Nach russischem Gas-Stopp: Bulgariens Ministerpräsident reist nach Kiew

Auch von Russland abhängig: Einheit 5 des Kernkraftwerks Kosloduj in Bulgarien. Bild: Yovko Lambrev, CC BY 3.0

Der Gas-Streit sorgt für eine nachhaltige Entfremdung zwischen Sofia und Moskau. Diversifizierung der Energieimporte in 13 Jahren nicht gelungen

Bulgarien hat Mitte dieser Woche ein Déjà-vu erlebt. Zum zweiten Mal nach dem Frühjahr 2009 ist das Land von russischen Gaslieferungen abgeschnitten worden. War das Balkanland damals lediglich ein Kollateralschaden des russisch-ukrainischen Gasstreits, so wird es heute von Russland direkt als "unfreundlicher Staat" sanktioniert.

Als offiziellen Grund für den Stopp der Gaslieferungen nannte Energieminister Alexander Nikolov auf einer Pressekonferenz am Mittwochmorgen in Sofia die Weigerung seiner Regierung, ein von Moskau gefordertes zweistufiges Zahlungsverfahren zu akzeptieren.

"Dies birgt erhebliche Risiken. Wir verlieren bei Zahlungen in US-Dollar die Kontrolle über unser Geld", sagte er: "Da die russische Bank für die Umrechnung in Rubel zuständig ist, besteht keine Klarheit über den Wechselkurs."

Es gebe aber keinen Grund zur Panik, beschwichtigte er, die Versorgung der Verbraucher sei gewährleistet. "Vor dreißig Tagen haben wir einen Plan erstellt, wie wir die Gasversorgung in einem solchen Falle aus alternativen Quellen fortsetzen können, damit sie nicht eingeschränkt werden muss", beteuerte kurz darauf Regierungschef Petkov.

Der Gas-Stopp werde ihn nicht davon abhalten, wie geplant über Polen in die Ukraine zu reisen.

Warum es nun ausgerechnet Bulgarien trifft, fragten sich viele. Nicht nur das Balkanland lehnt Moskaus Zahlungsverfahren ab, sondern auch andere Abnehmerländer aus der EU. Dieser Grund kann deshalb kaum als hinreichend plausibel gelten, warum Russland außer Polen das ärmste Land der EU Bulgarien für einen Stopp der Gaslieferungen ausgewählt hat.

Möglicherweise belastet der Ausfall der im internationalen Vergleich eher geringen bulgarischen Zahlungen die russische Einnahmebilanz nur in einem nur geringen Maße, so dass sich das kleine Bulgarien für Moskau als Warnung an größere Abnehmer wie Deutschland eignet.

Eins ist aber offensichtlich: Die in den vergangenen Jahren oft beschworene kulturhistorische Verbundenheit der beiden slawischen Bruderländer Russland und Bulgarien hat sich vorerst erledigt.

In Reaktion auf die Sanktionen der EU nach dem Beginn des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine hat Russland Bulgarien wie alle anderen EU-Länder auch zum "unfreundlichen Staat" erklärt.

Und obwohl sich Bulgarien im Gegensatz zu anderen EU-Ländern bisher nicht zu offiziellen Waffenlieferungen an die Ukraine bereit erklärt hat, zahlt es nun seinen Preis für die moralische und humanitäre Unterstützung von Kiew in seinem Verteidigungskrieg gegen die russische Armee.

Die bulgarische Gesellschaft ist in ihrem Verhältnis zu Russland gespalten. Auch wenn sie Putins Aggression gegen die Ukraine mehrheutlich verurteilen mögen, so beharren viele Bulgaren und Bulgarinnen auf ihrer Sympathie für das russische Volk und seine Kultur, bleiben dankbar für Russlands Verdienst für die Befreiung Bulgariens von fast fünfhundertjähriger Osmanischer Fremdherrschaft im Russisch-Türkischen Krieg im Jahr 1878.

Die Zahl derjenigen aber, die auch unter Verweis auf die vierzigjährige russische Hegemonie über die kommunistische Volksrepublik Bulgarien Antipathie gegen Russland empfinden, wächst angesichts der grausamen Kriegshandlungen.

In der von Regierungschef Petkov seit einem halben Jahr angeführten Vier-Parteien-Koalition sind beide konträren Positionen repräsentiert. Während die von Wirtschaftsministerin Kornelia Ninova angeführte Bulgarische Sozialistische Partei (BSP) jegliche militärische Unterstützung der Ukraine strikt ablehnt und Sanktionen gegen Russland kritisch sieht, fordern die euro-atlantisch orientierten Konservativen des Parteienbündnisses Demokratisches Bulgarien (DB) vehement sofortige Waffenlieferungen an die Ukraine.

Der Streit darüber ist nicht der einzige in der Koalition, doch für ihren Bestand der gefährlichste. Er könnte das Links-Rechts-Bündnis zu Fall bringen. So droht Wirtschaftsministerin Ninova für den Fall von Waffenlieferungen mit dem Auszug der Sozialisten aus der Regierung.

In den vergangenen Tagen haben sich Hinweise verdichtet, dass bereits jetzt in Bulgarien produzierte Waffen über Zwischenhändler in Drittstaaten ihren Weg in die Ukraine finden. Ein Indiz dafür ist, dass sich die bulgarischen Waffenexporte seit Beginn des Ukraine-Kriegs verdreifacht haben gegenüber dem Vorjahreszeitraum.

Die New York Times berichtete vor einigen Tagen, die in Tampa im US-Bundesstaat Florida ansässige Firma Ultra Defense Corp. habe im Auftrag der US-Regierung Waffen von bulgarischen Herstellern gekauft, um sie in die Ukraine zu liefern.

Die für Ausfuhrgenehmigung von Waffen zuständige Wirtschaftsministerin bestreitet derlei Geschäfte. Doch der Ko-Vorsitzende des konservativen Parteienbündnisses DB, Atanas Atanassov, bezichtigt seine eigene Regierung der "Heuchelei".

Die bulgarische Militärindustrie schaffe "Produkte, die in die Ukraine gehen. Doch politisch sind wir zu feige, Position zu beziehen", so Atanassov.

Nun will Energieminister Alexander Nikolov mit der Europäischen Kommission in Brüssel über eine gemeinsame Reaktion der EU auf den Gas-Stopp beraten und Möglichkeiten alternativer Erdgas-Käufe sondieren.

Griechenland hat bereits zugesichert, Bulgarien im griechischen Hafen Alexandroupolis ankommendes Flüssiggas zu überlassen. Und in zwei Monaten soll der lange überfällige Interkonnektor zwischen Griechenland und Bulgarien fertiggestellt sein, über den Bulgarien dann Gas aus Aserbaidschan beziehen kann.

Als Bulgarien im Januar 2009 als Kollateralschaden des russisch-ukrainischen Gasstreits von jeglicher Gaszufuhr abgeschnitten worden war, galt der Bau von Interkonnektoren zur Verbindung mit den benachbarten Gasnetzen als vordringliche Maßnahme zur Diversifizierung der Gasversorgung und der Minderung der Abhängigkeit von russischen Energielieferungen.

Der im Sommer 2009 zum Ministerpräsidenten gewählte Boiko Borissov hat es in seinen drei, mit Unterbrechungen zwölf Jahre währenden Amtszeiten aber nicht vollbracht, den griechischen Interkonnektor fertigzustellen.

Stattdessen errichtete das Kabinett Borissov für drei Milliarden Bulgarische Lew, rund 1,5 Mrd. Euro, eine die Ukraine umgehende Verlängerung der Gaspipeline Turkish Stream über bulgarisches Territorium, die ausschließlich Transitgas für Serbien und Ungarn transportiert.

Die antirussischen politischen Kräfte fordern nun, Bulgarien solle dieses Gas für seine Zwecke verwenden als Kompensation für die vorenthaltenen Lieferungen seiner vertraglich vereinbarten Gasmengen.

"Bulgarien ist nicht Russland", erteilte Energieminister Nikolov einem solchen Vorgehen eine Absage. Sein Land werde den Gastransit nach Serbien nicht unterbinden. Juristen prüften aber bereits die Transitverträge mit Russland.

Der Ukraine-Krieg und seine Folgen führt nicht nur zu Spannungen innerhalb der Regierungskoalition, sondern auch in ihrem Verhältnis zu Staatspräsident Rumen Radev. Der ursprünglich von den Sozialisten ins Amt gehievte Generalmajor Radev kritisierte Premier Petkovs Kiev-Reise mit den Worten: "Die bulgarische Position wird in Sofia entschieden und nicht in Kiew."

Bevor sich bulgarischen Politiker aufmachten, die Welt zu retten, "sollten sie sich lieber um die tausenden Menschen im Land kümmern, die in Not sind", riet er in Anspielung auf die viele Bulgaren und Bulgarinnen bedrückende Inflation. "Ja, wir werden wahrscheinlich eine alternative Lösung finden, aber das wird Zeit und Geld kosten und viel höhere Preise bedeuten", warnte der Präsident.

Bulgarien ist in den dreizehn Jahren seit dem letzten Gas-Stopp keine Diversifizierung seiner Energieversorgung gelungen. Das Balkanland ist nicht nur bei der Einfuhr von Gas so gut wie ausschließlich abhängig von Russland, sondern auch beim Import von Nuklearbrennstäben und Rohöl. In dem Problem mit der Gasversorgung sieht Staatspräsident Rumen Radev nun einen "echten Test für die europäische Solidarität - wie die EU den energieärmsten Ländern helfen wird".