Noam Chomsky: Das Schicksal der Menschheit ist nicht besiegelt – wenn wir jetzt handeln

Weltweit vernetzen sich Bewegungen und versuchen mit unzähligen Aktionen und Kampagnen, die Staaten zur Kursänderung zu bewegen. Bild: Simon Lieschke / CC BY-NC 2.0

Noam Chomsky sagt: Kriege und Klimakrise verstärken sich: von der Ukraine bis zum Indien-Pakistan-Konflikt. Kann die moralische Intelligenz des Menschen den Zerstörungsdrang des Kapitalismus noch einhegen?

Das Interview mit Noam Chomsky führt der Politikwissenschaftler C.J. Polychroniou. Das Interview erscheint in Kooperation mit der US-Nachrichtenseite Truthout. Es ist der erste Teil, der zweite mit dem Klimaökonomen Robert Pollin erscheint in Kürze auf Telepolis. Übersetzung: David Goeßmann.

Wir leben in außerordentlich gefährlichen Zeiten. Der Klimakollaps steht vor der Tür, doch die Staaten verfolgen weiterhin eine Politik, die auf "nationaler Sicherheit" und der Verfolgung geopolitischer Ziele basiert.

Der Übergang zu einer sauberen und nachhaltigen globalen Energieversorgung wird sowohl durch mächtige, mit der fossilen Brennstoffindustrie verbundene Interessen als auch durch mangelnde internationale Zusammenarbeit behindert.

Noam Chomsky ist Professor für Linguist, US-Kritiker und Aktivist. Er hat rund 150 Bücher geschrieben.

Der Krieg in der Ukraine, der mit fossilen Brennstoffen geführt wird, verzögert nicht nur den Klimaschutz, sondern hat auch die Abhängigkeit von genau den Energiequellen erhöht, die die globale Erwärmung vorantreiben und den Planeten zerstören. In der Tat war der Krieg ein Geschenk des Himmels für die fossile Brennstoffindustrie. "Drill, Baby, Drill" ist wieder in vollem Gange, und die Öl- und Gaskonzerne fahren historische Gewinne ein, während Familien überall auf der Welt mit explodierenden Energiekosten zu kämpfen haben.

Der "unzivilisierte Kapitalismus", wie Noam Chomsky in diesem Interview eindringlich feststellt, ist heute noch zerstörerischer als in der Vergangenheit. Es sei aber zum großen Teil fehlender politischer Wille, der der Sicherung der Zukunft der Menschheit und des Planeten im Wege steht. Wie Chomsky anmerkt, ist die Aufgabe der politischen Bildung im Zeitalter der globalen Erwärmung vergleichbar mit der Aufgabe der Philosophie, wie sie von Ludwig Wittgenstein beschrieben wurde: "Der Fliege den Weg aus der Fliegenflasche zu zeigen".

Noam, die systemischen Auswirkungen des Krieges in der Ukraine sind enorm und umfassen wirtschaftliche Schocks, Nahrungsmittel- und Energiesicherheit, geopolitische Verschiebungen und den Klimawandel. Was letzteren betrifft, so ist es zwar schwierig, die Effekte des Ukraine-Kriegs auf das Klima genau abzuschätzen, aber es ist völlig klar, dass er die derzeitigen Bemühungen zur Eindämmung der globalen Erwärmung behindert und sogar die langfristige Strategie für Klimaschutzmaßnahmen verändern könnte. Wie genau hängen der Krieg in der Ukraine und die Klimakrise zusammen, und warum setzen die Regierungen verstärkt auf Kohle, Öl und Gas, anstatt sich für eine saubere Energiewende einzusetzen?

Noam Chomsky: Ein unabhängiger Beobachter, der die Welt von heute betrachtet, könnte durchaus zu dem Schluss kommen, dass sie von der fossilen Brennstoff- und Militärindustrie oder von Verrückten regiert wird. Oder beides.

Die wissenschaftliche Literatur ist erschütternd und zeigt immer wieder, dass frühere düstere Warnungen zu konservativ waren und dass wir mit erschreckendem Tempo auf eine Katastrophe zusteuern. Auch ohne die Studien zu lesen, kann jeder, der die Augen nicht bewusst verschließ, sehen, dass die Natur "genug" sagt: extreme Hitze, riesige Überschwemmungen, verheerende Dürren und schwere Wasserkrisen, große Regionen der Erde, die sich dem Punkt nähern, an dem sie bald unbewohnbar sein werden.

Wie reagieren wir darauf? Die Kern wurde in einem Beitrag der wunderbaren Satirezeitschrift Onion eingefangen – nur dass es vielleicht sogar deren Vorstellungskraft übersteigt. Es ist real. Und der Mainstream berichtet ungläubig darüber:

In einem Paradoxon, das eines Kafka würdig ist, plant ConocoPhillips, "Chiller" in den Permafrostboden einzubauen – der aufgrund des Klimawandels schnell auftaut –, damit er fest genug bleibt, um nach Öl zu bohren, dessen Verbrennung die Eisschmelze weiter verschlimmern wird.

In seinen scharfen Antikriegsaufsätzen setzte Mark Twain gekonnt Satire gegen die Aggressoren ein. Doch als er zum berühmten General Funston kam, warf er verzweifelt die Hände in die Höhe: "Keine Satire über Funston kann Vollkommenheit erreichen", klagte Twain, "weil Funston sie selbst in Perfektion liefert .... [Er ist] verkörperte Satire."

Was sich vor unseren Augen abspielt, ist der entfesselte, brutale Kapitalismus als verkörperte Selbstsatire. Selbst Twain könnte dem nichts hinzufügen.

Um zu erkennen, was auf dem Spiel steht, sollten wir uns einige grundlegende Fakten vor Augen führen.

Der arktische Permafrost speichert fast 1.700 Milliarden Tonnen gefrorenen und jetzt auftauenden Kohlenstoff. Die anthropogene Erwärmung droht eine unbekannte Menge dieses Kohlenstoffs in die Atmosphäre freizusetzen .... Kohlendioxidemissionen sind proportional größer als andere Treibhausgasemissionen in der Arktis, aber die Ausdehnung der anoxischen (sauerstofffreien) Zonen innerhalb des aufgetauten Permafrostes und der Böden wird den Anteil der Methanemissionen erhöhen. Die immer häufiger auftretenden Waldbrände in der Arktis werden ebenfalls zu großen und unvorhersehbaren Kohlenstoffausstößen führen.

Die Emissionen mögen im Detail unvorhersehbar sein, aber die daraus resultierende Verwüstung ist in ihren Grundzügen nur allzu vorhersehbar. Wie reagiert der entfesselte Kapitalismus darauf? Er organisierte die intelligentesten Köpfe, um Wege zu finden, das Schmelzen ein wenig zu verlangsamen, damit angetrieben von Profiten mehr fossile Gifte aus den Böden herausgeholt werden können, womit gleichzeitig das Treibhausgas Methan aus den arktischen Permafrostspeichern in die Atmosphäre entweichen kann, um das Leben auf der Erde unmöglich zu machen.

Leider lässt sich diese Beobachtung verallgemeinern. Überall Satire, wohin wir uns auch wenden, selbst in abgelegenen Bereichen. So ist ein Argument gegen die Solarenergie die Landnutzung. Ein echtes Problem, vor allem in Großbritannien, wo Golfplätze mehr als viermal so viel Platz beanspruchen wie Solarenergie, wie wir aus dem unschätzbaren Kartenmaterial des politischen Ökonomen Adam Tooze erfahren.

Die Selbstsatire ist die Spitze des Eisbergs. Sie bringt die Triebkräfte der herrschenden Wirtschaftsinstitutionen auf eklatante Weise zum Vorschein, die tödlich sind, wenn sie entfesselt werden. Eine passendere Grabinschrift für die Spezies – oder besser gesagt für die Institutionen, die im Zuge des Fortschritts dessen, was wir Zivilisation nennen, dominant geworden sind – kann man sich kaum ausdenken.