Netanjahu: Israel will auf unbestimmte Zeit Gaza komplett kontrollieren

Ein israelischer Panzer an der Grenze zum Gazastreifen. Bild: IDF / CC BY-SA 2.0 Deed

Israels Premier sagt erstmals, was nach Kämpfen kommen soll. Die USA wollen in andere Richtung, während der Druck auf Biden wächst. Was realistisch ist.

In einem Interview mit dem US-Sender ABC äußerte sich der israelische Premierminister Benjamin Netanjahu zum ersten Mal über die Zukunft des Gazastreifens und wie er regiert werden soll. Auf die Frage des ABC-Moderators, David Muir, wer denn für Gaza nach den Kämpfen verantwortlich sein soll, antwortete Netanjahu:

Diejenigen sollten das tun, die den Weg der Hamas nicht fortsetzen wollen ... Es ist sicherlich nicht – ich denke, Israel wird auf unbestimmte Zeit die gesamte Sicherheitsverantwortung haben, denn wir haben gesehen, was passiert, wenn wir sie nicht haben. Wenn wir diese Verantwortung für die Sicherheit nicht haben, kommt es zum Ausbruch des Hamas-Terrors in einem Ausmaß, das wir uns nicht vorstellen können.

US-Präsident Joe Biden hatte zuvor gesagt, dass er es für einen "großen Fehler" halte, wenn Israel Gaza wieder besetzen würde. Israel kontrolliert seit 2007 die Grenzen der Enklave auf dem Land, zu Wasser und in der Luft.

Am 20. Oktober hatte der israelische Verteidigungsminister Yoaw Gallant bereits erklärt, was die Schritte und Ziele der Gaza-Operation sind. Die erste Phase bestehe darin, die Infrastruktur der Hamas zu zerstören. In einer Übergangsphase gehe es dann darum, mit kleineren Attacken "Widerstandsnester" zu beseitigen.

Die dritte Phase wird die Beseitigung der Verantwortung Israels für das Leben im Gazastreifen und die Schaffung einer neuen Sicherheitsrealität für die Bürger Israels erfordern.

Die USA wollen hingegen, dass die Palästinensische Autonomiebehörde im Westjordanland die Kontrolle über den Gazastreifen übernimmt. Das betonte der US-Außenminister Antony Blinken bei einem Treffen mit Palästinenserpräsident Mahmud Abbas am Sonntag.

Es zirkulieren noch andere Ideen in der öffentlichen Debatte in westlichen Staaten, z.B. dass andere arabische Länder die Verwaltung des Küstenstreifens organisieren, mithilfe von einigen Israel und dem Westen zugeneigten Palästinensern.

Da das israelische Militär nun den Nordteil vom Süden in Gaza abgetrennt hat, stellt sich zudem die Frage, was vom Gazastreifen für die dortige palästinensische Bevölkerung, das sind über 2,2 Millionen Menschen, noch übrig bleibt. Es ist durchaus realistisch, worauf Telepolis schon früh hingewiesen hat, dass die Nordhälfte von Israel permanent abgekoppelt wird und die extrem dicht besiedelte Enklave nochmals um die Hälfte schrumpft.

Operationen ohne Betäubung

Auf der halbierten Fläche könnten dann aber nicht mehr 2,2 Millionen Menschen einigermaßen menschlich versorgt werden und überleben. Zudem liegen in Israel hochrangige Pläne vor, den Gazastreifen komplett zu evakuieren und die Bewohner in Ägypten neu anzusiedeln. Allerdings wird das aus verschiedenen Gründen für kaum durchführbar eingeschätzt.

Israel kontrolliert seit vielen Jahren die humanitäre Versorgung der abgeriegelten Enklave. Nach dem blutigen Überfall des militanten Arms der Hamas am 7. Oktober auf Israel verhinderte Tel Aviv jegliche Versorgung Gazas durch eine Totalblockade.

Seit letzter Woche dürfen nun wieder Lkw mit humanitären Gütern über den Rafah-Übergang eingeführt werden. Die Menge sei aber bei Weitem nicht ausreichend, sagen Hilfsorganisationen.

Vor allem darf weiter kein Benzin eingeführt werden, was vor allem die Krankenhäuser – die mit Generatoren betrieben werden, da die Stromversorgung unterbrochen ist – hart trifft. Sie stehen jetzt kurz davor, zu kollabieren und ihren Betrieb einstellen zu müssen. Die New York Times berichtet, dass Ärzte in Gaza sagen, dass sie begonnen haben, Operationen ohne Betäubung durchführen zu müssen.

Während die Situation in Gaza weiter erodiert und bisher nach Angaben des Gesundheitsministeriums dort über 10.000 Bewohner getötet worden sind, darunter 67 Prozent Kinder und Frauen, schließt Netanjahu im ABC-Interview eine Waffenruhe aus, solange die Hamas die entführten Geiseln nicht freilasse.

Derweil wächst der internationale Druck auf Israel. In Washington D.C. gingen am Samstag 100.000 Menschen auf die Straße, um eine Waffenruhe zu fordern (die Veranstalter sprechen von bis zu 300.000 Teilnehmern). Es war die größte pro-palästinensische Demonstration in der Geschichte der USA.

Die Biden-Regierung hat bereits begonnen, die Tonlage leicht zu ändern. Sie verlangt "humanitäre Pausen" einzulegen, was Netanjahu dann bei ABC ankündigte, umsetzen zu wollen.

Allerdings sind kleine Pausen kaum angetan, wie Hilfsorganisationen betonen, die Situation in irgendeiner Weise zu verbessern. Denn solche Unterbrechungen soll es ja laut Israel schon in den letzten Wochen immer wieder gegeben haben. So sagte der israelische Premierminister: "Was die taktischen kleinen Pausen angeht, eine Stunde hier, eine Stunde da – die hatten wir schon mal."