Netzfragen zur Bundestagswahl: Deutsches Internet ist "völlig inakzeptabel"

Konstantin von Notz

Konstantin von Notz, der Netzpolitiker der Grünen, über Fake News, das kleine Einmaleins des Breitbandausbaus und warum die Telekom das diesjährige Wahlprogramm beeinflusst hat

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Konstantin von Notz, seit 1995 bei den Grünen, war bis zum Einzug in den Bundestag als Rechtsanwalt in Mölln tätig, wo er 2013 als stellvertretender Bürgermeister gewählt wurde. In dieser Legislaturperiode ist er bereits zum zweiten Mal netzpolitischer Sprecher seiner Partei. Seit 2013 ist von Notz außerdem stellvertretender Fraktionsvorsitzender der Grünen.

Kaum ein anderer in seiner Partei weiß besser über Digitalisierung und Netzpolitik Bescheid, was nicht zuletzt an den vielen Ausschüssen liegt, an denen er beteiligt ist. Bis 2013 ist er Mitglied im Datenschutzbeirat der Deutschen Telekom, in dieser Periode unterstützt Konstantin von Notz nicht nur den NSA-Untersuchungsausschuss, sondern auch den Ausschuss digitale Agenda. Roman van Genabith und Moritz Krauß haben sich mit ihm über die brisantesten Themen unterhalten.

Netzneutralität

In dem Wahlprogramm der Grünen 2013 war die Einführung der Netzneutralität ein großes Ziel: "Wir wollen kein 2-Klassen-Internet und daher den Grundsatz der Netzneutralität gesetzlich verankern." Obwohl die Netzneutralität von der europäischen Regulierungsbehörde im vergangenen August abgesichert wurde, ist das Mehrklassen-Netz auch dieses Jahr in Ihrem Wahlprogramm ein Thema. Warum?

Konstantin von Notz: Weil die Umsetzung der europäischen Vorgaben durch die Bundesregierung mangelhaft ist, wir an Angeboten wie denen der Telekom sehen, dass es da Probleme gibt, und wir die Netzneutralität für ein ganz zentrales und wichtiges Thema halten. Hier geht es um den freien Zugang zum und Austausch im Netz - in einer immer digitalisierteren Welt ist das die Teilhabe-Bedingung in so ziemlich jeder Hinsicht. Da braucht es auf bundesgesetzlicher Ebene aber auch bei der entsprechenden Aufsicht noch Verbesserung. Hier hat Berlin nicht die Brüsseler Spielräume für eine Stärkung der Aufsicht genutzt.

Wie stehen Die Grünen dazu, dass die Netzneutralität derzeit gleich mehrmals stark gefährdet ist? Sehen Sie darin überhaupt eine Gefahr für das "deutsche Internet"?

Konstantin von Notz: Die Telekom ist der Grund. Das Problem ist überhaupt nicht abgeräumt. Jeder sagt nur, wie wichtig ihm die Netzneutralität ist. Gesetzgeberisch hat die Große Koalition leider nicht genügend dafür getan, diese festzuschreiben. Weil sie eben von verschiedenen Interessenseiten angefeindet und gefährdet wird, ist es wichtig, dass wir dieses Grundprinzip des Internets auch gesetzlich absichern.

Können Sie sich Anwendungen vorstellen, bei denen priorisierte Datenübertragungen notwendig sein könnten?

Konstantin von Notz: Ich glaube das A und O sind gute Netze. Wenn man gute und leistungsfähige Netze hat, stellt sich diese Frage erst gar nicht. In anderen Ländern gibt es wirkliche Flatrate-Angebote, da braucht es gar nicht das Hin und Her um Zero-Rating und Drosslung durch die Hintertür.

Dass beispielsweise die Autos nicht mehr fahren?

Konstantin von Notz: Nein, das ist unsere geringste Sorge. Es sind ja immer die Fernoperationen, die genannt werden, die werden aber sowieso auf eigenen Glasfasern gemacht. Alles andere wäre schon aus Sicherheitsgründen unverantwortlich, das hat aber rein gar nichts mit Zero-Rating zu tun. Ich halte das für eine konstruierte Problematik, hier geht es um ganz andere nämlich geschäftliche Interessen.

Datenschutz und Privatsphäre

Die Grünen zitieren auf Ihrer Website Benjamin Franklin: "Wer Freiheit aufgibt, um Sicherheit zu gewinnen, der wird am Ende beides verlieren." Demzufolge ist die Aussetzung der Vorratsdatenspeicherung der Bundesnetzagentur ein guter Tag für Sie gewesen?

Konstantin von Notz: Die Bundesnetzagentur hat zumindest die Verpflichtung zur Umsetzung ausgesetzt. Das ist erfreulich und zeigt, dass die Große Koalition, SPD und die Union, eben offenkundig nicht im Stande sind, in diesem Bereich ein verfassungskonformes Gesetz abzuliefern. Das haben wir immer gesagt in der Debatte, wir beklagen die Vorratsdatenspeicherung - die zweite mittlerweile der Großen Koalition. Insofern sehe ich sowohl das Urteil vom Oberverwaltungsgericht als auch die EuGH-Rechtsprechung und die vergangene BGH-Rechtsprechung als klares Votum, dass diese präventive Datensammelei sensibelster Daten verfassungskonform nicht umzusetzen ist. Es ist wichtig, dass wir das Thema mal eindeutig abhaken, uns effektiven polizeilichen Instrumenten zuwenden und eben wegkommen von dieser ansatzlosen Datenerfassung

Wollen Sie Verschlüsselungsverfahren, die nach derzeitigem Sachstand nicht oder nur mit extremem technischen Aufwand überwunden werden können, in ihrer Anwendung beschränken?

Konstantin von Notz: Ende-zu-Ende-Verschlüsselung ist sicher eine der Antworten auf die Fragen, die Edward Snowden aufgeworfen hat. Der offene Widerspruch der Bundesregierung im Hinblick auf die eigene Strategie, auf der einen Seite Verschlüsselungsland Nummer eins werden zu wollen und auf der anderen Seite mit Zero-Day-Exploits herum zu dealen, wird nicht funktionieren. Es gibt nicht gute und böse Sicherheitslücken, gute für die Geheimdienste und schlechte für böse Menschen, sondern es gibt nur Sicherheitslücken und die müssen geschlossen werden, sonst kann man die Infrastruktur nicht schützen.

Der staatliche Ankauf von Zero-Day-Exploits und Sicherheitslücken findet demnach nicht ihre Zustimmung?

Konstantin von Notz: Nein, das sehen wir sehr sehr kritisch und haben das auch gesagt. Jetzt bei den jüngsten Regelungen zum Bundestrojaner, zur Quellen-TKÜ, haben wir klipp und klar gesagt, dass es nicht geht, dass der Staat diese Sicherheitslücken ankauft. Wenn er von ihnen erfährt, muss er für die sofortige Schließung dieser Sicherheitslücken sorgen. Ich glaube, das ist eine Diskussion, die wird die Bundesregierung nicht durchhalten, denn es ist einfach ein massives Sicherheits- und auch Rechtsproblem.

Hilft eine staatlich verordnete Schwächung von Verschlüsselungsverfahren dabei, den Terrorismus zu bekämpfen? Beschreiben Sie Ihre Einschätzung.

Konstantin von Notz: Meiner Ansicht nach nicht, wenn man sich mal den Fall Anis Amri oder auch andere terroristische Anschläge in Europa der letzten Jahre anschaut, wird man feststellen: Wir hatten nicht zu wenig Information, sondern offensichtlich ist man auf Seiten der Sicherheitsbehörden oftmals mit diesen Informationen nicht richtig umgegangen.

Irgendwie blieben diese dramatischen und alarmierenden Hinweise folgenlos und insofern glaube ich, wir müssen über eine Effektivierung der Gesetzesanwendung reden. Wir müssen über rechtsstaatliche und präzise Elemente für die Sicherheitsbehörden reden, aber diese Form, das Aufbohren der Sicherheit, der IT-Infrastruktur, die Massendatensammlung, ist ein Irrweg, der nicht mehr Sicherheit, sondern eher weniger Sicherheit bringt - von den massiven und massenhaften Eingriffen in geschützte Grundrechte ganz zu schweigen.