Niger: Eine Militär-Intervention wird teuer
Für einen erfolgreichen Waffengang muss die Ecowas großen Aufwand betreiben. Der Erfolg wäre trotzdem nicht sicher. Warum westafrikanische Diplomaten moralisch weiter sind als Pantoffelkrieger hierzulande.
Radio France International behauptet, die Wirtschaftsgemeinschaft Westafrikanischen Staaten Ecowas (resp. Nigeria) sei bereit 25.000 Soldaten auszuheben, um den Militärputsch im Niger mit Gewalt zurückzurollen. Das klingt gut, reicht aber bei Weitem nicht, verfügt Niamey doch ebenfalls über 25.000 Mann.
Spätestens seit dem Ukraine-Krieg gehört es zum Allgemeingut, dass man für eine erfolgreiche Intervention möglichst die dreifache Menge an Soldaten (und Material) aufbringen sollte wie der Verteidiger.
Ein Erfolg einer Ecowas-Intervention ist also keineswegs sicher – auch wenn Frankreich (und vielleicht auch die – ebenfalls mit Truppen im Niger vertretenen – USA) aktiv aufseiten der Angreifer mitmischen sollte.
Die Herausforderungen
Die ägyptische Al Ahram weekly hat sich den Herausforderungen einer solchen Operation einmal angenähert und die Ergebnisse machen skeptisch.
Da ein Angriff aus Mali oder Burkina Faso nicht infrage kommt, bleibt nur der Weg über die etwa 1.600 Kilometer lange extrem durchlässige Grenze vom Norden Nigeria zum Süden Nigers. Al Ahram weiter:
Eine Interventionstruppe, die auf dem Landweg aus Nigeria käme, müsste einen Streifen größtenteils unbesetzten Landes durchqueren, der mehr als 200.000 Flüchtlinge beherbergt, die vor der Gewalt in Nordnigeria geflohen sind, was jeden Militäreinsatz zusätzlich erschwert.
Al Ahram weekly
Risiko eines Stellvertreter-Krieges
Im weiteren Verlauf würde der Konflikt mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit zu genau dem Stellvertreterkrieg degenerieren, der jetzt schon vorgezeichnet ist. Noch sind keine Wagner-Truppen im Niger. Spätestens, wenn die Ecowas ihre Drohung wahrmacht, dürfte sich das sehr schnell ändern; vielleicht ist es schon jetzt zu spät.
Zudem macht Al Ahram auf die Probleme aufmerksam, die infolge einer solchen Intervention an der nigerianischen Heimatfront auftreten könnten: "wo das Militär mit überlastetem, waffenlosem und zahlenmäßig unterlegenem Personal gegen bewaffnete Gruppen kämpft, die im vergangenen Jahr in den nördlichen und zentralen Regionen Tausende von Menschen getötet haben".
Dem ist unbedingt zuzustimmen.
Hinzu kommt, dass die Putschisten offensichtlich breiten Rückhalt in der Bevölkerung Nigers genießen. Das macht einen Angriff von außen zusätzlich riskant.
Die nigerianische Premium Times warnt außerdem, dass das bevölkerungsreichste Land Afrika sich in einer wirtschaftlichen Dauerkrise befindet und ohnehin einen Mangel an gesellschaftlicher Kohäsion aufweist.
Die innenpolitische Situation könnte sich weiter verschlechtern, so die Premium Times:
Unser Bundesstaat Borno grenzt an die Republik Niger. Welche Auswirkungen hätte eine bewaffnete Expedition in das Land, die sich über einen langen Zeitraum hinziehen könnte, auf die Sicherheitslage im Bundesstaat, in dem die kreativen, nicht-kinetischen und patriotischen Maßnahmen von Gouverneur Babagana Umara Zulum, die den Frieden im Bundesstaat wiederherstellen, möglicherweise vollständig zunichtegemacht werden?
Aus Sicht der leidgeprüften Bevölkerung an der Grenze zur Republik Niger ist es kaum vertretbar, dass Nigeria sich auf eine so gefährliche Intervention in unserem nördlichen Nachbarland einlässt.
Premium Times
Die Öffentlichkeit in Nigeria steht übrigens keinesfalls geschlossen hinter einem solchen Abenteuer.
Das Traurigste an der Sache ist aber, dass die heutige Terrorplage im Sahel zu einem bedeutenden Teil auf die völlig aus dem Ruder gelaufene, arrogante Intervention in Libyen zurückzuführen ist.
Die falsche Priorität des Westens
Jetzt rächt sich, dass der Westen fast ausschließlich auf militärische Mittel gesetzt, die betroffenen Länder sozioökonomisch aber weitgehend sich selber überlassen hat. Mitte 2019 hatte etwa Oxfam noch gefordert:
Die Regierungen der Sahel-Länder und die internationale Gemeinschaft müssen auf diese dringenden Probleme reagieren und der Bekämpfung der Ungleichheit oberste Priorität einräumen. Starke, gut koordinierte Antworten, die alle Beteiligten einbeziehen, müssen über den derzeitigen engen Fokus auf die Sicherheit hinausgehen und können zu dauerhaften Lösungen führen.
Oxfam
Wenn sich die westafrikanische Staatengemeinschaft also für die Diplomatie entscheidet, verliert sie ihre Glaubwürdigkeit keineswegs – auch wenn ein führendes Medium in Deutschland das behauptet.
Das Gegenteil ist der Fall: Die realistische Einschätzung der eigenen Kräfte und des bei einer Intervention ausgelösten Leid und Elends lassen keinen anderen Weg als den der Diplomatie offen.
Dass man dies in Westafrika erkennt, zeigt, dass die Verantwortlichen dort intellektuell und moralisch deutlich weiter sind als so mancher Pantoffelkrieger hierzulande.