Nähe zur Macht: Wenn Spitzenjournalisten Regierungssprecher werden

Seite 2: Grenze zwischen Journalismus und PR verschwimmt mehr und mehr

Auch heute wird das sogenannte Informations- und Presseamt der Bundesregierung von Top-Journalisten mit hoher Medienpräsenz geleitet:

Steffen Hebestreit, amtierender Regierungssprecher:

Steffen Hebestreit war von 2006 bis 2010 Hauptstadtkorrespondent der Frankfurter Rundschau, danach bis 2014 Hauptstadtkorrespondent in der DuMont Redaktionsgemeinschaft.

Christiane Hoffmann, amtierende stellvertretende Regierungssprecherin:

Christiane Hoffmann arbeitete von 1994 bis 2012 in verschiedenen Funktionen als Auslands- und Hauptstadtkorrespondentin für die Frankfurter Allgemeinen Zeitung und die Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung. Danach wechselte sie zum Spiegel und wurde dort stellvertretende Leiterin im Hauptstadtbüro und Meinungschefin. Sie war regelmäßiger Gast in den großen Politik-Talkshows.

Wolfgang Büchner, amtierender stellvertretender Regierungssprecher:

Wolfgang Büchner war seit 1992 für diverse Medien unterwegs. Zuerst arbeitete er als Korrespondent der Nachrichtenagentur Associated Press (AP). Danach wurde er in Abfolge Chef vom Dienst bei der Nachrichtenagentur Reuters, Chef vom Dienst bei der Financial Times Deutschland, Chefredakteur bei Spiegel Online, Chefredakteur der Deutschen Presse-Agentur (dpa) und schließlich Chefredakteur von Spiegel und Spiegel Online.

Nachdem er kurzzeitig Geschäftsführer der Blick-Gruppe bei der Ringier AG in Zürich gewesen war, wechselt er als Geschäftsführer und Chefredakteur des Redaktionsnetzwerks Deutschland von 2017 bis 2019 zur Mediengruppe Madsack. 2019 bis 2021 fungierte er als freier Journalist und Kommunikationsberater für die FDP und die Agentur MSL Germany in Berlin.

Aber auch in den Bundesministerien tummeln sich aktuell ehemalige Journalisten als Sprecher und Leiter der PR-Abteilungen (die man "Abteilung für Kommunikation und Öffentlichkeitsarbeit nennt", um ihren eigentlichen Zweck zu verschleiern). Auch hier muss ein grober Überblick reichen:

Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz, Pressesprecherin Nicola Kabel:

Nicola Kabel war mehrere Jahre Redakteurin der Deutschen Presse-Agentur, bevor sie in die politische PR-Abteilung wechselte.

Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft, Pressesprecher Julian Mieth:

Bevor Mieth in politische Sprecherämter wechselte, war er von 2009 bis 2012 Korrespondent und Redakteur der Deutschen Presse-Agentur (dpa) sowie von 2007 bis 2009 freier Autor u.a. für die Welt, Welt am Sonntag und Berliner Morgenpost.

Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, Pressesprecherin Regine Zylka:

Zylka war bis 2010 stellvertretende Leiterin des Ressorts Berlin-Brandenburg der Berliner Zeitung sowie davor Leiterin Landespolitik. Sie wechselte vom Berliner Wohnungsunternehmen Degewo, wo sie die Unternehmenskommunikation leitete, zum Bundesministerium.

Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, nukleare Sicherheit und Verbraucherschutz, Pressesprecher Ulrich Schulte:

Ulrich Schulte leitet das Parlamentsbüro der Berliner taz und "hat den Aufstieg von Robert Habeck und Annalena Baerbock eng begleitet", so der Rowohlt-Verlag über seinen Autor. Und weiter: "Er berichtet seit 2011 über die Partei Bündnis 90 / Die Grünen, hat viele Parteitage besucht und kennt fast alle ihre Spitzenpolitiker persönlich. Vor seiner Zeit im Parlamentsbüro leitete Schulte drei Jahre lang das Innenpolitik-Ressort der taz. 2010 erhielt er das renommierte Arthur F. Burns-Stipendium und arbeitete zwei Monate lang bei der Chicago Tribune."

Bundesministerium für Gesundheit, Pressesprecher Hanno Kautz:

Kautz kommt von der Bildzeitung, wo er seit 2007 als Parlamentskorrespondent unterwegs war. Davor war er mehrere Jahre lang für die Ärzte-Zeitung in gleicher Funktion tätig.

Bundesministerium für Finanzen, Pressesprecher Fabian Leber:

Fabian Leber war von 2005 bis 2017 Redakteur beim Tagesspiegel.

Natürlich haben Journalist:innen das Recht, ihren Beruf zu wechseln, wie jeder andere Arbeitnehmer auch. Doch die Dimension der Wechsel und die Prominenz der Akteure sollten zu denken geben. Sie verweisen auf ein problematisches Selbstverständnis, insbesondere von Top-Journalisten mit Nähe zu den Mächtigen. Diese werden ja von den PR-Sprecher-Jobs nicht angezogen, weil es um mehr Geld und mehr Aufmerksamkeit geht. Die hatten sie ja bereits in den Medien. Hier sind andere Triebfedern am Werk.

Die Seitenwechsel geben zudem der Ansicht weiter Nahrung, dass Politik und Medien miteinander verfilzt sind. Die Glaubwürdigkeit droht immer weiter zu erodieren. Dass Politiker der AfD ihre Rechtsthese von der "Lügenpresse" in diesen Fällen nicht nutzen, hat damit zu tun, dass sie selbst reichlich auf den Journalistenpool für ihre PR-Abteilungen und politischen Ämter zurückgreifen.

Die Journalistenvereinigung "Netzwerk Recherche" hat vor Jahren bereits die Losung ausgegeben: "Journalisten machen keine PR". Das war ein provokativer Denkanstoß, der auch die Medien in die Pflicht nahm, Bedingungen herzustellen, dass Journalist:innen nicht aus finanziellen, teilweise Existenzgründen PR machen müssen.

Das war vor über 15 Jahren. Seitdem verschwimmt die Grenze zwischen Journalismus und PR zunehmend, auch weil die Medienbranche immer weniger Perspektiven für Journalist:innen bietet und Top-Journalisten die Nähe zur Macht der Nähe zur Wahrheit vorziehen.