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Noch schreibt KI für uns Texte – bald wird sie Kriege führen

Das Army Futures Command der US-Armee integriert Robotikplattformen in Missionskommandosysteme, um auf dem Schlachtfeld den Überblick zu behalten. Bild: Conrad Johnson, CCDC Public Affairs

Militärs und Rüstungskonzerne setzen schon seit Langem auf Künstliche Intelligenz. Nun zeichnet sich ein Durchbruch ab. Was das bedeutet und welche Rolle der Ukraine-Krieg dabei spielt.

Mit der Künstlichen Intelligenz (KI) in der Kriegführung ist es ein wenig, wie in der Fabel vom Hirtenjungen und dem Wolf: Seit Jahrzehnten gab es immer wieder Konjunkturen, in denen die Industrie Durchbrüche bei der militärischen Anwendung von KI in Aussicht stellte und damit Erwartungen im Militär. In der Friedensbewegung und unter kritischen Informatiker:innen war man hingegen alarmiert.

Die tatsächlichen Fortschritte aber fallen gegenüber den Ankündigungen bis dato meist sehr bescheiden aus und vollzogen sich relativ unabhängig von den Konjunkturen der KI-Forschung und den sie begleitenden rüstungskeynsianistischen Programmen der Regierungen.

Entsprechende Anwendungen dessen, was jeweils zeitgenössisch als KI verstanden wurde, folgten dabei eher getrennten Entwicklungspfaden in getrennten Anwendungsfeldern wie der Fernaufklärung, der Bilderkennung, der Logistik und der Erzeugung von Trainings- und Simulationsumgebungen.

Häufig griffen die Militärs dabei auf Technologien zurück, die bereits zuvor auf zivilen Massenmärkten etabliert worden waren, z.B. in der Spiele-Industrie oder Softwareentwicklungen für das Ressourcenmanagement von Unternehmen.

Der aktuelle Hype um KI allerdings könnte sich von den bisherigen Konjunkturen unterscheiden und tatsächlich disruptive Veränderungen auf den Schlachtfeldern hervorbringen. Vieles spricht dafür, dass dies aktuell bereits der Fall ist – nicht nur in der Ukraine. Und einiges spricht dafür, dass diese Entwicklung noch am Anfang steht und sich noch deutlich beschleunigen könnte.

"Es geht um konkrete Lösungen"

Davon zeugte etwa eine Veranstaltung des "Anwenderforum(s) für Fernmeldetechnik, Computer, Elektronik und Automatisierung" (AFCEA) Bonn. Hinter dem als gemeinnützig anerkannten Verein steht ein Netzwerk von Unternehmen aus der IT- und Rüstungsindustrie, Militärs und Ministerialbeamt:innen.

In seiner Außendarstellung bezeichnet sich der Verein meist als "Dialogplattform", macht aber zugleich in der aktuellen Selbstbeschreibung auf seiner Homepage [1] keinen Hehl aus der primär militärischen bzw. rüstungspolitischen Ausrichtung seiner Arbeit, zumindest in historischer Hinsicht:

Gegründet wurde AFCEA International 1946 von Angehören der US-Streitkräfte zur Verbesserung des Fernmeldewesens. Der deutsche Verein geht auf die Initiative von Soldaten zurück, die 1983 den Austausch rund um Informations- und Kommunikationstechnik (ITK) im Verteidigungs- und Sicherheitsbereich fördern wollten.

Zu den Aktivitäten des Vereins gehört neben zahlreichen kleineren Veranstaltungen eine jährliche Fachausstellung, die sich in den letzten Jahren zunehmend auf ein zuvor bestimmtes "Jahresthema" bezog.

Sowohl 2022 wie 2023 begann dieses Jahresthema mit den Worten "(Künstliche) Intelligenz & Innovation", worauf 2022 noch "Chance für Mensch und Technik" folgte, 2023 standen demgegenüber bereits im Titel "konkrete Nutzungsmöglichkeiten" im Mittelpunkt [2]: "Wir werden uns im Jahr 2023 mit konkreten Lösungen und in der Nutzung befindlichen oder kurz vor der Einführung stehenden Anwendungsmöglichkeiten befassen. Es geht um konkrete Lösungen."

Die Fachausstellung fand am 10. und 11. Mai im World Conference Center Bonn statt, der im Verhältnis zu seinem Namen eher bescheidene Dimensionen aufweist. Ein kleines Grüppchen Friedensbewegter führte am ersten Tag der Messe weitgehend unbehelligt eine Kundgebung direkt vor dem Haupteingang durch.

Die redundante Bezugnahme in der Ankündigung auf das "konkrete" ist einerseits Hinweis auf ein fehlendes oder schlechtes Lektorat, fast schon eine Ignoranz gegenüber der Sprache jenseits von Schlagwörtern, die auch im Heft zur Ausstellung zum Ausdruck kommt.

Man könnte sie aber auch als Symptom der Begeisterung oder Zuversicht, die bei Herstellern und Anwendern herrscht, verstehen. Die einleitenden Worte zum Ausstellungsheft [3] stammen von Brigadegeneral Armin Fleischmann, Vorsitzender von AFCEA Bonn und zugleich beim BMVg in der Abteilung "Methoden und Digitales" tätig, die u.a. für die Bereiche Forschung, Technologie und Innovationsmanagement zuständig ist.

Er schreibt von einer "digitalen Zeitenwende" und dass sich KI gegenwärtig "mit ungeahnten Möglichkeiten und einer rasenden Geschwindigkeit" entwickle. Die daraus sich ergebenden Chancen seien "mutig" und "schneller" zu ergreifen. Dabei blicke man "auch kritisch auf (selbst auferlegte) Hürden, ohne dabei die 'menschliche' Intelligenz nicht (sic!) zu vergessen".

Ein disruptives Mindset, bei dem zwischen großen Worten und Ankündigungen der Sinn auch mal auf der Strecke bleiben kann, gehört hier freilich zum Geschäft. Und natürlich sollte man in der Einleitung eines Ausstellungsheftes, das Erwartungen wecken soll, auch keine nachdenklichen Zwischentöne erwarten.

EU, Nato, Bundeswehr: Kriegs-KI könnte bald konkrete Anwender finden

Die Wahrnehmung, dass man vor großen Umbrüchen steht, durchzieht allerdings auch die Abstracts der 39 "Industrievorträge", die in einem weiteren, vorab veröffentlichten Heft zur Ausstellung [4] abgedruckt waren.

Es war vermutlich kein Zufall, dass der erste dieser Vorträge einen Titel trug, der die Stimmung in der Industrie aktuell hervorragend auf den Punkt bringt: "Closing the implementation Gap" - sinngemäß: Die Lücke zur Umsetzung füllen.

Dieser Vortrag wurde von der Bechtle AG mit Hauptsitz in Neckarsulm initiiert, zu der Wikipedia weiß [5]: "Schwerpunkte sind der Handel mit Hard-, Software und IT-Dienstleistungen sowie der Betrieb und die Wartung von IT-Infrastruktur bei gewerblichen und öffentlichen Auftraggebern." Zu seinen Großkunden zählt das Unternehmen u.a. die EU-Kommission, die Nato und die Bundeswehr.

KI im Gefecht – "seriennah"

Viele der Vorträge stellen konkrete Produkte der jeweiligen Unternehmen in den Mittelpunkt. So etwa der Vortrag "Der KI-unterstützte Feuerkampf" von Rheinmetall, in dem das System "Attac" vorgestellt werden sollte, welches für zukünftige "Gefechtsfahrzeuge" die "aktuelle und seriennahe Verwendung von KI für die Objekterkennung und -klassifizierung in Echtzeit" leisten soll.

Hierdurch solle die "Fahrzeugbesatzung im Bereich der Beobachtung und Zielerfassung sowie in der Entscheidungsfindung und Wirkung entlastet werden", indem die Fahrzeuge "die Fähigkeit (erlangen) selbstständig aufzuklären, erkannte Objekte zu klassifizieren und in die Bedrohungslage einzuordnen."

Ein weiterer Beitrag stammt von einem demgegenüber kleinen und jungen Unternehmen, der Vected GmbH aus Fürth, das Wärmebildgeräte für die Jagd, Polizei und Militär herstellt und dabei auf Künstlichen Neuronale Netze setzt. In der Ankündigung des Vortrages heißt es:

Künstliche Intelligenz (KI) und vor allem künstliche neuronale Netzwerke sind in der Verarbeitung von Bilddaten längst Standard. Beeindruckende Ergebnisse in den Bereichen Klassifizierung, Detektion, Lokalisation und Segmentierung sind für zukünftige Anwendungen in der Wehrtechnik vielversprechend.

Konkret geht es im Vortrag um die bislang unzureichende Verfügbarkeit von Trainingsdaten im "Wärmebildbereich", insbesondere im "Verteidigungs- und Sicherheitsbereich", und wie diese durch "die Verwendung von künstlich erzeugten Daten" überwunden werden könne.

Einem Beitrag auf dem "Wärmebildblog" der Firma kann man entnehmen, dass sie hierzu mit dem Unternehmen Vedted zusammenarbeitet, das zusammengesetzte, mit synthetischen Daten – in diesem Fall denen eines Panzers – angereicherte Trainingsdaten liefert [6].

An verschiedenen Stellen versichert auch Vected wie die Rüstungsindustrie insgesamt gerne: "In letzter Instanz ist es immer der Mensch, der eine Entscheidung über seine weiteren Handlungen trifft".

Wie allerdings die Entscheidungsunterstützung (vermeintlich) aussieht, welche die KI dem Menschen als Handlungsgrundlage bereitstellt, illustriert die Bebilderung eines Artikels aus der Zeitschrift Wehrtechnik (wt), welcher über die Homepage des Unternehmens zugänglich gemacht wird.

Es zeigt ein (vermeintliches) Wärmebild einer Situation an einem Interface, in dem offenbar eine Funktion "threat detection" aktiviert ist. Das eigentliche Bild ist durch Text und Grafiken angereichert, die vier Personen identifizieren und ihnen jeweils einen Prozentwert (zwischen fünf und 93 Prozent) zuweisen, mit dem es sich bei der entsprechenden Person um eine "Bedrohung" handelt [7].

Die Ankündigung des Vortrages der PlathGroup denkt da schon ein Stückchen weiter (oder kürzer). Dabei geht es im Kern um die Datenfusion, also die Vernetzung und KI-gestützte, gemeinsame Auswertung verschiedener Sensoren und anderer Datenquellen (z.B. soziale Medien). Im Abstract heißt es zu den damit verbundenen "Herausforderungen":

So können KI-Algorithmen beispielsweise anfällig für Verzerrungen, Fehler und gegnerische Angriffe sein, rechtliche und ethischen Bedenken sind ebenfalls relevant. Insbesondere wenn Entscheidungskompetenzen in der Prozesskette (Sensor to Shooter) abgetreten werden würden.

Militärische KI im Informationskrieg

Auch an der Heimatfront und im Informationskrieg stehen offenbar KI-Anwendungen offenbar bereits zur Nutzung bereit oder befinden sich gar schon in der Anwendung. So hat die Somtxt UG, "eine Analysefirma in Rostock, die auf die Verarbeitung und Mustererkennung in großen Textdatenbeständen spezialisiert ist", einen Industrievortrag unter folgendem Titel angemeldet: "Mit künstlichen neuronalen Netzen orchestrierte Meinungsmanipulation zielgenau aufklären". Vorgestellt werden sollte "von der Somtxt UG entwickelte Algorithmus Textrapic" und die Plattform "Kalevi":

Die Somtxt UG kann unter der Einbindung zweier sehr populärer sozialer Netzwerke mehrere tausend Web-Seiten innerhalb weniger Tage identifizieren, auf denen Verschwörungserzählungen, Propaganda oder Falschnachrichten kultiviert und von APM Teams verbreitet und in manipulativer Absicht künstlich verstärkt werden, wahlweise in russischer, englischer, spanischer, französischer und weiteren Sprachen…

In unserem Industrievortrag zeigen wir den Datenverarbeitungsprozess und die Mustererkennung mit künstlichen neuronalen Netzen in der Kalevi-Plattform, sowie die Binnenstruktur fremdstaatlich gesteuerter Meinungsmanipulation exemplarisch auf. An verschiedenen Beispielen erfolgreicher Mustererkennung geben wir dem Fachpublikum einen tiefen Einblick in die Wirkmechanismen und grundlegenden Eigenschaften manipulativer Kampagnenarchitekturen, um zu verdeutlichen, in welcher Qualität und vor allem Quantität sich die wachsende Herausforderung der Meinungsmanipulation darstellt.

Auch die rola Security Solutions GmbH aus Oberhausen spricht in ihrem Abstract von einem "gesteigerte(n) Bedarf, Meta- und Contentinformationen aus gängigen Social Media Kanälen zu erheben" und will hierfür "KI-basierte Objekterkennung" zur Verbesserung des Lagebildes einsetzen.

Der Vortrag scheint dabei primär auf militärische Anwendungen abzuzielen. Auf seiner Homepage bezeichnet sich das Unternehmen [8], das seit 2014 T-Systems gehört, als "Partner Nr. 1 für deutsche Behörden und Organisationen mit Sicherheitsaufgaben" und einen der "verlässlichsten Anbietern von IT-Lösungen im Bereich der Inneren und Äußeren Sicherheit".

Combat Clouds

Einer der Gründe, warum sich KI-Anwendungen auch bei der Bundeswehr in den nächsten Jahren in großem Umfang und mit großer Geschwindigkeit realisieren dürften, besteht darin, dass mit der aktuell tatsächlich umgesetzten Digitalisierung der Streitkräfte der jahrzehntealte Traum von der netzwerkzentrierten Kriegführung wahr werden könnte.

Mittlerweile sind auch bei der Bundeswehr viele Systeme, Sensoren und sog. "Wirkmittel" (Shooter), miteinander in (nahezu) Echtzeit vernetzt und die Interaktion zwischen Menschen und Schwärmen unbemannter Systeme, das sog. Manned- Unmanned Teaming ("MUM-T"), wird auf verschiedenen Ebenen vorangetrieben.

Voraussetzung hierfür sind "Informationsverbünde", für die sich in den letzten Jahren auch der Begriff "Combat Cloud" etabliert hat. Entsprechende Großprojekte der deutschen und europäischen Rüstung ziehen sich entsprechend wie ein roter Faden durch die Industrievorträge.

So beziehen sich allein drei der 39 Abstracts explizit auf das Projekt D-LBO ("Digitalisierung landbasierter Operationen), mit dem perspektivisch "bis zu 25.000 Fahrzeuge und bis zu 155.000 Soldaten [9]" untereinander vernetzt agieren können sollen.

Zwei Abstracts beziehen sich explizit auf das FCAS ("Future Combat Air System"), bei dem bemannte Kampfflugzeuge von ganzen Schwärmen unbemannter Flugzeuge begleitet werden sollen.

Der Airbus-Konzern, der gemeinsam mit Thales hierfür die Combat Cloud entwickeln soll, nennt im Abstract seines Beitrages FCAS zwar nicht konkret, hat ihn aber mit "Anwendungsfälle für KI in der Multi-Domain Combat Cloud" überschrieben.

Wenn es dort heißt, die "moderne Gefechtsführung" stehe "vor einem disruptiven Umbruch", so dürfte damit zumindest auch der Beitrag von Airbus zum Flaggschiff der deutsch-französischen Rüstungskooperation gemeint sein.

Das "Future Combat Mission System" [10], das in dieser Combat Cloud agieren soll, wird gemeinsam von Hensoldt, ESG, Rohde & Schwarz und Diehl entwickelt, die außer Diehl allesamt mit eigenen Industrievorträgen auf der AFCEA-Fachausstellung vertreten waren.

Wieder nur leere Versprechen?

Somit bildet diese einzelne Veranstaltung ein breites Bild dessen, was man als die Lieferkette militärischer KI bezeichnen könnte. Mit rund 250 ausstellenden Unternehmen an etwa 180 Ständen und insgesamt knapp 3.000 Besucher:innen war die Messe nicht einmal besonders groß, weitgehend auf deutsche Hersteller beschränkt und auf deutsche Auftraggeber zugeschnitten.

Natürlich werden auf solchen Messen immer große Reden gehalten und hohe Erwartungen geweckt. Handelt es sich vielleicht ein weiteres Mal nur um leere Versprechen, mit denen die Unternehmen der Regierung Geld aus der Tasche locken wollen?

Das Ausmaß, in dem sich hier auf fertige und seriennahe Produkte sowie bereits in der Umsetzung befindliche Großprojekte bezogen wird, spricht dagegen.

So spricht wenig dafür, dass die US-Industrie (und andere) nicht schon mindestens einen Schritt weiter sind und in der Ukraine bereits viele Dinge zur Anwendung kommen, die zumindest vor kurzem noch utopisch wirkten. Die Zeitenwende – im Militär zeichnet sie sich sehr konkret ab.


URL dieses Artikels:
https://www.heise.de/-9068071

Links in diesem Artikel:
[1] https://www.afcea.de/ueber-afcea/unser-verein/vorstellung-und-ziele.html
[2] https://www.afcea.de/veranstaltungen/jahresthema-2023.html
[3] https://www.afcea.de/fileadmin/user_upload/Fachausstellungen/FA_2023/Sonstiges/Ausstellungsheft_FA_2023_-155-225_-_230426_final_-zzz.222.pdf
[4] https://www.afcea.de/fileadmin/user_upload/Fachausstellungen/FA_2023/Industrievortraege/FA_2023__Heft_Industrievortraege_-155-225_-_230427_final.pdf
[5] https://en.wikipedia.org/wiki/Bechtle
[6] https://vected.de/ein-panzer-auf-unserem-parkplatz/
[7] https://vected.de/wp-content/uploads/2023/01/Vected_KI_fuer_die_Zukunftsentwicklung_der_Bundeswehr_051021_Wehrtechnik_3_2021.pdf
[8] https://www.rola.com/ueber-uns
[9] https://www.thalesgroup.com/de/europe/deutschland/d-lbo-ten
[10] http://fcms-germany.net