Nancy Fraser: Wie die Grenzen der Meinungsfreiheit gesetzt werden

Mikrophon im Raum, ohne Personen

Bild: Unsplash

US-amerikanische Philosophin sollte im Mai Gastvorlesungen in Köln halten. Sie wurde ausgeladen. Grund ist ihre Haltung zu Israel: Sie sei untragbar.

Nancy Fraser wurde kürzlich von der Albertus-Magnus-Professur der Universität zu Köln "mit großem Bedauern" ausgeladen: "Alle im Zeitraum von 15. bis 17. Mai geplanten Veranstaltungen entfallen", heißt es in der Erklärung der Universität, die von großem Bedauern kündet und davon, dass man sich sicher sei, "im nächsten Jahr eine*n ebenso interessante*n Albertus Magnus Professor*in präsentieren (zu) können".

Wie interessant darf es denn sein?

In einem Interview mit Hanno Hauenstein in der Frankfurter Rundschau berichtet Fraser davon, dass die Gastprofessur einen mehrtägigen Besuch und öffentliche Vorträge beinhaltet hätte. Diese hätten sich auf ihr aktuelles Buchprojekt bezogen und keinen direkten Bezug zu Israel oder Palästina gehabt.

Die Professur beinhaltete einen mehrtägigen Besuch und öffentliche Vorträge im Rahmen eines Programms, das dem offenen Austausch gewidmet sein sollte. Ich wollte dort Vorträge zu meinem aktuellen Buchprojekt über die drei Aspekte der Arbeit in der kapitalistischen Gesellschaft halten, ein Thema, das mit Israel oder Palästina direkt nichts zu tun hatte.

Ich hatte mir viel Mühe gegeben, diese Vorträge zu schreiben. Übrigens habe ich auch ein teures Flugticket gekauft.

Nancy Fraser

Die Ausladung und ihre Folgen

Fraser erhielt eine E-Mail von Professor Andreas Speer, der für die Organisation der Veranstaltungen zuständig ist. Speer teilte ihr darin mit, dass der Rektor der Universität Köln besorgt sei, weil Fraser die Erklärung "Philosophy for Palestine" unterzeichnet hatte.

In der Stellungnahme der Universität wird zur Sache einerseits der Rektor Joybrato Mukherjee zitiert:

Uns geht es bei der Bewertung der Frage nicht darum, ob Frau Fraser an der Universität zu Köln auftreten kann oder nicht. Sondern die Albertus Magnus Professur ist eine besondere Ehrung der Gesamtuniversität. (…)

Und natürlich ist es dann schwierig, das in Übereinstimmung zu bringen mit dem Aufruf zum Boykott israelischer Partnerinstitutionen, der auch in diesem Statement "Philosophy for Palestine" drin steckt, wenn wir gerade als Universität zu Köln so viele Verbindungen zu Partnerinstitutionen in Israel haben. Insofern ist es eine Frage der Ehrung, und ob die Ehrung angemessen ist.

Rektor Joybrato Mukherjee

Darüber hinaus erklärt die Universität, dass der offene Brief "Philosophy for Palestine" vom November 2023, den Nancy Fraser unterzeichnet habe, das Existenzrecht Israels als "ethno-suprematistischer Staat" seit seiner Gründung 1948 faktisch infrage gestellt habe und der Terrorangriff der Hamas auf Israel vom 7.10.2023 dort "in nicht rechtfertigender Weise relativiert" werde.

Grund: Die Unterzeichner würden dort zum akademischen und kulturellen Boykott israelischer Institutionen aufrufen:

Die Albertus-Magnus-Professur ist eine zentrale Angelegenheit des Rektors mit großer universitätsinterner und externer Symbolkraft. (…) Die Aussagen im Brief der Philosoph*innen sind jedoch mit den Stellungnahmen der Universität zu Köln zur Situation in Israel und im Nahen Osten (…) sowie mit unseren intensiven Beziehungen zu israelischen Partnerinstitutionen nicht vereinbar.

Universität zu Köln

Fraser bekräftigte im Austausch mit der Universität, dass sie eine offene und respektvolle Diskussion unterstütze. Doch sei sie an Grenzen gestoßen.

Also habe ich zurückgeschrieben und gesagt, dass es natürlich viele verschiedene Ansichten zu Palästina und Israel gibt, und es auf allen Seiten viel Schmerz gibt, einschließlich des Schmerzes, den ich als Jüdin selbst erfahren habe. (…)

Aber es gibt eins, worüber die es keine Meinungsverschiedenheiten geben kann. Dafür habe ich eine Zeile aus einer Erklärung zitiert, die der Rektor auf der Uni-Website veröffentlicht hatte, wo es um die Bedeutung offener und respektvoller Diskussion geht.

Also sagte ich Herrn Speer, bitte versichern Sie dem Rektor, dass er auf mich zählen kann, wenn es um eine offene und respektvolle Diskussion geht. Ich dachte, damit wäre die Sache erledigt. Tatsächlich erhielt ich kurze Zeit später eine E-Mail vom Rektor, in der er mir mitteilte, dass er keine andere Wahl habe, als die Einladung zurückzuziehen.

Es steht da schwarz auf weiß geschrieben, dass ich gecanceled bin, weil ich diesen Brief unterschrieben und das in unserer anschließenden Kommunikation nicht widerrufen habe.

Nancy Fraser, FR

Die Philosophin sieht darin einen Verstoß gegen die von der Universität verlautbarte Politik und gegen die Werte, auf die sie sich mit dem Namen Albertus Magnus beruft. Diese Werte umfassen nach ihren Worten: "akademische Freiheit, Meinungsfreiheit, Redefreiheit und offene Diskussion".

Fraser sieht in der Ausladung ein starkes Signal an Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler weltweit, wonach bestimmte politische Ansichten in Deutschland nicht willkommen seien.

Rechtliche Schritte und die Auswirkungen auf die deutsche Wissenschaft

Die US-Amerikanerin überlegt, rechtliche Schritte einzuleiten, obwohl dies nicht ihre Priorität sei. Sie betont, dass dieser Vorfall der deutschen Wissenschaft erheblichen Schaden zufügen wird.

Fraser sieht in der Ausladung ein bezeichnendes und ungeheuerliches Beispiel für einen Trend in Deutschland, bei dem akademische und verfassungsrechtlich verbriefte Normen politischer Freiheiten verletzt werden.

Die Ausladung im Kontext anderer Fälle

Die Ausladung von Fraser folgt auf ähnliche Fälle, darunter die von Masha Gessen, Ghassan Hage und Judith Butler. In all diesen Fällen erkennt sie einen Trend, der sie beunruhigt.

Wir sehen das in Deutschland, und in geringerem Maße auch Österreich, inzwischen ja immer häufiger. Das ist eine sehr schädliche Entwicklung. Es wäre wichtig ist, dass die Deutschen anfangen, sich mit der Komplexität und inhaltlichen Breite des Judentums, seiner Geschichte und Perspektive auseinanderzusetzen.

Sie verschreiben sich dieser Idee eines bedingungslosen Treuegelöbnisses gegenüber Israel als Ausdruck der historischen Sühne und Verantwortung. Angesichts dessen, was Israel gerade tut, ist dies ein Verrat an einigen der wichtigsten Aspekte des Judentums als Geschichte und Perspektive. Ich spreche vom Judentum von Maimonides und Spinoza, von Sigmund Freud, Heinrich Heine und Ernst Bloch.

Nancy Fraser, FR

Die Verbindung zwischen Frasers politischen Ansichten und ihrer wissenschaftlichen Arbeit

Auf die Frage, ob es eine Verbindung zwischen ihrer Haltung in dem Brief "Philosophy for Palestine" und ihrer wissenschaftlichen Arbeit gibt, antwortet Fraser, dass sie in verschiedenen Rollen agiere.

Sie mache einerseits theoretische Arbeit, unterschreibe aber auch gelegentlich "Briefe" und publiziere in einem populäreren, agitatorischen Modus.

Fraser betont dazu, dass sie nie über den Nahen Osten geschrieben habe und kein großes Fachwissen dazu hat.

Besorgnis über Deutschland

Wie groß ihr Fachwissen zu Deutschland ist, ist unbekannt. Der Frankfurter Rundschau gegenüber äußerte sie folgende Besorgnis:

Die Menschen in Deutschland haben sich an eine sehr enge Sichtweise dessen gewöhnt, was Redefreiheit bedeutet und worin demokratische, politische Freiheiten bestehen.

Nancy Fraser, FR

Nachtrag: Dass die Uni die Veranstaltung absage, sei legitim, schreibt die Schweizer NZZ.

"Natürlich ist Canceln nie eine elegante Lösung. Und im Grunde ist es keine Lösung. Aber nur weil eine Uni einer Wissenschafterin eine akademische Ehre verweigert, ist die Wissenschaftsfreiheit noch lange nicht in Gefahr. Auch die Meinungsfreiheit nicht. Frasers Texte und Thesen werden an Seminaren und Vorlesungen nach wie vor diskutiert (Hervorhebung d.A.).

Ein schales Gefühl bleibt trotzdem zurück."