Neue Schwämme braucht die Stadt
Seite 2: Zentrale Mischwasserkanalisation: Rumoren im Untergrund
- Neue Schwämme braucht die Stadt
- Zentrale Mischwasserkanalisation: Rumoren im Untergrund
- Gibt es einen Weg aus dem Umsetzungsdefizit?
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Eine Farbe fehlt noch: Blaugrün. Wasser und Grünanlagen sind neu ins Verhältnis zu setzen. Die traditionelle Rolle der Gewässer, hinter den Fabriken entlangzufließen, Abwasser aufzunehmen und innerstädtische Lastentransporte zu übernehmen, ist obsolet. Wasser darf auch nicht länger die Kloakenstadt unter der Stadt sein.
Es ist wieder sichtbar zu machen, sichtbar auch in seiner Fähigkeit, sich selbst biologisch zu reinigen. Flusswasser ist nicht länger die Quelle krank machender Miasmen. In einigen Ländern ist es das allerdings bis heute.
Regenwasser ist aus seiner Einzwängung in das Kanalisationssystem zu befreien, denn gerade diese Einzwängung birgt Gefahren. Wasser ist für den öffentlichen Raum wiederzugewinnen. Das bewegliche Medium sorgt so für Aufenthaltsqualität.
Blaugrün sind auch die Dächer über der Stadt, sofern sie bepflanzt sind und das Regenwasser auffangen. Sie verbessern das Mikroklima. Sie vermitteln zugleich die ästhetische Impression, als würde die Landschaft in die Stadt zurückkehren. Das Gleiche gilt für die Fassadenbegrünung.
Überregional bekannt ist die Fassadenbegrünung des Instituts für Physik auf dem Universitätscampus in Berlin-Adlershof. Das Regenwasser wird in Zisternen gesammelt. Überschüssiges Wasser wird in einen Teich geleitet, versickert oder verdunstet. Das Fassadengrün selbst hat eine gute Verdunstungsrate. Von weitem entsteht der Eindruck einer grünen Vorhangfassade. Was das 'Bauhaus' aus Glas konstruiert hat, ist nun aus Grün.
Das Institutsgebäude hat keinen Anschluss an die Regenwasserkanalisation. Das ganze Quartier ist "abflusslos" gebaut. Zwischen den Straßen und Gehwegen liegen grüne wannenförmige Mulden. Insgesamt sind die Grünflächen tiefer gelegt als die Straßen, um das Regenwasser aufzufangen.
Der Begriff der Abflusslosigkeit wird gerne zur Kennzeichnung von Retentionsvorhaben verwendet, ist jedoch in seiner Absolutheit beschönigend. Auch die beste Regenwasserbewirtschaftung kann Starkregen nicht zu 100% verarbeiten. "Dazu können die Anlagen nicht ausgelegt werden", sagt die Sprecherin der Berliner Wasserbetriebe, Astrid Hackenesch-Rump.
"Das bedeutet: Wasser sucht sich seinen Weg. Wer klug plant, kann diese Fließwege vorherbestimmen und das Wasser dorthin leiten, wo es den wenigsten Schaden anrichtet." Die Schwammstadt hat ihre Grenzen. Auch in Zukunft wird nicht jede Überflutung schadlos bleiben. Daraus folgt, dass die konventionelle Regen- und Schmutzwasserbehandlung neben den neuen ökologischen Praktiken noch auf längere Zeit weiterbetrieben werden muss.
Die neuen unterirdischen Reservoirs, die in Berlin etwa unter dem Mauerpark in einem Stauraumkanal von 654m Länge angelegt wurden und werden, erhöhen lediglich die Aufnahmekapazität der Kanalisation. Sie ändern aber im Prinzip nichts an der Zusammensetzung aus Schmutzwasser und – auch nicht sauberem – Niederschlagswasser in der Mischkanalisation.
Sie verringern lediglich die Zahl der Überlauftage pro Jahr und verzögern den Abwasserfluss in die Klärwerke. Die Latte ist höher gelegt, aber ein Überlauf in Extremsituationen ist nicht ausgeschlossen. Und das bedeutet: Einleitung in die Flüsse.
Die bundesweit geltenden Vorschriften zur Wasserbewirtschaftung werden den Anforderungen an eine Schwammstadt nicht gerecht. Ein Verbleib des Niederschlagswassers am Ort seines Entstehens ist danach nicht zwingend erforderlich. Die Kanalisation ist gleichsam das Schlupfloch dieser ungenügenden Regelung.
Einzelne Städte und Gemeinden haben sich besser angepasste Normen verpasst. Leipzig hat in die Bauleitplanung den Grundsatz aufgenommen, das Niederschlagswasser vor Ort zu speichern, zu versickern und zu verdunsten. Das bezieht sich auf Neubauvorhaben.
Eine Berliner Verordnung aus dem Vorjahr geht ins Detail. Neue Wohnungsbaustandorte sind von vorneherein für die dezentrale Wasserbewirtschaftung zu qualifizieren. "Im Einzugsbereich der – innerstädtischen, veralteten – Mischkanalisation sind Regenwassereinleitungen grundsätzlich nicht mehr möglich." Eben, grundsätzlich. Der Teufel steckt im Detail. "Ist eine Einleitung nicht zu vermeiden, ist diese nur in Höhe des Abflusses zulässig, der im natürlichen Zustand (ohne Versiegelung) auftreten würde." Die Ausnahmen sind fachlich zu begründen. An dieser Stelle treten die Gutachter auf den Plan.