Nordirak: Was bedeutet das Referendum für wen?
Seite 2: Keine homogene Einheit, aber ein Gemeinschaftsgefühl
- Nordirak: Was bedeutet das Referendum für wen?
- Keine homogene Einheit, aber ein Gemeinschaftsgefühl
- Haltung der Kurden in der Diaspora
- Neue Haltung zur Kurdenfrage erforderlich
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Zwar sind die Kurdinnen und Kurden keine homogene Ethnie - es gibt in allen 4 Ländern (Türkei, Irak, Iran und Syrien), wo die kurdische Bevölkerung als große Minderheit lebt, unterschiedliche kurdische Dialekte, Traditionen und politische Ausrichtungen, je nachdem, in welchem Nationalstaat mit welcher "Leitkultur" sie konfrontiert sind, wie stark sie einem Verfolgungs- oder Assimilierungsdruck ausgesetzt waren und sind, wie ausgeprägt noch Stammesstrukturen sind.
Aber ein Gefühl eint sie doch "irgendwie alle" - auch in der Diaspora. Man könnte es vereinfacht etwa so umschreiben: "Wir Kurden werden als Volk nirgends anerkannt, keiner respektiert unsere Kultur, unsere Sprache, unsere Tradition. Immer wieder in der Geschichte wurde uns ein Staat versprochen, immer wieder wurden wir wegen geopolitischer Interessen der Kolonialstaaten und später der Großmächte zum Spielball ihrer Interessen. Alle versuchen uns unsere jahrtausendealte Heimat zu nehmen, alle Erinnerungen zu löschen, ja auch unsere Jahrtausende alten Kulturgüter zu vernichten. Es soll uns einfach nicht geben."
In der Türkei, in Iran, im Irak und in Syrien wurden und werden sie unterdrückt. In der Türkei sind sie die "Bergtürken" und werden bis heute verfolgt, vertrieben, ermordet; in Syrien waren sie lange "Staatenlose", wurden arabisiert und politisch kaltgestellt. Ähnliches passiert im Iran; im Irak wurden Tausende in der Saddam Hussein-Ära massakriert.
So war es schon ein Riesenfortschritt, dass die irakischen Kurden im Nordirak in den 1990er Jahren eine Autonomieregion mit eigenem Parlament zugesprochen bekamen. 2005 wurde in der irakischen Verfassung die Gebietskörperschaft verankert. Im selben Jahr fand schon einmal ein Unabhängigkeitsreferendum statt, das bei der Abstimmung ein ähnliches Ergebnis wie heute erzielte - auch dieses war nicht bindend.
Eigentlich sollte dann schon 2014 ein bindendes Unabhängigkeitsreferendum durchgeführt werden.
Ein nachgeholtes ausgefallenes Referendum und innerkurdische Konflikte
Ein vom kurdischen Parlament entwickelter Plan mit der Ausarbeitung über die politische Gestaltung eines neuen Kurdenstaates sollte der Abstimmung zugrunde liegen. Es kam anders: Der IS überfiel im Irak 2014 zahlreiche Gebiete, eroberte Mosul und stand kurz vor Erbil. Das kurdische Parlament war zerstritten und handlungsunfähig.
So wurde dann am 25. September 2017 das ausgefallene Referendum von 2014 nachgeholt - allerdings ohne die erforderliche Vorlage einer Vorstellung, wie ein solcher Staat denn nun aussehen soll. Die kurdische Bevölkerung stimmte lediglich über die folgende Frage ab: "Möchten Sie, dass die Region Kurdistan und kurdische Gebiete, die außerhalb der Regionalverwaltung liegen, ein unabhängiger Staat werden?"
Eine durchaus emotionale Frage nach der langen Verfolgungsgeschichte der kurdischen Bevölkerung in der Region. Ein "Nein" in der Abstimmung wäre für viele Kurden gefühlt dem "Vaterlandsverrat" gleich gekommen. Die Frage nach den kurdischen Gebieten, die außerhalb der Regionalverwaltung liegen, ist jedoch auch bei den Kurden umstritten.
Die Eziden, die auch zur kurdischen Bevölkerung zählen, beanspruchen mehrheitlich die Shengal-Region für sich und wollen als autonome Region im föderalen Staat Irak verbleiben.
Ebenso die Christen der Ninive-Ebene. In der Stadt Kirkuk, in der Kurden und Turkmenen leben, lehnen die Turkmenen eine Einverleibung der Stadt ab. Diejenigen Kurden und Kurdinnen, die sich einen neuen Nationalstaat wünschten, wählten nach dem Motto: "Erst mal einen Staat schaffen und dann weitersehen, wie der ausgestaltet wird."
Innerkurdische Konflikte sind damit vorprogrammiert, denn Masud Barzani steht einem Präsidialsystem à la Erdogan näher als einem demokratischen, föderativen System - was ja auch eine Option innerhalb eines kurdischen Staates wäre.