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Ökonomisierung des Gesundheitswesens: Krankenhausreform als Brandbeschleuniger?

Ein Sparschwein in der Hand einer Person mit weißem Kittel

(Bild: fizkes/Shutterstock.com)

Karl Lauterbach hinterlässt ein Erbe: die umstrittene Krankenhausreform. Was Kritiker und Befürworter sagen – und was sich ändert. Eine Bestandsaufnahme.

Die Lage in den Kliniken ist ernst: Lohnerhöhungen durch harte Tarifrunden und Streikbewegungen, eine galoppierende Inflation, jede zweite Klinik plant Sparmaßnahmen [1].

Das deutsche Gesundheitswesen ist endgültig im gesellschaftlichen Machtkampf angekommen. Kritiker sprechen von einem neoliberalen Ausverkauf und prophezeien ein Kliniksterben.

Viele kommunale Kliniken wurden privatisiert, aus kommunalen Beschäftigten wurden schlechter bezahlte Mitarbeiter privater Anbieter. Mit der Einführung des Fallpauschalensystems [2] wurde der Ökonomisierung des Gesundheitswesens Tür und Tor geöffnet.

Der Unternehmensberatungsriese Pricewaterhouse Coopers [3] jubelt in den höchsten Tönen: Das Gesundheitswesen sei Wachstumsbranche, Umsatztreiber und Jobmotor, die Arbeit am Krankenbett verspreche Profite.

PwC sieht seine marktkonformen Strategien als Teil der Lösung, weg von Vater Staat, hin zu Mutter Privat. Das von PwC selbst herausgegebene Healthcare-Barometer [4] mag herausgefunden haben, dass das Vertrauen der Patienten in das deutsche Gesundheitssystem schwindet. Doch kann die Krankenhausreform dem entgegenwirken?

Uneinigkeit im politischen Prozess

Nicht weniger als eine "Revolution [5]" sei nötig, hatte der scheidende Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) noch vor den entscheidenden Abstimmungen in Bundestag und Bundesrat angekündigt.

Im Kern [6] handelt es sich aber "nur" um die "größte Reform" des bestehenden Krankenhausrechts seit 20 Jahren, 24 Monate haben die Parteien um ihre Ausformulierung gerungen.

Mit den Stimmen der zerbrochenen Ampel-Koalition wurde die Krankenhausreform noch im Oktober im Bundestag beschlossen, der Bundesrat [7] (Vertretung der Länder) rief den zuständigen Vermittlungsausschuss nicht an, das Gesetz ging also kurz vor dem 23. Februar und den daraus resultierenden Mehrheitsverhältnissen durch.

Der politische Prozess verlief hingegen nicht eindeutig und einmütig: Begleitet von gesellschaftlichen und medialen Debatten stritten die Landesregierungen um das Gesetzesvorhaben. Die Parteien differenzierten sich aus.

Kritik [8] kam vor allem, wenig verwunderlich, aus den CDU-regierten Bundesländern, aber auch von den Grünen und sogar der SPD. Nordrhein-Westfalen (CDU) sah dringenden Nachbesserungsbedarf und eine Gefährdung ländlicher Regionen, Sachsen-Anhalt (CDU) warnte vor einem weiteren Auseinanderdriften von Ost und West.

Ein Eklat kam aus Potsdam: SPD-Ministerpräsident Woidke entließ kurz vor der Abstimmung seine Gesundheitsministerin Ursula Nonnemacher (Grüne) aus dem eigenen Kabinett, um ein Nein oder eine Enthaltung Brandenburgs zu verhindern.

Die politische Spaltung folgt dem gesellschaftlich-medialen Riss: für oder gegen Reform à la Lauterbach? Bleibt die Frage: Was ändert sich und vor allem zu wessen Gunsten?

Tango um die schwarze Null

Vorab: Alle Beteiligten betonen immer wieder, dass es ihnen nur und ausschließlich um die bestmögliche Versorgung ihrer Patienten geht.

Doch bei allem Respekt vor den Leistungen der im Gesundheitswesen Tätigen und bei aller Unterstellung altruistischer Motive des Managements bleibt festzuhalten: Ein kapitalistisch geführtes Krankenhaus, das nicht am Tropf des Staates hängen kann und daher zur Gewinnerzielung und Reproduktion verdammt ist, folgt den Gesetzen des Marktes. Eine Operation ist daher nicht nur betriebswirtschaftlich nach Erfolg oder Misserfolg zu beurteilen, sondern eben auch nach Kosten und Erlösen.

Genau hier setzt die Reform an. Erschwerend kommt hinzu, dass die allermeisten deutschen Kommunen aufgrund ihrer angespannten Haushaltslage nicht in der Lage sind, Zuschüsse für notleidende Kliniken zu leisten.

Der Deutsche Städte- und Gemeindebund warnte [9] Anfang Januar eindringlich, die Lage der Kommunen und ihre Handlungsfähigkeit seien "bedroht". Auch vom Bund ist kein Geld zu erwarten: Wie das Beispiel Baden-Württemberg zeigt [10]. Dort droht der Landeskrankenhausgesellschaft 2024 ein Defizit von 900 Millionen Euro, doch der Bund lehnt eine Überbrückungshilfe kategorisch ab.

In der Praxis

Grundlage der Reform [11] ist ein neues Vergütungssystem: Positiv gewendet soll das neue Modell das leisten, was die Einführung der Fallpauschalen versprach, nämlich die Kliniken vom Druck zu befreien, möglichst viele Patienten behandeln zu müssen.

Die Fallpauschalen, also die Bezahlung pro durchgeführter Behandlung in Form eines festen Eurobetrags, werden aber nicht ganz abgeschafft. Sie sollen die finanzielle Basis zu 40 Prozent abdecken, die restlichen 60 Prozent sollen die Kliniken allein durch die Vorhaltung von Leistungen (z.B. Kreissaal, Notaufnahme, Medizintechnik etc.) erwirtschaften.

Der Gesetzgeber erhofft sich davon entscheidende Verbesserungen: Erhalt der ländlichen Krankenhäuser, Umwandlung bestehender Kliniken in "sektorenübergreifende" Einrichtungen, Brücken zwischen stationärer und ambulanter Behandlung und letztlich maximal halbstündige Anfahrtswege.

Fakt ist [12]: Vor rund 30 Jahren gab es in Deutschland noch 2400 Kliniken, heute sind es noch 1700 – Tendenz fallend. Ohne ausreichende Finanzierung wird das Kliniksterben trotz politischer Beteuerungen weitergehen, wohnortnahe und polyklinische Versorgung ein Wunschtraum bleiben.

Wie Minister Lauterbach de facto einräumte, ist der Erhalt aller Kliniken seinerseits nicht beabsichtigt. In einem Interview mit der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung sagte er: "Eine Konzentration ist notwendig, um die Qualität zu halten" und es mache "medizinisch keinen Sinn, jede der 1719 Kliniken zu erhalten".

Mit Ökonomismus gegen die Ökonomisierung?

Im ZDF äußerte [13] Lauterbach die Befürchtung, dass man es mit der Ökonomisierung "übertrieben" habe. Der Treppenwitz: Bei genauerem Hinsehen dreht die geplante Reform die Uhren nicht zurück, sondern beschleunigt die Ökonomisierung von Gesundheit und Wohlbefinden.

Während für die Bundeswehr 100 Milliarden Sondervermögen auf Pump bereitgestellt wurden, müssen im Gesundheitswesen 50 Milliarden verteilt auf 10 (!) Jahre für die dringend notwendigen Strukturreformen ausreichen.

Das bedeutet: Krankenkassenbeiträge und Behandlungskosten werden steigen müssen. Die Wirksamkeit der Finanzierung ist für 2027 oder 2028 vorgesehen, dann könnte es für viele Häuser zu spät sein. Dieser "kalte Strukturwandel", wie ihn die Deutsche Krankenhausgesellschaft nennt, ist im künftigen Modell eingepreist. Kliniksterben durch die Hintertür.

Spannend ist ein Blick in die offiziellen Verlautbarungen [14] des Gesundheitsministeriums zur geplanten Krankenhausreform: Da heißt es, Deutschland habe eine der höchsten Bettenzahlen der Welt und - fast wie ein Vorwurf formuliert – ein Drittel davon sei nicht belegt.

Übersetzt: Ein unbelegtes Bett verdient keinen Cent. Bei einer Verknappung des Angebots dürften Preise, Auslastung und letztlich auch die Gewinne wieder steigen. Die überlebenden Kliniken können sich "natürlich" regenerieren und finanzieren, Staat und Kommunen sparen.

Die Logik, die der Krankenhausreform zugrunde liegt, ist die überhitzte Zuspitzung der Ökonomisierung der Ware Gesundheit. Oder um es mit Karl Lauterbach zu sagen: die Übertreibung des Übertriebenen.

Kritik und Alternativen

Die Krankenhausreform kann explizit an folgenden Punkten kritisiert werden: Sie wird zu einer kalten Marktbereinigung führen, sie bürokratisiert [15] zunehmend ein überlastetes System, es kann zu einer Insolvenzwelle und in deren Folge zu einer räumlich abhängigen Unterversorgung kommen und die Zwei-Klassen-Medizin wird perpetuiert.

Die privaten Krankenkassen werden derzeit nur teilweise oder gar nicht in die Finanzierung einbezogen. Entgegen der angestrebten Polyvalenz könnte die Reform sogar zu mehr Spezialisierung führen.

Wie die Medizinsoziologin Nadja Rackowitz sagt, wird die neue Finanzierung zu einer Differenzierung in 65 Leistungsgruppen (innerhalb der 40 Prozent des DRG-Systems) führen und damit kleinere Häuser zur Aufgabe zwingen.

Doch es gibt Widerstand und Protest sowie vor allem medizinpolitische Alternativen: Unter der Prämisse der Abkehr von der Selbstkostendeckung und der Hinwendung zu einer gemeinwohlorientierten Daseinsvorsorge sollten Re-Kommunalisierungen oder Verstaatlichungen diskutiert werden.

Zudem setzt die Debatte früher an: Der Aufbau regionaler Gesundheitszentren als Zwitterwesen wird von den Ersatzkassen [16] in drei Modellregionen erprobt, eine deutliche Ambulantisierung bei fortschreitendem medizinischem Fortschritt und bezahlbarer ambulanter Nachsorge erscheint als gangbare Alternative oder eine deutliche Verbesserung der Kostenfinanzierung der gegenwärtigen Situation.


URL dieses Artikels:
https://www.heise.de/-10275739

Links in diesem Artikel:
[1] https://www.tagesschau.de/inland/kliniken-reform-leistungen-krankenhaeuser-100.html
[2] https://www.aerzteblatt.de/archiv/80509/Krankenhaus-Was-sind-eigentlich-DRGs
[3] https://www.pwc.de/de/gesundheitswesen-und-pharma.html
[4] https://www.pwc.de/de/gesundheitswesen-und-pharma/healthcare-barometer.html
[5] https://www.zdf.de/nachrichten/politik/deutschland/krankenhausreform-kabinett-lauterbach-100.html
[6] https://www.zdf.de/nachrichten/politik/deutschland/krankenhausreform-lauterbach-gesetzentwurf-100.html
[7] https://www.tagesschau.de/inland/innenpolitik/krankenhausreform-bundestag-faq-100.html
[8] https://www.tagesschau.de/inland/gesellschaft/krankenhausreform-bundesrat-104.html
[9] https://www.dstgb.de/publikationen/mediathek/finanzen-der-kommunen/
[10] https://www.swr.de/swraktuell/baden-wuerttemberg/krankenhaus-reform-kommt-reaktionen-100.html
[11] https://www.deutschlandfunk.de/krankenhaeuser-reform-lauterbach-fallpauschale-100.html
[12] https://www.pwc.de/de/gesundheitswesen-und-pharma/healthcare-barometer.html
[13] https://www.zdf.de/nachrichten/politik/deutschland/krankenhausreform-lauterbach-gesetzentwurf-100.html
[14] https://www.bundesgesundheitsministerium.de/themen/krankenhaus/krankenhausreform/faq-krankenhausreform.html
[15] https://www.dkgev.de/dkg/presse/details/ziele-der-krankenhausreform-sind-richtig-aber-die-vorgesehenen-massnahmen-verfehlen-diese-ziele-und-gefaehrden-die-versorgungssicherheit/
[16] https://www.vdek.com/magazin/ausgaben/2024-06/jcr:content/par/epaper.epaper.htm/epaper/ausgabe.pdf