Nord-Stream: Pro-ukrainische Gruppe oder Operation unter falscher Flagge?

Seite 2: Über 45 Geisterschiffe in der Ostsee

In der Recherche deutscher Nachrichtenmedien wird behauptet, dass das Boot, das für die Operation benutzt wurde, in Rostock gestartet sei. In Hershs Bericht heißt es, das Boot (ein Minensuchboot) mit den Tauchern der US-Marine sei von der dänischen Insel Bornholm in See gestochen.

Während Kritiker von Hershs Bericht einwenden, dass kein Minenräumboot, das Hershs Beschreibung entspricht, an dem fraglichen Tag auf einem öffentlich zugänglichen Radar geortet wurde, sagt die NYT Folgendes:

Nach Angaben eines Abgeordneten des Europaparlaments, der Ende letzten Jahres vom wichtigsten Auslandsgeheimdienst seines Landes informiert wurde, haben die Ermittler Informationen über schätzungsweise 45 "Geisterschiffe" gesammelt, deren Ortungstransponder nicht eingeschaltet waren oder nicht funktionierten, als sie das Gebiet passierten, möglicherweise um ihre Bewegungen zu verschleiern.

George Beebe, ehemaliger CIA-Offizier und jetziger Leiter des Programms Grand Strategy des Quincy-Instituts, stellt fest, dass der Zeitpunkt, an dem der Bericht öffentlich gemacht worden sei, viele Fragen aufwerfe.

Es kommt mir verdächtig vor, dass diese Informationen plötzlich ans Licht kommen – viele Monate nach der Tat. Das ist merkwürdig. Die Nachricht dient zudem auffällig günstig als Gegenentwurf zu Sy Hershs Bericht,

… konstatiert Beebe. "Man kann es vielleicht erklären, aber es wirft die Frage auf, woher kommt die Geschichte und warum gerade jetzt?"

Außenpolitische Analysten und Journalisten äußerten sich nach Veröffentlichung der Geschichte ähnlich. Jack Murphy, ein Veteran für militärische Spezialoperationen, Autor und Journalist, der im Dezember eine Story veröffentlichte, in der er aufdeckte, wie von der CIA unterstützte, pro-ukrainische Saboteure in Russland operieren, glaubt nicht daran, dass, wenn es sich um eine pro-ukrainische Gruppe gehandelt haben soll, die USA nichts davon gewusst haben. "Ich zerbreche mir immer noch den Kopf darüber", schrieb er auf Twitter:

Ich soll also annehmen, dass die USA die russische Militärkommunikation geknackt haben, dass wir Quellen im Kreml haben, dass wir ihnen drei Schritte voraus sind, aber ... wir haben lediglich "begrenzte Einblicke" in den Entscheidungsfindungsprozess der Ukrainer und sind nun von ihrer abtrünnigen Operation enttäuscht?

Andere sind verblüfft angesichts der Annahme, dass eine Schurkengruppe für eine ausgeklügelte Operation verantwortlich sein soll, die nach Ansicht der Ermittler eigentlich nur von einem staatlichen Akteur durchgeführt werden kann – und dann auch nur von einer Handvoll Staaten.

Während die Ermittlungen weiter laufen, ist eine Täterschaft Russlands – die von Anfang an von US-amerikanischen Regierungsbeamten, Experten und Medien vermutet wurde – nahezu ausgeschlossen worden.

Wenn es sich um eine Operation unter falscher Flagge handeln sollte – wobei Spuren, die auf eine ukrainische Beteiligung hindeuten, zurückgelassen wurden –, was wäre der Grund dafür?

"Die Biden-Regierung scheint anzuerkennen, dass die Geschichte, die Russen hätten ihre eigene Pipeline in die Luft gesprengt, nicht stichhaltig ist", so Beebe.

Das heißt nicht, dass [die NYT-Geschichte] falsch ist, aber es wirft in meinen Augen Fragen auf, was hier vor sich geht. Sie haben den Reportern der New York Times keine Beweise vorgelegt, sondern einfach gesagt: "Wir haben diese neuen Informationen. Vertraut uns."

Der Artikel erscheint in Kooperation mit dem US-Magazin Responsible Statecraft. Übersetzung: David Goeßmann.