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Netzfragen zur Bundestagswahl: Vorratsdatenspeicherung ist "einfach von Grund auf abzulehnen"

Petra Sitte. Bild: Die LInke Sachsen-Anhalt/CC BY-2.0

Dr. Petra Sitte, Netzpolitikerin der Linken, erklärt, warum Lügen per se nicht verboten ist, wie Messenger mit neuen Qualitätsstandards abgesichert werden sollen und dass ein Vorhaben der CDU "absurd und gefährlich" sei

Ihr Studium schloss Dr. Petra Sitte mit der Promotion in der Volkswirtschaftslehre ab. Nachdem sie 1981 in die SED eingetreten ist, wurde sie 1990 erstmals in den Landtag der PDS gewählt. Parallel zu ihrem Amt als Stadträtin von 2004 bis 2014 betritt sie 2005 das erste Mal den Bundestag, wo sie stellvertretende Vorsitzende der Bundestagsfraktion ist. Von 2010 bis 2013 ist sie Mitglied bei der Enquete-Kommission Internet und digitale Gesellschaft. Seit 2013 ist Dr. Petra Sitte zudem erste parlamentarische Geschäftsführerin der Linksfraktion im Bundestag.

Für ein netzpolitisches Gespräch eignet sie sich besonders gut, da sie nicht nur Fachpolitikerin für Wissenschafts- und Netzpolitik ist, sondern unter anderem auch an den Ausschüssen Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung sowie digitale Agenda beteiligt ist. Im Gespräch mit Roman van Genabith und Moritz Krauß verrät Dr. Sitte nicht nur, dass sie nicht mehr an die Erreichung der Mindestversorgung im kommenden Jahr glaubt.

Zur vergangenen Bundestagswahl hat Die Linke versprochen, "das Prinzip der Netzneutralität endlich auch in Deutschland gesetzlich zu verankern". Nachdem Ende letzten Jahres seitens der Regulierungsbehörde BEREC Leitlinien veröffentlicht wurden, sollte die Netzneutralität nicht mehr im diesjährigen Wahlprogramm auftauchen?
Petra Sitte: Dieses Mal haben wir die Absicherung der Netzneutralität im Wahlprogramm stehen. Und das bleibt wohl auch notwendig.
Wegen Telekoms StreamOn?
Petra Sitte: Ja, wir machen uns weiter Sorgen um die Zukunft der Netzneutralität. Zero-Rating sollte es unserer Meinung nach eigentlich nicht geben dürfen. Was StreamOn angeht, sagt die Telekom zwar, dass sie die Teilnahme prinzipiell jedem ermöglicht, die Hürden sind aber insbesondere für kleine Anbieter und Einzelpersonen beträchtlich.
Wo gäbe es andererseits signifikante Vorteile für priorisierte Datendienste?
Petra Sitte: Bei Diensten, die auf bestimmte Übertragungsraten angewiesen sind, das klassische Beispiel was da immer genannt wird ist ja Telemedizin, ist das natürlich machbar. Aber dass diese sehr gut abgrenzbaren Spezialfälle benutzt werden, um die Netzneutralität insgesamt in Frage zu stellen, ist einfach nur ein rhetorischer Trick.

Breitbandausbau

Hält es Ihre Partei für realistisch, dass die digitale Strategie 2025 ihren Zeitplan noch einhalten kann und bis 2018 flächendeckend 50 Mbit/s angeboten werden oder sind Verzögerungen wie beim Hauptstadtflughafen gewiss?
Petra Sitte: Ich glaube nicht, dass ich mich allzu sehr aus dem Fenster lehne, wenn ich sage, dass das nichts mehr wird. Die Bundesregierung setzt hier mit der Telekom und Kupferleitungen einfach auf das falsche Pferd, statt umzusteuern und einen umfassenden Ausbau von Glasfaser voranzubringen.
Sollte es Ausbauverpflichtungen geben und für welche Marktteilnehmer sollten sie in welchem Umfang gelten?
Petra Sitte: Es sollte vor allem verstärkte öffentliche Investitionen in den Netzausbau geben, die das Eigentum an der Infrastruktur dann auch in öffentlicher Hand belassen. Das wäre auch auf lange Sicht eine wirklich sinnvolle Investition in kommunale Daseinsvorsorge, wozu heute das Internet genauso selbstverständlich gehören sollte wie Wasser oder Strom.
Wie und vor allem wann möchte Die Linke zukunftsweisende Technologien für Festnetz und Mobilfunk, wie beispielsweise die Versorgung von 5G, angehen?
Petra Sitte: So schnell wie möglich natürlich! Wichtig ist, dass dabei nicht der Ausbau verschiedener Technologien gegeneinander ausgespielt wird (wie 5G gegen WLAN) und dass der Ausbau auch in die Fläche stattfindet.
Die Linke sorgt sich vor der Telekom-Privatisierung. Wo liegen die Chancen und Risiken beim Verkauf der Anteile vom Bund?
Petra Sitte: Wenn man die verbliebenen Bundesanteile verkauft, bringt das natürlich Geld in die Kasse. Aber das Problem mit dem Verkauf öffentlichen Eigentums ist eben immer das gleiche: Man verschafft sich einen einmaligen finanziellen Vorteil und gibt dafür langfristig Werte auf.
Sie stellen sich also hinter die SPD mit der Bezeichnung "[neoliberale] Geister" für Grüne und FDP?
Petra Sitte: Die Geister, die die SPD da sieht, sind letztlich die ihrer eigenen Vergangenheit, die frühere Privatisierung der Telekom fand ja unter ihrer Beteiligung statt. Die Frage ist doch, wo soll die Reise denn hingehen? Dass der Staat einen gewissen Anteil an einem Aktienunternehmen hält, das ganz normal am Markt agiert wie alle anderen, kann auf Dauer auch nicht Sinn der Sache sein. Ich will keinen Staatsprovider, aber die Netzinfrastruktur sollte unter öffentlicher Kontrolle stehen. Dann können wir auch über Themen wie Breitbandausbau und Netzneutralität ganz anders reden. Alles so zu belassen, wie es ist, wäre nur wenig besser als die endgültige Privatisierung der Telekom.
Die Bundesnetzagentur hat sich in den letzten Monaten verstärkt damit auseinandergesetzt, dass Provider stärker in Mängel genommen werden müssen, wenn diese falsche Angaben bei der Bandbreite machen. Welche Ziele verfolgt die Linke in diesem Zusammenhang?
Petra Sitte: Das ist eine ganz klare Frage des Verbraucherschutzes: Was draufsteht, muss auch drin sein. Die Provider müssen wahrheitsgemäße Angaben machen. Dazu gehören auch Angaben von Mindestgeschwindigkeit und die Möglichkeit, Ansprüche gegen den eigenen Provider auch tatsächlich geltend zu machen, wenn der nicht liefern kann, was er verspricht.

Fake News-Debatte

Fake News sind wahrscheinlich zum Thema des Jahres geworden. Immerhin haben die Falschmeldungen womöglich sogar eine Präsidentschaftswahl beeinflusst. Steht auch die Bundestagswahl im September vor dieser Gefahr?
Petra Sitte: Welchen Einfluss Fake News auf die Wahl von Trump hatten, wissen wir im Moment schlicht nicht. Allerdings hat verzerrte Berichterstattung da definitiv ihre Rolle gespielt. Bei der Bundestagswahl wird auch das eine Rolle spielen. Aber ich glaube nicht in Form einer Überraschung: Dass es am rechten Rand ein stabiles, faktenresistentes und auch durch Falschmeldungen sich selbst bestätigendes Milieu gibt, wissen wir und können wir in den Umfragewerten der AfD ablesen.
"Lügen ist per se nicht verboten. Fake-News, also Falschmeldungen, wurden immer wieder auch von anerkannten Politikern und seriösen Medien verbreitet", heißt es auf Ihrer Website. Sind wir uns hier einig, dass die Linke Fake News demnach nicht als bedrohliches Instrument sieht?
Petra Sitte: Dass Lügen nicht verboten sind, heißt nicht, dass sie nicht bedrohlich sein können. Dafür gibt es genug traurige Beispiele in der Geschichte. Wir nehmen also die Verbreitung von Falschnachrichten als Problem ernst, wir haben nur Zweifel, was sich da mit Verboten sinnvoll erreichen lassen würde.
Sahra Wagenknecht postete Mitte Dezember auf Facebook, dass ein "aus den Reihen der Union gefordertes weiteres Verbot der Verbreitung von Fake-News [...] einer Zensur gleich [kommt] und wird von der LINKEN strikt abgelehnt". Warum sehen Sie das Netzwerkdurchsetzungsgesetz der SPD so kritisch?
Petra Sitte: Das Netzwerkdurchsetzungsgesetz leidet unter vielen Problemen, auch weil es ganz offensichtlich ziemlich übereilt zusammengeschrieben wurde. Die Änderungen daran haben ein paar davon behoben, aber das zentrale Problem bleibt. Ein großer Fehler in der Herangehensweise liegt für uns darin, dass dabei die privaten Unternehmen in die Rolle gedrängt werden, allein darüber zu entscheiden, ob ein Post jetzt rechtswidrig ist oder nicht. Genau das - also dass letztendlich private Monopolisten darüber entscheiden, was sagbar ist und was nicht - ist es aber doch, was wir auf keinen Fall wollen.
Glauben Sie, dass sich mit dem Netzwerkdurchsetzungsgesetz Fake News und Hate Speech eindämmen ließen?
Petra Sitte: Das ist eher unwahrscheinlich. Allein schon deshalb, weil es darin nur um Straftaten geht, darunter auch einige, die mit diesen Problemen gar nichts zu tun haben, wie die Verbreitung pornographischer Schriften. Andererseits ist aber das, was wir "Fake News" und "Hate Speech" nennen, oft gar nicht strafbar. Und wir müssen in einer offenen Gesellschaft auch akzeptieren, dass sich nicht jedes Problem mit dem Strafrecht erschlagen lässt. Wir haben da ein gesellschaftliches Problem und Rechtsdurchsetzung kann nur ein Baustein bei der Lösung sein. Die Defizite, die es da gibt, muss man sich anschauen, natürlich, aber ich setze wenig Vertrauen in das Netzwerkdurchsetzungsgesetz.
Wie sieht es Ihrer Meinung nach mit der Meinungsfreiheit aus?
Petra Sitte: Auch da haben wir Sorgen mit dem Netzwerkdurchsetzungsgesetz. Der Druck, Inhalte ohne genauere Prüfung zu löschen, wird erheblich sein.
Facebook hat im April mit Tipps geworben, wie Fake News leichter erkannt werden sollen. Außerdem will das soziale Netzwerk noch aktiver gegen Falschmeldungen vorgehen. Auch Google startete in Deutschland mit seinem eigenen Faktencheck. Sind diese Maßnahmen geeignet zur Entlarvung und Sensibilisierung der Öffentlichkeit für dieses Thema?
Petra Sitte: Es kann natürlich nicht schaden. Auch die öffentliche Debatte selbst trägt hoffentlich etwas zur Sensibilisierung bei. Auf der anderen Seite wird es weiter einen harten Kern von Menschen geben, die so tief in "alternativen Fakten" stecken, dass sie einen Faktencheck nur als Bestätigung sehen werden.
Ist der Thematik Bots im Social-Media-Bereich durch gesetzliche Maßnahmen zu begegnen und wie könnten diese aussehen?
Petra Sitte: Es gibt da ja verschiedene Vorschläge - angefangen von einer Kennzeichnungspflicht bis hin zu einem Verbot bestimmter Anwendungen. Allerdings ist das, was wir bisher über Wirkung und Bedeutung von Social Bots wissen, noch so dünn, dass wir uns hier noch zurückhalten sollten.
Eine Kennzeichnungspflicht ist mir einerseits sofort sympathisch: Natürlich sollte man ein Recht haben zu wissen, ob man gerade mit einem Menschen oder einem Computerprogramm kommuniziert. Andererseits ist so etwas wohl eher im Kundenservicebereich sinnvoll. Bei sozialen Netzwerken würde es ein erhebliches Durchsetzungsproblem geben. Wenn zum Beispiel Facebook jetzt schon nicht in der Lage ist, das Bot-Verbot in seinen AGBs durchzusetzen, bringt es nichts, über Kennzeichnung zu reden.
Das Internet ist mehr noch als andere Medien ein Spiegel der Meinungs- und Redefreiheit in einer Gesellschaft. Können gesetzliche Maßnahmen zur Regulierung von Bots unter diesem Gesichtspunkt als legitime Schritte gesehen werden?
Petra Sitte: Ein Eingriff in die Freiheit Bots einzusetzen ist auch ein Eingriff in die Redefreiheit. Das ist gar keine Frage. Damit das legitim ist, muss es also immer um einen Ausgleich mit anderen ebenso legitimen Rechten gehen.

Datenschutz und Privatsphäre

Die Linke lehnt die Vorratsdatenspeicherung strikt ab. Jan Korte, stellvertretender Vorsitzender der Fraktion Die Linke, kommentiert das Vorhaben mit "Speichern auf Teufel komm raus". Gäbe es für Ihre Partei denn eine Alternative, welcher Sie sofort zustimmen würden?
Petra Sitte: Wir müssen nicht für jeden Unfug eine Alternative vorlegen: Manche Dinge sind nun mal einfach von Grund auf abzulehnen. Wer Ermittlungsbehörden in ihrer Arbeit unterstützen will, sollte sich eher Gedanken über personelle Ausstattung machen als über immer neue Eingriffsbefugnisse.
Obwohl die CDU vor dem Europäischen Gerichtshof gescheitert ist, soll die Vorratsdatenspeicherung nochmal enorm aufgestockt werden. Wie stehen Sie dem gegenüber?
Petra Sitte: Wir finden das absurd und gefährlich. Irgendwann muss auch mal Schluss sein: Wer klare Urteile immer und immer wieder durch neue Vorlagen ignoriert, untergräbt auch das Vertrauen in die Politik insgesamt.
Würde die Vorratsdatenspeicherung Ihrer Meinung nach einen Mehrwert bei der Bekämpfung von Terrorismus bieten?
Petra Sitte: Die Vorratsdatenspeicherung ist ja keine abstrakte Zukunftsvision, wir hatten das in Deutschland schon mehrere Jahre lang. Und weder hier noch anderswo hat es nachweisbar dazu geführt, dass die Strafverfolgung besser funktioniert hat.
Wollen Sie Verschlüsselungsverfahren, die nach derzeitigem Sachstand nicht oder nur mit extremem technischen Aufwand überwunden werden können, in ihrer Anwendung beschränken?
Petra Sitte: Auf keinen Fall. Das ist es ja, was bei Verschlüsselung der Qualitätsstandard sein sollte. Eher würde ich die Anwendung weniger sicherer Verfahren beschränken, wenn damit Leute in falscher Sicherheit gewiegt werden.
Beschreiben Sie Ihre Position zur Forderung nach staatlichen Hintertüren in den Verschlüsselungen von Messengern und anderen Kommunikationsdiensten.
Petra Sitte: Strikt dagegen. Schon allein, weil es sich gar nicht verhindern lässt, dass eine solche Hintertür auch von anderen ausgenutzt wird, seien es irgendwelche autoritären Regime oder auch bloß Kriminelle.
Hilft eine staatlich verordnete Schwächung von Verschlüsselungsverfahren dabei, den (inter)nationalen Terrorismus zu bekämpfen? Beschreiben Sie Ihre Einschätzung.
Petra Sitte: Im Gegenteil. Wenn der Staat Hintertüren und schwache Kryptographie verordnet, schadet er der IT-Sicherheit insgesamt und erhöht damit auch die Anfälligkeit für Angriffe. Wer es hingegen wirklich darauf anlegt, wird auch immer Wege finden, ein staatliches Verbot zu umgehen. Im Zweifel programmiert sich eine Gruppe dann eben ihren eigenen Kryptomessenger, was im Bereich der organisierten Kriminalität schon vorgekommen ist.
Befürchtet Die Linke, dass nach der Aufkündigung der Pariser Verträge nun das EU-US-Privacy Shield seitens Donald Trump aufgekündigt werden könnte?
Petra Sitte: In Bezug auf Donald Trump befürchten wir eigentlich alles. Es ist allerdings jetzt schon fragwürdig, ob das Privacy Shield eine hinreichende Garantie ist, und das Verhalten der Regierung Trump stellt das nur noch weiter in Frage.
Sollte es doch zu einem Horror Szenario im Hinblick auf das Privacy-Shield kommen: was wäre ein möglicher Plan B Ihrer Partei?
Petra Sitte: Wenn dieser Ansatz scheitern sollte - sei es, weil die Vereinigten Staaten das Abkommen kündigen, sei es, weil der EuGH es aus ähnlichen Gründen wie bereits das Safe-Harbour-Abkommen verwirft -, bleiben nicht viele andere übrig. Entweder gelingt es, ein neues Abkommen zu verhandeln, oder Datenübermittlung in die Vereinigten Staaten muss sich in Zukunft auf andere Grundlagen stützen oder unterbleiben. Es muss dann allerdings größtmögliche Klarheit hergestellt werden, unter welchen Bedingungen eine Übermittlung noch zulässig ist.

Autonome Fahrzeuge und Digitaler Binnenmarkt

In absehbarer Zukunft fahren Autos in weiten Teilen autonom. Wer soll bei einem Unfall haften? Fahrzeughalter oder Autobauer?
Petra Sitte: Wenn die Technik und nicht der Halter beziehungsweise Fahrer einen Unfall verursacht, muss der Autobauer haften. Das bedeutet, dass wir für den Fall, dass Autos komplett autonom fahren, auch die Beweislast bei Unfällen umkehren müssen, so dass erst einmal der Hersteller verantwortlich ist.
Eine Blackbox, die Fahrtprofile und Verhalten von Autofahrern aufzeichnet, soll die Sicherheit der Fahrer, auch im Versicherungsfall, erhöhen. Wägen Sie Vor- und Nachteile einer solchen Einrichtung ab.
Petra Sitte: Das hängt sehr davon ab, was man mit den Daten einer solchen Blackbox machen will. Das kann Vorteile haben, wenn es etwa um die Rekonstruktion eines Unfalls geht, andererseits können damit in Form von Bewegungsprofilen hoch sensible Daten erfasst werden. Die Speicherung auf einer Blackbox hätte jedenfalls Vorteile gegenüber einer externen Speicherung in irgendeiner Cloud, was die Privatsphäre und die Datensicherheit angeht.
Skizzieren Sie, unter welchen Rahmenbedingungen eine Blackbox im Auto zur Verkehrssicherheit beitragen kann, ohne die Privatsphäre von Autofahrern zu kompromittieren.
Petra Sitte: Es müsste sowohl einen starken technischen Schutz vor unbefugtem Zugriff geben als auch sehr klare und enge Regelungen, unter welchen Umständen ein Zugriff auf die gespeicherten Daten erlaubt ist. Insbesondere muss klar sein, dass eine Herausgabe der Daten nur mit Zustimmung des Fahrers erfolgen kann.
Folgendes Szenario: Der Autobauer erhält tagtäglich tausende Fahrzeugdaten automatisch auf seinen Server und weiß genau, welches Auto bei welcher Versicherung versichert ist. Diese Gelegenheit nutzt der Autobauer und verkauft komplett alle ausgewerteten Daten über das Fahrverhalten an die entsprechenden Versicherungen weiter. Ein Szenario, das möglicherweise noch gar nicht bedacht worden ist?
Petra Sitte: Bedacht worden ist das ganz sicher. Jedenfalls von der Automobilindustrie, die sich des Themas gerade in großem Stil annimmt. Was den Umgang mit den Daten angeht, die beim vernetzten Fahren entstehen, wird ein regelrechter Verteilungskampf ausbrechen - zwischen Fahrzeugherstellern, Softwareunternehmen, Versicherungen und so weiter. Es wird also wichtig sein, dafür zu sorgen, dass die Fahrerinnen und Fahrer nicht - sozusagen - unter die Räder kommen.
Auch die Linke begrüßt den Digitalen Binnenmarkt, welcher zuletzt die Abschaffung von Geoblocking mit sich gebracht hat. Welche weiteren Vorteile könnten für Internetnutzer für Bedeutung kein?
Petra Sitte: Also erst mal: Schön wäre es! Was wir auf europäischer Ebene mit der Portabilitätsverordnung haben, ist eine Art Roamingregelung für Dienste wie Netflix. Das ist sicher schön, aber immer noch keine Abschaffung von Geoblocking. Das hieße, Inhalte wirklich unabhängig davon verfügbar zu haben, in welchem Land man lebt. Und das wäre dann ein Beispiel dafür, was ein echter Digitaler Binnenmarkt zum Vorteil von Nutzerinnen und Nutzern liefern könnte.
Der Digitale Binnenmarkt ist nicht neu. Schon länger werden die Maßnahmen geplant, allerdings scheint sich nicht wirklich etwas zu bewegen. Bis wann ist mit weiteren Gesetzen und Umsetzungen zu rechnen?
Petra Sitte: Auf europäischer Ebene sind die Prozesse in der Tat sehr langwierig. Von der ersten Initiative bis zur Umsetzung verstreichen da Jahre, also kann man davon ausgehen dass einiges noch seine Zeit brauchen wird.

Internet der Dinge und Cybersecurity

Im Interview mit dem TechnikSurfer sagte uns Sicherheitsexperte Rüdiger Trost, dass ein Cyberkrieg "tatsächlich eine große Gefahr" darstellt. Wie möchte die Linke die Deutschen besser vor Cyberangriffen wie beispielsweise WannaCry schützen?
Petra Sitte: Bei IT-Sicherheit gibt es verschiedene Aspekte: Technische, organisatorische und das, was die Sensibilisierung für Gefahren angeht. Nur wenn das alles ineinandergreift, ist Schutz gewährleistet, der natürlich auch nie hundertprozentig sein wird. Bei WannaCry zeigt sich aber noch ein weiteres Problem der IT-Sicherheitspolitik: Das, was da zum Einsatz kam, war von der NSA entwickelte Technik, die eine Schwachstelle für die eigene Verwendung zurückgehalten statt geschlossen hat. Und obwohl wir in Deutschland sicher nicht die gleichen Budgets haben, behält sich die Bundesregierung nach wie vor das gleiche vor. So kann es unserer Ansicht nach nicht gehen.
Legen Sie dar, welchen Bedrohungen unsere Industrie-IT durch Akte der Cyber-Kriminalität nach Ihrem Dafürhalten heute ausgesetzt ist.
Petra Sitte: Welche Dimensionen ein wirklich großer Angriff haben kann, haben wir ja bei WannaCry eindrucksvoll gesehen, auch wenn Deutschland nicht in dem Ausmaß betroffen war. Prinzipiell müssen wir da mit allem rechnen.
Beschreiben Sie Ihre Position zu der verschiedentlich vorgebrachten Forderung, dass Unternehmen alle Vorfälle in Verbindung mit ihrer IT-Infrastruktur, die über lokale Schwierigkeiten an einzelnen Arbeitsplätzen hinausgehen, beim BSI oder einer anderen Stelle melden müssen.
Petra Sitte: Zu einem gewissen Grad existieren ja bereits Meldepflichten. Wir sind sehr dafür, dass das konkretisiert und ausgeweitet wird. Allerdings gehört dazu auf der anderen Seite auch, dass das BSI zu einer tatsächlich unabhängigen Behörde wird und nicht mehr dem Innenministerium untersteht.
Wir danken Ihnen für Ihre Zeit.

Das Gespräch [1] ist Teil einer Serie von Interviews mit Politikern über netzpolitische Themen vor der Bundestagswahl, die von Techniksurfer.de [2] geführt und dort veröffentlicht wurden. Telepolis dankt dafür, die Gespräche übernehmen zu dürfen. Bisher: Lars Klingbeil (SPD): Facebook hat Fake News "absolut unterschätzt" [3] und Konstantin von Notz (Die Grünen): Deutsches Internet ist "völlig inakzeptabel" [4].


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[2] https://www.heise.de/tp/features/Netzfragen-zur-Bundestagswahl-Facebook-hat-Fake-News-absolut-unterschaetzt-3820058.html
[3] https://www.heise.de/tp/features/Netzfragen-zur-Bundestagswahl-Facebook-hat-Fake-News-absolut-unterschaetzt-3820058.html
[4] https://www.heise.de/tp/features/Netzfragen-zur-Bundestagswahl-Deutsches-Internet-ist-voellig-inakzeptabel-3808973.html