuschließen, werde Moskau nicht abrücken. Russland sei nicht bereit, dem Kriegsgegner Ukraine den Getreideexport zu ermöglichen, während der eigene Getreideexport durch die westlichen Sanktionen so schwer wie möglich gemacht werde.

Präsident Wolodymyr Selenskyj besucht den Seehafen von Tschornomorsk. Bild: Ukrainian Presidential Press Office

Moskau sieht die Schuld für die Eskalation also beim Westen. Und tatsächlich könnten die russischen Forderungen nur vom Westen und nicht von der Ukraine selbst erfüllt werden. Letztere antwortet jedoch nicht mit Entgegenkommen oder auch nur der Andeutung eines solchen.

Stattdessen gibt es allenthalben moralisierende Unterstellungen, die Russland wegen der Kündigung für eine kommende Hungersnot verantwortlich machen. Ansonsten wird nur nach Ersatzrouten für die ukrainischen Lieferungen gesucht. Kompromissbereitschaft scheint es nicht zu geben.

Die Ukraine ist in diesem Prozess machtlos eingeklemmt zwischen der russischen Blockade und den Versuchen der östlichen EU-Staaten, einen größeren Export ukrainischer Agrargüter über ihr eigenes Territorium zu verhindern.

Vor allem Polen sei gegenüber den Ukrainern in dieser Hinsicht "nicht mehr so loyal wie zu Beginn des Krieges" titelte dazu das lettische Onlineportal Meduza. Der dritte verbleibende Weg für den Getreideexport über Rumänien bietet allein nicht über die notwendigen Kapazitäten.

Dennoch rechnen viele Experten nicht damit, dass ein solches Getreideabkommen in irgendeiner Form dauerhaft beendet wird. Denn es ist nicht nur für den ukrainischen Agrarexport überlebenswichtig, sondern seine Kündigung schafft auch auf russischer Seite Probleme, die nichts mit dem Kriegsgegner und seinen Unterstützern zu tun haben.

Getreidedeal zu Ende: Russland verärgert China und Türkei

So ist der größte Abnehmer des nun vorerst ausbleibenden ukrainischen Getreides ausgerechnet China, auf dessen Wohlwollen Russland in Zeiten eines offenen Sanktionskrieges mit dem Westen angewiesen ist.

Schon die Verlängerung des Getreidedeals im März fiel nicht zufällig mit dem Besuch des chinesischen Staatschefs Xi Jinping in Russland zusammen, glaubt die Wirtschaftsanalystin Alexandra Prokopenko. Nicht umsonst sind Getreidelieferungen ein wichtiger Punkt im chinesischen Friedensplan für die Ukraine.

Weitere wichtige Abnehmer ukrainischen Getreides sind Spanien und die Türkei. Auch mit Blick auf die Türkei "kann sich Russland eine Verschlechterung der Beziehungen derzeit nicht leisten", meint der russische Türkei- und Nahostexperte sowie Telepolis-Autor Ruslan Suleimanov in einer Analyse für das Carnegie Center Russia-Eurasia.

Sie sei de facto der einzige wirkliche Vermittler in den Beziehungen Moskaus zum Westen und von großer wirtschaftlicher Bedeutung. Auch die letzte Aufkündigung des Getreidedeals durch die Russen endete im Herbst 2022 mit einer Rückkehr des Kremls nach einer Kontaktaufnahme Erdoğans, erinnert Suleimanov.

Doch diesmal sind die Fronten zwischen dem Westen und Russland verhärteter als im vergangenen Herbst. Das liegt neben der ukrainischen Gegenoffensive auch am Angriff auf die russische Krim-Brücke durch ukrainische Drohnen – beides führt Moskau auf die massive westliche Militärunterstützung für Kiew zurück.

Dabei darf freilich nicht übersehen werden, dass es natürlich die russische Invasion der Ukraine selbst ist, die die harten geopolitischen Probleme verursacht, von denen hier die Rede ist.

Kompromissvorschlag der UNO

Die UNO hat einen Kompromissvorschlag erarbeitet, der die Abwicklung der russischen Getreidegeschäfte über eine Tochter der russischen Agrarbank ermöglichen soll. Deren Status wäre dann vergleichbar mit dem der Gazprombank, die wegen der rückläufigen Rohstoffgeschäfte Russlands mit dem Westen noch an das SWIFT-System angeschlossen ist.

Sollte es trotz solcher Vorschläge nicht zu einer Einigung kommen, will Moskau bedürftigen Ländern in Afrika kostenlos Getreide liefern. "Wahrscheinlich geht es um die Mengen, die Afrika im Rahmen des UN-Nahrungsmittelprogramms erhält, also um rund eine Million Tonnen", schätzt Alexandra Prokopenko.

Angesichts einer Rekordernte ist das für Russland kein Problem. So kann der Kreml auch die moralische Keule aus dem Westen, arme Afrikaner müssten wegen Moskaus Verhalten hungern, wirkungsvoll entkräften.

Den Unmut in Ankara und Peking kann er damit allerdings nicht besänftigen. Im August wird Erdoğan Putin zu einem Staatsbesuch empfangen. "Der türkische Staatschef verfügt über große Hebel, um Russland zu überzeugen, zur Umsetzung des Getreideabkommens zurückzukehren", meint Alexandra Prokopenko.