zurĂŒck zum Artikel

Niger: Eine MilitÀr-Intervention wird teuer

FĂŒr einen erfolgreichen Waffengang muss die Ecowas großen Aufwand betreiben. Der Erfolg wĂ€re trotzdem nicht sicher. Warum westafrikanische Diplomaten moralisch weiter sind als Pantoffelkrieger hierzulande.

Radio France International behauptet, die Wirtschaftsgemeinschaft Westafrikanischen Staaten Ecowas (resp. Nigeria) sei bereit 25.000 Soldaten auszuheben [1], um den MilitĂ€rputsch im Niger mit Gewalt zurĂŒckzurollen. Das klingt gut, reicht aber bei Weitem nicht, verfĂŒgt Niamey doch ebenfalls ĂŒber 25.000 Mann [2].

SpĂ€testens seit dem Ukraine-Krieg gehört es zum Allgemeingut, dass man fĂŒr eine erfolgreiche Intervention möglichst die dreifache Menge an Soldaten [3] (und Material) aufbringen sollte wie der Verteidiger.

Ein Erfolg einer Ecowas-Intervention ist also keineswegs sicher – auch wenn Frankreich (und vielleicht auch die – ebenfalls mit Truppen im Niger vertretenen – USA) aktiv aufseiten der Angreifer mitmischen sollte.

Die Herausforderungen

Die Àgyptische Al Ahram weekly hat sich den Herausforderungen einer solchen Operation einmal angenÀhert [4] und die Ergebnisse machen skeptisch.

Da ein Angriff aus Mali oder Burkina Faso nicht infrage kommt, bleibt nur der Weg ĂŒber die etwa 1.600 Kilometer lange extrem durchlĂ€ssige Grenze vom Norden Nigeria zum SĂŒden Nigers. Al Ahram weiter:

Eine Interventionstruppe, die auf dem Landweg aus Nigeria kĂ€me, mĂŒsste einen Streifen grĂ¶ĂŸtenteils unbesetzten Landes durchqueren, der mehr als 200.000 FlĂŒchtlinge beherbergt, die vor der Gewalt in Nordnigeria geflohen sind, was jeden MilitĂ€reinsatz zusĂ€tzlich erschwert.

Al Ahram weekly

Risiko eines Stellvertreter-Krieges

Im weiteren Verlauf wĂŒrde der Konflikt mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit zu genau dem Stellvertreterkrieg degenerieren, der jetzt schon vorgezeichnet ist. Noch sind keine Wagner-Truppen im Niger. SpĂ€testens, wenn die Ecowas ihre Drohung wahrmacht, dĂŒrfte sich das sehr schnell Ă€ndern; vielleicht ist es schon jetzt zu spĂ€t.

Zudem macht Al Ahram auf die Probleme aufmerksam, die infolge einer solchen Intervention an der nigerianischen Heimatfront auftreten könnten [5]: "wo das MilitĂ€r mit ĂŒberlastetem, waffenlosem und zahlenmĂ€ĂŸig unterlegenem Personal gegen bewaffnete Gruppen kĂ€mpft, die im vergangenen Jahr in den nördlichen und zentralen Regionen Tausende von Menschen getötet haben".

Dem ist unbedingt zuzustimmen.

Hinzu kommt, dass die Putschisten offensichtlich breiten RĂŒckhalt in der Bevölkerung Nigers genießen. Das macht einen Angriff von außen zusĂ€tzlich riskant.

Die nigerianische Premium Times warnt außerdem, dass das bevölkerungsreichste Land Afrika sich in einer wirtschaftlichen Dauerkrise befindet und ohnehin einen Mangel an gesellschaftlicher KohĂ€sion aufweist.

Die innenpolitische Situation könnte sich weiter verschlechtern, so die Premium Times [6]:

Unser Bundesstaat Borno grenzt an die Republik Niger. Welche Auswirkungen hĂ€tte eine bewaffnete Expedition in das Land, die sich ĂŒber einen langen Zeitraum hinziehen könnte, auf die Sicherheitslage im Bundesstaat, in dem die kreativen, nicht-kinetischen und patriotischen Maßnahmen von Gouverneur Babagana Umara Zulum, die den Frieden im Bundesstaat wiederherstellen, möglicherweise vollstĂ€ndig zunichtegemacht werden?

Aus Sicht der leidgeprĂŒften Bevölkerung an der Grenze zur Republik Niger ist es kaum vertretbar, dass Nigeria sich auf eine so gefĂ€hrliche Intervention in unserem nördlichen Nachbarland einlĂ€sst.

Premium Times

Die Öffentlichkeit in Nigeria steht ĂŒbrigens keinesfalls geschlossen hinter einem solchen Abenteuer [7].

Das Traurigste an der Sache ist aber, dass die heutige Terrorplage im Sahel zu einem bedeutenden Teil auf die völlig aus dem Ruder gelaufene, arrogante Intervention in Libyen [8] zurĂŒckzufĂŒhren ist.

Die falsche PrioritÀt des Westens

Jetzt rĂ€cht sich, dass der Westen fast ausschließlich auf militĂ€rische Mittel gesetzt, die betroffenen LĂ€nder sozioökonomisch aber weitgehend sich selber ĂŒberlassen hat. Mitte 2019 hatte etwa Oxfam noch gefordert [9]:

Die Regierungen der Sahel-LĂ€nder und die internationale Gemeinschaft mĂŒssen auf diese dringenden Probleme reagieren und der BekĂ€mpfung der Ungleichheit oberste PrioritĂ€t einrĂ€umen. Starke, gut koordinierte Antworten, die alle Beteiligten einbeziehen, mĂŒssen ĂŒber den derzeitigen engen Fokus auf die Sicherheit hinausgehen und können zu dauerhaften Lösungen fĂŒhren.

Oxfam

Wenn sich die westafrikanische Staatengemeinschaft also fĂŒr die Diplomatie entscheidet, verliert sie ihre GlaubwĂŒrdigkeit keineswegs – auch wenn ein fĂŒhrendes Medium in Deutschland das behauptet [10].

Das Gegenteil ist der Fall: Die realistische EinschÀtzung der eigenen KrÀfte und des bei einer Intervention ausgelösten Leid und Elends lassen keinen anderen Weg als den der Diplomatie offen.

Dass man dies in Westafrika erkennt, zeigt, dass die Verantwortlichen dort intellektuell und moralisch deutlich weiter sind als so mancher Pantoffelkrieger hierzulande.


URL dieses Artikels:
https://www.heise.de/-9238861

Links in diesem Artikel:
[1] https://www.sueddeutsche.de/politik/militaer-nigers-putschisten-verweigern-verhandlern-die-einreise-dpa.urn-newsml-dpa-com-20090101-230808-99-755931
[2] https://en.wikipedia.org/wiki/Niger_Armed_Forces
[3] https://www.twcenter.net/forums/showthread.php?746807-Force-Ratios-and-the-3-1-Rule-Debate
[4] https://english.ahram.org.eg/NewsContent/2/10/506070/World/Africa/Niger;s-junta-isn;t-backing-down,-and-a-regional-f.aspx
[5] https://www.cfr.org/nigeria/nigeria-security-tracker/p29483
[6] https://www.premiumtimesng.com/opinion/613161-coup-detat-in-niger-why-nigeria-must-tread-cautiously-by-femi-mimiko.html
[7] https://www.trtworld.com/africa/nigerias-opposition-urges-president-to-reconsider-intervention-in-niger-14353177
[8] https://library.fes.de/pdf-files/bueros/fes-pscc/14016.pdf
[9] https://oxfamilibrary.openrepository.com/bitstream/handle/10546/620835/bp-sahel-inequality-030719-en.pdf
[10] https://www.zeit.de/politik/ausland/2023-08/putsch-niger-junta-ecowas