Neue Töne aus Kiew: Vom Verhandlungsverbot zur Gesprächsbereitschaft
Russland, Ukraine: Wann wird verhandelt? Bild: halfpoint/ Shutterstock.com
Der ukrainische Präsident Selenskyj zeigt sich überraschend verhandlungsbereit mit Russland. Sein Gesprächsverbot von 2022 erklärt er nun neu. Was steckt hinter dem plötzlichen Kurswechsel?
Das sind deutlich neue Töne aus Kiew: Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj hat erneut bekräftigt, dass er weiterhin prinzipiell zu Verhandlungen mit Russland bereit ist – allerdings nur unter bestimmten Bedingungen. Bei einer Pressekonferenz am Samstag mit der moldawischen Präsidentin Maia Sandu in Kiew sagte Selenskyj, er habe 2022 per Dekret direkte Gespräche mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin untersagt, um separatistischen Tendenzen in der Ukraine einen Riegel vorzuschieben.
Hintergrund war laut Selenskyj, dass Russland damals begonnen habe, über verschiedene Kanäle Einfluss auf die Ukraine zu nehmen. "Es gab viele Verhandlungsplattformen, die wir nicht kontrollieren konnten", so der ukrainische Präsident. Mit dem Verbot habe er als Staatsoberhaupt klargemacht, dass nur er selbst Verhandlungen führen könne. Moskau habe das missfallen, da der Kreml viele Kanäle gehabt habe, so Selenskyj.
Bislang war das Dekret in der Ukraine und international als Teil der Siegenstrategie interpretiert worden. Demnach stand das Ziel von Kiew und seinen westlichen Unterstützern darin, die russischen Kräfte komplett aus dem Land zu vertreiben und alle im Osten besetzten Gebiete wieder unter die Kontrolle der Zentralregierung zu bringen. In seiner neuen Wortmeldung liefert Selenskyj nun eine Erklärung, die theoretisch auch einen Friedensschluss ohne die Rückgliederung der östlichen Gebiete ermöglicht.
Russland hat das Verhandlungsverbot wiederholt kritisiert und eine Aufhebung gefordert. Zuletzt hatte Putin am 24. Januar erklärt, er wolle mit US-Präsident Donald Trump zusammentreffen, um über für Moskau und Washington interessante Fragen zu sprechen. In diesem Zusammenhang erwähnte er auch Selenskyjs Dekret und forderte, die internationalen Partner der Ukraine müssten Kiew zur Rücknahme zwingen.
Kiews will russisches Gas ersetzen
Bei seinem Treffen mit Sandu ging Selenskyj auch auf die Energieversorgung ein. Die Ukraine stehe bereit, Erdgas aus Aserbaidschan nach Europa zu leiten, sagte der Präsident.
Dafür könne die bestehende Infrastruktur genutzt werden. Bei politischem Willen könne man schnell einen Vertrag unterzeichnen. Selenskyj hatte sich diese Woche beim Weltwirtschaftsforum in Davos mit dem aserbaidschanischen Präsidenten Ilham Alijew getroffen, wobei es auch um Gaslieferungen gegangen sein soll. Details dazu wurden nicht bekannt.
Hintergrund ist, dass die russischen Gaslieferungen nach Europa über die Ukraine in diesem Monat nach dem Auslaufen eines langfristigen Transitvertrags und der Schließung einer Route durch Kiew gestoppt wurden.
Zuletzt hatte die Route noch wenige Prozent des europäischen Bedarfs gedeckt, doch für einige Länder wie die Slowakei und Ungarn waren es noch signifikante Mengen. Als Alternative wurden in der Region komplexe Gas-Swaps unter Vermittlung des aserbaidschanischen Energieunternehmens Socar ins Spiel gebracht.
In der abtrünnigen moldawischen Region Transnistrien führte die Einstellung der russischen Lieferungen zu einer Versorgungskrise. Selenskyj bot an, kostenlos Kohle für ein Kraftwerk in der größten transnistrischen Stadt Tiraspol zu liefern und beim Betrieb zu helfen, wenn die Republik Moldau im Gegenzug ihren Stromüberschuss an die Ukraine weiterleitet.
Das Werk in Tiraspol könnte laut Selenskyj zwei Gigawatt produzieren und damit den kompletten Strombedarf Moldaus decken und potenziell Preissenkungen von 30 Prozent ermöglichen.
In einem Bericht der Zeitschrift Economist heißt es, Russland stoße zunehmend durch die ukrainische Verteidigung vor und die Ukraine habe Mühe zu überleben. Tatsächlich ändert sich die Berichterstattung über den Ukraine-Krieg sichtlich. Das hängt offenbar auch mit den Gebietsgewinnen der Russen zusammen.
Von einem Gewinn ist kaum mehr die Rede. Dieses Narrativ konnte auch noch während des Stellungskriegs des letzten Jahres aufrechterhalten werden, der für beide Seiten äußerst verlustreich war. In dieser Zeit tobte neben dem heißen Krieg an der Gront eine Propagandaschlacht um die Verlustzahlen. In westlichen Quellen wird die These vertreten, dass auf russischer Seite hunderttausende Soldaten gefallen seien oder verletzt wurden. Unabhängig überprüfen lässt sich das ebenso wenig wie die russischen Angaben über angebliche Verluste auf ukrainischer Seite.
Nun also ändert sich die territoriale Lage deutlich: In den vergangenen Tagen haben die russischen Kräfte in der Ukraine die Ortschaft Wremiwka erobert und stehen kurz vor der Einnahme von Welika Novosilka im Oblast Donezk.