Noam Chomsky: Das Schicksal der Menschheit ist nicht besiegelt – wenn wir jetzt handeln
Seite 3: Die wichtigste Frage der Menschheit
Militäroperationen verursachen enorme Mengen an Treibhausgasemissionen, da die Kapazität und der Einsatz militärischer Gewalt von Energie in Form von fossilen Brennstoffen abhängen. Tatsächlich stößt das US-Militär mehr Kohlenstoff in die Atmosphäre aus als ganze Länder und führt seit langem Kriege für Öl. Ist es daher realistisch, ernsthafte Klimaschutzmaßnahmen von den Großmächten der Welt zu erwarten, wenn sie weiterhin ignorieren, wie der Militarismus die Klimakrise anheizt?
Noam Chomsky: Man kann hinzufügen, wenn sie weiterhin ignorieren, wie die Klimakrise den Militarismus anheizt. Die Klimakrise führt zu Konflikten. Das haben wir bereits in Syrien und Darfur erlebt, wo die durch historische Dürren ausgelöste Völkerwanderung den Hintergrund für die darauf folgenden Schrecken bildete. Es drohen Krisen, die selbst diese schrecklichen Ereignisse in den Schatten stellen könnten.
Der Konflikt zwischen Indien und Pakistan steht auf Messers Schneide. Sie sind permanent in bewaffnete Auseinandersetzungen verwickelt. Beide leiden sehr unter der globalen Erwärmung. Ein Drittel Pakistans steht nach einer intensiven Hitzewelle und einem langen Monsun, der eine Rekordmenge an Regen verursachte, unter Wasser, zum Teil mehrere Meter tief.
Im benachbarten Indien versuchen arme Bauern in Lehmhütten, die Dürre und die Hitze von bis zu 50 Grad Celsius ohne Klimaanlage zu überstehen, was praktisch nicht mehr zu verkraften ist. Währenddessen wetteifern die Regierungen darum, mehr und bessere Mittel zur militärischen Zerstörung zu produzieren. Auch hier ein weiterer Fall von Selbstsatire. Die Quellen ihrer geteilten Wasservorräte schwinden. Den Rest kann man der Fantasie überlassen.
Die Fantasie muss man jedoch nicht bemühen, wenn es um die Tatsache geht, dass beide Staaten bis an die Zähne bewaffnet sind, einschließlich riesiger Atomwaffenarsenale. Es ist ein mörderisches Wettrüsten für das viel kleinere Pakistan. Für beide bedeutet es zudem eine skrupellose Verschwendung von Ressourcen, die dringend benötigt werden, um die verheerenden Folgen der globalen Erwärmung und anderer Formen der Umweltzerstörung, von denen beide betroffen sind, zu bewältigen.
Der Fall Indien und Pakistan ist nur eines von vielen Beispielen für eine drohende Katastrophe. Die USA sind, obwohl sie ungewöhnlich privilegiert sind, nicht unverletzlich, wie wir in den letzten Monaten gesehen haben.
Wie üblich geht es bei den Krisen nicht nur um die Zerstörung der Umwelt durch den Menschen. Dazu mehren sich politische Skandale. Die am stärksten betroffene Stadt ist Jackson, die Hauptstadt des Bundesstaates Mississippi. Das Wassersystem versagt seit Jahren, und nun sind die Einwohner buchstäblich ohne Trinkwasser – in einem Land mit unvergleichlichem Reichtum und Naturschätzen.
Experten sagen, dass sich diese Krise jahrelang anbahnte und das Ergebnis einer unzureichenden Finanzierung von notwendigen Infrastrukturmaßnahmen sei. Seit einem Jahr drängen die Verantwortlichen dieser mehrheitlich von Schwarzen und Demokraten geführten Stadt auf zusätzliche Mittel von den weißen Republikanern, die den Bundesstaat regieren. Die Appelle haben wenig gebracht.
Tief verwurzelte soziale Pathologien tragen ihren Teil zum menschlichen Elend bei und verschlimmern Missstände, die durch die Zerstörung der Umwelt und die extreme Ressourcen-Ausbeutung entstehen. Darüber hinaus sind die USA bei der Beschleunigung der Militarisierung der Welt mit Abstand führend.
Viele Aufgaben für die Amerikaner, die angegangen werden müssen, und nicht nur für sie.
Noam, wir sind die einzige Spezies, die eine höhere Intelligenz entwickelt hat, aber wir treffen nicht die richtigen Entscheidungen in Bezug auf das Klima und die Umwelt. Liegt es an der Politik und der Art und Weise, wie die Weltwirtschaft funktioniert, oder vielleicht an der Befürchtung, dass die Herausforderung der globalen Erwärmung zu groß für uns erscheint, so dass wir einfach weitermachen wie bisher, ein paar Änderungen vornehmen und auf das Beste hoffen?
Noam Chomsky: Die Evolution der höheren Intelligenz ist ein faszinierendes wissenschaftliches Problem. Es ist sogar möglich, dass wir die einzige Spezies im zugänglichen Universum sind, die das entwickelt hat, was wir als höhere Intelligenz bezeichnen, oder die sie zumindest ohne Selbstzerstörung aufrechterhalten hat. Bis jetzt jedenfalls
Für die Frage, warum die existenziellen Krisen, die das sich selbst tragende Leben auf der Erde bald beenden könnten, viel zu wenig Aufmerksamkeit erhalten, gibt es viele mögliche Gründe. Es gibt auch eine tiefere Frage, die im nicht allzu fernen Hintergrund lauert. Die Frage ist vor 77 Jahren, am 6. August 1945, an die Oberfläche gekommen bzw. hätte es kommen müssen.
An diesem schicksalhaften Tag erfuhren wir, dass die menschliche Intelligenz eine wahrlich große Leistung vollbracht hatte. Sie besaß nun die Mittel, alles zu zerstören. Zu dem Zeitpunkt zwar noch nicht ganz, aber es war klar, dass der weitere technische Fortschritt diesen Punkt bald erreichen würde.
Das geschah 1952, als die USA die erste thermonukleare Waffe zündeten und die Weltuntergangsuhr auf zwei Minuten vor Mitternacht vorrückte. Erst in Trumps Amtszeit rückte der Uhrzeiger wieder derart nah an die Untergangs-Stunde heran und sprang schließlich, da die Analysten die Bedrohung immer höher einstuften, auf Sekunden um.
Die Frage, die sich vor 77 Jahren in aller Deutlichkeit stellte, war, ob die moralische Intelligenz des Menschen so weit entwickelt ist, dass sie den Drang zur Zerstörung kontrollieren kann. Kann der Drang moralisch eingehegt werden? Die bisherige Bilanz ist nicht vielversprechend.
Das Spiel ist nicht vorbei, es sei denn, wir entscheiden uns dafür, es zu beenden. Der Wahl kann nicht entkommen werden. Wie sich die Menschen entscheiden werden, ist die bei weitem wichtigste Frage, die sich in der kurzen Zeit, in der die Menschen auf der Erde leben, gestellt hat. Wir werden bald die Antwort geben.
Noam Chomsky (geb. 1928) ist emeritierter Professor für Linguistik und Philosophie am MIT, Lehrstuhlinhaber für Linguistik an der Universität von Arizona, wo er auch das Programm für Umwelt- und soziale Gerechtigkeit leitet. Chomsky ist einer der meistzitierten Wissenschaftler der modernen Geschichte und kritischer Intellektueller, der von Millionen von Menschen weltweit rezipiert wird. Er hat mehr als 150 Bücher, wissenschaftliche Standardwerke und viele Bestseller in den Bereichen Linguistik, politisches und soziales Denken, politische Ökonomie, Medienwissenschaft, US-Außenpolitik und Weltpolitik sowie Klimawandel veröffentlicht. Zuletzt erschien von ihm zusammen mit Marv Waterstone im Westend Verlag: "Konsequenzen des Kapitalismus. Der lange Weg von der Unzufriedenheit zum Widerstand".