Norwegen: Massenmord eines Fanatikers
Tödliche Angriffe in Kongsberg: Ermittler gehen von einem "Terrorakt" aus. Die Polizei spricht von der Radikalisierung eines Mannes, der zum Islam konvertiert ist, und von dessen psychischen Problemen
Fünf Tote, vier Frauen und ein Mann, und zwei, zum Glück nicht lebensgefährlich Verletzte ist bisherige Bilanz mörderischer Akte, mit der ein Mann gestern an verschiedenen Orten in der norwegischen Stadt Kongsberg für albtraumhaftes Entsetzen sorgte. Der Schock ist groß, seit Breiviks ideologisch-fanatisch motivierten Massenmord vom Juli 2011 mit 77 Toten gab es in dem Land keine solch gravierenden Angriffe mehr auf willkürlich ausgewählte unschuldige Opfer unter Zivilisten.
Geständiger Hauptverdächtiger
Der Hauptverdächtige, den die Polizei festnehmen konnte, sei geständig, teilte die zuständige Staatsanwältin heute mit. Es gibt noch viele offene Fragen, die auch die Rolle der Polizei betreffen. Noch ist offiziell nicht erklärt, ob die mörderischen Attacken als Terrorakt eingestuft werden. Die Polizei geht offenbar davon aus ebenso der Inlandsgeheimdienst.
Die Tat erscheine "zum jetzigen Zeitpunkt als eine Terrortat", berichtet der Korrespondent der SZ aus Kopenhagen. Und der Spiegel schreibt eine Äußerung im ganz ähnlichen Wortlaut dem norwegischen Inlandsgeheimdienst PST zu.
Zum geständigen Hauptverdächtigen, ein 37-jähriger dänischer Staatsbürger, der in Kongsberg aufgewachsen ist, heißt es von der norwegischen Polizei, dass er schon 2020 und davor aufgefallen und wegen "Befürchtungen einer Radikalisierung" auch kontaktiert worden sei, wie aus Äußerungen des Polizeivertreters Ole Bredrup Saeverud hervorgeht.
Die Vorgeschichte des Mannes, soweit über Medien bekannt, zeigt ein Bild, in dem Gewaltbereitschaft und psychische Störungen hervortreten.
Norwegische Medien schrieben zudem, er habe mehrfach "Kontakt mit dem Gesundheitsdienst" gehabt. Eine Polizeianwältin bestätigte dem Fernsehsender NRK, dass der Angeklagte noch an diesem Donnerstag von forensisch-psychiatrischen Experten untersucht werde. Der Sender NRK und die Zeitung Verdens Gang berichteten, der Mann sei mehrfach schon vor Gericht gestanden und verurteilt worden, unter anderem wegen Diebstahls und Drogenbesitzes. Nach Gewaltandrohung sei ihm im vergangenen Jahr in einem Gerichtsurteil der Besuch der eigenen Eltern für sechs Monate verboten worden.
Kai Strittmatter, SZ
Herausgestellt hat sich ebenfalls, dass der Mann zum Islam konvertiert ist.
Wir untersuchen, ob es sich um einen Terroranschlag handelt. Es ist aber kompliziert, das alles mit einem Motiv zu verknüpfen. Anhand älterer Informationen über den Mann können wir sehen, dass es hier ein Problem mit Radikalisierung gegeben hat. Die Person ist zum Islam konvertiert.
Kommissar Ole Bredrup Sæverud
In den Berichten, die nach der Tat erschienen, wird die Tatwaffe "Pfeil und Bogen" prominent hervorgehoben. Laut aktuellen Meldungen, die sich auf Polizeiangaben berufen, hatte der Hauptverdächtige auch andere Waffen, mit denen er auf seine Opfer losging. Eine Frau wurde niedergestochen.
"Fanatisiertes Mindset"
Die Ermittler gehen von einem Einzeltäter aus. Bislang ist nichts über Mittäter oder auch Verbindungen zu radikal-islamistischen Netzwerken bekannt. Das ist bei derart fanatischen Akten auch gar nicht nötig, wie dies der französische Dschihad-Experte Wassim Nasr bereits mehrfach betont hat.
Ein Fanatiker braucht keine dschihadistische Organisation oder ein Netzwerk, um sich eine Tötungswaffe zu besorgen und auch keine Order etwa des "Islamischen Staates", um Menschen umzubringen oder grausam zu verletzen. Es genüge der Impuls zur Tat im fanatisierten Mindset (vgl. dazu: "Mittendrin im Low-Cost-Fanatismus").
Mit Pfeil und Bogen und Messer
Laut norwegischen Polizeiwebseite Politiet erhielt die Polizei um 18 Uhr 13 mehrere Nachrichten von Personen im Zentrum von Kongsberg über eine Person mit Pfeil und Bogen. Festgenommen worden sei der Mann um 18.47 Uhr. Die Zeit dazwischen sei "uoversiktlig" gewesen - "verwirrend".
Auch Kommissar Ole Bredrup Sæverud sprach vor Medien von einer "verwirrenden" Lage und brachte als Erklärung vor, dass der Täter, der offenbar über sehr gute Ortskenntnisse verfügte, mehrfach den Ort wechselte. Die Polizei muss sich der Tatsache stellen, dass "wahrscheinlich", so Sæverud, "alle Menschen getötet wurden, nachdem die Polizei um 18.18 Uhr zum ersten Mal Kontakt mit dem Täter hatte" (SZ).
Die Polizisten, die zu einem Coop-Geschäft in Kongsberg gerufen wurden, hatten ihn dort angetroffen, aber wohl nur kurz gerufen, wie NRK in einer Chronik der Abläufe berichtet. Demnach habe der Hauptverdächtige kurz darauf die Polzisten mit Pfeilen beschossen und sei entkommen.
Danach, so Kommissar Ole Bredrup Sæverud, habe es mehrere Meldungen von verschiedenen Aufenthaltsorten des Täters gegeben, denen in einer "großen Suchaktion", unterstützt von Helikoptern, "in einem großen Gebiet" nachgegangen wurde. "Wir stießen auf mehrere Verletzte und der Mann wurde um 18.47 Uhr festgenommen."
Nach wie vor sind noch viele Details offen. Den Berichten des britischen Guardian zufolge kam es bei dem Supermarkt zu Toten und Verletzten.