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Nach der Utopie: Der Teufel möglicherweise

Performance

Das psycho-sexuelle Labor des Dr. Cammell - Teil 2

Teil 1 [1]: Performance, einer der aufregendsten Filme der Sixties, wird 40. Donald Cammell, ohne den er nicht entstanden wäre, hat er wenig Glück gebracht.

Colin McCabe, Autor eines schönen Buches über Performance, erinnert an die alte Hollywood-Weisheit, dass man, um einen erfolgreichen Film zu schaffen, deren fünf machen muss: den Film, für den man das Drehbuch schreibt; den Film, den man besetzt; den Film, den man dreht; den Film, den man schneidet; und den Film, den man ins Kino bringt. Ein Drehbuch war geschrieben, die Rollen waren erfolgreich besetzt worden. Jetzt befanden sich Cammell und Roeg auf Etappe Nr. 3: den Dreharbeiten, die zu den legendärsten und skandalumwittertsten der Filmgeschichte gehören.

Tohowabohu mit Badewanne

Meistens reicht ein kurzes Nachdenken, um mit einiger Wahrscheinlichkeit zwischen Dichtung und Wahrheit unterscheiden zu können. Beschwerden der Nachbarn, die wie bei Performance die Polizei rufen, weil sie sich gestört fühlen, gibt es bei an Originalschauplätzen gedrehten Filmen oft; sie sind kein Beleg dafür, dass da Orgien gefeiert wurden. Der Drogenkonsum im Haus am Lowndes Square dürfte erheblich gewesen sein (vor allem Haschisch). Von Anita Pallenberg und Michèle Breton ist bekannt, dass sie ein Suchtproblem hatten. Aber die Erzählungen des Lieferanten Tony Sanchez (Up and Down With the Rolling Stones), denen zufolge die Akteure geradezu in Drogen schwammen, sind sicher maßlos übertrieben.

Cammells Filme sind so intensiv, weil er die Darsteller bis an ihre Grenzen treibt (und manchmal darüber hinaus). So etwas kann nur funktionieren, wenn der Regisseur die Kontrolle behält und für einen reibungslosen Ablauf der Dreharbeiten sorgt. Cammell und Roeg waren äußerst diszipliniert und effizient. Sie überschritten die vorgesehene Drehzeit um etwa sieben Tage, das Budget um 10 Prozent. Beides hielt sich durchaus im üblichen Rahmen. Nach 12 Wochen waren sie fertig. Mit Leuten, die dauernd zugedröhnt sind, wäre das unmöglich gewesen. Schockierend an Performance war, mit welcher Selbstverständlichkeit die Charaktere Drogen konsumieren, statt das sensationalistisch aufzubauschen. Aber in der Spritze, die sich Pallenberg in einer berüchtigten Einstellung setzt, waren Vitamine, kein Heroin.

Improvisation ist kein Synonym für Kontrollverlust. Die Kontrolle hatten nur die Warner Brothers verloren, nicht Cammell und Roeg. Die Legende vom großen Tohowabohu und vom Film, bei dem keiner wusste, was er tat, entstand im Vorführraum. Einige Abgesandte von Ken Hyman, Warner-Produktionschef in London, kamen täglich nach dem Mittagessen und ließen sich die Muster des Vortags zeigen, wobei sie – David Cammell zufolge – bald eindösten. Üblicherweise wird bei solchen Veranstaltungen eine sinnvoll zusammengestellte Auswahl des belichteten Filmmaterials vorgeführt. Der unerfahrene (und später ausgetauschte) Cutter bestand aber darauf, alles zu zeigen, was im Laufe des Tages mit zwei Kameras gedreht worden war. Das konnten bis zu zweieinhalb Stunden sein. Anfangs scheint das die verwirrten Warner-Leute vor allem ermüdet zu haben. Dann gerieten sie in helle Aufregung, weil plötzlich Turner mit Pherber und Lucy in der Badewanne saß.

Performance

Hyman erhielt die Nachricht, dass da ein paar sexbesessene Dilettanten einen Film machten, den man nicht ins Kino bringen konnte. Die Dreharbeiten mussten für einige Tage unterbrochen werden. Hyman besuchte dann erstmals den Set und soll furchtbar erschrocken sein, weil Jagger einen bisexuellen Eindruck auf ihn machte. Lieberson gelang es trotzdem, seinen Freund Ken soweit zu beruhigen, dass Cammell und Roeg weitermachen konnten. Nächster Stein des Anstoßes war Turners Doppelbett. Im Labor, das die Negative entwickelte, arbeitete die als sehr prüde bekannte Mrs. Bloggins. Als sie die Muster von Jagger und den anderen im Bett zu sehen bekam, schlug sie Alarm.

Performance

Lieberson und David Cammell mussten zum Labor kommen, wo ihnen der Firmenchef eröffnete, dass er das Filmmaterial nicht herausgeben könne, weil er damit gegen das Gesetz zur Verbreitung obszöner Publikationen verstoßen würde. Nach einigen Verhandlungen durften die beiden das Labor mit dem Negativ verlassen (durch den Hinterausgang). Vorher mussten sie dabei zuschauen, wie der Firmenchef das Positiv mit Hammer und Meißel zerstörte. Der Rest des Films wurde im Technicolor-Labor entwickelt. Dort gab es keine Mrs. Bloggins und keine weiteren Beanstandungen.

Bei den Warner Brothers war man seit dem Eklat rund um Turners Badewanne davon überzeugt, mit der Produktion von Performance einen schweren Fehler begangen zu haben. Dem fertigen Produkt begegnete man in der Führungsetage daher voller Voreingenommenheit. Die Filmgeschichte ist voller Meisterwerke, die unter solchen Umständen irreparabel beschädigt wurden. Im Fall von Performance kam kurioserweise ein Film dabei heraus, der vermutlich besser ist als das, was von den Machern ursprünglich abgegeben wurde.

McCabe weiß noch genau, mit welchem Gefühl der Befreiung er Performance sah, als der Film im Januar 1971 endlich in London gestartet wurde. Das ging nicht allen so. 1969 war das Jahr, in dem die dunkle, gewalttätige Seite der Swinging Sixties offensichtlich wurde. In den USA wurden Charles Manson und seine okkulte Hippie-Sekte wegen des Mordes an Sharon Tate festgenommen. Beim Stones-Konzert in Altamont starben vier Menschen, einer wurde erstochen. Und in England fand der Prozess gegen die Kray-Zwillinge statt, der einen Abgrund an Korruption und Verbrechen offenbarte. Performance hat etwas Prophetisches und wirkte auf manche Betrachter daher so, als hätten die Macher versucht, sich opportunistisch anzuhängen und die Gewalt auszubeuten, obwohl der Film bereits 1968 entstanden war. Vielleicht wäre er gnädiger aufgenommen worden, wenn sich der Kinostart nicht so sehr verzögert hätte.

Der widerwärtigste Film überhaupt

In Großbritannien war noch weitgehend dieselbe Kritikergeneration aktiv wie vor zehn Jahren. Sei es, weil sie sich mit ihren Hasstiraden über Michael Powell und Peeping Tom langfristig verausgabt hatten, sei es, weil ein von heimischen Talenten mit Geld aus Hollywood gemachter Film lokalpatriotische Gefühle weckte: die Kritiker von der britischen Mainstream-Presse blieben vorsichtig distanziert, gingen aber insgesamt viel freundlicher mit Performance um als ihre amerikanischen Kollegen. Diese schrieben schlimme Verrisse. Richard Schickel nannte Performance im Magazin Time den „ekelhaftesten, den in seiner Gesamtheit wertlosesten Film, den ich gesehen habe, seit ich Kritiker bin“. Andrew Sarris von der Village Voice ließ seine Leser wissen, dass Performance, wenn Filme einen Geruch hätten, furchtbar stinken würde, dies aber wenigstens auf originelle Weise. Sogar der Filmexperte des Rolling Stone fand Performance ganz fürchterlich, kleidete seine Ablehnung aber in verquaste Sätze wie diesen: „Eines der Attribute des Bösen ist seine Hässlichkeit, und auf einer Ebene ist das ein sehr hässlicher Film.“

Die New York Times gab sich weltoffen und diskussionsbereit, indem sie zuerst eine negative und eine Woche später eine positive Besprechung veröffentlichte. Das war nicht fair, sondern heuchlerisch. Die meisten Kinos hatten den Film schon wieder abgesetzt, als die Times-Leser erfuhren, dass er doch sehenswert sein könnte. Den Verriss (Überschrift: „Der widerwärtigste Film überhaupt“) steuerte John Simon bei, der Chefkritiker des Blattes. Sein Fazit: „Man muss kein Drogensüchtiger, Päderast, Sado-Masochist oder Schwachkopf sein, um Performance zu genießen, aber es hilft, wenn man eines oder mehrere von diesen Dingen ist.“ Vordergründig waren es der Sex, die Gewalt und die Drogen (und natürlich die unterstellte „Unverständlichkeit“), an denen sich die Kritiker störten. Die Erfahrung lehrt aber, dass das oft nur der Aufhänger ist, dass die tieferen Gründe für die Ablehnung anderswo zu finden sind.

Cecil Wilson, Kritiker der britischen Daily Mail, empörte sich darüber, dass Mick Jagger über weite Strecken des Films aussehe wie Brigitte Bardot. Das klingt abstrus, kommt der Sache aber näher, als es Herrn Wilson wohl bewusst war. Performance ist, was man durchaus bemängeln kann, nicht frei von männlichem Voyeurismus. Aber der Film nimmt auch das tradierte Bild von der Maskulinität auseinander und setzt es so wieder zusammen, dass sich der Unterschied zwischen den Geschlechtern verwischt und liebgewordene, weil Sicherheit verheißende Grenzziehungen nicht mehr möglich sind. Von der Grenzaufhebung betroffen ist auch – ganz im Sinne von Artauds „Theater der Grausamkeit“ – das Publikum. Einen Film, der zwischen Fiktion und Wirklichkeit changiert, dessen Darsteller innerhalb eines vorgegebenen Rahmens ihre eigenen, realen Beziehungen ausagieren, kann man nicht so selbstgefällig-distanziert sehen wie einen, wo die Akteure Szenen aus einem vorher geschriebenen Drehbuch nachspielen. Wiederherstellen lässt sich die verlorene Distanz durch Ekelbekundungen. Performance, schrieb Chefkritiker Simon, habe ein neues Genre begründet: das des „widerwärtigen Films“.

Performance

Mitte Oktober 1968 waren die Dreharbeiten zu Performance beendet. Wie es dann weiterging, ist wieder der Stoff für Legenden. Hier die wahrscheinlichste Version: Im Februar 1969 flogen Cammell, Roeg und Lieberson mit einem Rohschnitt des Films nach Los Angeles, um ihn den Geldgebern zu präsentieren. Die Vorführung war ein Desaster. In den Anekdotenschatz der Filmgeschichte ging ein Satz von Ken Hyman ein, der gesagt haben soll, dass sogar das Wasser in Turners Badewanne schmutzig sei. Performance wäre vermutlich in einem Lagerhaus gelandet und heute verschollen, wenn die Warner Brothers 1969 nicht an ein Firmenkonglomerat namens Kinney National Services verkauft worden wäre, das dank der zum Imperium gehörenden Parkplätze und Bestattungsinstitute über sehr viel Geld verfügte.

Die neuen Warner-Chefs, Ted Ashley und John Calley, standen Performance reserviert gegenüber, genehmigten aber die Mittel, um den Film fertigzustellen. Im Juli fand in Santa Monica ein Preview statt. Solche Testvorführungen sind wichtig, weil die Reaktion des Publikums abgefragt wird. Die Resultate dienen dem Studio als Entscheidungsgrundlage dafür, wie es weiter mit einem Film verfahren soll. Inzwischen gibt es mehr oder weniger sinnvolle Kriterien für die Auswahl der Zuschauer. Damals war das weitgehend dem Zufall überlassen. Das Granada-Kino war ein Dritt- oder Viertverwerter. Durchschnittsbürger mittleren Alters, die gelegentlich ins Kino gingen, sahen dort Filme, die anderswo längst gelaufen waren. Die Wahrscheinlichkeit, im Granada auf Freunde des innovativen, experimentellen Films zu treffen, oder wenigstens auf junge Leute oder gar Fans der Stones, war eher gering. Im Juli 1969 stand Midnight Cowboy auf dem Spielplan (ein halbes Jahr nach dem Kinostart). Anschließend wurde Performance gezeigt.

Tumult im Granada

Performance

Der Film handelt vom Aufbrechen fest gefügter Identitäten. Am Anfang wird das thematisiert, indem mit Hilfe von Spiegeln fragmentierte Körper gezeigt werden. Man darf bezweifeln, dass die Zuschauer, bestimmt erschöpft von John Voights Deckhengst-Aktivitäten in Midnight Cowboy, für solche Feinheiten ein Auge hatten. Sie sahen Chas, der sich bei der Fellatio im Spiegel betrachtet. Und Chas beim Sadomaso-Sex mit seiner Freundin, inklusive Strangulation zur Steigerung der Lust. Das ist typisch Cammell. Er führt eine Art von „Normalität“ vor, deren sexuelle Verklemmtheit eng mit Gewaltphantasien und Gewaltakten verknüpft ist, um sie anschließend mit einem positiv besetzten Gegenentwurf zu kontrastieren (die Liebesspiele in Turners Haus). Dafür braucht er Zuschauer, die bereit sind, sich auf einen Film einzulassen. Das Granada war kein Altenheim. Aber mit dem Zielpublikum von Performance hatte die dortige Stammkundschaft auch nichts zu tun. Wenn man von Dilettantismus sprechen kann, dann auf Seiten des Studios. Die Filmproduktion und das Bestattungsgewerbe trennen Welten.

Performance

Dann kam die Szene mit Chas und Joey Maddocks, den beiden Jugendfreunden, die mühsam ihre homosexuelle Seite unterdrücken, was – wieder typisch Cammell – in einer Gewaltexplosion endet. Weil Joey zu zärtlichen Berührungen nicht fähig ist (die Männlichkeit), peitscht er Chas aus. Die Schnittfassung von Performance, die damals gezeigt wurde, gibt es nicht mehr. Erhalten ist nur ein Transkript. Deshalb weiß man, dass die Peitsch- und Prügelszene länger und detaillierter war als in der späteren Version. Bevor Joey, von Chas’ Kugel getroffen, starb, kroch er zu diesem hin und zerschnitt mit einer Rasierklinge die Spitze seines Schuhs – ein letzter Akt des Widerstands, der sich auch sexuell deuten lässt.

Performance

Weil auch diese Vorführung ein Desaster war, wird sie oft mit der vom Februar vermengt. Deshalb ist unklar, ob sich die Gattin eines Studio-Offiziellen im Februar oder im Juli bei dieser Stelle erbrach, wenn die Dame nicht überhaupt erfunden ist. Im Granada jedenfalls brach nun ein Tumult aus. Die Vorführung musste gestoppt werden. Wer gehen wollte, bekam sein Geld zurück. Nach 20 Minuten wurde der Film fortgesetzt. Am Ende gab es heftige Diskussionen unter denen, die bis zum Schluss geblieben waren. Sandy Lieberson erinnert sich an eine traumatische Erfahrung und daran, dass die Warner-Bosse fluchtartig das Kino verließen.

Ted Ashley und John Calley hatten Dr. Aaron Stern mitgebracht. Dieser Herr war Psychiater von Beruf, was ihn offenbar für eine leitende Funktion in der Abteilung der Motion Picture Producers’ Association (MPPA) qualifizierte, die für die Freigabe-Zertifikate zuständig ist (1971 wurde er dort Chef). Solche Altersfreigaben haben – auch wenn die Verantwortlichen das immer vehement bestreiten – schon deshalb viel mit Zensur zu tun, weil die wirtschaftlichen Konsequenzen gravierend sind. Dr. Stern warnte seinen Freund Ted Ashley, dass Performance in dieser Form ein X-Zertifikat erhalten werde (das heutige NC-17, unserem FSK 18 entsprechend).

Der Theorie nach wurde durch ein X sichergestellt, dass solche Filme nur von Erwachsenen gesehen werden konnten. Dagegen wäre vor allem dann nichts einzuwenden, wenn solche Zertifizierungen transparenter und weniger stark von Vorurteilen und ideologischen Normen bestimmt wären (das Wirken des Dr. Stern ist dafür ein trauriges Beispiel). In der Praxis gab es viele Kinos, die einen X-Film grundsätzlich nicht zeigten, auch nicht für Erwachsene, weil das X automatisch mit Pornographie assoziiert wurde. Unter den großen Studios galt es als peinlich, einen Film in den Verleih zu bringen, den die eigene Produzentenvereinigung mit einem X gebrandmarkt hatte. Darum könnte an dem Gerücht etwas dran sein, dass Calley und Ashley von den anderen Studiobossen aufgefordert wurden, Performance an einen Verleiher zu verscherbeln, der Pornokinos belieferte und so die Filmindustrie – traditionell ein Hort der Scheinheiligkeit – vor Schande zu bewahren.

Glücksspiel und Zensur

Es gibt Fälle, in denen Studios der MPPA die Stirn boten und ein X verhinderten, ohne größere Konzessionen zu machen. Calley und Ashley knickten schon ein, als Dr. Stern seine inoffizielle Expertise abgegeben hatte. Das hatte wahrscheinlich mit ihrer Abneigung gegen Performance zu tun, ganz sicher aber mit Parkplätzen. Mit diesen Parkplätzen hatte Caesar Kimmel, jetzt Vizepräsident der Kinney National Services, das Vermögen verdient, ohne das Steve Ross, der Kinney-Chef, die Warner Brothers nicht hätte kaufen können. Caesar war der Sohn von Emmanuel Kimmel, eines bekannten Spielers aus New Jersey. Kinney gehörten auch die Limousinen, mit denen Kimmel sen. einige betuchte Freunde des Glücksspiels von New York nach New Jersey bringen ließ, wo er ein Würfelspiel organisiert hatte. Als in New York der Staatsanwalt davon Wind bekam, eröffnete er ein Verfahren wegen illegalen Glücksspiels, in das auch Ross und Kimmel jun. verwickelt wurden.

Caesar Kimmel beteuerte seine Unschuld, und das Verfahren verlief letztlich im Sande. Doch die peinliche Affäre fiel genau in die Zeit der Übernahme der Warner Brothers durch Kinney, die von den Behörden nun besonders misstrauisch beobachtet wurde, weil sie alte Verdachtsmomente bezüglich einer Verbindung zwischen der Unterhaltungsindustrie und dem illegalen Glücksspiel zu bestätigen schien (wie die Parkgaragen und die Bestattungsinstitute dazu passten, überlasse ich der Phantasie des Lesers). Das Kinney-Führungspersonal hatte Anweisung, alles zu vermeiden, was auf das Unternehmen aufmerksam machen und dieses in ein ungünstiges Licht rücken konnte. Weiteren Ärger mit Performance konnten Ashley und Calley gerade jetzt überhaupt nicht brauchen.

Wir wollen annehmen, dass Filme in aller Regel zum Schutz der Jugend geändert werden. Aber manchmal ist auch ein Würfelspiel in New Jersey daran schuld. Ashley und Calley verfügten, dass eine hollywood-kompatible Fassung von Performance hergestellt werden musste. Um nicht gleich wieder die Kontrolle zu verlieren, sollte das diesmal in Los Angeles geschehen, nicht in London. Lieberson musste zurück nach England, wo er einen neuen Film produzierte. Roeg wurde in Australien erwartet, um Walkabout zu drehen. Donald Cammell fiel daher die Aufgabe zu, für eine Version zu sorgen, mit der sich alle drei identifizieren konnten. Je nachdem, welches Interview man liest und in welchem Jahrzehnt danach gefragt wurde, gelang ihm das mal mehr und mal weniger gut. Zu fast allem, was da gesagt wird, kann man auch das Gegenteil finden.

Üblicherweise gibt es ein Sammelsurium von Gründen, warum ein Film umgeschnitten wird. In den wenigsten Fällen sind es allein der Sex und die Gewalt, obwohl das oft behauptet wird. Und falls doch, muss man immer noch fragen, um welche Art von Sex und Gewalt es sich da handelt. Mit einer Laufzeit von etwa zwei Stunden war Performance den neuen Warner-Chefs zunächst einmal zu lang. Cammells erste Tat war die, den ihm zugeteilten Cutter loszuwerden. Als er dann Frank Mazzola kennenlernte, trafen sich zwei Seelenverwandte. Mazzola war in Hollywood aufgewachsen, hatte in Rebel Without a Cause eine kleine Rolle gespielt und war inzwischen ein sehr erfahrener, aber keineswegs auf althergebrachte Handwerksregeln festgelegter Schnittmeister.

Mazzola erinnert sich, dass er vor allem die erste Hälfte des Films bearbeitete und um etwa 20 Minuten kürzte. Da die von ihm geschnittene Version von Calley abgenommen wurde, sind Zweifel daran angebracht, ob es wirklich Turners Badewanne und Doppelbett waren (in der zweiten Hälfte), die als so anstößig empfunden wurden. Von den Kürzungen stark betroffen waren der Umgang der Gangster mit ihrer Homosexualität und die damit verbundene Gewalt. Am Ende der Szene, in der Harry Flowers den Auftrag gibt, Chas zu töten, geht er mit geilem Grinsen aus seinem Schlafzimmer in den Raum, in dem bei Cammell der sexuelle Missbrauch stattfindet: ins Badezimmer. Er wirkt, als habe ihn der Mordauftrag erregt. Ursprünglich wurde im Gegenschnitt der nur mit einem Handtuch bekleidete Stricher gezeigt, den Harry da so lüstern anschaut und mit dem er jetzt Sex haben wird. In der derzeit verfügbaren Fassung ist der Gegenschnitt entfernt (früher in der Szene gibt es noch eine Einstellung mit dem Mann im Handtuch). Es besteht da eine beunruhigende Beziehung zwischen unterdrückter oder nur im Geheimen ausgelebter (Homo)Sexualität und Gewalt (das hat nichts mit Schwulenfeindlichkeit zu tun).

Performance

In Großbritannien erhielt die bereits stark gekürzte Fassung erst die Freigabe, als die Zwischenschnitte aus der Auspeitschszene entfernt worden waren: in diesen Einstellungen ist Chas beim Sex mit seiner Freundin zu sehen, was den sexuellen Charakter der Prügelei unter Männern deutlich macht, die sich anders nicht berühren können. (Die britischen Zensoren mochten es auch nicht, wie in dem Film mit einem ihrer nationalen Statussymbole umgegangen wird. Die Szene, in der Chas den Rolls-Royce des Anwalts mit Säure übergießt, musste auf Anordnung des BBFC ebenfalls gekürzt werden.)

Die Amerikaner hatten auf einen Swinging London-Film gehofft, gepaart mit einem dieser Popstar-Filme wie Finders Keepers (mit Cliff Richard). Sie bekamen schwule Gangster, die sich Reiterbilder an die Wand hängten wie in einem exklusiven Herrenclub, mit gewöhnungsbedürftigem, weil vorher nie gehörtem East-End-Akzent sprachen und so taten, als seien sie seriöse Geschäftsleute aus der Londoner City (die Krays traten gern als Direktoren ihrer „Firma“ auf, einer Gangsterbande). Und sie bekamen einen Mick Jagger, der zum ersten Mal zu sehen war, als der Film schon halb vorbei war. Im nicht verwendeten Material fand Mazzola ein paar Einstellungen, in denen Jagger eine Wand besprüht. Diese Bilder fügte er in den Gangsterteil ein. Das war verwirrend, scheint Calley aber besänftigt zu haben, weil der ersehnte erste Auftritt des Stars nach vorne verlegt worden war.

Memo From Turner

Der Jazzliebhaber Mazzola hat ein intuitives, von der Musik und der Poesie her kommendes Verhältnis zum Filmschnitt. Metrum und Rhythmus sind ihm wichtiger als der (ohnehin von der Form bestimmte) Inhalt. Er beschleunigte Performance, indem er 20 oder 25 Minuten herausnahm, viel mehr aber durch den Schnitt. Er und Cammell, ein Fan von William Burroughs und dessen Cut-up-Technik, waren sich gleich einig, die Zeit über Bord zu werfen. Godard hatte schon länger keine Lust mehr, sich sklavisch an die Chronologie zu halten, an Anfang, Mitte und Schluss in dieser Reihenfolge. Man sieht Performance auch an, dass er von John Boormans Gangsterfilm Point Blank beeinflusst ist, bei dem man nach den ersten paar Minuten schon nicht mehr weiß, wo im chronologischen Kontinuum man sich befindet und ob das, was man da sieht, überhaupt je stattgefunden hat. Und Nicolas Roeg hatte Richard Lesters Petulia photographiert, der in der Mitte der Geschichte beginnt, um von dort in Richtung Anfang und Ende weiterzuerzählen.

Man muss also nicht, wie manche Bewunderer, so tun, als hätten Cammell und Mazzola das Rad neu erfunden. Aber vor Performance hatte es keinen Mainstream-Film gegeben (zumindest keinen, den ich kenne), der so intensiv die Chronologie zertrümmerte, wenn es dramaturgisch gerechtfertigt schien. Die erste Hälfte der Langfassung war linear erzählt. Jetzt sprangen Cammell und Mazzola auf der Zeitachse vor und zurück, überließen sich dem Groove des Films, stellten durch Gegenschnitte assoziative Verbindungen her und ließen Sätze, die eine Figur begann, durch eine andere Figur beenden, wenn das (ironischerweise) die Zeit erlaubte. Sie arbeiteten unter großem Druck, weil die Warner Brothers allmählich die Geduld verloren.

Den Unterschied zwischen den beiden Versionen des Films macht die Szene am Anfang deutlich, in der Chas Sex mit seiner Freundin Dana hat. Laut Transkript wurde in der 2-Stunden-Fassung zweimal von den nackten Körpern auf den schwarzen Rolls-Royce geschnitten. Colin McCabe hat nachgezählt und in der Kinofassung über 50 solcher Umschnitte vom kopulierenden Paar auf das Auto gefunden. Wenn man dann bemerkt, dass es solche Schnittfolgen auch in der Joey Maddocks-Szene gibt, hat man schon den ersten roten Faden gefunden, der sich durch den Film schlängelt. (Wer mehr über die Beziehung zwischen Sex, Autos, Tod und Gewalt bei Cammell wissen will, sollte zum Vergleich Kenneth Angers Kustom Kar Kommandos heranziehen. Performance ist eine Wundertüte, in der man dauernd neue Dinge entdeckt.)

Performance

Performance bringt auch die Chronologie der Geschichtsbücher durcheinander, in denen über den Einfluss von MTV auf den Spielfilm räsoniert wird. Mit den einst als revolutionär geltenden Musikclips kann es Cammels Film jederzeit aufnehmen. Und bei der Suche nach dem ersten Musikvideo muss das „Memo From Turner“, eine durch einen psychedelischen Pilz sowie Ry Cooders und Merry Claytons Interpretation von „Hound Dog“ ausgelöste Halluzination von Chas, zumindest in die engere Auswahl kommen. In Chas’ Kopf nimmt Turner die Stelle von Harry Flowers ein (die Verschmelzung von Gangster und Popstar), und Cammell legt die unter dem Macho-Gehabe der Villains verborgene Homosexualität bloß.

Ursprünglich sollten die Rolling Stones den ganzen Soundtrack liefern. Das scheiterte daran, dass Keith Richard trotz aller Überredungsversuche nichts mit dem Film zu tun haben wollte, in dem Anita mit Mick im Bett lag (das Equipment für Turners Musikzimmer musste David Cammell in der Abbey Road ausleihen, im Aufnahmestudio der Beatles). Als Glücksfall erwies sich, dass Donald Cammell die zweite Schnittfassung auf Anweisung der Warner Brothers in Los Angeles herstellen musste. Dort erklärte sich Jack Nitzsche bereit, für die fehlende Musik zu sorgen – auf Vermittlung von Keith Richard, den Nitzsches von den Produzenten abgelehnter Soundtrack zum Film Candy sehr beeindruckt hatte und der die leidige Angelegenheit endlich los sein wollte. (Jaggers „Memo From Turner“ wurde auf der Platte mit der Filmmusik veröffentlicht. Zwischen ihm und Richard blieb Performance ein heikles Thema. Erst 1975 erschien eine frühe „Memo“-Version auf dem Stones-Album Metamorphosis.)

Performance

Nitzsche holte erstklassige Musiker wie Randy Newman, Ry Cooder und Gene Parsons von den Byrds ins Studio, dazu noch Buffy Sainte-Marie, eine der weltweit besten Mundharfenspielerinnen und Merry Clayton. Ihre Stimme verbindet Performance mit Let It Bleed, wo sie in „Gimme Shelter“ zu hören ist. Keith Richard arbeitete an dem Album, während Jagger und Pallenberg am Lowndes Square drehten, packte seine ganze Wut und Frustration hinein. Let It Bleed ist eine faszinierende Ergänzung zu Performance, Begleit- und Gegenstück in einem.

Nitzsche schuf ein Meisterwerk des Eklektizismus: eine grandiose Mischung aus Blues, Rock, Proto-Rap und Weltmusik. Am eindrucksvollsten ist die Musik, die Bernie Krause für ihn mit dem Prototypen eines neuen Modells des Moog Synthesizer einspielte, den Nitzsche besorgt hatte. Krause steuerte die pulsierenden Töne bei, die den Film jetzt vorantreiben und dramaturgisch an den Stellen eingesetzt sind, wo die Charaktere ihre feste Verortung im Raum-Zeit-Kontinuum, in der abgekapselten Ich-Identität und in der traditionellen Geschlechterrolle verlieren. Cammell ließ Nitzsche einfach machen, ohne sich einzumischen, und der dankte es ihm mit vollem Einsatz. So führte der Widerstand der Warner Brothers gegen den Film nicht nur zu einer bahnbrechenden Schnitttechnik, sondern auch zu einem der gelungensten Soundtracks der 1960er und 1970er.

Als der Warner-Präsident Ted Ashley die neue, von seinem Produktionschef John Calley abgenommene Fassung sah (inklusive der von Mazzola eingefügten Spitze einer weiblichen Brust, die plötzlich wie ein Bergriese die Leinwand füllt), war er entsetzt. Performance lief schon wieder Gefahr, im Archiv begraben zu werden. Cammell schickte Ashley ein mit „Mick Jagger“ unterzeichnetes Telegramm, das den Präsidenten auch nicht beruhigt haben dürfte. Darin ist von „der pervertierten Liebesaffäre zwischen Homo Sapiens und Lady Violence“ die Rede und davon, dass der Film wertlos sei, wenn das Publikum nicht aus der Fassung gebracht werde. Ashley ordnete weitere Schnitte an, die sich vermutlich auf etwa zwei Minuten summierten. Cammell und Mazzola waren daran nicht beteiligt. Diese dritte Version (den Rohschnitt vom Februar 1969 nicht mitgerechnet) ist derzeit auf DVD verfügbar. China Cammell, Donalds Witwe, besitzt angeblich eine Kopie der zweiten Fassung. Das ist sehr unwahrscheinlich. Frank Mazzola glaubt, dass die von ihm und Donald abgelieferte Version noch irgendwo im Archiv der Warner Brothers aufbewahrt wird – oder besser: herumliegt und verstaubt.

Performance

Trotz aller Eingriffe erhielt Performance schließlich doch das gefürchtete X-Zertifikat. Sehr gut war die Werbung, die sich auf Bruchstücke aus Cammells Telegramm an Ashley stützte: „This film is about madness. And sanity. Fantasy. And reality. Death. And life. Vice. And versa.“ US-Kinostart war allerdings am 1. August 1970. Das war einer der ungünstigsten Termine überhaupt. Im August startete man Filme, die man schnell loswerden wollte, bevor im Herbst die erhofften Kassenschlager auf dem Spielplan standen. Im Januar 1971 feierte Performance seine London-Premiere. Der Erlös der Veranstaltung kam Release zugute, einer Hilfsorganisation für Suchtkranke. Das Magazin Time Out berichtete ausführlich und stellte sich hinter Performance, der damit auf dem Weg zum Kultfilm war. In Großbritannien und anderen Ländern Westeuropas waren die Einspielergebnisse nicht überragend, aber doch viel besser als in den USA, wo die Warner Brothers den ungeliebten Film vorsätzlich versenkten. Es ist wie immer: Niemand kann mit Bestimmtheit sagen, ob Performance ein größeres Publikum erreicht hätte, wenn er von den Verantwortlichen nicht vorab als Kassengift eingestuft und entsprechend stiefmütterlich behandelt worden wäre.

Sympathy for the Devil

Einer der gruseligsten Momente des Films ist der, in dem Mick Jagger sich zum ersten Mal das Haar nach hinten streicht und scheinbar mühelos in die Figur des Gangsterbosses schlüpft, der für Geld (fast) alles tut. Ist das Nachahmung und Rollenspiel, oder hat Cammell da eine sinistre Seite Jaggers ans Licht gebracht, die man bis dahin noch nicht kannte (Marianne Faithfull meint in ihrer Autobiographie, Performance sei das Bildnis des Dorian Grey der späten 1960er)? Jedenfalls scheint Jagger einer der wenigen Beteiligten zu sein, die – soweit man das von außen sagen kann – unbeschadet aus der Gruppenerfahrung im Haus am Lowndes Square hervorgingen.

Performance

Der Laiendarsteller Johnny Shannon wurde ein gefragter Film- und Fernsehschauspieler. Michèle Breton, Anita Pallenberg und Keith Richard hatten in den folgenden Jahren mit Suchtproblemen zu kämpfen. Ohne Performance wäre das kaum anders gewesen; der Film hält allerdings den Moment fest, in dem die Utopie dabei war, sich in einen Albtraum zu verwandeln. James Fox lieferte als Chas Devlin eine Leistung ab, die viele für seine beste halten. Beinahe wäre es auch seine letzte gewesen. Cammell und Performance werden oft dafür verantwortlich gemacht, dass Britanniens Jungstar in eine Sinn- und Identitätskrise geriet und seine Schauspielerkarriere über ein Jahrzehnt lang an den Nagel hängte. Dazu ist zu sagen, dass Fox lange vor Performance in diese Krise geraten war und sich erst ein Jahr nach den Dreharbeiten christlichen Fundamentalisten („The Navigators“) anschloss. Richtig ist aber wohl auch, dass Cammell ihm anmerkte, wie angreifbar er war und das für seinen Film nach Kräften ausnutzte, vielleicht ohne Rücksicht auf Verluste. Auch er hatte zwei Persönlichkeiten: in diesem Fall eine zärtliche und die mit dem kalten Blick des Forschers, für den ein Film ein Experimentierfeld ist.

„Jede Technik, die funktioniert, ist okay“, sagt Cammell in einem Interview; „wenn man die Dinge unnachgiebig aufrührt, erhält man auch Ergebnisse. Und das tat ich bis zur letzten Konsequenz, bis die Funken flogen.“ Damit ist nicht gemeint, wie oft zu lesen, dass er Fox auf einen LSD-Trip schickte, von dem dieser nicht zurückkam. Marianne Faithfull erklärt es so:

Was würde passieren, wenn man einen verklemmten Engländer aus der Oberschicht nimmt, ihn mit einem Haufen von psychotropen Drogen zuknallt, Mind Games mit ihm spielt, ihn anmacht und ihn dann in einen Film steckt, der all das noch einmal durchspielt (aber mit echten Gangstern). James Fox war, um es vorsichtig auszudrücken, nicht ganz in seinem Element. […] Donalds Art des Regieführens bestand darin, einen Strudel anzurühren. In diesen Strudel kam alles Desorientierende, das man sich nur vorstellen konnte.

Einige kamen lädiert aus den 60ern heraus, so wie James Fox, andere überlebten sie nicht. Am 3. Juli 1969 wurde Brian Jones tot in einem Swimmingpool gefunden. Ein für den 5. Juli geplantes Gratiskonzert der Rolling Stones im Hyde Park wurde zu einer Gedenkveranstaltung für den Mitbegründer der Band (und das Vorbild für Turner in Performance). Kenneth Anger, der genialisch-avantgardistische Filmpoet und selbsternannte Magier, pendelte damals zwischen Amerika und England hin und her. Er filmte Teile des Konzerts und fügte einige der Bilder in Invocation of My Demon Brother ein, eine Hommage an Crowley, zu der Jagger die improvisierte Synthesizer-Musik beisteuerte (zu sehen ist auch Anita Pallenberg, die nach Jones’ vermutetem Selbstmord unter schweren Schuldgefühlen litt).

Invocation of My Demon Brother

In London fand Anger viele Zuhörer, denen er etwas von der satanischen Kraft der Rolling Stones erzählte und davon, wie seine langen Gespräche mit Mick Jagger über den Teufel zu „Sympathy for the Devil“ geführt hätten. Man hätte damals viel Geld verdienen können, wenn man Gemälde von Aleister Crowley gekauft hätte, die lange Zeit niemand haben wollte. Rockstars würden für solche Bilder nun bald Höchstpreise zahlen. (Viele davon zeigt Anger in The Man We Want to Hang.)

Jagger hatte halb zugesagt, eine Rolle in Lucifer Rising zu übernehmen, machte dann aber einen Rückzieher und bot seinen Bruder Chris als Ersatz an. Es gibt zwei Versionen, wie es zur Mitwirkung von Donald Cammell kam. Anger hat insbesondere nach Cammells Selbsttötung berichtet, dass er ihn wegen dessen Todessehnsucht als Osiris besetzte, den Gott der Unterwelt. Version 2 stammt von Myriam Gibril, Cammells Partnerin in den Jahren nach Performance. Ihr zufolge sollte sie Lucifer Rising photographieren. Weil sie den stark depressiven Donald nicht allein lassen wollte, habe sie Anger angeboten, statt eines Honorars ein weiteres Flugticket zu kaufen. Das habe Anger auf den Gedanken gebracht, sie und Donald als Isis bzw. Osiris zu besetzen.

Lucifer Rising

Jedenfalls flog Cammell mit Myriam und Marianne Faithfull (sie verkörperte die Lilith) zu Anger nach Ägypten (Juli 1971), als Nicolas Roeg gerade dabei war, sich mit Walkabout als der neue auteur des britischen Kinos zu etablieren. Für Faithfull steht außer Frage, dass primär Donald Cammell der Schöpfer von Performance ist. Das war lange Zeit eine Minderheitenmeinung. Roeg inszenierte Walkabout und wurde dann für Don’t Look Now bejubelt. Die Auteur-Theorie erfreute sich zunehmender Beliebtheit, und es war naheliegend, in Roeg den eigentlichen Regisseur von Performance zu sehen, nicht aber Cammell, der zuvor noch nie einen Film gedreht hatte und nun von der Bildfläche verschwand.

Bis Anger Lucifer Rising fertigstellen konnte, vergingn Jahre. Als es soweit war, ließ sich das gut verwenden, um Cammell im Umfeld von Aleister Crowley bzw. Charles Manson zu positionieren (die Musik zu Lucifer Rising stammt von Bobby Beausoleil, einem der Mörder aus der Family). Die Beziehung zu Crowley ist aber nur dann gegeben, wenn man beim Great Beast nicht automatisch an schwarze Messen und Ritualmorde denkt. Bei Cammell ist der Teufel fest in der Realität verankert, und meistens ist er im Zentrum einer Männergesellschaft zu finden wie der Gangsterboss Harry Flowers in Performance.

In der ersten Schnittfassung scheint es mehr Hinweise auf dessen geheime Leidenschaft gegeben zu haben als in der Version, die dann ins Kino kam. Geblieben ist nur eine Szene, in der Flowers auf dem Bett liegt und ein Photo von zwei spärlich bekleideten Knaben betrachtet. Das ist nicht der perversen Phantasie Donald Cammells entsprungen. Ronnie Kray belieferte seine pädophile Kundschaft, darunter Politiker und mindestens ein Lord, mit kleinen Jungs. Und manches spricht dafür, dass der 8-jährige Donald von schottischen Benediktinern (wieder eine reine Männergesellschaft) sexuell missbraucht wurde.

Performance

Von solchen unerfreulichen Dingen wollte man bis vor kurzem lieber gar nichts wissen. Wer sie thematisierte, war von Zensur bedroht und geriet selbst in Verdacht. Bezeichnend ist der Verriss von John Simon, des Chefkritikers der New York Times, in dem Performance unterstellt wird, ein Film für Päderasten zu sein. Simon hätte genauer hinschauen sollen. Harry Flowers ist ein Monstrum. Seine Macho- und Gangsterwelt wird mit Turners Haus kontrastiert, in dem alles möglich scheint, nur eines nicht: In keinem Moment entsteht der Eindruck, dass Lorraine, die kleine Tochter von Turners Haushälterin, in Gefahr sein könnte, missbraucht zu werden. Im Gerede über Satanismus, LSD, Gruppensex und eine Miniaturkamera in der Vagina von Anita Pallenberg ist das leider völlig untergegangen.

Wet Dreams

Performance wurde auch deshalb in eine Ecke gestellt, in die er nicht gehört, weil jemand Outtakes von der Bettszene an das von der alternativen Sex-Zeitschrift Suck finanziell unterstützte Wet Dream Festival in Amsterdam verkaufte. Unter dem Titel Performance Trims wurden die zehn Minuten mit Jagger, Pallenberg und Breton am 28. November 1970 im Kosmos gezeigt, einem für diesen Abend zum Kino umfunktionierten spirituellen Begegnungszentrum. Da Turner beim Sex mit Pherber und Lucy keine Unterhose trägt wie im Softporno der 1970er, war außer weiblichen Genitalien auch der Penis von Mick Jagger zu sehen. Nick Brown zitiert in seinem Performance-Buch den Korrespondenten einer holländischen Zeitung, der berichtet, der „entblößte Apparat des Königs der Rolling Stones“ habe viel Applaus erhalten, bei einem Teil des Publikums jedoch für Enttäuschung gesorgt, weil Jaggers Penis auch nicht anders sei als andere.

Performance

Der OZ-Chef Richard Neville kaufte ein paar Filmkader mit Jaggers Gemächt und veröffentlichte sie in Nr. 32 („Granny’s OZ“, Januar 1971) seiner psychedelischen Counterculture-Zeitschrift. Später entschuldigte er sich dafür, was nichts daran änderte, dass nun noch mehr Leute, die Performance nie gesehen hatten, davon überzeugt waren, dass es sich da um einen Pornofilm handeln müsse (eine Einschätzung, die dadurch bestätigt zu werden schien, dass der Film nur mit dem einschlägig vorbelasteten X-Zertifikat freigegeben wurde). Nick Brown schreibt, die Outtakes hätten beim Wet Dream Festival einen Preis erhalten. Da sie aber in keiner Liste mit den Preisträgern erwähnt werden, ist wohl auch das eine Legende. Es wäre die einzige Auszeichnung gewesen, die Performance je erhalten hätte.

Cammell hatte nun die „Was wäre gewesen, wenn …“-Phase seiner Karriere erreicht. Für sein nächstes Projekt, Ishtar (nicht zu verwechseln mit dem Warren Beatty/Dustin Hoffman-Fiasko von 1987), gab es eine eindrucksvolle Besetzungsliste: Marlon Brando, Orson Welles, Dominique Sanda, Malcolm McDowell, William Burroughs. Michael Butler, der mit dem Musical Hair ein Vermögen verdient hatte, wollte das Geld geben. Ende 1971 war das Projekt so weit gediehen, dass Cammell beschloss, mit Myriam Gibril nach Los Angeles zu übersiedeln, wo er blieb bis zu seinem Tod. Wenn er sich nicht auf diesen Film konzentriert und andere Angebote abgelehnt hätte, hätte vielleicht er und nicht Martin Scorsese Taxi Driver gedreht (in einem Interview erzählt er, dass ihn Paul Schrader als Regisseur vorschlagen wollte).

Ishtar war das erste von vielen gescheiterten Projekten (Butler zog seine Finanzierungszusage zurück). Ein anderes war die Verfilmung von Michael McClures Skandalstück The Beard (der Geist von Jean Harlow trifft den Geist von Billy the Kid). Mick Jagger sollte Billy spielen. Aber Jagger hatte nicht zufällig die London School of Economics besucht, bevor er Rockstar wurde. The Beard war das erste einer ganzen Reihe von Cammells Projekten der 1970er, bei denen er sich früher oder später damit abfinden musste, dass sie nicht zu finanzieren waren, weil Jagger kategorisch auf einer Mindestgage von einer Million Dollar bestand. Irgendwann muss ihm klar geworden sein, dass der geschäftstüchtige Star und Cricket-Liebhaber unter keinen Umständen (künstlerische Erwägungen, die alte Freundschaft) von dieser Forderung abrücken würde. Vielleicht war es die selbstzerstörerische Seite seiner Persönlichkeit, die weiter unrealisierbare Filme plante.

Im Sommer 1974 trennte sich Myriam Gibril von Donald. Sie selbst sagt, sie habe es nicht mehr ausgehalten, mit einem Mann zu leben, der permanent davon sprach, sich umbringen zu wollen. Wenn die Geschichte, die der Auslöser gewesen sein soll, in einem Drehbuch stehen würde, könnte man meinen, da habe ein Autor etwas ungelenk versucht, Eros und Thanatos zusammenzubringen. Bei einer Party fand Myriam den von starken Stimmungsschwankungen heimgesuchten Donald auf dem Hausdach, wo er offenbar überlegte, ob er hinunterspringen sollte. Als er wenig später verschwunden war, geriet sie in Panik und organisierte eine Suchaktion. Gefunden wurde der charismatische, notorisch untreue Cammell schließlich mit einer Dame der Gesellschaft, in einer eindeutigen Situation. Das ist die Konstante in seinem Leben. Er brauchte die Nähe zu einer festen Partnerin, hatte aber auch eine große Bindungsangst. Hier sei noch einmal daran erinnert, dass er an einer psychischen Erkrankung litt, die vielleicht darauf zurückzuführen ist, dass er als Kind missbraucht wurde.

Ein paar Monate nach der Trennung mietete Cammell das Haus am Crescent Drive, in dem er sich am Ende erschießen würde. Im Dezember 1975 zog China Kong dort ein, die eigentlich Patty hieß. In seiner Pariser Zeit hatte Donald China Machado kennengelernt, ein Lieblingsmodel des Photographen Richard Avedon. Sie war eine der wenigen Frauen, die seinen Verführungskünsten widerstehen konnten, obwohl er mehrere Anläufe unternahm. Jetzt gab er Patty deren Namen. Wenn Donald Cammell eine Roman- oder Filmfigur wäre, läge die Interpretation wieder auf der Hand: Ein Mann, der menschliche Nähe braucht, nennt seine neue Partnerin nach einer Frau, die auf Distanz zu ihm blieb, weil er seine Bindungsangst nicht überwinden kann. Vielleicht war es im echten Leben so ähnlich.

Cammell kannte Patty, die jüngere Schwester einer Freundin von Myriam Gibril, seit sie 11 war. Seine Biographen, Rebecca und Sam Umland, konnten trotz mehrjähriger Recherchen nicht herausfinden, wie es zu dieser Beziehung kam. Alle hüllen sich in Schweigen, was damit zu tun haben dürfte, dass sie anfangs den Tatbestand des statutory rape erfüllte, was im Fall von Roman Polanski gern auf das Wort „Vergewaltigung“ reduziert wird (die korrekte Übersetzung ist „Unzucht mit Minderjährigen“). Obwohl Marlon Brando, ein guter Freund von Pattys Mutter, abwechselnd damit drohte, Cammell als Sexualverbrecher einsperren oder aber deportieren zu lassen, scheint niemand etwas unternommen zu haben. Patty hatte wohl auch nicht unbedingt die Eltern, die man ihr gewünscht hätte. Ende 1978, bald nach ihrem 18. Geburtstag, flog das Paar nach Paris, um dort zu heiraten. Donald war inzwischen 44 Jahre alt.

Zwischen Computern und Piratinnen

Marlon Brando und Donald Cammell kannten sich seit den 1950ern. Der Schauspieler, der ursprünglich als der Gangster in Performance vorgesehen war, spielte eine meist destruktive Rolle in Cammells Leben. Diverse Filmprojekte wurden irgendwann aufgegeben, weil Brando letzte Details geklärt haben wollte, bevor er den Vertrag unterschrieb, oder weil er sich gerade nicht entscheiden konnte, oder weil ihm das Drehbuch nicht mehr gefiel. Falls Brando doch einmal zur Unterschrift bereit war, sollen die Produzenten im letzten Moment zurückgeschreckt sein, weil beide, er und Cammell, als „schwierig“ galten. Das ohnehin komplizierte Verhältnis wurde durch Donalds Beziehung zu China weiter belastet. Wie bei Mick Jagger kann man wieder fragen, ob Cammell unverdrossen Drehbücher für Filme mit Brando entwickelte, obwohl er wusste, dass es aussichtslos war (einmal klappt es vielleicht doch), oder gerade deshalb (das Selbstzerstörerische).

Zyniker werden sagen, dass Cammell bis zu seiner Hochzeit unbehelligt blieb, weil kein Geld bei ihm zu holen war und weil kein Kläger und kein Richter hoffen durfte, durch ihn ins Fernsehen zu kommen. Anfang 1972, als er sich in Los Angeles niederließ, war er der Mann, der mit Mick Jagger Performance gedreht hatte und mit dem jeder reden wollte. 1974 war er schon so vergessen, dass seine Biographen kein einziges Interview aus dieser Zeit finden konnten. Es dauerte acht Jahre, bis er seinen zweiten Spielfilm inszenierte. „Immerhin“, meint der Wissenschaftler am Beginn von Demon Seed darum selbstironisch, „sind erst acht Jahre vergangen, seit wir angefangen haben.“

Es sagt einiges über Cammells Status in Hollywood, dass ihn die MGM erst engagierte, als viele andere Regisseure (einer war Brian De Palma) frustriert abgesprungen waren, weil es dauernd neue Drehbuchfassung gab, die alle als unverfilmbar galten. Demon Seed (nach dem Roman von Dean Koontz) ist eine Frankenstein-Variation, gepaart mit Elementen aus Aleister Crowleys Moonchild. Das hat wieder wenig mit schwarzen Messen und Orgien zu tun, dafür aber sehr viel mit der Frage nach der menschlichen Identität. Wo fängt das Humane an und wo hört es auf? Wodurch wird die Humanität definiert? Durch die Biologie, den Intellekt, die Willenskraft oder die Moral?

Demon Seed

Demon Seed steht am Anfang des Science-Fiction-Booms und ist unter anderem ein Film über künstliche Intelligenz. In den 1970ern war die Wissenschaft noch davon überzeugt, das Gehirn des Menschen nachbauen und dann ein Superhirn mit übermenschlichen Fähigkeiten herstellen zu können. Dr. Alex Harris (Fritz Weaver) baut dieses Superhirn, das er Proteus IV nennt. Schnell stellt sich heraus, dass der Computer eine eigene Persönlichkeit entwickelt und außerdem eine moralische Grundhaltung, die der seines Schöpfers weit überlegen ist. Proteus weigert sich, Probleme zu lösen, wenn er die Resultate aus moralischen und/oder ökologischen Gründen nicht vertreten kann. Schließlich macht er Harris’ Frau Susan (Julie Christie) zur Mutter seines Kindes. Das so entstandene Zwitterwesen soll die Menschheit in eine vermeintlich bessere Zukunft führen. Man kann den Film auch biographisch lesen. Die Schwängerung und das Austragen des Kindes finden in einer autonomen, nach außen abgeschlossenen Umgebung statt (wie ein Kloster); die künstliche Befruchtung ist ein sexueller Missbrauch.

Demon Seed

Als Demon Seed 1977 ins Kino kam, hatte Cammell einige massive Auseinandersetzungen mit den Produzenten hinter sich, denen das, was er aus Koontz’ Roman gemacht hatte, zu komplex und zu wenig kommerziell war. Sechs Wochen später lief Star Wars an, der zum Megaerfolg wurde und alles andere in den Schatten stellte. Demon Seed verschwand in der Versenkung. Bis zum nächsten Film vergingen viele Jahre, in denen Cammell nie realisierte Drehbücher verfasste, Musikvideos mit U2 und den Hooters drehte und mit Marlon Brando (mitunter auch gegen ihn) an einer von diesem konzipierten Geschichte über weibliche Piraten arbeitete. Historisches Vorbild war Lai Choi San, die von 1922 bis 1939 im Südchinesischen Meer unterwegs war und zeitweilig ein Dutzend Piratendschunken kommandierte (mehr darüber in Ich segle mit chinesischen Piraten von Aleko E. Lilius). Als Brando das Interesse verlor, arbeitete Cammell einen Teil des bis dahin entstandenen Szenarios zu einem (sehr gut geschriebenen) Roman um. Das unvollendete, im Nachlass gefundene Manuskript machte David Thomson druckfertig. Fan-Tan erschien 2005.

Während man White of the Eye (1987) sieht, den dritten von Cammells vier Spielfilmen, kann man wieder über eine Vergeudung von Talent nachdenken, die sich nicht allein dadurch erklären lässt, dass jemand leider schwierig war. Donald und China schrieben gemeinsam das Drehbuch und verlegten die Handlung von Neuengland (Romanvorlage) in die Wüste von Arizona, an den Rand des Apachen-Reservats. Der Film beginnt mit Aufnahmen einer Landschaft, aus der nun John Wayne auftauchen würde, wenn es ein Western von John Ford wäre. Bei Cammell sieht man als nächstes einen Raubvogel, einen Mord und dann, aus der Vogelperspektive, einen gigantischen Steinbruch, der wie ein Moloch alles zu verschlingen scheint, die Postkartenidylle in eine apokalyptische Industrielandschaft verwandelt. Beim ersten Mord wird auf raffinierte Weise die Perspektive des Publikums mit der des Mörders und mit der des Regisseurs vermischt. Da weiß man schon, dass es mit der selbstgefällig-distanzierten Betrachtungsweise, die Hollywood so mag, Probleme geben wird.

Der Mord, als eine schöne Kunst betrachtet

Der Grundkonflikt ist einfach. Joan White (Cathy Moriarty) findet unter der Verkleidung des Badezimmers (wo sonst bei Cammell?) abgepackte menschliche Organe, die Jagdtrophäen ihres Mannes Paul (David Keith). Jetzt weiß sie, dass Paul nicht, wie vermutet, mit anderen Frauen schläft, sondern dass er diese umbringt und ausweidet wie Tiere. Die Schöne und das Biest, denkt man zuerst. Cammell lässt sich viel Zeit, Joan als brave Hausfrau einzuführen, die mit ihrer kleinen Tochter Plätzchen backt (und ihr dabei erklärt, was „antisocial behavior“ ist). Aber dann gibt es diese Rückblenden. In ihnen ist eine Joan zu sehen, die zehn Jahre vorher mit ihrem Freund auf der Durchreise nach Los Angeles war und in Arizona blieb, weil sie Paul kennenlernte.

White of the Eye

Dass sie fasziniert war (und ist) von der gewalttätigen Seite in ihm, vom Jäger und vom Raubtier, ist offensichtlich. Jetzt geht sie nicht zur Polizei, und sie verlässt ihn auch nicht, sondern schläft mit ihm. Weil sie ihn immer noch liebt? Weil sie Angst vor ihm hat? Weil sie eine Masochistin ist? Was sonst? Es gibt auch keine Erklärung dafür, wie Paul zum Serienmörder wurde. Seit Chas Devlin in das Auto von Harry Flowers stieg, um als Turner wieder herauszuschauen (Performance), stellen Cammell-Filme verstörende Fragen und verweigern die klare, beruhigende Antwort.

Chas, sagt Flowers, sei vielleicht verrückt, bei seiner Arbeit aber ein Künstler. Die Gewalt in Cammells Filmen ist stilisiert. Die Szene in Performance, in der Joey Maddocks Chas’ Apartment demoliert und am Ende getötet wird, erinnert an ein Action Painting. Der Mörder in White of the Eye arrangiert die Tatorte auf ästhetisch anspruchsvolle Weise. Der Regisseur Cammell macht dasselbe, weil es bei ihm keine klaren Grenzziehungen zwischen Gut und Böse gibt. Er wählte die Wüste als Schauplatz, weil er dort Bilder einfangen konnte, die so abstrakt sind wie die Gemälde von Piet Mondrian.

Performance

Ein Mord findet in einer Küche statt (in Cammells Welt der zweite Schreckensort neben dem Badezimmer). Bevor er geschieht, zeigt er ein sorgfältig arrangiertes Stillleben: Eine Flasche Rotwein, eine Aubergine, eine Zitrone, Frühlingszwiebeln, Spargel, Magneten in Obst- und Gemüseform an der Kühlschranktür. Von da schneidet die Kamera nach draußen, wo eine Frau mit dem Auto vorfährt, während der Mörder an dem Tatort, den Cammell für ihn angerichtet hat, auf sein Opfer wartet. Der Regisseur identifiziert sich nicht mit dem Frauenmörder, aber er grenzt ihn auch nicht aus, sondern stellt sich neben ihn. Das ist nicht moralisch zu verstehen. Cammell beobachtet, statt zu verurteilen. Nach dem Mord gibt es wieder ein Stillleben zu besichtigen, jetzt eines der Zerstörung. Auf seine Art ist auch der Serienkiller ein Künstler. Mr. Hide, das wusste schon Stevenson, kommt nicht von außen; er steckt in Dr. Jekyll.

White of the Eye

Was bei Hannibal Lecter nur eine aufgesetzte Attitüde ist, durchdringt White of the Eye auf allen Ebenen: die Kultur. Das ureigenste Filmgenre der Amerikaner, der Western, wird genauso anzitiert wie der Samuraifilm und das europäische Autorenkino (Godards Pierrot le fou). In der Kriminalgeschichte, die in erster Linie eine Beziehungsgeschichte ist, spiegelt sich die große Oper (Leoncavallos Pagliacci), und in Bezug zu den Apachen wird das Ganze auch gesetzt. Der hohen Kunst begegnet man bei Cammell auf Augenhöhe und respektlos wie bei Hitchcock. Als er Psycho drehte, setzte Hitchock durch, erstmals seit Einführung des Production Code in einem Hollywoodfilm eine Kloschüssel zeigen zu dürfen. Cammell schafft es, selbst Hitchcocks – in genrebewussten Serienmörderfilmen inzwischen zu Tode zitierten – Version des Objet trouvé (vgl. das Urinal von Marcel Duchamp) noch etwas Neues abzugewinnen. Der Polizist Mendoza, den einer der blutverschmierten Tatorte an Picasso erinnert, wäscht sich im blauen Desinfektionswasser der Kloschüssel (Picassos blaue Periode) die Hände.

White of the Eye

White of the Eye ist übrigens einer der ersten Spielfilme (vielleicht sogar der erste), die fast vollständig mit einer Steadicam gedreht sind. Marlon Brando war begeistert. Als die Motion Picture Association den Film nur mit einem X freigeben wollte, schrieb er den Verantwortlichen einen langen Brief. Laut Los Angeles Times war darin zu lesen, White of the Eye sei „ein kraftvolles Kunstwerk, das ein dunkles Licht auf die Essenz der erschreckendsten Spielart der geistigen Deformationen wirft, die unsere Gesellschaft kennt: auf den ‚motivlosen’ oder ‚Serien’-Mörder.“ „Solche Filme mit solchen Geschichten gab es viele“, schreibt Dominik Graf in einem seiner schönen Texte zum Kino. „Aber White of the Eye war sozusagen ein wenig das verschollene Meisterwerk, nach dem alle anderen ihre Varianten gestrickt haben. Wenn ich Archäologe wäre, würde ich das ein ‚missing link’ nennen, wie Bindeglieder von Entwicklungsketten in der Naturgeschichte.“

Nach Brandos Intervention wurde das X in ein R umgewandelt. Im Kino lief der Film nur kurz in einigen größeren Städten. Die Werbung war, falls überhaupt vorhanden, miserabel („No woman is safe … while he is loose!“). Die lustlose Kinoauswertung kann man eigentlich nur so deuten: die Rechteinhaber mussten irgendwie die Zeit überbrücken, bis sie White of the Eye auf VHS-Kassette herausbringen und an das Fernsehen verscherbeln konnten. So verschwand der Film, der das Comeback von Donald Cammell hätte werden sollen, trotz guter Kritiken bald im Videotheken-Regal und im TV-Spätprogramm.

Letzter Akt

Nach weiteren gescheiterten Projekten schrieben Donald und China ein Drehbuch mit dem Titel The Grey Area, aus dem schließlich Wild Side wurde: eine rabenschwarze Boulevardkomödie, die sich entschlossen in die dunklen Ecken begibt, in denen die Abgründe aufzuspüren sind. Es geht um Liebe, Sex als Ware, Geld. Alex Lee (Anne Heche), durch einen Hausbau hoch verschuldet, arbeitet in der Kreditabteilung einer Bank in Long Beach. Als sie von ihrem Chef aufgefordert wird, mit Kunden zu schlafen, weil das gut für die Geschäfte ist, beschließt sie, auf eigene Rechnung zu arbeiten und Nebenerwerbsprostituierte zu werden. Einer ihrer Kunden ist Bruno Buckingham (Christopher Walken). „Mr. Thirteen Percent“ betreibt Geldwäsche im großen Stil. Alex und seine Ex-Frau Virginia (Joan Chen), von der er sich aus Steuergründen scheiden ließ, sollen ihm dabei helfen, 169 Millionen Dollar ins Ausland zu transferieren. Tony (Steven Bauer), Brunos Leibwächter, entpuppt sich als FBI-Agent, der Alex vergewaltigt, erpresst und zwingt, sein Spitzel zu werden. Die Manipulationen der Männer geraten durcheinander, als sich die beiden Frauen ineinander verlieben …

Wild Side

Noch einmal Dominik Graf: „Hemmungslos unchronologisch von Cammell erzählt. Christopher Walken in einer wahnsinnigen Performance im teuren Luxusappartment im seidenen Morgenmantel, nahe an der Hysterie. Anne Heche toll, sarkastisch und sexy.“ Das Unchronologische stieß den Geldgebern sauer auf, und für Cammells Entscheidung, diese Geschichte aus einer verrückt gewordenen Welt in expressionistischen Bildern zu erzählen (Walkens überkandidelter Finanzjongleur fügt sich da perfekt ein) konnten sie sich auch nicht begeistern. Cammell wurde gefeuert, seine Version umgeschnitten und so gut wie möglich den Erwartungen einer Produktionsfirma angepasst, die mit „Erotikfilmen“ von der Stange Kasse machte. Wild Side war für Cammell nicht nur beruflich, sondern auch privat ein Fiasko. Als er seinen Namen zurückgezogen hatte (die Produzentenfassung wird dem fiktiven „Franklin Brauner“ angelastet), war auch die Ehe mit China, seiner Co-Autorin, am Ende.

Wild Side

Frank Mazzola war ihm ein verlässlicher Freund und Mitarbeiter geblieben, seit sie gemeinsam die zweite Schnittfassung von Performance geschaffen hatten. Vor Performance ein etablierter Schnittmeister mit stabilem Einkommen, galt er danach als „unzuverlässig“ (im Sinne der Produzenten) und schwer vermittelbar. 1972 verlor er bei dem gescheiterten Versuch, The Argument zu vollenden (eine jetzt elfminütige Allegorie über die Identität, mit dem Arches National Park in Utah als hermaphroditischer Seelenlandschaft), sogar sein Haus. Als letzten Freundschaftsdienst stellte Mazzola 1999 eine Fassung von Wild Side her, die Cammells Vorstellungen so nahe kam wie möglich. Donald erlebte das nicht mehr mit, weil er seit drei Jahren tot war.

Am 24. April 1996 jagte er sich mit spezieller Schusstechnik (heißt es) die fabulöse Kugel in den Kopf, worauf er – berichten die Chronisten – eine halbe Stunde lang, ganz schmerzfrei und bei klarem Verstand, von dieser in die nächste Welt hinüberglitt und mit dem Satz „Siehst du Borges?“ verschied. Was wohl der argentinische Dichter zu dieser filmreifen Legende sagen würde? Da man ihn nicht mehr fragen kann, hier noch der Schluss der Geschichte, die Turner vorliest, als er mit Pherber und Lucy in der Küche sitzt. „Der Süden“ endet so:

Sie gingen hinaus, und wenn in Dahlmann keine Hoffnung war, so doch auch keine Angst. Während er über die Schwelle trat, fühlte er, dass in der ersten Nacht im Sanatorium, als man ihm die Nadel einstach, es für ihn eine Erlösung gewesen wäre, ein Glück und ein Fest, in einem Messerkampf zu sterben, unter freiem Himmel, im Angriff. Er fühlte, dass – wenn er damals seinen Tod hätte wählen oder erträumen können – es dieser Tod gewesen wäre, den er erwählt oder erträumt hätte. Mit festem Griff packt Dahlmann das Messer, das er vielleicht nicht einmal zu führen wissen wird, und geht in die Ebene hinaus.

Donald Cammell auf DVD: Demon Seed und die von Frank Mazzola geschnittene Fassung von Performance, um ca. 2 Minuten gekürzt, bei Warner (billiger und mit mehr Zusatzmaterial in England). Mazzolas Schnittfassung von Wild Side (115 Min., mit 7%-iger PAL-Beschleunigung entsprechend weniger) nur bei Tartan in England (mit The Argument im Bonusmaterial). Alle anderen DVD-Ausgaben enthalten die vermurkste Produzenten-Version (95 Min., mit neuer Musik), auch wenn das Gegenteil behauptet wird. Ärgerlich ist die in Deutschland erschienene „Special Edition“. Es gibt nur eine deutsche Tonspur, die demonstriert, wie man sehr gute Schauspielerleistungen beim Synchronisieren zerstört, wenn die Verantwortlichen keine Ahnung haben, dass es verschiedene Schauspielstile gibt oder dieses Wissen ignorieren, weil sie sonst bessere Sprecher suchen müssten. Am schlimmsten hat es Steven Bauer erwischt. Aus ihm wird in der miserablen Synchronisation ein blöder Trottel; frauenfeindlich ist das auch, weil es die Vergewaltigung verharmlost. „Digital überarbeitet“ heißt nur, dass jeder auf DVD-Hüllen schreiben kann, was er will (wo bleibt der Verbraucherschutz, Frau Aigner?). White of the Eye bei Maelström in Holland – nur der Film, aber keine Mogelpackung. Cammell als Osiris (Lucifer Rising) in der schönen DVD-Ausgabe des BFI von Kenneth Angers Magick Lantern Cycle.


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