Nach Tulsa, Uvalde, Buffalo: Auch Waffenkontrollen fürs Pentagon gefordert
Nach der Welle an Massenschießereien in den USA werden Waffenkontrollen gefordert. Tabu sind jedoch Waffenexporte und ihre strikte Regulierung – auch in Deutschland
Nach dem jüngsten Amoklauf in einem Krankenhaus in Tulsa im US-Bundesstaat Oklahoma wird auf dem Kapitol in Washington nun darum gerungen, gesetzliche Regulierungen beim Waffenbesitz zu erlassen. Eine Gruppe von neun Senatoren traf sich am Mittwoch, um Maßnahmen im Zuge der Welle von Massenschießereien in den USA zu erörtern.
Die Massentötung in Tulsa war bereits der 20. Vorfall dieser Art (mit mindestens vier Toten bzw. Verletzten) nach dem Schulmassaker in Uvalde in Texas letzten Dienstag, bei dem 19 Schüler:innen und zwei Lehrer:innen getötet wurden.
Nur eine Woche vorher tötete ein Schütze 13 Menschen in einem Supermarkt in Buffalo, 11 davon Afroamerikaner:innen. Die Anklage wirft dem mutmaßlichen Täter nun rassistisch motivierten Terrorismus vor.
Nach einem Treffen mit der neuseeländischen Premierministerin Jacinda Ardern sagte US-Präsident Joe Biden, dass ein Großteil der Gewalt durch Massenerschießungen vermeidbar sei. Neuseeland ergriff nach dem Moschee-Massaker von Christchurch, bei dem 51 Menschen getötet wurden, restriktive Maßnahmen.
Trotz seiner klaren Ansprache könnte sich Biden in eine lange Liste einreihen von US-Präsidenten, wie die New York Times anmerkt, die nach Amokläufen Taten einforderten, doch danach nichts unternahmen, um dem eskalierenden Schusswaffengebrauch Einhalt zu gebieten.
Während nach der jüngsten Welle von Massenschießereien in den USA stärker über Waffenkontrollen gesprochen wird und Proteste gegen Republikaner, die das Recht auf uneingeschränkten Waffenbesitz verteidigen, zunimmt, ist eine Diskussion über die USA als weltweit größter Waffenexporteur aber weiter tabu.
Das muss sich ändern, sagt Norman Solomon, Direktor von RootsAction und Leiter des Institute for Public Accuracy in den USA. Denn Massentötungen in den USA hingen mit den Opfern des US-Militärs im Ausland zusammen.
Die Verbindung ist offensichtlich. Und es ist wirklich verblüffend, dass bei all den Diskussionen über Waffenkontrolle und den Debatten in Politik und Medien so gut wie keine Diskussion über die schreiende Notwendigkeit einer Waffenkontrolle fürs Pentagon stattfindet. Wir wissen, dass die Einführung von Waffenkontrollen in anderen Ländern zu einem drastischen Rückgang der Schießereien, der Massentötungen mit Schusswaffen geführt hat. Und dennoch ist es aufgrund des Militarismus der Massenmedien und des politischen Establishments in diesem Land nicht möglich, über den enormen Waffengebrauch im Pentagon zu sprechen.
19.000 Menschen sterben pro Jahr in den Vereinigten Staaten im Zuge von Schießereien. Die gleiche Anzahl von Zivilisten stirbt nach Daten der Brown University jährlich durch das US-Militär. Und das sind nur die direkten Toten. Die indirekten Opfer im Zuge der Zerstörungen von Infrastrukturen sind um ein Vielfaches höher.
Daher sei, so Salomon, die jetzige Debatte, so richtig und notwendig sie ist, unvollständig, letztlich heuchlerisch. Denn weder Demokraten noch Republikaner kümmerten sich um die Toten in Somalia, Afghanistan, Syrien oder im Irak. Das sei "komplettes mediales Niemandsland". Die unausgesprochene Botschaft ist:
Wir interessieren uns nicht um die Trauer der Menschen in anderen Teilen der Welt. Und nicht nur das, es ist uns vor allem dann egal, wenn das US-Militär den Kummer verursacht.
Die USA sind der größte Waffenexporteur der Welt. Das Land liefert pro Jahr Waffen im Wert von über 800 Milliarden Dollar, so der letzte Sipri-Bericht von 2021. Diese Waffen richten großen Schaden an – von Lateinamerika über den Nahen Osten bis Asien.
In der UN gibt es schon seit 20 Jahren den Versuch, den Waffenhandel stärker zu regulieren. Eine wesentliche Vereinbarung ist das sogenannte Program of Action von 2001. Doch in den Text konnte wegen der Blockade der USA ein Hinweis auf Waffenkontrollen für die Zivilbevölkerung nicht eingefügt werden.
85 Prozent von Waffen sind in den Händen von Privatpersonen. Daher fordern praktisch alle Länder der Welt dafür eine Regulierung. Aber die USA verweigern das bis heute.
Auch beim Vertrag über den Waffenhandel ("Arms Trade Treaty") von 2013, der versucht, Exporte mit Menschenrechten in Einklang zu bringen, klinkt sich Washington bis heute aus. Die Waffenlobby in den Vereinigten Staaten behauptete, dass es sich dabei um ein globales Verbot handele, dass den verfassungsmäßigen Schutz von Waffenbesitz im Land unterlaufe ("Zweiter Zusatzartikel"). Die USA haben bis heute den Vertrag nicht unterzeichnet.
Es wäre wirklich sehr hilfreich, wenn der größte Waffenproduzent den internationalen Verträgen und Vereinbarungen zur Regelung dieser Industrie beitreten würde
sagt Rebecca Peters, ehemalige Direktorin des International Action Network on Small Arms, die sich seit langem schon für internationale Rüstungskontrolle einsetzt.
Aber nicht nur die USA befördern global Waffengewalt. In Deutschland ist zu beobachten, dass Waffenexporte stark ansteigen. Die militärischen Lieferungen erreichten im letzten Jahr mit über 9 Milliarden Euro ein Rekordniveau. Ein Anstieg gegenüber dem Vorjahr um 61 Prozent.
Die Hälfte dieser Summe geht auf das Konto von militärischer Ausrüstung, die an das autoritär geführte Ägypten floss. Menschenrechtsaktivisten werfen der ägyptischen Regierung schwere Menschenrechtsverletzungen und eine Beteiligung an den Konflikten in Jemen und Libyen vor. Deutschland exportierte auch Waffen im Wert von etwa einer Milliarde Euro in die Vereinigten Staaten.
Der Deal mit Ägypten wurde in den letzten Tagen der Merkel-Regierung auf den Weg gebracht, einer Interimszeit, in der normalerweise keine wichtigen Entscheidungen mehr getroffen werden. Der jetzige Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) war zu diesem Zeitpunkt Vize-Kanzler und Finanzminister.
Sevim Dagdelen, die außenpolitische Expertin der Linkspartei, warf Scholz vor, sich wie ein "echter Gauner" zu verhalten. Sie forderte die Lieferung der "Mordinstrumente" zu stoppen. Die Kritik der SPD an Waffenexporten nannte sie "nicht konsequent". Man könnte auch sagen: heuchlerisch.
In Deutschland werden die existierenden Regulierungen bei Waffenlieferungen zudem oft ausgehebelt – durch Outsourcing und andere Mechanismen. Auch ist die Bindung an Menschenrechtsauflagen, wie im Fall Ägypten oder der Golfstaaten, mehr als fraglich.
Vor dem Hintergrund des Ukrainekriegs wird es in Zukunft schwieriger werden, sich für eine Reduzierung oder gar ein Verbot von Waffenlieferungen einzusetzen. Nicht nur in Deutschland geht die Stimmung Richtung militärischer Aufrüstung. In der neutralen Schweiz stimmte die Parlamentskammer in Bern gestern für die sukzessive Erhöhung der Armeeausgaben, von derzeit etwa 5,4 Milliarden auf rund sieben Milliarden Franken im Jahr 2030.
Auch bei Waffenlieferungen steigt der Druck. Die Schweiz darf laut Kriegsmaterialgesetz keine Kriegspartei mit Waffen beliefern. Auch die Weiterleitung von Schweizer Waffen von Käufern an eine Kriegspartei ist nicht erlaubt. Jetzt macht aber insbesondere Deutschland Druck auf Bern. Laut Süddeutscher Zeitung hat das deutsche Verteidigungsministerium in einem Brief an den Schweizer Wirtschaftsminister darum gebeten, dass Deutschland Schweizer Rüstungsgüter weitergeben darf.