Nicht mehr neue Volkspartei: Personalrochaden in der ÖVP
Räumt Österreichs Bundeskanzler Karl Nehammer in der Partei auf, oder läuft er Fakten hinterher, die andere schaffen? Die ÖVP sucht ihre Linie im Schlingerkurs
Am Samstag morgigen Samstag hält die Österreichische Volkspartei (ÖVP) ihren 40. Außerordentlichen Parteitag ab und – verkürzt gesagt: Die Stimmung war schon einmal besser. Die "neue" Volkspartei hatte unter Sebastian Kurz eine neue Parteifarbe bekommen, vom traurigen Schwarz wechselte man zu frischem Türkis und damit einherging eine "neuer Stil", den Land und Partei bis heute nicht verdaut haben.
Der neue Bundeskanzler Karl Nehammer trat am Dienstag mit wiederum erneuertem Parteilogo vor die Presse, denn seit Ende April heißt die Partei wieder einfach "Volkspartei". Das "neu" verschwand, die türkise Farbe blieb. Man will offenkundig die Parteimitglieder emotional nicht überfordern.
Was Nehammer zu berichten hatte, waren umfangreiche Personalrochaden, die er vor dem Parteitag offenkundig aus der Welt geschafft haben wollte. Einen Eindruck von "Chaos" will man tunlichst vermeiden. Die beiden Kurz nahestehenden Ministerinnen Margarete Schramböck (Wirtschaft) und Elisabeth Köstinger (Landwirtschaft) gehen und machen dem Wiener Gemeinderat Norbert Totschnig Platz, sowie den zwei neuen Staatssekretären Susanne Kraus-Winkler und Florian Tursky.
Viele Regierungsumbildungen
Seit Beginn der aktuellen österreichischen Bundesregierung im Januar 2020 gab es rekordverdächtige 16 Neubesetzungen für Minister- bzw. Staatssekretäre. Nur drei davon entfallen auf die Grünen, die anderen Auswechslungen gehen aufs Konto der ÖVP. Nahezu jedes Mal hat es dabei ordentlich im Gebälk rumort. Es waren neben einer skandalösen Doktorarbeit der zeitweiligen Arbeits- und Familienministerin Christine Aschbacher, vor allem die berüchtigten Chatprotokolle, die viel zu tiefe Einblicke in das Regierungsverständnis der ÖVP geboten haben.
All dies ist längst noch nicht juristisch oder politisch aufgearbeitet. Die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft arbeitet noch an der Ermittlung, ebenso wie der parlamentarische Untersuchungsausschuss, der die Bestechlichkeit der Volkspartei ermessen soll. Dabei tut er sich in bekannter Weise schwer, schließlich haben die Türkisen eine parlamentarische Mehrheit und einen im Zweifelsfalle – die einen sagen "zuverlässig", die anderen sagen "willfährigen" – kleinen grünen Koalitionspartner.
Die ÖVP macht nicht den Eindruck als würde sie "die Kurve kriegen". Zwar verlässt die Mannschaft der Kurz-Vertrauten und mit ihr der "neue Stil" langsam die Ministerposten, folgt dabei aber eher eigenen Karriereoptionen. Ein wenig patzig ließ Sebastian Kurz die Welt wissen, eine Rückkehr in die Politik sei für ihn ausgeschlossen, von einer Rede am Parteitag am Samstag nahm er Abstand. Es ist alles gesagt. Das Team Kurz vermittelt allgemein das Gefühl, man sei mit der Politik durch. Die möglicherweise verkannten Genies machen lieber Karriere in der Finanzindustrie.
Für Nehammer wäre es nun gut einen moralischen Neubeginn zu vermitteln. Dem steht auch grundsätzlich nichts im Weg. Es mag gewisse Kurzianer in den Reihen der Volkspartei geben, die gebetsmühlenartig betonen, der Strahlekanzler sei auf dem Wiener Medienpaket durch böswillige und falsche Unterstellungen zum Ausrutschen gebracht worden. Dies ist aber sicherlich die Mindermeinung. Es waren am Ende einfach zu viele unschöne Geschichten aufgelaufen und es sind ja nicht einmal alle Chat-Protokolle ausgewertet. Wer weiß, was noch zu Tage kommt?
Dumm für Nehammer aber ist, dass die Partei ziemlich nahtlos da weitermacht, wo sie unter Kurz aufgehört hat. Der ebenfalls als Kurz-Nachfolger gehandelte Vorarlberger Landeshauptmann Markus Wallner überstand gerade erst am Mittwoch einen Misstrauensantrag im Landtag. Die Geschichten gleichen sich in ermüdender Weise.
Die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft geht einem Anfangsverdacht gegen Wallner nach. Untersucht wird, ob er persönlich als Landeshauptmann aktiv um Inserate angefragt hat, um die eigene Partei zu finanzieren. Wenig hilfreich ist hierbei, dass Wallner angeblich jüngst den verdächtigen Wunsch geäußert habe, seine E-Mails auf allen seinen Geräten löschen zu lassen.
Die Inseratenkorruption geht in Österreich in beide Richtungen. Sebastian Kurz war, unter anderem, darüber gestolpert Zeitungen für genehme Berichterstattung angeblich staatliche Inserate versprochen zu haben. Sollte Wallner ÖVP-Publikationen mit teuren Schaltungen aus der Wirtschaft versorgt haben, dann wäre es das gleiche Spiel mit veränderten Vorzeichen. Medienöffentlichkeit, Wirtschaft und Politik sind ungebührlich eng verzahnt in Austria.
Also wieder einmal Inseratenkorruption, die Angst vor dem eigenen Mailverkehr und so geht es dahin mit der Volkspartei. Ebenso gleich ist die Verteidigung der ÖVP. Es handle sich nämlich um "schändliche Vorverurteilungen" Wallners. Nun, sicherlich gilt hier, wie überall, die Unschuldsvermutung und es bleibt selbstverständlich abzuwarten, wie viel die Ermittlungen ergeben. Aber dass die unabhängig arbeitende Justiz einem Anfangsverdacht nachgeht, kann ebenso nicht einfach unter den Tisch fallen.
Schlimmer noch. Nehammer selbst steht längst in gewissem Zwielicht durch die "Cobra-Affäre". Die Staatsanwaltschaft Wiener Neustadt ermittelt wegen Verdacht auf Amtsmissbrauch, nachdem zwei Sicherheitsbeamte der Sondereinheit Cobra angetrunken nach dem Einsatz bei Nehammers Ehefrau weggefahren waren und einen Unfall verursacht haben.
Was will und kann Nehammer?
Karl Nehammer wurde über Nacht Kanzler und hat weder Botschaft, Linie, noch eigenes Programm. Er ist derweil einfach der, der übernommen hat, nachdem die anderen weggelaufen waren. Viel wird von seiner Grundsatzrede am Samstag abhängen, in der er sicherlich versuchen wird zu skizzieren, wie er das Amt am Ballhausplatz zu nutzen gedenkt.
Die Neubesetzungen zeigen allerdings, dass es mit Nehammer keinen neuen "neuen Stil" geben wird. Eher erinnern die Rochaden an das altbekannte Gebaren der ÖVP. Die österreichische Volkspartei ist strenggenommen keine Partei, sondern ein Zusammenschluss verschiedener Bünde und Interessensgruppen, sowie höchst eigenständig agierender Landesverbände.
Die Kunst eines Parteivorsitzenden bei der Verteilung der Posten liegt darin, jedes Bundesland, Bauerbund, Wirtschaftsbund etc. paritätisch zu bedienen und dann auch noch zu suggerieren, man arbeite unabhängig und sei voller Führungsstärke. Ein Spagat der kaum gelingen kann. Hier lag die Stärke von Kurz durch seine, für einen ÖVP-Politiker ungewöhnliche Popularität, mit den altbekannten Strukturen der ÖVP brechen zu können.
Nehammer ist weit entfernt von einer dieser Popularität. Deswegen muss er liefern und holt in die Regierung Personen, die Teilorganisation der ÖVP ruhigstellen. Wie unerbittlich Nehammer in dieser Sache agiert, bekam der vormalige Bildungsminister Heinz Faßmann am eigenen Leib zu spüren, nachdem er – wohl mehr im Überschwang als wohlerwogen – gegenüber dem neuen Kanzler Nehammer sagte, er stünde einer Kabinettsumbildung nicht im Wege.
Sogleich wurde der vergleichsweise beliebte Bildungsminister, der sich einigermaßen schadlos durch die Pandemie gerettet hatte, mit einem steirischen ÖVP-Mitglied Martin Polaschek ersetzt, um die "grüne Mark" zu bedienen.
Aber es sind nicht nur parteiinterne Besetzungen. Der parteiunabhängige, allerdings ideologisch zuverlässig aus dem neoliberalen "Institut für Höhere Studien" stammende Arbeitsminister, Martin Kocher wird durch die Umbildung zusätzlich mit den Wirtschaftsagenden betraut und somit "Superminister". Ebenso ein typischer Schachzug der "alten" ÖVP.
Die Wirtschaft mit einem außenstehenden "Experten" zu betrauen, gibt dessen Entscheidungen einen naturgegebenen und unabwendbaren Touch. Der Ukraine-Krieg, die Energiekrise und die sich verdunkelnde Weltwirtschaft wird manch unpopuläre Entwicklung für Herr und Frau Österreicher bringen. Wie gut, wenn dies aus dem Ressort eines Unabhängigen verkündet wird.
Nehammer hatte überraschenderweise unlängst eine Art "Excess Profit Tax" ins Gespräch gebracht. Zumindest die teilweise in Staatsbesitz befindlichen Unternehmen sollten übergroße Gewinne, die ihnen durch die Energiekrise in den Schoß fielen, an die Allgemeinheit abgegeben.
Die Gewinnabschöpfung der durch die erhöhten Strompreise erzielten Profite der Energieunternehmen ließ allerdings das Blut der Industriellenvereinigung trotz frühsommerlicher Temperaturen in Wien gefrieren. Die Stärkung Kochers lässt Gedankenspiele dieser Art noch unwahrscheinlicher erscheinen. Die vom kleinen grünen Koalitionspartner vorgeschlagene Debatte über die Vermögenssteuer ließ die ÖVP nicht einmal zu. Es ist – wieder einmal – nicht der "richtige Zeitpunkt" für diese Diskussion. Es bleibt also alles beim Alten.
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