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Ölembargo gegen Russland "sehr wahrscheinlich"

Symbolfoto: Das geplante Embargo auf russisches Erdöl könnte das Aus für die deutsche Raffinerie in Schwedt (Oder) bedeuten. Bild: SatyaPrem auf Pixabay

Für Ungarn und die Slowakei soll es Ausnahmen geben. Dagegen droht der PCK-Raffinerie in Brandenburg das Aus. Habeck weiß nicht, wie sie weiterhin versorgt werden soll.

Ein Embargo auf russisches Erdöl wird immer wahrscheinlicher. Bis spätestens Mittwoch will die EU- Kommission ihre Pläne offiziell vorstellen. Doch wie die Nachrichtenagentur AFP schon vorab von einem EU-Beamten erfuhr, soll es Ausnahmen geben: Ungarn und die Slowakei sollen mehr Zeit für die Umsetzung bekommen als andere Länder. Dem Bericht zufolge sollen die anderen EU- Mitgliedsstaaten innerhalb von sechs bis acht Monaten den Bezug russischen Erdöls stoppen.

Ungarn hatte mit einem Veto gedroht, wenn das Embargo die eigene Versorgungssicherheit einschränke. Aber auch der slowakische Wirtschaftsminister Richard Sulik hatte sich dafür stark gemacht, dass sein Land in den Genuss einer Ausnahme kommt. Für sein Land sei dies "extrem wichtig", hatte er in einem am Dienstag veröffentlichten Video [1] gesagt.

Hinter diesem Engagement steht die Sorge um die Raffinerie Slovnaft in Bratislava. Es würde mehrere Jahre dauern, um vom schweren Öl aus Russland auf die Verarbeitung von leichterem Öl umzusteigen. "Deshalb werden wir sicher auf einer solchen Ausnahme bestehen", hatte Sulik gesagt.

Vor demselben Problem steht auch die PCK-Raffinerie in Schwedt (Oder), doch für sie ist die Bundesregierung offenbar nicht bereit, sich in gleicher Weise stark zu machen. Auch diese Raffinerie ist auf das schwefelhaltige Erdöl aus Russland eingestellt und durch ein Embargo könnte sie vor dem Aus stehen – mit erheblichen Folgen für Ostdeutschland: Von ihr hängen nicht nur tausende Arbeitsplätze ab, sie versorgt auch Berlin und Brandenburg fast vollständig mit Kraftstoffen.

"Die aktuelle Debatte über einen Einfuhrstopp für Erdöl ist unehrlich und fahrlässig", erklärte Christian Görke, früherer Finanzminister von Brandenburg und heute Bundestagsabgeordneter der Linken. Gegenüber Telepolis sagte er weiter, es brauche "keine Schnellschüsse, die sich vielleicht medial gut verkaufen lassen, aber die Menschen in Brandenburg im Stich lassen".

EU-Sanktionen gegen Russland (0 Bilder) [2]

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Klaus Ernst (Linke) unterstrich das am Dienstag ebenfalls - und er warf der Bundesregierung vor, gegen die Interessen der eigene Bevölkerung zu handeln. Sie nehme willentlich in Kauf, dass die Energieversorgung in Berlin und Brandenburg gefährdet werde. "Ein Embargo hätte nicht nur katastrophale Folgen für die Beschäftigten, sondern auch für die Versorgung mit Benzin, Heizöl und Kerosin", so Ernst.

Und wenn man ein solches Embargo befürworte, ohne vorher mit den betroffenen Bundesländern Alternativen zu entwickeln, dann richte sich die Sanktionspolitik mehr gegen die eigenen Bürger als gegen Russland. "Die Bundesregierung ist gerade dabei, genau den Schaden zu verursachen, den sie gemäß ihrem Amtseid vom deutschen Volk abwenden soll", betonte Ernst.

Dass die Bundesregierung offenbar noch nicht weiß, wie die Raffinerie künftig versorgt werden soll, bestätigte Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) indirekt. Gegenüber dem ZDF heute journal [4] sagte er am Montag: "Ehrlich gesagt, ganz genau wissen wir gar nicht, wohin die Lieferbeziehungen gehen".

Unrealistische Lieferwege

In der Debatte stehen zwei mögliche Lieferwege: Vom Hafen in Rostock führt eine Pipeline für Tankeröl nach Schwedt. Über sie könnten – theoretisch – rund 60 Prozent des Bedarfs gedeckt werden. Der Energieexperte Steffen Buckold ging in einer Studie für Greenpeace davon aus, dass auch bis zu 90 Prozent möglich wären. Dafür müsste aber erst der Hafen von Rostock vertieft werden und die Pipeline müsste ausgebaut werden.

Die zweite Möglichkeit wäre, Erdöl über die sogenannte Plock-Pipeline vom Hafen in Danzig aus nach Schwedt (Oder) zu liefern. Doch auch diese Variante ist nicht einfach zu realisieren, erklärte letzte Woche Habeck in einem auf Twitter [5] verbreiteten Video. Polens Energieministerin Anna Moskwa habe demnach erklärt, ihr Land hätte kein Interesse, polnisches Öl von Danzig nach Schwedt zu liefern, so lange die Raffinerie noch Rosneft gehöre.

Ohne polnisches Erdöl könnte es allerdings schwer werden, den Betrieb der Raffinerie zu gewährleisten. Das Handelsblatt [6] berichtete am Sonntag von einem Vorfall aus dem Jahr 2019. Damals habe verunreinigtes Öl zu einem Abschalten der "Druschba"-Pipeline geführt und Ersatz musste über Rostock geliefert werden. Die Stabilität der Prozesse in der Raffinerie sei damals kaum noch gewährleistet gewesen. "Die chemischen Verfahren drohten zusammenzubrechen", hieß es in dem Bericht.

Für Görke ist es deshalb auch ein Ausdruck von Wunschdenken, wenn die Glaube verbreitet werden, die Raffinerie in Schwedt (Oder) lasse sich schnell mit Öl aus anderen Quellen beliefern. "Die Raffinerie ist speziell auf schwefelhaltiges Erdöl aus Russland ausgelegt", sagte er; und eine Umstellung sei "nur mit aufwändigen und massivsten Investitionen möglich". Und dazu könne man den Eigentümer nicht zwingen, weshalb dann eine Enteignung nötig wäre.

Für Görke kommt eine Enteignung der PCK-Raffinerie auch in Betracht, um die Menschen nicht im Regen stehen zu lassen. Er sagte:

Bei der PCK-Raffinerie alleine sind schon 1.200 Menschen beschäftigt. Außerdem liefert sie kaum ersetzbare Vorprodukte für die chemische Industrie, die in Ostdeutschland 65.000 Menschen beschäftigt. Soweit die Fakten. Alles darüber hinaus sind Spekulationen.

Wenn die Bundesregierung an ihrer gefährlichen Eskalationspolitik festhält, muss sie für diese Menschen vollumfänglich in Verantwortung gehen! Das bedeutet auch, den letzte Woche im Bundestag vorgelegten Gesetzentwurf (Energiesicherungsgesetzes) zu nutzen und das PCK in eine staatliche Treuhänderschaft zu überführen und damit Rosneft als Eigentümer zu enteignen.

Christian Görke (Linke)

Jobs auf der Kippe

Die Bundesregierung versuchte zuletzt zu beruhigen und versprach, die Beschäftigten vor negativen Folgen zu schützen. "Die Lichter gehen hier nicht sofort aus", sagte zum Beispiel der Parlamentarische Wirtschaftsstaatssekretär Michael Kellner (Grüne) am Montag bei einem Besuch in Schwedt (Oder).

"Wir als Bundesministerium werden alles für die Beschäftigten und Verbraucher tun", sagte Kellner weiter und betonte: Es gebe strategische Rohölreserven, damit Menschen, Beschäftigte und Unternehmen weiterarbeiten könnten. Doch wie die Reserven, die zum großen Teil in Niedersachsen lagern, in die PCK-Raffinerie kommen sollen, sagte Kellner nicht.

Die Landesregierung von Brandenburg sieht mit Blick auf die Zukunft der Raffinerie und der Arbeitsplätze etwas klarer [7]: Nicht alle Arbeitsplätze können erhalten bleiben. Brandenburgs Wirtschaftsminister Jörg Steinbach (SPD) sprach Ende April davon, dass es nicht ohne Personalanpassungen gehe. Und Umweltminister Axel Vogel (Grüne) sagte: "Wir sind uns im Klaren, dass Schwedt als Standort der Erdölindustrie auch irgendwann ein Endstadium erreichen wird".

Selbst wenn die PCK-Raffinerie erhalten und weiterhin beliefert werden könnte – die Spritpreise werden steigen. Und Habeck rief die Deutschen einmal mehr dazu auf, die steigenden Preise geduldig zu ertragen und nicht zu murren. Er sagte:

Es soll niemand sagen, er hätte es nicht vorher gewusst, wenn nachher die Preise nach oben gehen. Das wird sehr sicher so kommen. Und das ist der Preis, der getragen werden kann und getragen werden muss.

Doch bis auf weniger Geld in der Tasche und ein vermeintlich reines Gewissen hätten die Menschen in der Bundesrepublik kaum etwas von einem Ölembargo – und das Embargo selbst könnte sein Ziel verfehlen, die russischen Einnahmen aus dem Energiegeschäft zum Versiegen zu bringen.

Ein aktueller Bericht der New York Times [8] legt nahe, dass es Russland nicht schwerfallen dürfte, Erdgas- und -öl sowie Kraftstoffe statt nach Europa nach Asien zu liefern. Große Infrastrukturprojekte in China, die wohl ab dem Herbst umgesetzt werden, könnten die Nachfrage in die Höhe schnellen lassen.


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Links in diesem Artikel:
[1] https://ekonomika.pravda.sk/energetika/clanok/625392-sulik-o-zakaze-ropy-pri-embargu-chcem-pre-slovensko-vynimku-je-to-extremne-dolezite/
[2] https://www.heise.de/bilderstrecke/bilderstrecke_7071920.html?back=7073883;back=7073883
[3] https://www.heise.de/bilderstrecke/bilderstrecke_7071920.html?back=7073883;back=7073883
[4] https://www.zdf.de/nachrichten/politik/habeck-oel-embargo-ukraine-krieg-russland-100.html
[5] https://twitter.com/BMWK/status/1519198468383850496
[6] https://www.handelsblatt.com/politik/deutschland/energie-das-ist-jetzt-doof-mit-der-abhaengigkeit-klar-schwedt-die-stadt-an-moskaus-langer-leine/28293660.html
[7] https://www.moz.de/nachrichten/brandenburg/oel-embargo-russland-pck-in-schwedt-vor-dem-aus_-verlust-von-tausenden-arbeitsplaetzen-befuerchtet-64112553.html
[8] https://www.nytimes.com/2022/05/03/business/russia-china-energy-ukraine.html