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Nato-Generalsekretär Stoltenberg: Mehr Munition für den Zermürbungskrieg

Will Amtszeit nicht verlängern: Jens Stoltenberg. Archivbild (2017): Arno Mikkor (Flickr, EU2017EE) /CC BY 2.0

Auftakt des Treffens der Ukraine-Kontaktgruppe in Brüssel: "Verteidigungsindustrie unter Druck." Dringender Bedarf an verstärkter Unterstützung, Munitions-Produktion hochfahren, Logistik verbessern. Ischinger moniert Uneinigkeit über Krim.

Mehr Tempo beim Nachschub, besonders bei der Lieferung von Munition für die Ukraine, forderte heute Morgen Noch-Nato-Generalsekretär [1] Jens Stoltenberg bei seiner Auftakt-Rede [2] zum zweitägigen Nato-Treffen der Verteidigungsminister.

Sein Axiom lautet: "Wir sehen keine Anzeichen dafür, dass Präsident Putin sich auf den Frieden vorbereitet. Was wir sehen, ist das Gegenteil, er bereitet sich auf mehr Krieg vor, auf neue Offensiven und neue Angriffe."

Daher sei es umso wichtiger, dass die Nato-Verbündeten und -Partner der Ukraine mehr Unterstützung gewähren. Stoltenberg sprach von einem "dringenden Bedarf an verstärkter Unterstützung".

Bei dem Treffen der Ukraine-Kontaktgruppe unter Führung der USA [3] soll es darum gehen, "wie die Produktion hochgefahren und unsere Verteidigungsindustrie gestärkt werden kann". Die Ukraine müsse mit der notwendigen Munition versorgt werden und auch die eigenen Bestände aufgefüllt werden.

In Europa werde ein ausgeprägter ("full-fledged") Krieg geführt, in einer Welt, "die immer mehr von Wettbewerb bestimmt und gefährlicher wird". Es gehe beim Treffen darum, "neue langfristige Leitlinien für unsere Verteidigungsplanung" zu vereinbaren, um "unsere Abschreckung und Verteidigung weiter zu stärken".

Hoher Munitionsverbrauch

Probleme bei der Munitionsbeschaffung und ein gewisser Zeitdruck hatten sich jüngst schon deutlich gezeigt [4] (siehe: CIA-Chef Burns: Ausgang Ukraine-Krieg entscheidet sich in nächsten sechs Monaten [5]).

Stoltenberg präzisierte nun in Gesprächen mit Medienvertretern vor dem Treffen im Ramstein-Format [6], der Verbrauch an Munition durch die ukrainische Verteidigung sei "um ein Vielfaches höher als unsere derzeitige Produktionsrate [7]".

Die Verteidigungsindustrie werde dadurch unter Druck gesetzt, so der Nato-Generalssekretär. Wie die Unterstützerländer auf diesen Druck genau zu reagieren beabsichtigen, darüber wurden noch keine Vorstellungen laut.

Konkretere Pläne sind aber für die Öffentlichkeit von großem Interesse. Umso mehr als im emotional aufgebrachten Hintergrundrauschen der sozialen Medien immer wieder Spekulationen über eine beängstigende Kriegsindustrie im Aufbau aufscheinen.

In etablierten Medien wird das Problem ebenfalls angesprochen, aber im Härtegrad gedämpft, die Kanten mit altem Turnvater-Vokabular weggebürstet. Die Rüstungsindustrie müsse "ertüchtigt" werden, kommentierte etwa das RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND) Ende Januar, weil die Bedrohung durch Russland bleiben werde. Aber die Vokabel "Kriegswirtschaft", soweit es um ihren "Nennwert" (?) gehe, sei deplatziert [8].

Die Vokabel geistert schon seit geraumer Zeit durch die Debatten, erlangt aber erst jetzt richtige Breitenwirkung: Kriegswirtschaft. Dabei trifft die Vokabel nicht. Denn Kriegswirtschaft bedeutet, die gesamte Volkswirtschaft den Bedürfnissen unterzuordnen, die sich aus einem Krieg – in diesem Fall dem russischen Angriff auf die Ukraine – ergeben. Das ist nicht erforderlich.

RND [9]

Logistische Probleme

Einzelheiten gab es von Stoltenberg gegenüber Pressevertretern zum Munitionsproblem:

Die Wartezeiten für die Beschaffung neuer großkalibriger Munition sind von 12 auf 28 Monate gestiegen, selbst wenn die Verträge sofort unterzeichnet werden, sagte er, während die NATO-Länder versuchen, die Produktion hochzufahren.

Jens Stoltenberg, New York Times [10]

Geht es nach einer Auflistung von Panzerlieferungen an die Ukraine, wie sie von der Zeitschrift European Defence and Security (Mittler Report Verlag in Bonn, keine russische Desinfo) präsentiert [11] wird, so deutet sich laut Beobachter auch dort ein "logistischer Alptraum" [12] an.

Der Krieg in der Ukraine sei zu einem "abschleifenden Zermürbungskrieg" ("grinding war of attrition") geworden, antwortete Stoltenberg nach seiner morgendlichen Ansprache auf eine Pressefrage:

Und deshalb ist es auch eine logistische Schlacht. Die Alliierten müssen enorme Anstrengungen unternehmen, um die benötigte Munition zu beschaffen und die Ersatzteile zu beschaffen, die benötigt werden.

Jens Stoltenberg [13]

Was fehlt noch? Flugzeuge, Aufklärung über Nord-Stream-Lecks und Linie zu Kriegszielen

Auf die Frage nach der Diskussion über die Lieferung von Kampfflugzeugen, die von einem ZDF-Journalisten kam, antwortete der Nato-Generalsekretär komplett ausweichend.

Erst als die Frage noch einmal von Oleh Pavliuk (European Pravda noch einmal mit dem konkreten Bezug auf britische Zusagen gestellt wurde, räumte er ein, dass sich die Verbündeten darüber beraten: "Es finden Gespräche zwischen den Alliierten statt, auch über die Frage der Flugzeuglieferung an die Ukraine."

Für die durch Seymour Hershs Veröffentlichung [14] neu belebte öffentliche Diskussion darüber, wer für die Sabotage der Nord-Stream-Pipelines verantwortlich ist, lieferte Jens Stoltenberg eine Reaktion, die das Problem auf Nato-Art löst.

Auch der Schutz kritischer Infrastrukturen, insbesondere der Unterwasserinfrastrukturen vor der Küste, muss angegangen werden, denn wir haben gesehen, dass diese Unterseekabel und Pipelines verwundbar sind, und es ist wichtig, dass wir unsere Bemühungen zum Schutz der kritischen Infrastrukturen besser koordinieren.

Jens Stoltenberg [15]

"Von einer Aufklärung des Attentats auf Nord Stream sagte der Norweger nichts", kommentiert [16] Eric Bonse aus Brüssel.

Geht es nach Wolfgang Ischinger, dem ehemaligen Chef der Münchner Sicherheitskonferenz, so mangelt es an klaren Kriegszielen [17] der westlichen Staaten.

Laut Ischinger fehlt es der Nato an einer einheitlichen Linie, insbesondere, wenn es um die Position zur Krim gehe.

Dem rbb sagte Ischinger, dass man eine "politisch-strategische Kontaktgruppe" brauche, "um die westlichen Kriegsziele so klar zu definieren, dass wir alle wissen - gemeinsam wissen - wo es hingeht". Er frage sich: "Wollen wir tatsächlich die Ukraine ermuntern, die Krim militärisch zurückzuerobern? Da gibt es ein weites Spektrum unterschiedlicher Meinungen."


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https://www.heise.de/-7495478

Links in diesem Artikel:
[1] https://www.tagesschau.de/ausland/europa/nato-munition-ruestungsindustrie-101.html
[2] https://www.nato.int/cps/en/natohq/opinions_211698.htm
[3] https://twitter.com/USNATO/status/1625419582516125700
[4] https://www.tagesschau.de/inland/leopard-ukraine-bundesregierung-101.html
[5] https://www.telepolis.de/features/CIA-Chef-Burns-Ausgang-Ukraine-Krieg-entscheidet-sich-in-naechsten-sechs-Monaten-7483973.html
[6] https://de.wikipedia.org/wiki/Ramstein-Format
[7] https://www.nytimes.com/live/2023/02/14/world/russia-ukraine-news
[8] https://www.rnd.de/politik/ukraine-krieg-warum-die-deutsche-ruestungsindustrie-ertuechtigt-werden-muss-GEJZ5DSTKRGU5BLKUOX4N3O2EQ.html
[9] https://www.rnd.de/politik/ukraine-krieg-warum-die-deutsche-ruestungsindustrie-ertuechtigt-werden-muss-GEJZ5DSTKRGU5BLKUOX4N3O2EQ.html
[10] https://www.nytimes.com/live/2023/02/14/world/russia-ukraine-news
[11] https://euro-sd.com/2023/02/articles/29595/the-balance-of-armour-begins-to-shift-in-ukraine/
[12] https://mobile.twitter.com/Konflikt_Sicher/status/1624708701687775233
[13] https://www.nato.int/cps/en/natohq/opinions_211698.htm
[14] https://www.telepolis.de/features/Seymour-Hersh-USA-stecken-hinter-Nord-Stream-Sabotageakt-7490346.html
[15] https://www.nato.int/cps/en/natohq/opinions_211698.htm
[16] https://lostineu.eu/nordstream-die-nato-uebernimmt-nicht-die-aufklaerung/
[17] https://www.inforadio.de/content/rbb/inf/rubriken/interviews/2023/02/14/nato-verteidigungsminister-ischinger-ukraine-krieg-waffen.html?cq_ck=1676363317937