Niederlande folgen Pfad der Corona-Lockerungen
Kein Mindestabstand mehr, Masken nur noch in öffentlichen Verkehrsmitteln, Corona-App zum Ausgehen
Am gestrigen Dienstagabend machte die geschäftsführende Regierung unter Ministerpräsident Mark Rutte die Maßnahmen ab dem 25. September bekannt. Damit nähern sich die Niederlande mit großen Schritten der Normalität, nur fünf Tage später als Mitte August geplant (Corona-Pandemie: Niederlande wollen zum 1. November zur Normalität zurück.
Kurz vor Beginn der Pressekonferenz im Justizministerium in Den Haag hatten sich einige hundert wütende Bürger vor dem Gebäude versammelt und protestierten lautstark gegen die Maßnahmen. Auf der nicht angemeldeten Demonstration seien auch Feuerwerk und eine Rauchbombe gezündet worden. Aus Sicherheitsgründen riegelte die Polizei das Ministerium ab und konnten Beamte und Journalisten es erst später verlassen.
Dabei sind die angekündigten Lockerungen weitreichend: Ab 25. September sind Masken nur noch in öffentlichen Verkehrsmitteln und auf Flughäfen Pflicht. Im tagtäglichen Leben wird es kaum noch Einschränkungen geben.
Die größte Ausnahme hiervon gilt für das Ausgehen und für professionelle Sportereignisse: Beim Besuch von Gaststätten, Konzerten, Festivals, Kinos, Theatern und Stadien muss man einen "Coronazugangsbeweis" zeigen, der von der CoronaCheck-App auf dem Smartphone erzeugt werden soll.
Damit soll ein ausreichender Impfschutz, eine Genesung innerhalb des letzten halben Jahres oder ein negativer Test innerhalb der letzten 24 Stunden nachgewiesen werden. Die App wurde laut Medienberichten bereits rund 10 Millionen Mal heruntergeladen.
Für das Gaststättengewerbe gelten zudem eingeschränkte Öffnungszeiten von 6:00 bis 24:00 Uhr. Das bedeutet auch, dass Konzerte und Festivals zwar länger dauern können, dort nach Mitternacht aber keine Getränke mehr verkauft werden dürfen.
Wie zu erwarten, zeigten sich Gaststättenbetreiber wenig erfreut über die ihnen auferlegte Kontrollpflicht. Bei Missachtung drohen aber Geldbußen oder gar die Schließung des Gewerbes. Dabei wurde auch von den Sicherheitsbehörden mitgeteilt, man könne nicht jeden Gast einzeln kontrollieren.
Was die Arbeit betrifft, ist die Änderung der Regelung eher sprachlicher Natur. Bis zum 24. September soll man so viel wie möglich zuhause arbeiten. Ab 25. September gilt nun: "Arbeite im Büro, wenn es sein muss." Was das in der Praxis bedeutet, sollen Arbeitgeber und -Nehmer zusammen aushandeln.
In der medizinischen Fachwelt gibt es geteilte Meinungen zu den Lockerungen. So hat laut Diederik Gommers, Vorsitzender der Niederländischen Vereinigung für die Intensivpflege, die Regierung das riskanteste Szenario gewählt. In einem Zwischenweg habe man beispielsweise auch Großveranstaltungen noch stärker einschränken können.
Der Intensivmediziner, der auch Teil des offiziellen Outbreak Management Teams ist, das die Regierung in Sachen Corona berät, wirft Ministerpräsident Rutte hier eine gewisse Janusköpfigkeit vor: Einerseits betone dieser, dass eine gute Gesundheitsversorgung gewährleistet bleiben müsse; andererseits wähle er mit den verkündeten Lockerungen den riskanten Weg.
Der geschäftsführende Gesundheitsminister Hugo de Jonge betonte, es werde auch weiterhin keine Impfpflicht geben. Einige Bürgerinnen und Bürger dürften den "Coronazugangsbeweis" allerdings als indirekten Impfzwang erfahren. Zum 1. November will man die Maßnahmen und insbesondere den Erfolg der CoronaCheck-App evaluieren.
Dieser Artikel erscheint ebenfalls im Blog "Menschen-Bilder" des Autors.