Nun bedroht nur noch eine Sache die Macht von Wladimir Putin

Überlegt vielleicht gerade, wer ihm noch gefährlich werden könnte: Wladimir Putin. Bild: kremlin.ru, CC BY 4.0

Westliche Akteure setzen wiederholt auf einen Sturz der Regierung in Moskau. Doch dort wurde die rechten Opposition gerade zerschlagen und der Kreml steht gestärkt da. Nun bleibt nur noch eine Bedrohung.

Mit der Verhaftung von Igor Girkin Anfang 2023 und dem kürzlichen Tod von Jewgeni Prigoschin haben die russischen Ultranationalisten zwei Symbolfiguren verloren. Sie waren die letzten Vertreter der "lauten" Opposition in Russland, die zwar nicht den Einmarsch in die Ukraine an sich, wohl aber seine Durchführung scharf kritisierten.

Aufstände oder Proteste gegen die Demontage blieben aus. Die spontan entstandenen Denkmäler für Prigoschin waren, anders als in westlichen Nachrichten mitunter dargestellt, eher klein und wurden vor allem von Angehörigen der Opfer besucht.

Die regierungskritische Sankt Petersburger Onlinezeitung Bumaga zählte bei der offiziellen Gedenkveranstaltung in der Heimatstadt des Militärunternehmens Wagner gerade einmal 50 Besucher. Sie zerstreuten sich nach der Veranstaltung schnell.

Es zeige sich, so der russische Journalist und Innenpolitikexperte Andrej Perzew in einer Analyse, dass die rechten Führer zwar Symbolfiguren für radikale Kriegsbefürworter waren, aber "die meisten normalen Russen sie eher als Internet-Memes denn als Volkshelden betrachteten". Prigoschin zog laut Perzew viel Aufmerksamkeit auf sich, weil viele Russen durch ihn erfahren wollten, was wirklich an der Front passierte, sich aber ideologisch nicht mit ihm identifizierten.

Der Kreml zeigt derzeit, dass er auch auf der rechten Flanke seiner Kriegsfront, die er der früheren rechtsextremen Opposition abspenstig gemacht hat, keine Abweichungen duldet. Kritik ist auch im "patriotischen" Kontext unerwünscht und gefährlich.

Liberale sind kopflos und packen die Koffer

2022 war die liberale Opposition in Russland bereits weitgehend zerschlagen. Zwar gibt es vor allem unter den jüngeren Bewohnern der russischen Metropolen immer noch viele, die mit dem Krieg und der zunehmend totalitären Innenpolitik nicht einverstanden sind. Doch die Symbolfiguren und Aktivisten der jeweiligen Proteste sind fast ausnahmslos emigriert oder verhaftet, die liberalen Medien zum Schweigen gebracht oder ins Ausland vertrieben worden.

Junge Akademiker, die in dem totalitären Staat keine Zukunft sehen, verlassen ihn weiterhin, wenn sich ihnen aufgrund ihrer Qualifikation eine berufliche Chance bietet. Diejenigen, die im Land bleiben, entscheiden sich mehrheitlich dagegen, für folgenlosen Protest ins Gefängnis zu gehen.

Stattdessen will man, über VPN mit den wahren Nachrichten versorgt, die dunkelste Zeit des Systems Putin überstehen. Notfalls mit einem völligen Rückzug ins Privatleben, das in den Metropolen noch einigermaßen weltoffen ist.

Die meisten Russen sind zwar nicht gerade begeistert vom Feldzug ihrer Führung im Nachbarland, befinden sich aber in einem Zustand, den der russische Politologe Andrej Kolesnikov als passiven Konformismus bezeichnet. Sie sehen ihr Land in einer globalen Auseinandersetzung mit dem Westen, in der man „auf der Seite seines Landes stehen muss, ob es nun richtig oder falsch ist“.

Konformismus regiert – bis der Schützengraben ruft

Aufgrund der Erfahrungen in den chaotischen 1990er Jahren weichen die Konformisten auch bei kriegsbedingten wirtschaftlichen Nachteilen nicht von ihrer Position ab. Unter ihnen gibt es laut Kolesnikov nur eine kleine Gruppe aktiver Konformisten, die ihre Unterstützung für das Regime offen demonstrieren und auch Andersdenkende bei den Behörden denunzieren. Sie spielten eine wichtige Rolle bei der Stabilisierung des Systems.

Dennoch, so Kolesnikow, wolle die Mehrheit der Russen nicht "in einem Schützengraben leben", auch nicht die aktiven Anhänger Putins. So war der kritischste politische Moment für die breite Bevölkerung seit Kriegsbeginn nicht der Prigoschin-Aufstand, sondern die Teilmobilmachung im Herbst 2022, als Männer aus jeder Kleinstadt gegen ihren Willen an die Front mussten und eine Welle der Unzufriedenheit bis in die russische Provinz schwappte, die es zum Zeitpunkt von Prigoschins Tod schon gar nicht mehr gab.

Deshalb betonen russische Offizielle seither immer wieder, dass eine weitere Mobilisierungswelle nicht notwendig sei. Angesichts des massiven Truppenbedarfs – es sterben täglich Soldaten – setzt sie so weit wie möglich auf andere Hebel: die Heraufsetzung des Wehrdienstalters, die Rekrutierung von Ausländern, Strafgefangenen oder die strafrechtliche Ahndung der Flucht vor dem Kriegsdienst mit der Waffe.

Dem gegenüber stehen finanziell attraktive Bedingungen für Freiwillige. Offenbar ist sich der Kreml bewusst darüber, dass es Unmut hervorrufen und den passiven Konformismus in der Bevölkerung schwächen oder sogar beseitigen könnte, wenn man erneut Hunderttausende russischer Männer zwangsweise in den Krieg schicken müsste.

Das ist in seiner Bedeutung nicht zu unterschätzen, wenn im Westen immer wieder hypothetische Gedankenspiele über „Palastrevolutionen“ in Moskau entworfen werden. Diese können nur funktionieren, wenn die hypothetischen Putschisten auch von der Bevölkerung anerkannt werden und das zu erwartende Chaos von dieser als vorteilhafter angesehen wird als die Fortsetzung des eingeschlagenen Weges.

Schon die Wahrscheinlichkeit einer solchen Palastrevolution ist in einer Gesellschaft, in der fast alle Personen mit Macht und Reichtum einen Großteil ihrer Position dem System verdanken, sehr gering.

Ein Umdenken im Volk ist nur in Sicht, wenn die einfachen Russen massiver, direkter und in größerer Zahl von ihrer Führung in die aktuellen Kriegshandlungen einbezogen werden. Ukrainische Drohnen über Moskau und anderen Städten sind dazu ebenso wenig in der Lage wie westliche Markenboykotte. Hier wird nur ein Feindbild gestärkt.

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