Neonazi-Anschläge bleiben unaufgeklärt

Vor dem Amtsgericht Berlin-Tiergarten (Foto) wurde nur über einen kleinen Teil der Anschlagsserie verhandelt. Foto: Gunnar Klack / CC-BY-SA-4.0

Zweiter Angeklagter vom Vorwurf der Brandstiftung freigesprochen. Wegen "unpolitischer" Delikte muss er dennoch in Haft. Betroffene der Neuköllner Anschlagsserie beklagen Versäumnisse der Ermittler.

Die Urteilsverkündung am 7. Februar stand unter besonderer Aufmerksamkeit von Medien und zivilgesellschaftlichen Gruppen. Vor Gericht stand Sebastian T., ein profilierter Aktivist der rechten Szene Berlins. Das Amtsgericht Berlin verurteilte ihn am 7. Februar zu einer Haftstrafe von 18 Monaten wegen Sachbeschädigung, Bedrohung und Sozialbetrug.

Das Gericht sah es als erwiesen an, dass er sich durch falsche Angaben Sozialleistungen und Corona-Hilfen angeeignet hatte. Daher wurden auch 16.000 Euro gerichtlich eingezogen. Doch im entscheidenden Anklagepunkt, auf den das große öffentliche Interesse zurückging, wurde er freigesprochen. Das Gericht war nicht überzeugt davon, dass er an einer Brandstiftung beteiligt war.

14 Jahre rechter Terror in Neukölln

Brandstiftungen waren Bestandteil einer rechten Anschlagsserie, die 2009 in dem Berliner Stadtteil gewonnen hatte. Für den Zeitraum 2009 bis 2015 wurden allein in Neukölln vier Brandanschläge auf Fahrzeuge von Menschen bekannt, die sich gegen Rechts engagierten. Hinzu kamen zwei Brandanschläge auf das Anton-Schmaus-Haus, in dem der sozialistische Jugendverband Die Falken sein Domizil hat. Insgesamt waren in diesem Zeitraum mehr als 50 rechte Sprühereien und Sachbeschädigungen in dem Stadtteil zu verzeichnen.

Nach einer Pause von einem Jahr ging die Anschlagsserie in Neukölln weiter. Am 1. Februar 2017 wurde das Fahrzeug von Ferat Kocak angezündet, der sich seit Jahren in der antifaschistischen Bewegung engagiert und seit 2021 Mitglied der Linksfraktion im Berliner Abgeordnetenhaus ist. Er und der linke Buchhändler Heinz Ostermann, auf dessen Geschäft ebenfalls ein Anschlag verübt wurde, gingen an die Öffentlichkeit und verharrten somit nicht im Opferstatus.

Für sie ist es daher besonders bitter, dass nun nach Thilo P. auch der zweite Beschuldigte im Neukölln freigesprochen wurde. Dabei geht es ihnen nicht um eine Umkehr der Beweislast, sondern um fehlende Sorgfalt und Versäumnisse bei den Ermittlungen. Ferat Kocak erinnert auf Twitter an die Verantwortung der Ermittlungsbehörden:

Ich will kein Hehl daraus machen, dass mich das Urteil nicht überrascht. Von Anfang an gab es seitens der Strafermittlungsverfahren Versäumnisse, die daran Zweifeln ließen, ob eine Aufarbeitung der Taten überhaupt erwünscht ist. Und ohne eine ernsthafte Ermittlungsarbeit gibt es natürlich auch keine ausreichenden Beweise für die Verurteilung, das war von Anfang an klar.


Ferat Kocak, MdA, Die Linke

Eine weitere Chance zur Aufklärung, die ungenutzt bleibt

Die Mobile Beratung gegen Rechtsextremismus Berlin (MBR) hatte schon vor dem Urteil in einer Pressemitteilung das fehlende Aufklärungsinteresse des Gerichts kritisiert.

Zu den Lücken in der Beweisaufnahme erklärt die Leiterin des MBR, Bianca Klose:

Von Beginn an deutete sich an, dass die politische Dimension der Taten klein gehalten werden sollte und kein Interesse an umfassender Aufklärung bestand – es ist ärgerlich, dass der Prozess so weit hinter seinen Möglichkeiten zur juristischen Aufarbeitung zurückgeblieben ist. Das Gericht hat nicht einmal versucht, Versäumnisse der Ermittlungen wenigstens zum Teil aufzuholen.

Die Rolle des "Nationalen Widerstand Berlin"– Keimzelle des Modus Operandi der späteren Angriffsserie – wurde komplett ausgeblendet, im Prozess wurden weder Netzwerke, mögliche Helfer:innen und Mittäter:innen noch die Quellen, aus denen sie die Daten der Angegriffenen erhielten, beleuchtet.


Bianca Klose, Mobile Beratung gegen Rechtsextremismus Berlin

Eine weitere Chance zur Aufklärung bleibe damit ungenutzt. Vor Gericht gelandet sei überhaupt nur "ein minimaler Ausschnitt der Taten der Neuköllner Angriffsserien", erklärte die MBR-Mitarbeiterin Nina Rink nach dem Urteil gegenüber Telepolis. Die Mobile Beratung gehe von mindestens 157 Vorfällen aus. Positiv bewertet Rink, dass T. zu einer Haftstrafe ohne Bewährung verurteilt wurde.

Was das heutige Urteil betrifft, ist der Eindruck hinsichtlich der Sanktionen gemischt. Es gab zwar eine Teilverurteilung ohne Bewährung, aber vor allem für unpolitische Betrugsdelikte.


Nina Rink, Mobile Beratung gegen Rechtsextremismus Berlin (MBR)

Immerhin habe das Gericht als erwiesen angesehen, dass sich Sebastian T. an Hauswände angebrachte Morddrohungen "9 mm" und "Kopfschuss für..." zu verantworten habe, daher die Verurteilung im Anklagepunkt Bedrohung – betroffen sei auch ein Mitarbeiter der MBR gewesen, so Rink.

Das Gericht hat eine Aussetzung der Haftstrafe von T. zur Bewährung auch mit Blick auf dessen lange Nazikarriere abgelehnt. Er war einer der bekanntesten Akteure des ehemaligen Nationalen Widerstands Berlin, hat sich aber nach Beobachtungen antifaschistischer Recherchegruppen zumindest von der Teilnahme an Neonazi-Demonstrationen zurückgezogen.

Bis zum Mai 2016 saß er in Haft. Davor trat er noch offen als Kreisvorsitzender der Neuköllner NPD auf. 2018 verließt er die Partei. Der Neuköllner Kreisverband löste sich kurz darauf auf. Später näherte er sich der AfD an, bis er bei der neonazistischen Kleinstpartei "Der III.Weg" landete. Sein Mitangeklagter Tilo P. saß sogar zeitweise im Kreisvorstand der AfD Neukölln, hat aber die Partei mittlerweile verlassen.

Im Dezember letzten Jahres wurde P. vom Vorwurf der Brandstiftung freigesprochen. Auch hier waren die versäumten Ermittlungen das Problem. Damals kommentierte Ferat Kocak den Freispruch mit einem Zitat der Auschwitz-Überlebenden Esther Bejarano: "Wer gegen Nazis kämpft, kann sich auf den Staat nicht verlassen".